aus Die Presse, Wien, 27. 2. 2015
Hirnzellen sagen das Verhalten anderer voraus
Im Gehirn gibt es viele Spezialisten für beobachtetes Verhalten. Nun fanden sich auch Prognostiker.
Von Jürgen Langenbach
Wir wissen, dass andere Menschen im Grund so denken und handeln wie wir, und für die Details dieses Wissens haben wir spezialisierte Hirnzellen. Das bemerkte man 1992 an Affen: Man wollte sehen, was im Gehirn vor sich geht, wenn sie nach Futter greifen – aber erst musste das Futter dort platziert werden, von den Forschern. Deren beobachtete Handbewegung aktivierte in den Affenhirnen Zellen, die auch für ihre eigenen entsprechenden Bewegungen zuständig sind, man nannte sie Spiegelneuronen. Später fanden sich andere Spezialisten, sie schauen etwa auf Fehler anderer oder darauf, wie sie auf Belohnung reagieren.
Aber sie alle sind auf beobachtetes Handeln angewiesen, viel lieber wüsste man noch, was der andere zu tun gedenkt. Will er einem wohl oder denkt er nur an sich? Das versucht ein Klassiker der Spieltheorie zu klären, das Gefangenendilemma. Da werden zwei Personen eines gemeinsam begangenen Verbrechens verdächtigt und müssen entscheiden, ob sie kooperieren oder auf Eigennutz setzen: Schweigen beide, bekommt jeder zwei Jahre Haft; wenn einer verrät und der andere schweigt, bekommt der Verräter ein Jahr, der Schweiger sechs; verraten beide einander, bekommt jeder vier.
Nur im Sozialen aktiv
Die Regeln sind schon für Menschen schwer nachvollziehbar – im gemeinsamen Interesse liegt, dass beide schweigen, mit dem individuellen Interesse ist das anders –, aber Rhesusaffen [Bild] im Labor von Keren Haroush (Harvard) verstanden sie auch. Und sie verstanden, worum es geht: Man muss die kommende Aktion des anderen optimal abschätzen. Eben dafür wurden ganz besondere Hirnzellen aktiv, andere als die, die das eigene künftige Verhalten steuern. Sie sitzen im anterioren cingulären Cortex (ACC), ihre Prognosekraft ist hoch, aber sie werden nur im sozialen Zusammenhang aktiv – und bleiben still, wenn man die Affen gegen Computer spielen lässt (Cell, 26. 2.). Das ist wohl nicht nur bei Affen so: Bei Autismus und anderem gestörten Sozialverhalten spielen Störungen im ACC mit, und wenn er ganz zerstört ist, schwindet das Interesse an Menschen, das an unbelebten Gegenständen steigt.
Nota. - Das wird schon lange vermutet, dass die spezifisch menschliche Form der Intelligenz, die Reflexion, aus den hochentwickelten Formen unseres Zusammenlebens entstanden sind, die wiederum Folge einer verhältnismäßig geringen Hierarchisierung sind. Als Grundlage der Reflexion gilt wiederum der Perspektivenwechsel: die Fähigkeit des Menschen, sich in den Standpunkt eines Andern hinein zu denken. - Und nun erfahren wir: Diese Fähigkeit wird nicht von jedem Individuum immer wieder neu erworben, sondern ist in unserm Hirnaufbau bereits vorgegeben.
Freilich auch in dem von Rhesusaffen. Was heißt das? Dass die Differentia specifica der menschlichen Intelligenz: die Reflexion als die Fähigkeit, die Perspektive auf mich selbst als auf einen andern zu richten, erst durch die menschlichen Formen sozialer Interaktion hinzu gekommen ist, während die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel überhaupt noch ein Erwerb unserer Stammesgeschichte war.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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