Dienstag, 30. Mai 2017

Bin ich mein Genom? Oder: Individualität ist angeboren, aber nicht vererbt.

aus derStandard.at, 28. Mai 2017, 17:56                                                              Amazonaskärpflinge

Verschiedene Persönlichkeiten trotz gleicher Gene und gleicher Umwelt
Versuche mit Amazonenkärpflingen zeigen, dass Wesensunterschiede von kleinsten Faktoren beeinflusst werden

Berlin – Welche Persönlichkeitsmerkmale jemand besitzt, ist – wie man mittlerweile weiß – keine ausschließliche Frage der genetischen Ausstattung. Dass das auch für Fische gilt, hat eine aktuelle Untersuchung gezeigt: Werden genetisch identische Amazonenkärpflinge einzeln und unter den selben Umweltbedingungen aufgezogen, entwickeln sich die Fische dennoch zu unterschiedlichen Charaktertypen. Die Differenzen sind dabei ähnlich stark ausgeprägt wie bei Artgenossen, die in Gruppen aufwachsen. Die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die Frage, welche Faktoren für die Individualität bei Wirbeltieren verantwortlich sind.

Umwelt oder Genetik oder beides?

Sowohl die genetische Ausstattung als auch die Umwelt wirken auf das individuelle Verhalten von Tieren ein – so lautet die gängige Lehrmeinung. Doch was passiert, wenn Individuen, deren Erbgut identisch ist, einzeln und unter gleichen Bedingungen aufgezogen werden – entwickeln sie dann identische Verhaltensmuster? Dieser Frage ging ein Team um David Bierbach und Kate Laskowski vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) nach.

Das IGB-Team nutzte für seine Untersuchungen den Amazonenkärpfling, eine lebendgebärende Zahnkarpfenart. Diese pflanzt sich natürlicherweise klonal fort, weshalb alle Nachmkommen einer Mutter das exakt gleiche Erbgut besitzen. Neugeborene Amazonenkärpflinge wurden in drei unterschiedlichen Versuchsaufbauten beobachtet: In der ersten Gruppe wurden die Tiere von Beginn an einzeln und unter identischen Bedingungen gehalten. In zwei Kontrollgruppen lebten die Fische für eine bzw. drei Wochen in Gruppen von jeweils vier Individuen und wurden anschließend getrennt. Nach sieben Wochen untersuchten die Forschenden alle Amazonenkärpflinge daraufhin, ob und wie sie sich in Aktivität und Erkundungsverhalten unterscheiden.

Erstaunliche Unterschiede

"Wir waren doch sehr erstaunt, bei genetisch identischen Tieren, die unter nahezu gleichen Umweltbedingungen aufgewachsen sind, so deutliche Persönlichkeitsunterschiede zu finden", sagt Bierbach, einer der Erstautoren der im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlichten Studie. Die Fische, die sich zunächst in kleinen Gruppen entwickelten, wiesen ebenfalls und in etwa gleicher Ausprägung Verhaltensunterschiede auf – egal, ob die Entwicklungsphase mit sozialen Interaktionen eine oder drei Wochen dauerte.

"Wir vermuten, dass bereits minimale Unterschiede in den Umweltbedingungen, die immer auftreten, zur Ausbildung von Persönlichkeitsunterschieden führen. Außerdem könnten epigenetische Entwicklungsprozesse, also zufällige Veränderungen von Chromosomen und Genfunktionen, eine entscheidende Rolle spielen", erklärt die Verhaltensbiologin Kate Laskowski. Die Studie lasse insgesamt vermuten, dass die Entwicklung von Individualität bei Wirbeltieren generell ein unausweichlicher, aber schwer vorherzusagender Prozess ist. (red.)


Abstract
Nature Communications: "Behavioural individuality in clonal fish arises despite near-identical rearing conditions."




Montag, 29. Mai 2017

Lesen lernen verändert das Gehirn bis in den Stamm.

aus scinexx

Lesen krempelt unser Gehirn um
Das Lesenlernen verändert selbst evolutionär alte Hirnareale

Tiefgreifende Umstrukturierung: Wenn wir lesen lernen, verändert dies unser Gehirn auf überraschend fundamentale Weise. Denn nicht nur die Sprach- und Sehzentren im Cortex wandeln sich dadurch, auch evolutionär alte Hirnareale wie der Hirnstamm und der Thalamus sind beteiligt. Die komplexe Aufgabe des Lesenlernens hinterlässt damit tiefgreifenden und dauerhafte Spuren in unserem Gehirn, wie Forscher im Fachmagazin "Science Advances" berichten.

Das Lesen ist eine der größten Errungenschaften der menschlichen Kultur – und eine mentale Herausfor- derung. Der Mensch benötigt meist Monate, manchmal Jahre des Übens, um lesen zu lernen. Ein möglicher Grund: Weil die Schrift erst vor wenigen tausend Jahren erfunden wurde, hat unser Gehirn noch keine Zeit gehabt, ein eigenes Lesezentrum zu entwickeln. Stattdessen muss es andere Hirnareale umfunktionalisie- ren. 


Blick ins Gehirn beim Lesenlernen 

Was sich jedoch beim Lesenlernen im Gehirn verändert, war bisher nur in Ansätzen bekannt. "Bisher ging man davon aus, dass sich diese Veränderungen lediglich auf die äußere Großhirnrinde beschränken", berichtet Studienleiter Falk Huettig vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen. So werden unter anderem Hirnareale für die Gesichtserkennung zur Erkennung der Buchstaben genutzt und es bilden sich Schnittstellen zwischen Seh- und Sprachzentrum.


Doch was darüber hinaus im Gehirn geschieht, haben Huettig und seine Kollegen erst jetzt aufgeklärt. Für ihre Studie brachten sie 21 indischen Analphabetinnen sechs Monate lang das Lesen und Schreiben bei. Vor, während und nach dieser Phase untersuchten die Forscher ihre Ruhe-Hirnaktivität mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT). 

Wandel selbst im "Reptilienhirn" 

Das erstaunliche Ergebnis: Das Lesenlernen verändert keineswegs nur die Funktion der Großhirnrinde wie bisher angenommen. Stattdessen werden durch diesen Lernprozess Umstrukturierungen in Gang gesetzt, die bis in den Thalamus und den Hirnstamm hineinreichen – und damit in evolutionär sehr alte Hirnteile.

Zusammenwirken verschiedener Hirnareale der rechten Hirnhälfte beim Lesen

Hinweise auf Ursachen der Legasthenie? 

Die Studie könnte auch ein neues Licht auf die Lese-Rechtschreib-Schwäche werfen. Denn bisher können Forscher nur darüber spekulieren, warum manche Kinder eine Legasthenie entwickeln und was dabei im Gehirn geschieht. Bekannt ist, dass das Gehirn der Betroffenen sich weniger gut an bereits bekannte visuelle und akustische Reize anpasst. Außerdem weiß man, dass es eine genetische Komponente gibt.

Forscher vermuten zudem, dass auch eine angeborene Fehlfunktion im Thalamus eine Rolle spielen könnte. Angesichts der jetzt festgestellten Plastizität dieser Areale bezweifeln Skeide und seine Kollegen dies jedoch. "Da wir nun wissen, dass sich der Thalamus bereits nach wenigen Monaten Lesetrainings so grundlegend verändern kann, muss diese Hypothese neu hinterfragt werden", so Skeide. Mehr dazu wollen sie nun in einer mehrjährigen Studie herausfinden. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1602612)

(Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, 26.05.2017 - NPO)




institution logoUnglaublich formbar: Lesen lernen krempelt Gehirn selbst bei Erwachsenen tiefgreifend um

Verena Müller  
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
 

Lesen ist eine derart junge kulturelle Errungenschaft, dass im Gehirn noch kein eigener Platz für sie vorgesehen ist. Während wir lesen lernen, werden daher Hirnregionen umfunktioniert, die bis dahin für andere Fähigkeiten genutzt wurden. Wissenschaftler der Max-Planck-Institute in Nijmegen und Leipzig haben herausgefunden, dass sich das Gehirn dabei so grundlegend verändert, dass sich selbst evolutionär sehr alte, tiefverborgene Strukturen an die neue Herausforderung anpassen. Zu diesen Erkenntnissen gelangte das Team anhand einer großangelegten Studie in Indien, in der Analphabetinnen sechs Monate lang lesen und schreiben lernten.  

Lesen ist evolutionär gesehen eine derart junge Fähigkeit, dass sie sich noch nicht spezifisch genetisch verankert haben kann. Das heißt, es kann im Gehirn nicht das „Leseareal“ geben. Im Zuge des Lesenlernens muss es daher zu einer Art Recyclingprozess im Gehirn kommen: Hirnareale, die eigentlich von der Evolution für die Erkennung komplexer Objekte wie Gesichtern konzipiert waren, werden nun durch die Fähigkeit besetzt, Buchstaben in Sprache zu übertragen. Dadurch entwickeln sich einige Regionen unseres visuellen Systems zu Schnittstellen zwischen unserem Seh- und Sprachsystem. 
 
„Bisher ging man davon aus, dass sich diese Veränderungen lediglich auf die äußere Großhirnrinde beschränken, die bereits dafür bekannt war sich schnell an neue Herausforderungen anpassen zu können“, so Studienleiter Falk Huettig vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik. Das internationale Forscherteam hat nun gemeinsam mit indischen Wissenschaftlern des Center of Bio-Medical Research (CBMR) Lucknow und der Universität Hyderabad erstmals in einer umfassenden Studie mit erwachsenen Analphabetinnen beobachtet, was sich im erwachsenen Gehirn verändert, während wir lesen und schreiben lernen – und erstaunliches herausgefunden: Anders als bisher angenommen werden durch diesen Lernprozess Umstrukturierungen in Gang gesetzt, die bis in den Thalamus und den Hirnstamm hineinreichen. Im Vergleich zur verhältnismäßig sehr jungen Schrift des Menschen verändern sich also Regionen, die evolutionär gesehen recht alt sind - und selbst bei Mäusen und anderen Säugetieren bereits vorhanden sind.

„Wir haben beobachtet, dass die sogenannten Colliculi superiores als Teile des Hirnstamms und das sogenannte Pulvinar im Thalamus ihre Aktivitätsmuster zeitlich enger an Sehareale auf der Großhirnrinde koppeln“, so Michael Skeide, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und Erstautor der zugrundeliegenden Studie, die jetzt im renommierten Fachmagazin Science Advances veröffentlich wurde. „Die Thalamus- und Hirnstammkerne helfen unserer Sehrinde dabei, wichtige Informationen aus der Flut von visuellen Reizen herauszufiltern noch bevor wir überhaupt bewusst etwas wahrnehmen.“ 

Das Interessante dabei: Je stärker sich die Signale der Hirnregionen einander angeglichen hatten, desto besser waren die Lesefähigkeiten bereits ausgeprägt. „Wir gehen deshalb davon aus, dass diese beiden Hirnsysteme mit zunehmenden schriftsprachlichen Fähigkeiten besser zusammenarbeiten“, erklärt der Neuropsychologe weiter. „Auf diese Weise können geübte Leser vermutlich effizienter durch Texte navigieren.“

Untersucht hat das interdisziplinäre Forscherteam diese Zusammenhänge in Indien, einem Land mit einer Analphabetenrate von etwa 39 Prozent. Hier sind es vor allem die Frauen, denen der Zugang zu Schulbildung und damit zum Lesen und Schreiben verwehrt bleibt, sodass an der Studie ausschließlich Frauen teilnahmen, alle im Alter zwischen 24 und 40 Jahren. Ein Großteil der Teilnehmerinnen konnte zu Beginn des Trainings kein einziges Wort ihrer Sprache, dem Hindi, entziffern. Hindi, der Landessprache Indiens, liegt das sogenannte Devanagari zugrunde, eine Schrift, deren komplexe Zeichen häufig nicht nur für einzelne Buchstaben, sondern auch für ganze Silben oder auch Wörter stehen.

Nach sechs Monaten Unterrichts erreichten die Teilnehmerinnen bereits ein Niveau, das sich mit dem von Erstklässlerinnen vergleichen lässt. „Dieser Wissenszuwachs ist bemerkenswert“, so Studienleiter Huettig. „Obwohl es für uns als Erwachsene sehr schwierig ist, eine neue Sprache zu lernen, scheint für das Lesen anderes zu gelten. Das erwachsene Gehirn stellt hier seine Formbarkeit eindrucksvoll unter Beweis.“ 

Prinzipiell habe diese Studie auch in Mitteleuropa stattfinden können. Tatsächlich sei hier jedoch das Thema Analphabetismus so tabubehaftet, dass es sehr schwierig gewesen wäre, überhaupt Teilnehmer zu finden. Doch auch in Indien, warteten zahlreiche Herausforderungen auf die Wissenschaftler: Um auszuschließen, dass soziale Faktoren die Ergebnisse verfälschen, kamen für sie nicht nur lediglich Studienteilnehmer der gleichen Sozialklasse aus zwei benachbarten Dörfern in Frage. Auch die Fahrten in die drei Stunden entfernte Stadt Lucknow mussten organisiert werden um dort die Hirnscans durchführen zu können. 

Die erstaunlichen Lernerfolge der Studienteilnehmer sind nicht nur ein hoffungsvolles Signal an erwachsene Analphabeten. Sie werfen auch ein neues Licht auf mögliche Ursachen der Lese-Rechtschreib-Störung (LRS). Bisher wurden Fehlfunktionen des Thalamus als eine mögliche angeborene Ursache der LRS diskutiert, die zu grundlegenden Defiziten in der visuellen Aufmerksamkeit führen könnten. „Da wir nun wissen, dass sich der Thalamus bereits nach wenigen Monaten Lesetrainings so grundlegend verändern kann, muss diese Hypothese neu hinterfragt werden“, so Skeide. 

Es könnte sein, dass Betroffene nur deshalb Auffälligkeiten im Thalamus zeigen, weil ihr visuelles System weniger trainiert ist. Das bedeutet, dass diese Auffälligkeiten im Thalamus nur dann als angeborene Ursache infrage kommen, wenn sie sich schon vor der Einschulung zeigen. „Genau das wollen wir nun in einer großangelegten Studie herausfinden, in der wir Betroffene der LRS über viele Jahre hinweg beobachten“, fügt Huettig hinzu.

Orginalpublikation:

Skeide, M., Kumar, M., Mishra, R. K., Tripathi, V.N., Guleria, A., Singh, J.P., Eisner, F., & Huettig, F. (in press). Learning to read alters cortico-subcortical cross-talk in the visual system of illiterates. Science Advances
 








Freitag, 26. Mai 2017

Mein Schlaf und Ich.

Canova, Enymion
aus derStandard.at, 26. Mai 2017, 11:10

Experiment zeigt, wie wichtig Tiefschlaf für das Lernen ist
Synapsen erreichen "Sättigung", wenn sie zwischendurch nicht zur Ruhe kommen

Zürich – Schweizer Wissenschafter haben den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tiefschlaf und der Lernfähigkeit nachgewiesen: Unser Gehirn braucht die Erholung im Tiefschlaf, um die Nervenzellaktivitäten zu normalisieren.

Denn durch all die Eindrücke, die tagsüber auf uns einströmen, werden die Synapsen erregt. Sie benötigen daher den Tiefschlaf, um auf ein normales Niveau zurückzukehren und wieder erregbar zu sein, berichten Forscher um Reto Huber von der Uni Zürich und Nicole Wenderoth von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich im Fachblatt "Nature Communications".

Der Versuch

Der Nachweis gelang den Forschern, indem sie bei Probanden die Schlaftiefe einer bestimmten Hirnregion gezielt durch akustische Stimulation reduzierten. Die sechs teilnehmenden Frauen und sieben Männer empfanden die Schlafqualität dabei subjektiv nicht beeinträchtigt.

Die Studienteilnehmer sollten tagsüber verschiedene Abfolgen von Fingerbewegungen lernen. In der darauffolgenden Nacht wurde ihr Schlaf mittels Elektroenzephalografie überwacht und sie konnte ungestört schlafen. Nach dem zweiten Versuchstag mit neuen Fingerbewegungen manipulierten die Forschenden jedoch die Schlaftiefe in der Hirnregion, die beim Erlernen der Fingerbewegungen wichtig war, nämlich den Motorcortex. Die Probanden waren sich dieser Manipulation nicht bewusst.

Nach dem Schlaf geht's bergauf

Am jeweiligen Folgetag beobachteten die Wissenschafter, wie sich die Lern- und Leistungskurven der Probanden im Verlauf des Experiments entwickelten, also wie sich die reduzierte Schlaftiefe auf ihre Lernfähigkeit auswirkte. In der Früh lernten sie demnach am besten, im Lauf des Tages stieg die Fehlerquote. Erst nach dem Schlaf stieg die Lernfähigkeit wieder.

Das war jedoch nach der Nacht mit dem reduzierten Tiefschlaf nicht mehr der Fall. Ihre Lernfähigkeit war in der Früh danach ähnlich schwach wie am Abend davor, schrieb die Uni Zürich. Die Erregbarkeit der Synapsen konnte sich durch die reduzierte Schlaftiefe nicht normalisieren. "In der noch immer stark erregten Hirnregion war die Lernfähigkeit gesättigt und ließ keine Veränderungen mehr zu, so dass das Erlernen motorischer Fähigkeiten gehemmt war", erläuterte Wenderoth.

Als Kontrolle manipulierten die Forscher bei sieben Probanden eine andere Hirnregion auf die gleiche Weise, ohne dass dies einen vergleichbaren Effekt gehabt hätte. Die Methode, gezielt die Schlaftiefe bestimmter Hirnregionen zu reduzieren, könnte auch für klinische Anwendungen nützlich sein: "Es gibt viele Krankheiten, die sich auch im Schlaf manifestieren, zum Beispiel Epilepsie. Wir erhoffen uns dank der neuen Methode gezielt jene Hirnregionen beeinflussen zu können, die direkt mit der Krankheit in Verbindung stehen", sagte Huber. (APA, red.)

Link
Nature Commincations: "Deep sleep maintains learning efficiency of the human brain"




Nota. - Wir wissen das, woran wir uns erinnern können. Anderes können wir uns ex tempore ausdenken; aber dann müssen wir es uns merken, wenn wir es behalten wollen.

Wer bin ich? All das, woran ich mich erinnern kann. Der Modus, die Art, wie ich mich daran erinnere, füge ich dem Erinnerten jedesmal ad hoc hinzu; aber der Stoff ist das, was ich behalten habe.

Es ist nicht falsch, führt aber in die Irre, wenn ich meine Gedächtnisleistung ganz unter die Rubrik Lernen einordne. Beim Lernen erscheint umgangssprachlich das Subjekt rein rezeptiv, es sammelt Eindrücke, die ihm von außen kommen. Meine Erinnerung ist aber höchst aktiv. Sie beruht auf suchen, aussuchen, einsammeln und nach Prioritäten ordnen.

Für all das brauchen wir unsern Tiefschlaf, nicht erst fürs Einmaleins.
JE



Dienstag, 23. Mai 2017

Ein bisschen was ist an der Intelligenz doch ererbt.

aus derStandard.at, 22. Mai 2017, 18:11

40 Gene entdeckt, die mit Intelligenz in Verbindung stehen
Analyse genomweiter Assoziationsstudien an fast 80.000 Personen brachte einflussreiche Erbanlagen ans Licht

Amsterdam/Wien – Umwelteinflüsse spielen eine wichtige Rolle, doch dass Intelligenz zu einem erheblichen Teil erblich bedingt ist, haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien gezeigt. Seither suchen Forscher nach spezifischen Genen, die damit in Zusammenhang stehen.

Den bislang größten Erfolg melden nun Wissenschafter der Freien Universität Amsterdam: Wie sie im Fachblatt "Nature" berichten, konnten sie durch die Analyse genomweiter Assoziationsstudien an 78.308 Personen (Kinder und Erwachsene) insgesamt 40 Gene identifizieren, die offenbar für Intelligenz mitverantwortlich sind. Der Großteil davon ist im Gehirn aktiv und in Zellentwicklungsprozesse involviert. Die neuen Informationen könnte helfen, mehr über Intelligenzunterschiede und Hirnentwicklung zu erfahren.

Medizinische Grundlagenforschung

"Die sehr hohe Erblichkeit von Intelligenz war schon lange bekannt, aber wir kannten bisher die molekularen Grundlagen nicht. Dank der Größe der Studie ist es nun erstmals möglich geworden, konkrete Gene und damit zelluläre Prozesse zu benennen, die zu dem Merkmal Intelligenz beitragen", kommentierte der Genetiker André Reis von der Universität Erlangen-Nürnberg, der selbst nicht an der Studie beteiligt war, das Ergebnis.

Eine wichtige Frage sei nun, ob die gleichen zellulären Mechanismen und Prozesse, die bei Intelligenzstörungen identifiziert wurden, auch für die allgemeine Intelligenz relevant sind. Reis:"Wäre dem so, könnte das medizinische Implikationen haben." (red, 22.5.2017)

Abstract
Nature: "Genome-wide association meta-analysis of 78,308 individuals identifies new loci and genes influencing human intelligence"



 aus scinexx

Intelligenzgene identifiziert
Großstudie belegt erstmals klar die polygene Basis unserer geistigen Leistungen

52 Gene - mindestens: Unsere Intelligenz beruht auf unzähligen Genfaktoren, statt auf nur einem oder einigen wenigen Genen. Das bestätigt die bisher umfassendste Großfahndung nach Intelligenzgenen im menschlichen Erbgut. Sie identifizierte 52 Gene mit Einfluss auf unsere geistigen Leistungen. Doch selbst diese Gene bestimmen nur knapp fünf Prozent unserer Intelligenz, wie die Forscher im Fachmagazin "Nature Neuroscience" berichten. Ein genetischer IQ-Test droht daher wohl auch in Zukunft nicht. 

Was bestimmt, wie intelligent ein Mensch wird? Sind es die Gene, die Umwelt oder doch beides? Nachdem jahrzehntelang darüber gestritten wurde, welche Faktoren den größeren Anteil an unserer Intelligenz haben, scheint sich nun die Vererbung als wichtigster Einflussfaktor durchzusetzen. Nach neueren Schätzungen könnten bei Erwachsenen sogar rund 80 Prozent der geistigen Leistungsfähigkeit auf die Gene zurückgehen. 

Großfahndung im Erbgut 

Aber auf welche? Klar schien bisher nur, dass es das eine entscheidende Intelligenzgen wohl nicht gibt. Jetzt haben Danielle Posthuma von der Freien Universität Amsterdam und ihre Kollegen erstmals schlüssige Beweise dafür geliefert, dass unsere Intelligenz durch das Zusammenwirken unzähliger verschiedener genetischer Faktoren geprägt wird. 

Für ihre Studie verglichen die Forscher das Erbgut von gut 78.000 Kindern und Erwachsenen europäischer Abstammung. Alle Teilnehmer hatten zuvor an Intelligenztests teilgenommen. Die Forscher fahndeten nun nach DNA-Abschnitten und Genen, die beispielsweise bei Individuen hohe Intelligenz besonders häufig auftraten. 

52 Gene identifiziert 

Tatsächlich wurden die Wissenschaftler fündig: Sie identifizierten 52 Gene, für die sie einen Zusammenhang mit der Intelligenz ihrer Träger feststellen konnten. 40 dieser Gene waren in diesem Kontext Neuentdeckungen. Die meisten der neuentdeckten Intelligenzgene sind im Gehirn aktiv, wie die Forscher feststellten. Sie beeinflussen unter anderem die Bildung von Synapsen, die Wachstumsrichtung von Axonen oder die Reifung von Nervenzellen. Viele von ihnen sind auch an der Regulation der Zellentwicklung beteiligt.

Die Wissenschaftler entdeckten auch einige Genvarianten, die einen positiven Effekt auf die Intelligenz haben und dafür Schizophrenie und Übergewicht unterdrücken helfen. Andere scheinen neben der Intelligenz auch das Schädelvolumen, die Neigung zu Autismus oder die Körpergröße zu beeinflussen. 

Viele Gene – ein Merkmal

"Diese Funde liefern uns zum ersten Mal klare Hinweise auf die biologischen Mechanismen, die der Intelligenz zugrunde liegen", sagt Posthuma. Auch wenn von den meisten dieser Gene die genaue Funktion noch unbekannt ist, bestätigen die Ergebnisse, dass unsere Intelligenz tatsächlich auf vielen kleinen genetischen "Füßchen" ruht. 

"Die genetische Architektur der Intelligenz ist offenbar vergleichbar mit der der menschlichen Körperlänge", kommentiert der Humangenetiker André Reis von der Universität Nürnberg-Erlangen die Studie. "Bei der Körpergröße tragen Tausende von genetischen Varianten mit jeweils extrem kleinen Effektstärken zur insgesamt hohen Erblichkeit des Merkmals bei." Ähnlich scheint es bei der Intelligenz zu sein.

Warum es keinen IQ-Gentest geben wird 

Allerdings: Selbst alle neuentdeckten Intelligenzgene zusammen könne gerade einmal 4,8 Prozent der Intelligenz-Unterschiede bei uns Menschen erklären. Anders ausgedrückt: Bei den verbleibenden rund 75 Prozent der genetischen Veranlagung zur Intelligenz kennen wir bisher die zugrundeliegenden Gene noch nicht. "Die Suche nach konkreten Genen ähnelt der Suche nach der Stecknadel im Hauhaufen", erklärt Stern. 

Das bedeutet auch, dass wir wohl keine Angst vor einem zukünftigen IQ-Gentest haben müssen: "Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass eines Tages genetische Tests für Intelligenz möglich werden", kommentiert Reis. "Dazu haben die bekannten Varianten einen zu geringen prädiktiven Wert – ihre Vorhersagekraft für das Gesamtmerkmal ist zu gering." Hinzu kommt: Die Gene bilden zwar die Basis unserer geistigen Leistungen. Ob wir diese Basis aber nutzen und Ausbauen, entscheiden die Umwelteinflüsse im Laufe unseres Lebens. (Nature Neuroscience, 2017; doi: 10.1038/ng.3869

(Nature/ Vrije Universiteit Amsterdam, 23.05.2017 - NPO)


Nota. - Der jahrzehntelange Streit über Erblichkeit oder Umweltprägung war nur zu einem kleinen Teil ein wissenschaftlicher. In der Hauptsache war er ideologisch und war geprägt durch ein kämpferisches Standes- interesse. 

Als in den sechziger Jahren die pädagogischen Berufe explodierten, machten sich gleichzeitig - Zufall? - in den akademischen Ausbildungsstätten neomarxistische geistes- und sozialwissenschaftliche Theorien breit, die allenthalben auf "materialistische Ableitung" drangen, aber gerade nicht die Genetik, sondern die Soziali- sation dafür erkannten. 

Die erwünschte Folge war: Nicht 'die Natur', sondern 'Schule' (ohne Artikel) galt als Brutstätte der Intelli- genz, mit andern Worten: die Lehrer. Besonders die, die sich gerade in Ausbildung befanden, fühlten sich beflügelt und zu erheblichen Forderungen befugt. Dabei ist es bis heut geblieben..

(Dies zum Abschluss: Die genetische Disposition ist immer nur die eine Seite. Die andere Seite ist, was das Individuum lebensgeschichtlich daraus macht, und dabei spielen seine Mitmenschen allerdings eine Rolle: Sie können es ermuntern oder entmutigen.)
JE

Dienstag, 16. Mai 2017

Der Nase nach.

aus scinexx

Ist auch der Mensch Pheromon-gesteuert?
Der Duftstoff Hedion beeinflusst menschliches Verhalten
 
Einflussreiche Duftnote: Der blumige Duftstoff Hedion aktiviert beim Menschen einen Pheromonrezeptor - und beeinflusst dadurch unser Verhalten. Experimente zeigen: Ist der Duft in bewusst kaum wahrnehmbarer Konzentration in einem Raum vorhanden, zeigen Probanden verstärkt reziproke Verhaltensweisen. Die Forscher deuten dies als Hinweis darauf, dass Pheromone nicht nur bei Tieren, sondern auch beim Menschen wirken könnten. Wie groß die Bedeutung solcher Botenstoffe für unsere soziale Interaktion wirklich ist, bleibt jedoch umstritten.

Die Nase ist womöglich unser leistungsfähigstes Sinnesorgan - auch, wenn uns das oft nicht bewusst ist. Immerhin kann sie vermutlich mehr als eine Billion Duftnoten unterscheiden, wie "Schnüffelstudien" nahelegen. Viele dieser Gerüche nehmen wir allerdings erst in höheren Konzentrationen wahr. Doch auch unbewusste Duftnoten können eine große Bedeutung haben, beispielsweise bei der Partnerwahl.
 
Bei vielen Tieren sind derartige Duftsignale ein unerlässliches Mittel zur Kommunikation und sozialen Interaktion. Ob Hirsch, Kaninchen oder Ameise: Sie alle produzieren spezielle chemische Stoffe, mit deren Hilfe sie ihren Artgenossen Botschaften senden und zum Beispiel Paarungsbereitschaft signalisieren. Beim Menschen ist die Duftkommunikation über solche Pheromone dagegen nicht verbreitet - oder doch? Diese Frage ist unter Wissenschaftlern hoch umstritten.

Es liegt was in der Luft

Klar ist: Auch der Mensch verfügt über einen Pheromonrezeptor - und kürzlich haben Forscher gezeigt, dass dieser durch den blumigen Duftstoff Hedion aktiviert wird. Als Folge wird eine Gehirnregion erregt, die an der Hormonsteuerung beteiligt ist. Bei Frauen ist dieser Effekt deutlich größer als bei Männern. Doch beeinflusst der Duft dadurch auch unser Verhalten? Ein Team um Sebastian Berger von der Universität Bern hat dies nun untersucht.

 
Bei ihren Experimenten beobachteten die Wissenschaftler, wie sich Probanden in unterschiedlichen Situationen gegenüber anderen Personen verhielten. Um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sollten die Teilnehmer dafür in einem Spiel miteinander kooperieren. Dabei war einmal kein Duft im Raum, einmal der Duftstoff Hedion und einmal ein anderer floraler Kontrollduft. Die Konzentration der Düfte war jedoch so schwach, dass die Studienteilnehmer sie während der Tests nicht bewusst wahrnahmen.

Hinweis auf Pheromonwirkung?

Das Ergebnis: Tatsächlich zeigten die Probanden unter dem Duftstoff Hedion stärkere reziproke Verhaltensweisen nach dem Motto "Wie du mir, so ich dir." Signalisierten andere Personen Vertrauen und Freundlichkeit, reagierten sie demnach mit erhöhter Vertrauenswürdigkeit. Verhielten sich die anderen Personen nicht kooperativ, neigten sie stärker dazu, diese dafür zu bestrafen. "Unsere Probanden reagierten im Vergleich zum Kontrollversuch etwas freundlicher auf Freundlichkeit und etwas unfreundlicher auf unfaires Verhalten", sagt Berger.

 
"Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es auch bei Menschen eine Pheromonwirkung geben könnte, die sich vom klassischen Riechen unterscheidet", sagt Mitautor Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher ihre Ergebnisse nun in anderen Verhaltenskontexten bestätigen und die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen identifizieren.
 
Wichtig sei zudem, natürliche Geruchsmoleküle in Körpersekreten zu identifizieren, die Hedion ähnlich sind und auf den Rezeptor wirken, schreibt das Team. Denn für den Nachweis menschlicher Pheromonkommunikation ist zunächst ein vom Menschen produzierter Duft nötig, der bei einem anderen Menschen eine spezifische, reproduzierbare Reaktion auslöst. Erst dann könne die Bedeutung von Pheromonen beim Menschen wirklich geklärt werden, schließen die Wissenschaftler. (Frontiers in Behavioral Neuroscience, 2017; doi: 10.3389/fnbeh.2017.00079)
 
(Universität Bern, 12.05.2017 - DAL)

Montag, 15. Mai 2017

Wird's doch noch was mit der Weltformel?

 aus derStandard.at, 14. Mai 2017, 11:00

Experiment am Übergang zwischen Quantenphysik und Relativitätstheorie
Österreichische Forscher testeten das Phänomen der Verschränkung unter anderem mit einer Zentrifuge

Wien – Die Quantenphysik und die Relativitätstheorie sind wohl die zwei wichtigsten Säulen der modernen Physik. Sie basieren aber auf Konzepten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Angestrebt wird, in einer zukünftigen Theorie alle physikalischen Vorgänge auf ein Grundprinzip zurückzuführen und auch diese beiden Theorien mit einzuschließen. 


Bisher verlief die Suche nach einer solchen Theorie, die alle Kräfte im Universum beschreibt und deshalb auch als "Weltformel" oder "Theorie von Allem" bezeichnet wird, allerdings ergebnislos – auch weil es bisher an Experimenten am Übergang zwischen Quantenphysik und die Relativitätstheorie mangelte.

"Es ist das erste Experiment, das es in diese Richtung gibt"

Genau solche Versuche haben Physiker des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie den Universitäten Wien und Queensland (Australien) durchgeführt. Sie haben untersucht, ob das quantenphysikalische Phänomen der Verschrän- kung auch im freien Fall und bei hohen Beschleunigungen – und damit bei relativistisch relevanten Bedin- gungen – bestehen bleibt. "Es ist das erste Experiment, das es in diese Richtung gibt", erklärte Rupert Ursin, Forschungsgruppenleiter am IQOQI.

Verschränkung nennt sich in der Quantenphysik ein Zustand von zwei Teilchen, die über beliebig große Distanzen miteinander verbunden bleiben. Sind etwa Photonen verschränkt, dann bewirkt die Messung des Zustandes eines der beiden Teilchen, dass das andere augenblicklich genau den gleichen Zustand einnimmt – wie zwei Würfel, bei denen zum Messzeitpunkt der eine automatisch die gleiche zufällige Augenzahl anzeigt wie der andere.

Die Box, die Matratze und der Fall

Das Phänomen wird von Physikern beispielsweise für verschiedene Quantenkommunikations-Experimente genutzt. Weil sie die Technologie dafür mittlerweile sehr gut beherrschen, konnten die Physiker der öster- reichisch-australischen Kooperation ein Verschränkungs-Experiment sehr kompakt und robust bauen. Die Quelle für verschränkte Photonenpaare, die notwendigen Detektoren, Batterie, Computer, etc. passt in eine Box von der Größe zweier Bierkisten.

Diese Box ließen Ursins Doktorand Matthias Fink und Kollegen am Institut für Leichtbau und Kunststoff- technik der Technischen Universität Dresden im freien Fall aus zwölf Meter Höhe auf Matratzen fallen. "Wir konnten den Versuch ohne Probleme zehn Mal wiederholen, was uns genug statistische Daten für die Publikation lieferte", zeigte sich Fink über die Robustheit der Technologie begeistert. Die Studie erschien in "Nature Communications".

Test in der Zentrifuge

Zudem setzten sie die Box in einer großen Materialzentrifuge in Ranshofen, in der üblicherweise Flugzeug- bauteile getestet werden, der 30-fachen Erdbeschleunigung aus. Während des freien Falls und während der Zentrifugalbeschleunigung wurde laufend die Güte der Verschränkung gemessen und per W-LAN übertra- gen.

Im stationären Betrieb im Labor sind bei einem solchen Versuch von 1.000 verschränkten Photonenpaaren zehn bis zwanzig nicht verschränkt. "Genau diese Güte sehen wir auch in beiden Beschleunigungsexperi- menten", sagte Ursin. Das heißt, dass unter den untersuchten Bedingungen die Güte der Verschränkung nicht eingeschränkt ist. Die Obergrenze des Einflusses von relativistisch relevanten Beschleunigungen liegt somit bei der 30-fachen Erdbeschleunigung.

Die Wissenschafter wollen nun den Aufbau der Experimente-Box noch wesentlich stabiler machen, damit sie weit höheren Belastungen standhält. Ursin nennt etwa Möglichkeiten mit speziellen Zentrifugen, mit denen man eine millionenfache Erdbeschleunigung erzeugen kann. Selbst bei einer solchen Beschleuni- gung ist es nicht sicher, ob man Auswirkungen auf die Verschränkung sehen würde, "aber irgendwann versagen die beiden Theorien bei der Beschreibung von Phänomenen vollständig, spätestens am Level des Planck'schen Wirkungsquantum", so Ursin. Um dorthin zu gelangen, würde man allerdings gigantische Teilchenbeschleuniger benötigen. (APA, red.)

Link
Nature Communications: "Experimental test of photonic entanglement in accelerated reference frames"



Nota. - Lieber Leser, zu gern würde ich das kommentieren können. Doch leider verstehe ich nicht genug davon, um auch nur zu erkennen, was dieses Experiment über eine mögliche Beziehung von Quantenphysik und Relativitätstheorie aussagt. Wenn Sie in der glücklichen Lage sind, mir und den andern Lesern mit ein paar erläuternden Sätzen behilflich zu sein, möchte ich Sie herzlich darum bitten!
JE



Mittwoch, 3. Mai 2017

Dein Zeitgefühl wird von deiner Sprache beeinflusst.

Unser Zeitgefühl wird offenbar auch von unserer Sprache beeinflusst.
aus scinexx

Sprache beeinflusst Zeitgefühl
Bilinguale schätzen Dauer je nach Sprache unterschiedlich ab

Verändertes Zeitempfinden: Zweisprachig aufgewachsene Menschen schätzen die Dauer von Ereignissen je nach Situation unterschiedlich ab. Entscheidend dabei ist, welche Sprache sie zuvor gehört haben. Das zeigt nun ein Experiment. Dass Sprache unser Zeitgefühl beeinflussen kann, sei ein weiterer Beleg dafür, wie sehr sich Sprache auf unsere Wahrnehmung und unser Denken auswirke, schreiben die Forscher.

Sprache ist ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Sie verbindet Menschen und hilft, sich miteinander zu verständigen. Doch Sprache kann noch viel mehr als das. Als Teil des kulturellen Gedächtnisses spiegelt sie das Wissen ganzer Bevölkerungsgruppen wider. Zugleich prägt sie die Wahrnehmung und das Denken jener, die sie sprechen - und verändert dabei sogar nachhaltig das Gehirn. 

Wie weit dieser Effekt reicht, zeigt sich besonders deutlich bei Menschen, die zweisprachig aufwachsen. So verarbeiten Zweisprachige die Laute der verschiedenen Sprachen in zwei komplett getrennten Bereichen, zwischen denen sie flexibel wechseln können. Dadurch klingen Laute und Silben für sie jeweils leicht unterschiedlich - je nach dem, welche Sprache sie gerade erwarten zu hören. 

Wie viel Zeit ist vergangen? 

Doch nehmen bilinguale Menschen je nach Sprachkontext nur Klänge anders wahr, oder beeinflusst die Sprache bei ihnen auch andere Bereiche der Wahrnehmung? Wissenschaftler um Emanuel Bylund von der Universität Stockholm haben dies nun am Beispiel von Zeit untersucht.

Ihnen war aufgefallen: In der schwedischen und englischen Sprache wird die Dauer von Ereignissen bevorzugt durch physikalische Distanzen wie kurze Pause oder lange Hochzeit beschrieben. In Spanien oder Griechenland sprechen die Menschen hingegen von der kleinen Pause oder der großen Hochzeit. Manche Sprachen beschreiben Zeit demnach als zurückgelegte Distanz - andere eher als eine wachsende Menge, schreibt das Team.

Diese Beobachtung nutzten die Forscher für ihren Test. Dafür sollten Bilinguale, die sowohl Schwedisch als auch Spanisch sprechen, mehrmals hintereinander abschätzen, wie viel Zeit innerhalb eines vorgegebenen Intervalls vergangen war. Eine Animation auf einem Bildschirm diente dabei der Verwirrung: eine länger werdende Linie oder ein sich füllender Container, die sich mal schneller und mal langsamer veränderten und so kein verlässlicher Indikator für die tatsächliche Dauer waren. 

In die Irre geführt 

Zu Beginn jeder Testrunde formulierten Bylund und seine Kollegen für ihre Probanden jeweils eine kurze Aufforderung als Startsignal, wobei sie entweder das spanische Wort für Dauer, "duración", oder die schwedische Entsprechung, "tid", benutzten. Würde sich dies auf das Verhalten der Teilnehmer auswirken? 

Die Ergebnisse waren eindeutig: Beobachteten sie den sich füllenden Container, ließen sich auf die spanische Sprache gepolte Probanden von dieser Animation in die Irre führen. Sie orientierten sich für ihre Schätzung daran, wie voll der Container war. Bekamen sie die wachsende Linie zu sehen, beeinflusste das ihre Zeitwahrnehmung nicht. Wurden die gleichen Personen hingegen mit dem schwedischen Wort konfrontiert, ließen sie sich von der Linie beeinflussen - der Container jedoch wirkte sich nicht auf ihre Schätzung aus. 

Sprache infiltriert die Sinne 

Zusätzlich zeigte sich: Ohne das sprachliche Schlüsselwort schnitten die Teilnehmer jeweils ähnlich gut ab - egal, ob sie den Container oder die Linie betrachteten. Der Effekt der Sprache auf die Wahrnehmung verschwand. "Die Tatsache, dass Zweisprachige flexibel und scheinbar unbewusst zwischen diesen beiden Wegen, die Zeit abzuschätzen, wechseln, ist ein weiterer Beleg für die Macht der Sprache", sagt Bylands Kollege Panos Athanasopoulos von der Lancaster University. 

"Es zeichnet sich immer deutlicher ab, wie leicht Sprache sich in unsere grundlegendsten Sinne hineinschleichen kann - einschließlich unserer Gefühle, unserer visuellen Wahrnehmung und, wie sich nun zeigt, unserem Zeitempfinden", schließt der Linguist. Gleichzeitig offenbarten die Ergebnisse, dass Bilinguale flexibler denken können. Ihr Springen zwischen verschiedenen Sprachen wirke sich positiv auf Lernprozesse aus - und könne langfristig als Gehirnjogging wirken. (Journal of Experimental Psychology, 2017; doi: 10.1037/xge0000314)
(Lancaster University, 03.05.2017 - DAL)


Nota. - Es geht offenbar weniger um die (sinnlichen) Laute, die gehört werden, als umd die (semantische) Bedeutung der Worte, die verstanden wird; wobei die Bedeutung durch (analoge) anschauliche Bilder imprägniert ist.
JE


Dienstag, 2. Mai 2017

Die Wahrnehmung des Raums hängt von der Kultur ab.


aus derStandard.at, 1. Mai 2017, 17:02                                                                            Tintoretto, Abendmahl, 1594

Ostasiaten nehmen Räume ganz anders wahr als Europäer
Wissenschafter weisen kulturelle Unterschiede bei der räumlichen Wahrnehmung nach

Tübingen – Die Kultur, in der man aufgewachsen ist, hat wesentlich Einfluss auf das Denken. Auch die räumliche Wahrnehmung ist davon betroffen, wiewohl diesbezügliche kulturelle Unterschiede bisher noch weitgehend unerforscht sind. Nun hat ein Team um Aurelie Saulton vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik anhand von Experimenten nachweisen können, dass Menschen aus Ostasien Räume anders erfahren als beispielsweise Deutsche.


Die Wissenschafter verwendeten eine psychophysische Aufgabe, bei der die Probanden beurteilen mussten, ob ein rechteckiger Raum größer oder kleiner als ein quadratischer Referenzraum war. Die Forscher variierten in der Folge systematisch die Rechtwinkligkeit (Tiefen- zu Breiten-Seitenverhältnis) und den Blickpunkt (Mitte der kurzen Wand gegenüber der langen Wand) von dem der Raum betrachtet wurde.

Kontextabhängige Verarbeitungsstrategien

Bei Südkoreanern lösten die Rechteckigkeit des Raums und der Blickpunkt deutlich weniger Vorannahmen aus als bei ihren deutschen Pendants. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Vorstellungen, die besagen, dass allgemeine kognitive Verarbeitungsstrategien in ostasiatischen Gesellschaften eher kontextabhängig sind als in westlichen. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, kulturspezifische kognitive Verarbeitungsstrategien in der visuellen räumlichen Kognitionsforschung zu untersuchen.

Insgesamt bestätigen die im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Ergebnisse die bestehende Hypothese, dass Deutsche in der Raumgrößenwahrnehmung, aufgrund des übermäßigen Gebrauchs einer einzigen Dimension (der Tiefe), eher empfindlich für Vorannahmen sind, statt alle Dimensionen des Raumes zu berücksichtigen. Obwohl man nicht definieren kann, welche kognitiven Prozesse den Strategien der jeweiligen Bevölkerung zur Bewältigung dieser Aufgabe zugrunde liegen, wirft sie interessante Fragen über kulturelle Unterschiede bei Wahrnehmungsprozessen von Innenräumen auf.

Varianten der Raumgestaltung

Diese Resultate zeigen Möglichkeiten zur kulturell sensiblen Gestaltung öffentlicher und privater Räume auf (z. B. bei Raumstationen). Ein weit verbreitetes Thema bei der Stadtplanung in Bezug auf Wohnräume und Transport ist, wie man das Gefühl von Weitläufigkeit innerhalb eines begrenzten physischen Raumes erzielt. Die Studien am MPI für biologische Kybernetik könnten als Leitfaden bei der innenarchitektonischen Gestaltung verwendet werden, um die Wahrnehmung von Raumgrößen vorherzusagen. (red.)


Abstract
Plos One: "Cultural differences in room size perception."



Nota. - Die Zentralperspektive und damit die Tiefe des Raumes waren eine Errungenschaft der italie- nischen Renaissance und haben Jahrhunderte gebraucht, um sich, erst bei den Malern, dann beim Publikum, durchzusetzen. Immerhin ist die Verändeerung von den Zeitgenossen als so erhebelich wahrgenommen worden, dass die Manieristen - s. o. - Furore machen konnten, indem sie die an der Perspektive drehten.

In andern Teilen der Welt und nicht nur in Ostasien ist nichts dergleichen geschehen. Der perspekti- vische Blick scheint weiterhin eine westlich Angelegenheit zu sein. 

Paul Gf. Yorck hat "Verräumlichung" als den spezifischen Charakter unserer neuzeitlichen 'Bewusst- seinsstellung' angesehen. Unter den japanschen Künstler haben einige im 20. Jahundert versucht, ihre traditionelle Malerei mit der Perspektive anzureichern. Das Ergenis ist verheerend:


Hiroshi Yoshida

Es ist einfach Kitsch.
JE