Mittwoch, 30. Januar 2019

Gedankenlesen!

Gehirn zu Sprache
aus scinexx



Lernfähiges System rekonstruiert verständliche akustische Sprache aus Gehirnwellen
KI macht Gedanken hörbar

Sprache aus Hirnsignalen: Forscher haben ein System entwickelt, das die Gedanken eines Menschen in hörbare und verständliche Sprache übersetzt. Ein neuronales Netzwerk wertet dabei die sprachtypischen Hirnsignale aus und wandelt sie mittels Vocoder in akustische Signale um. In ersten Tests war dieser „Gedanken-Übersetzer“ präziser und verständlicher als bisherige Ansätze, wie die Forscher berichten. Solche Systeme könnten künftig Gelähmten oder Stummen neue Sprache verleihen.

Sprache ist für unsere Kommunikation essenziell – umso verheerender ist es, wenn Menschen ihre Sprachfähigkeit durch Verletzung oder Krankheit verlieren. Schon länger versuchen Neurowissenschaftler daher, durch das Auslesen von Hirnsignalen eine direkte Schnittstelle zu unserem Denken zu schaffen. Denn wenn wir Worte hören oder sprechen, erzeugt dies charakteristische Aktivitätsmuster im Gehirn. Tatsächlich ist es Forschern bereits gelungen, gelesene Buchstaben und sogar gesprochene Sätze allein anhand der Hirnsignale zu rekonstruieren. 

Verständlichkeit ist das Problem 

Doch bei der Umwandlung dieser Signale in akustische, verstehbare Sprache haperte es: „Die schlechte Qualität der rekonstruierten Sprache machte diese Methoden für Gehirn-zu-Computer-Anwendungen bisher kaum nutzbar“, erklären Hassan Akbari von der Columbia University in New York und seine Kollegen.


Sprachegehirn
Spektrogramm der Original-Sprachprobe und mit vier Methoden rekonstruierte Fassungen. Die Version mit neuronalem Netz und Vocoder (DNN Vocoder) rekonstruiert die Muster am präzisesten. 
Das Problem: Bisherige Ansätze nutzten meist einfache Computermodelle, die akustische Spektrogramme analysieren und versuchen, sie den passenden Hirnsignalen zuzuordnen. „Wir wollten daher die Verständlichkeit der rekonstruierten Sprache erhöhen, indem wir die neuesten Fortschritte im Deep Learning mit den aktuellsten Innovationen der Sprachsynthese verknüpfen“, erklären die Forscher. 

Neuronales Netz als Übersetzer 

Für das Experiment nutzten Akbari und sein Team die Gehirnsignale von fünf Epilepsie-Patienten, denen in Vorbereitung einer Operation Elektroden ins Gehirn eingepflanzt worden waren. Den Probanden wurden kurze Sätze und Geschichten vorgelesen, während die Elektroden die dabei erzeugten Hirnwellen aufzeichneten. Diese Daten speisten die Forscher in ein neuronales Netzwerk ein, eine nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns strukturierte künstliche Intelligenz.

Das neuronale Netzwerk lernte durch Training selbstständig, die Gehirnsignale bestimmten Sprachlauten zuzuordnen. Ein zweiter Algorithmus, ein sogenannter Vocoder, setzte diese entschlüsselten Signale dann in Laute um. „Ein Vocoder ist die gleiche Technologie, die auch Amazon Echo oder Siri nutzen, um akustische Antworten auf unsere Fragen zu geben“, erklärt Akbaris Kollege Nima Mesgarani. 

75 Prozent richtig verstanden 

Würde die so erzeugte Sprache verständlich sein? Um das zu testen, ließen die Forscher ihre künstliche Intelligenz die neuronalen Signale für die Zahlen Eins bis Neun auslesen und in akustische Sprache umwandeln – einmal durch einen Vocoder und einmal durch die herkömmlich eingesetzte Spektrogramm-Technik. Ein weiterer Test beruhte auf kurzen Sätzen. Die Soundfiles spielten die Wissenschaftler elf Freiwilligen vor. Diese sollten die richtigen Zahlen erhören und die Verständlichkeit der Sprachrekonstruktion bewerten.

Das Ergebnis: Die Kombination von neuronalem Netzwerk und Vocoder erzielte deutlich bessere Resultate als gängige Technologien. Die Probanden verstanden in 75 Prozent der Fälle die richtige Zahl. Auch die Qualität der rekonstruierten Sätze bewerteten sie höher als bei klassischen Methoden. „Der Vocoder und die leistungsstarken neuronalen Netzwerke repräsentierten die Laute, die die Patienten ursprünglich gehört hatten mit überraschender Genauigkeit“, sagt Mesgarani. 

Hoffnung für sprachunfähige Menschen 

Nach Ansicht der Wissenschaftler ist dies ein wichtiger Schritt, um künftig Gedanken direkt in Sprache umwandeln zu können. Denn es demonstriert, dass künstliche Intelligenz beim Auslesen der Hirnsignale entscheidende Fortschritte bringen kann. „Das zeigt, dass mit der richtigen Technologie die Gedanken von Menschen dekodiert und verstanden werden können“, so die Forscher. 

Im nächsten Schritt wollen die Forscher ihre Methode nun dafür optimieren, auch neuronale Signale von nur gedachten Worten auszulesen und akustisch wiederzugeben. Denn dies könnte die Basis für künftige Neuroprothesen bilden, die gelähmten oder stummen Menschen die Sprache zurückgeben. „Das wäre ein echter Game Changer“, sagt Mesgarani. „Denn das würde jedem, der die Sprachfähigkeit verloren hat, eine neue Chance geben, mit der Welt um ihn herum zu kommunizieren.“ (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-018-37359-z)

Quelle: The Zuckerman Institute at Columbia University

Montag, 28. Januar 2019

"Wahnwitzige Modelle".

Tinguely, Heureka
 aus derStandard.at, 27. Jänner 2019,

Ist die theoretische Physik in die Sackgasse geraten?
Die theoretischen Physiker seien "wahnwitzigen" Modellen verfallen, sagt Sabine Hossenfelder, die keinen Fortschritt bringen und viel Geld verschlingen

Interview von  

Keine Frage, die theoretische Physik ist ein faszinierendes Betätigungsfeld. Von "Woher kommen wir?" bis "Woraus besteht das Universum?" gibt es kaum eine Frage, die ihr zu groß ist. Um darauf Antworten zu finden, schrecken theoretische Physiker bisweilen auch nicht vor wildesten Spekulationen zurück. Da wäre zum Beispiel die These, dass es eine unendliche Anzahl an Universen gibt, genannt Multiversum. Oder die Supersymmetrie, wonach für jedes Teilchen ein Superpartner existiert. Die Stringtheorie postuliert wiederum, dass das Universum auf fundamentalster Ebene aus winzigen vibrierenden Fäden besteht.

So unterschiedlich diese Theorien auch sind, was sie eint, ist, dass empirische Belege fehlen. Die Physiker können sich daher in der Theorieentwicklung nur auf ihre Intuition verlassen. Dabei kommen auch nicht ganz streng wissenschaftliche Kriterien zum Tragen, wie jenes, dass eine Theorie ansprechend sein sollte.

Dieses Streben nach Schönheit hat sich etwa bei der allgemeinen Relativitätstheorie als brauchbares Leitprinzip erwiesen, ebenso bei der Entwicklung des Standardmodells der Teilchenphysik. Doch in den vergangenen vier Jahrzehnten hat die Suche nach Schönheit einen beträchtlichen Teil der Grundlagenforschung in der Physik in die Sackgasse getrieben. Das behauptet jedenfalls die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder in ihrem Buch "Das hässliche Universum" (S. Fischer, 2018).

Hossenfelder holt dabei zu einem Rundumschlag gegen ihren eigenen Forschungsbereich aus: Die Physiker würden ihr Geld damit verdienen, "wahnwitzige Theorien auszubrüten, die höchst umstritten sind", lautet ihr Urteil. Diese seien "spekulativ, aber faszinierend; schön, aber nutzlos". Aus Hossenfelders grundlegender Kritik ergeben sich weitreichende Konsequenzen dafür, wie und was in der Physik erforscht werden sollte – und was nicht.


STANDARD: Sie zeigen sich in Ihrem Buch enttäuscht über die aktuelle Situation in der Grundlagenforschung der Physik. Was macht Sie so mutlos?

Hossenfelder: In den Grundlagen der Physik hat sich in der Theorieentwicklung in den vergangenen 40 Jahren nicht viel getan. Die Theorien, die wir heute benutzen, sind immer noch dieselben wie in den 1970er-Jahren. Die theoretischen Physiker produzieren ohne Ende immer neue Theorien. Aber das funktioniert einfach nicht. Doch statt dass man daraus lernt und versucht, andere Methoden zu verwenden, macht man dasselbe immer wieder.

STANDARD: Wie kommt es dazu?

Hossenfelder: Es ist interessant, dass sich in den Grundlagen der Physik sehr engstirnige Schönheitsideale eingebürgert haben. Das wichtigste Kriterium dabei ist die Einfachheit. Die Theorien, die wir im Moment haben, sind den Physikern nicht einfach genug. Beispielsweise gibt es in der Teilchenphysik drei verschiedene Grundkräfte. Es wäre einfacher, wenn es nur eine gäbe. Daher suchen Physiker nach der großen Vereinheitlichung, die als schön angesehen wird. Es könnte natürlich sein, dass wir diese irgendwann finden, und ich gebe zu, das wäre durchaus schön. Doch momentan gibt es keinen guten Grund, warum das so sein sollte.

STANDARD: Ein weiteres Schönheitskriterium, das Sie in Ihrem Buch beschreiben, ist die sogenannte Natürlichkeit. Was muss erfüllt sein, damit eine Theorie als natürlich gilt?

Hossenfelder: Dabei geht es darum, dass Zahlen, die in Theorien auftauchen, weder sehr klein noch sehr groß sein dürfen. Das ist nur dann erlaubt, wenn es eine Erklärung dafür gibt, sonst gilt die Theorie als unnatürlich. Ein Beispiel dafür ist eine Zahl, die im Zusammenhang mit der Masse des Higgs-Teilchens auftritt, die sehr klein ist. Sie liegt im Bereich von 10^-15. Das wird als hässlich angesehen, deswegen suchen Physiker verzweifelt nach einer Erklärung. Dabei haben sie sich jede Menge neue Effekte ausgedacht. Diese hätte der Large Hadron Collider am Kernforschungszentrum Cern aber längst sehen sollen. Doch das ist nicht passiert. 

STANDARD: Welche Konsequenzen müssten daraus für Forschungsinstitutionen wie das Cern gezogen werden? Lohnt es sich, immer größere Beschleuniger zu bauen, wenn es nicht sicher ist, ob damit noch etwas Neues gefunden werden kann?

Hossenfelder: Das ist eine sehr schwierige Frage. Es geht ja nicht nur darum, ob man Geld in Beschleuniger stecken soll, sondern auch darum, ob es andere Experimente gibt, in die wir investieren sollten. Wenn wir über den nächsten Collider sprechen, geht es um Geldbeträge im Bereich von zehn Milliarden Euro. Um die Frage zu klären, wie wir einen solchen Betrag am besten investieren können, spielt es schon eine Rolle, dass wir mit einem noch größeren Beschleuniger nicht unbedingt noch etwas Neues finden werden – jedenfalls gibt es derzeit keinen guten Grund dafür.

STANDARD: Welche Forschungsbereiche der Physik sind Ihrer Meinung nach aussichtsreicher, um neue Erkenntnisse zu erzielen?

Hossenfelder: Bei Dunkler Materie hätten wir, denke ich, bessere Chancen, etwas Neues zu finden. Da wissen wir wenigstens, dass es da wirklich etwas gibt. Mit neuen Teleskopen könnten wir noch mehr Beobachtungen zu Dunkler Materie machen. Es gibt auch eine ganze Reihe kleinerer Experimente, bei denen man sich nicht im Bereich von Milliarden, sondern nur von ein paar Millionen bewegt. Doch für die ist dann oft kein Geld mehr da, weil alles von den Großprojekten aufgefressen worden ist.

STANDARD: Wie kommt es dazu?

Hossenfelder: Man hat es einfacher, wenn man einer großen Community angehört, wie etwa der Teilchen- oder der Kernphysik. Wenn es so große, selbstsichere Gruppen gibt, ist es schwierig, die Forschungsvorhaben noch objektiv zu beurteilen. Ich denke, es wäre aussichtsreicher, in kleinere Experimente zu Dunkler Materie zu investieren, anstatt den nächsten großen Beschleuniger zu bauen. Ich muss aber dazusagen, dass das nur meine Meinung ist, andere Leute denken vielleicht anders.

STANDARD: Wie reagieren Ihre Kollegen auf Ihre Kritik?

Hossenfelder: Ich habe von den Leuten aus den Forschungsgebieten, über die ich schreibe, absolut nichts gehört – da herrscht komplette Funkstille. Man versucht dort, mich vollkommen zu ignorieren. Das geschieht in der Hoffnung, einfach so weiterzumachen, wie man es seit 40 Jahren tut. 

STANDARD: Woher rührt der Widerstand dagegen, grundlegende Dinge zu ändern?

Hossenfelder: Die Physiker haben sich eine bequeme Umgebung geschaffen, in der sie auf leichte Art und Weise viele Veröffentlichungen produzieren können. Man bastelt sich die Mathematik so zusammen, dass man die Resultate rasch veröffentlichen kann. Es gibt zwar gewisse Qualitätsstandards, aber die sind meiner Ansicht nach vollkommen unzureichend. Das ist der Grund, warum in Fachzeitschriften auch jede Menge Blödsinn veröffentlicht wird – man kann es leicht veröffentlichen. Wenn neue QualitätsStandards eingeführt werden, würde das Publizieren wesentlich schwieriger werden. Das möchte natürlich keiner.

STANDARD: Haben Sie auch Vorschläge, was die Community in der jetzigen Situation tun sollte?

Hossenfelder: Ich denke, die Physiker sollten sich jetzt einmal hinsetzen und nachdenken, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist, und aus diesen Fehlern lernen. Im Moment passiert das Gegenteil: Man denkt sich immer neue Argumente von Natürlichkeit aus, mit denen man begründen kann, warum man einen noch größeren Beschleuniger braucht. Ich habe die Hoffnung verloren, dass sich die Community der Physiker noch selbst korrigieren kann.

STANDARD: Wagen wir trotz dieser pessimistischen Prognose einen Blick in die Zukunft: Wie könnte sich die Rolle von Physikern ändern, wenn verstärkt künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt?

Hossenfelder: Wenn Daten vorhanden sind, können neuronale Netzwerke dafür eingesetzt werden, aus diesen Daten eine Theorie zu generieren. Ich denke, man würde die Theorieentwicklung dadurch auf eine neue Ebene heben. Es würde sich dadurch eine Art Metatheorie entwickeln. Das könnte uns die Möglichkeit bieten, einige der jetzigen Probleme zu umgehen, etwa werden die Schönheitsideale in der Physik irrelevant, wenn eine künstliche Intelligenz eine neue Theorie ausspuckt.

STANDARD: Ihr Buch endet damit, dass Sie den Zuschlag für ein neues Forschungsprojekt erhalten haben – woran arbeiten Sie nun?

Hossenfelder: Jetzt muss ich überlegen, wie ich das höflich sage. Ich habe lange Jahre versucht, Geld für Themen zu bekommen, von denen ich denke, dass sie vielversprechend sind. Das ging absolut nicht, all meine Anträge sind abgelehnt worden. Schließlich habe ich mich entschlossen, Geld für genau dasselbe zu beantragen, was alle anderen auch machen. Das ist bewilligt worden. In meinem jetzigen Projekt geht es um die Beschreibung gewisser Flüssigkeiten und darum, was ihr Verhalten mit der Gravitation zu tun hat. Dieses Forschungsfeld nennt sich analoge Gravitation. Vorher habe ich viel zu Quantengravitation gearbeitet, das war reine Mathematik. Jetzt freue ich mich, dass ich einmal mit ganz echten Dingen zu tun habe. Es ist in diesem Sinne ein interessantes Thema, aber die großen Durchbrüche macht man damit nicht. Der Grund, warum ich daran arbeite, ist, dass ich dafür Geld bekommen konnte. 


Sabine Hossenfelder (42) ist Forscherin am Frankfurt Institute of Advanced Studies. 2018 hat sie das Buch "Das hässliche Universum" (S.-Fischer-Verlag) veröffentlicht.


Nota. - Natürlich ist es schön, wenn etwas schön ist. Aber was schön ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Darüber ließe sich philosophieren. Der einzige Weg, Schönheit zu objektivieren, wäre der Nachweis, dass unser aller Geschmacksurteilen bei allem Unterschied im Detail im Großen doch eine gemeinsame evolutionär angestammte Wurzel zu Grunde liegt: Selektion und Anpassung.

Aber dies natürlich in der Mesosphäre, in der unsere irdische Species sich entwickelt hat. Weder Makro- noch Mikrophysisches ist je in unseren gattungsmäßigen Erfahrensschatz eingegangen. Sollte es einem von uns heute schön vorkommen, wäre das ein reiner Zufall. Ein schöner Zufall, aber wissenslogisch ganz ohne Belang.
JE

Sonntag, 27. Januar 2019

Das Auge denkt voraus.

 aus derStandard.at, 27. Jänner 2019, 11:27

Unser Gehirn plant die nächsten Augenbewegungen im voraus
Beobachtungen stehen im Einklang mit einem Modell der künstlichen Intelligenz, das geplantes Vorgehen beschreibt

Darmstadt – Unser Blick ruht nur selten für längere Zeit auf einem Objekt, meist huscht das Auge gesteuert von komplexen Prozessen umstet umher. Nun haben deutsche Wissenschafter entdeckt, dass die Okulomotorik sogar noch diffizileren Regeln folgt als gedacht. Ein Team um Constantin Rothkopf an der TU Darmstadt hat nämlich gezeigt, dass Menschen ihre Augenbewegung unbewusst mehrere Schritte voraus planen können. Bei ihrer Untersuchung griffen die Forscher auf Methoden der künstlichen Intelligenz zurück, um das menschliche Planungsverhalten zu untersuchen. Die Ergebnisse sind vor allem für das Verständnis der Informationsverarbeitung unseres Gehirns von Bedeutung.

Im Bereich der künstlichen Intelligenz wird der Vorgang, in der Zukunft liegende Konsequenzen von Handlungen in Entscheidungen miteinzubeziehen, als Planen bezeichnet. Planen ist dabei immer mit einem hohen Rechenaufwand verbunden, da viele mögliche zukünftige Entwicklungen mitberücksichtigt werden müssen. Einfacher wäre es daher, nur die direkten Konsequenzen der jeweils nächsten Handlung zu berücksichtigen, also nicht zu planen. Aber im Allgemeinen kann dieses kurzsichtige Agieren dazu führen, dass wir unser Ziel nicht erreichen. Inwieweit Menschen zukünftige Belohnungen bei Entscheidungen berücksichtigen, kann demnach langfristig einen großen Einfluss auf ihr Verhalten haben.

Wenig Zeit zum Schauen

Nun ist es Forschern am Centre for Cognitive Science der TU Darmstadt gelungen zu zeigen, dass auch der unbewusste Ablauf von Augenbewegungen gleichsam geplant verläuft. Dazu untersuchten sie Augenbewegungen – Sakkaden – von Probanden, die erkennen sollten, ob eine begrenzte Fläche am Bildschirm einen schwarzen Punkt enthielt. Für diese Aufgabe stand unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung, so dass die Teilnehmer nur eine oder zwei Augenbewegungen ausführen konnten, um die Fläche zu erfassen.

Die im Fachjournal "Scientific Reports" präsentierten Resultate zeigen: Wenn nur eine Augenbewegung möglich war, fixierten die Probandinnen und Probanden einen Endpunkt, der eine möglichst große Abdeckung der Fläche mit einem einzelnen Blick ermöglichte. Stand jedoch Zeit für zwei Sakkaden zur Verfügung, sah das anders aus: Die Probanden wählten unwillkürlich direkt einen anderen ersten Schritt für ihre Augenbewegungen, der schlechter für das Auffinden des schwarzen Punktes mit einer einzelnen Augenbewegung gewesen wäre. Zusammen mit der zweiten Augenbewegung ließ sich allerdings so das Suchergebnis insgesamt optimieren.

Parallelen zur planenden künstlichen Intelligenz

Die aufgezeichneten Augenbewegungen der Testteilnehmer standen dabei im Einklang mit einem Modell der künstlichen Intelligenz, das ein geplantes Vorgehen beschreibt. Sie passten jedoch nicht zu Modellen, die im Forschungsfeld der visuellen Wahrnehmung vielfach angewendet werden und die keine Planung der Augenbewegungen beinhalten.

Die Untersuchung liefert einen Beleg für eine bedeutsame Komponente in der menschlichen Informationsverarbeitung: Das visuelle System berücksichtigt zukünftige Ereignisse beim Lösen von Aufgaben, die mehrere Schritte benötigen. Mit anderen Worten: Es "plant" tatsächlich. Das Ergebnis ist nicht nur relevant für unser Verständnis menschlicher Blickbewegungen, da wir meist drei Mal pro Sekunde unsere Blickrichtung wechseln, sondern darüber hinaus auch für unser Verständnis der Informationsverarbeitung bei Entscheidungsvorgängen im Gehirn: Obwohl wir bewusstes Planen wie beim Schachspielen, der Planung einer Reise oder der bei der Entwicklung einer Investitionsstrategie als schwierig wahrnehmen – und dabei immer wieder Fehler machen –, planen unsere Augen nahezu optimal. (red,)


Abstract
Scientific Reports: "Multi-step planning of eye movements in visual search." 



Nota. - 'Wahr'nehmen ist nicht einfach Auf nehmen - wir wissen es längst. Es ist zuerst Suchen nach etwas Erwartetem - Erwünschten, Befürchteten. Es ist intentional, 'tendenziös' und - selektiv. Ein Inter- esse an Objektivität hat uns die Evolution nicht angestammt, sondern das Interesse an Selbst- und Art- erhaltung. Doch die Fähigkeit zum Reflektieren hat sie uns mitgegeben: Sie ermöglicht uns, auf uns abzusehen; und erlaubt uns, von uns abzusehen, von uns und unsern Interessen und Intentionen. Die Vorstellung von einer Welt, "wie sie wirklich ist", ist die Vorstellung von einer Wahrnehmung ohne Interesse. Die kann es nicht geben, aber verlockend ist sie doch.
JE


Samstag, 26. Januar 2019

Zeigt die Stimme den Charakter an?

Was die Stimme verrät
aus Technology Review, 24.01.2019 07:40 Uhr

Stimme verrät Charakterzüge 
Erste Unternehmen lesen aus Sprache und Stimme die Persönlichkeit ihrer Kunden – und schneiden die Angebote darauf zu.

Von

Wenn ein Callcenter den Hinweis „Ihr Gespräch wird zur Verbesserung der Servicequalität aufgezeichnet“ abspielt, ist zumindest vorsichtiges Misstrauen angesagt. Erste Unternehmen leiten daraus Informationen über Persönlichkeitsmerkmale oder Emotionen ab. Ihr Ziel ist unter anderem ein treffenderes Marketing.

Ein großes Interesse besteht bei Unternehmen, die Kundenservice anbieten und wissen wollen, wie ihre Kunden sich fühlen angesichts personalisierter Werbung oder eines Callcenter-Anrufs, sagt Sprachforscher Max Little von der Aston University in Birmingham gegenüber Technology Review

Wie das Magazin in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, hat auch die deutsche Sprachanalysefirma Precire den Marketingansatz bereits getestet. „Auf Basis einer Studie bei einem Mobilfunkanbieter können wir belegen, dass Reaktionen auf Mailings und der anschließende Verkaufserfolg gesteigert werden, wenn die Kundenkommunikation mit Precire nach psychologischen Merkmalen analysiert und optimiert wird“, sagt Geschäftsführer Peter Klingspor. Er gab jedoch keine Auskunft darüber, um welchen Anbieter es sich handelt.

Persönlichkeitsprofil aus Sprechweise

Im Markt ist das Unternehmen bereits mit einer Software, die Persönlichkeitsprofile von Bewerbern und Mitarbeitern erstellt. Die Idee ist, die passende Besetzung für offene Stellen zu finden. Dazu benötigt Precire 15 Minuten Sprachmaterial. Anschließend vergleicht es die Sprachdaten mit denen von 5000 Probanden, die psychologisch vermessen wurden.

Die Software wertet unter anderem den Text aus, die verwendeten Wörter sowie die Sprachgeschwindig- keit. Begriffe wie „Problem“, „schwierig“ oder „kalt“ deuten auf Negatives hin, erklärt Philipp Grochowski von Precire. Hinzu kommen Faktoren wie die Tonhöhe, die Art, Laute zu bilden, oder die Lautstärke. Am Ende verrät das Programm beispielsweise, wie gut organisiert der Sprecher ist, ob er emotional ausgeglichen, verträglich, kontakt- und risikofreudig ist, wie hoch Autonomiebedürfnis und Leistungsfähigkeit sind und ob er Wert auf Status und Dominanz legt.

Stimmanalyse: Teamfähig, unsicher, neurotisch?

Die Technologie hat eine wissenschaftliche Grundlage. „Man kann die Persönlichkeit sehr gut und einfach anhand von Sprachdaten auswerten“, sagt die Informatikern Julia Hirschberg von der Columbia University in New York. Sie beschäftigt sich seit 1985 mit der computergestützten Verarbeitung von Sprache, unter anderem für das US-amerikanische Heimatschutzministerium und die US-Luftwaffe. Schon fünf Minuten eines Gesprächs genügen ihr zufolge, um Menschen mit hoher Genauigkeit in die Big-Five-Kategorien einzuteilen – die fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit. Dass Precire am Ende tatsächlich weiß, wie ungeduldig, offen und organisiert jemand ist, hält sie für glaubhaft.

Große Firmen wie Thalanx-Konzern, die Fraport AG und RWE setzen die Technologie bereits in Vorstellungsgesprächen und zur Personalentwicklung. Die Nachfrage sei enorm groß, sagt Grochowski: „Sie erfahren so mehr über einen Menschen, als sie im normalen Gespräch erfahren würden.“


Nota. - Nehmt euch vor den Wörtern in Acht! 'Meine Stimme' - bin ich Tenor, Bariton oder Bass? Gar ein Männer-Alt oder Conter-Tenor? Habe ich ein warme, ein kalte, eine schneidende, eine säuselnde Stimme - oder gar eine salbungsvolle?

Das alles ist hier wohl nicht gemeint, denn es lässt sich nicht messen. Es spielt im Leben eine große Rolle, o ja, aber messen ließe es sich nur beim Hörer. Doch nach welchen Messgrößen? Die, die er selber nennen könnte, ließen sich nicht objektivieren, und ergo nicht vermessen. Was sich vermessen lässt, ist nicht, was in meinem Ohr klingt, sondern was - zum Beispiel - ein Oszillograf anzeigt. Mit andern Worten, nicht was ein anderes Subjekt als eine Qualität wahrnimmt, sondern was ein Apparat quantifizieren kann.

Insofern sei Entwarnung gegeben: Dein Charakter bleibt der neuen Software verborgen. Aber es ist viel schlimmer: Was die Maschine für deinen Charakter hält, druckt sie aus, und daran wirst du gemessen.
JE


Freitag, 25. Januar 2019

Wie das Gehirn verschiedene Sprachen lernt.


aus spektrum.de, 10. Januar 2019|

Sprachenlernen und die Evolution des menschlichen Gehirns 

Von Joe Dramiga 

Zoosemiotiker erforschen die verschiedenen Formen der tierischen Kommunikation. Einige von Ihnen haben versucht Hunden, Affen und Vögeln eine menschliche Sprache beizubringen. Nach langem Training lernten diese Tiere Wortassoziationen. Es gab kein Tier, das durch die bloße Exposition Worte und die mit ihnen verbundenen Bedeutungen gelernt hat – es wurde immer explizit und mühsam dafür trainiert. Das ist ein kritischer Unterschied zu dem Spracherwerb bei Kindern, die ab einem bestimmten Alter ohne irgend- eine Anleitung Sprache verstehen und erzeugen können. 

Diesen Unterschied erklärt eine Gruppe von Neurolinguisten damit, dass das menschliche Gehirn spezifi- sche Sprachmodule hat, die nur im menschlichen Gehirn vorkommen. Eine andere Gruppe vertritt die neuere Meinung, dass Sprache wie ein Trittbrettfahrer auf bereits existierende Mechanismen zurückgreift, unabhängig davon, ob sich diese für die neuen Funktionen (evolutionsbiologisch oder entwicklungsbiologisch) weiter spezialisiert haben oder nicht.

Dieses deklarativ-prozedurale (DP)-Modell des Sprachenlernens sagt voraus, dass, da Lexikon und Gram- matik einer Sprache erlernt werden müssen, das Lexikon stark vom deklarativen und die Grammatik stark vom prozeduralen Gedächtnis abhängig ist. Darüber hinaus sagt das DP-Modell voraus, dass sich bei einem Sprachenlerner das Grammatiklernen in der frühen Lernphase stärker auf das deklarative in der späten Lernphase stärker auf das prozedurale Gedächtnis stützen wird, weil das Lernen mit dem deklarativen Gedächtnis schneller erfolgt als mit dem prozeduralen Gedächtnis.

Semantisches und prozedurales Gedächtnis beim Sprachenlernen

Das semantische Gedächtnis, eine Form des deklarativen Gedächtnisses, beinhaltet das bewusste Faktenwissen. Es speichert unser Wissen über die Welt und die Sprache und ist im Gegensatz zum autobiografischen Gedächtnis nicht emotional gefärbt und frei von eventuellen Rahmenbedingungen, d. h. wir erinnern die Gegebenheit nicht in Verbindung mit einem Ort oder einem bestimmten Zeitpunkt. Das semantische Gedächtnis ermöglicht uns, “automatisch” zu erinnern, dass die Hauptstadt von Frankreich Paris ist. In der Regel erinnerst du dich aber nicht daran, wann, wo und von wem du diese Tatsache das erste Mal gehört hast. Das semantische Gedächtnis dient uns als mentales Lexikon. Dafür sind im Gehirn der Temporallappen und der Hippocampus wichtig.

“Diese Hirnsysteme sind auch bei Tieren zu finden – Ratten verwenden sie zum Beispiel, wenn sie lernen, in einem Labyrinth zu navigieren”, sagt Koautor Phillip Hamrick, “Unabhängig von den Änderungen, die diese Systeme zur Unterstützung der Sprache durchlaufen haben, ist die Tatsache, dass sie eine wichtige Rolle in dieser typisch menschlichen Fähigkeit spielen, bemerkenswert.”

Das prozedurale Gedächtnis ist das Gedächtnis für unbewusste Bewegungsabfolgen wie Laufen oder Fahrradfahren. Wenn wir einen Bewegungsablauf oft genug wiederholt und geübt haben, können wir ihn ausführen, ohne darüber nachdenken zu müssen. Dafür sind im Gehirn vor allem das Kleinhirn und die Basalganglien zuständig.
 

Sprachforscher aus den USA, England und Australien haben das DP-Modell jetzt in einer Metaanalyse von 16 Studien statistisch überprüft und diese in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht [1]. In ihrem Artikel beschreiben sie, wie Kinder ihre Muttersprache und Erwachsene Fremdsprachen mit evolutionär alten Gehirnstrukturen lernen, die es bereits vor der Entstehung des Menschen gab und die auch für so unterschiedliche Aufgaben wie das Erinnern an Omas Geburtstag und Fahrrad fahren lernen verwendet werden – also nicht spezifisch für Sprache sind.
 

Die Ergebnisse zeigen, wie gut wir uns an die Wörter einer Sprache (oder Vokabeln bei Fremdsprachen) erinnern, hängt davon ab, wie gut wir mit dem semantischem Gedächtnis lernen können, mit dem wir uns das kleine Einmaleins merken.
 

Die Grammatikfähigkeiten, die es uns ermöglichen, Wörter gemäß den Regeln einer Sprache zu Sätzen zu kombinieren, zeigen ein anderes Muster. Die Grammatikfähigkeiten von Kindern, die ihre Muttersprache lernen, korrelierten am stärksten mit dem Lernen des prozeduralen Gedächtnisses, mit dem wir Aufgaben wie Fahrradfahren lernen. Bei Erwachsenen, die eine Fremdsprache lernen, korrelieren die Grammatikfä- higkeiten jedoch mit dem semantischen Gedächtnis in frühen Stadien des Fremdspracherwerbs, jedoch mit dem prozeduralen Gedächtnis in späten Stadien.
 

Die Korrelationen waren stark und wurden in Sprachen wie Englisch, Französisch, Finnisch und Japanisch und Aufgaben wie Lesen, Zuhören und Sprechen konsistent gefunden, was darauf schließen lässt, dass die Verbindungen zwischen Sprache und Gehirnsystem robust und zuverlässig sind.
 

Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen beim Sprachenlernen auf kognitive Allzwecksysteme angewiesen sind. Die Allgemeinheit dieser Systeme schließt jedoch nicht die gleichzeitige Existenz domänenspezi- fischer Substrate für die Sprache aus, entweder aufgrund einer ontogenetischen (Entwicklungs-) oder phylogenetischen (evolutionären) Spezialisierung innerhalb dieser Systeme oder aufgrund zusätzlicher spezialisierter Schaltungen.




Ein Schlüsselaspekt der Alphabetisierung besteht darin, die als “Phonem-Graphem-Entsprechung” bekannte audio-visuelle Abbildung festzulegen, wobei elementare Töne von Sprache (d. h. Phoneme) mit visuellen Darstellungen (d. h. Graphemen) verknüpft werden.
 
Evolution des Gehirns bei Wirbeltieren
 

Das Studium der Evolution der Gehirnbereiche, die dem semantischen und dem prozeduralen Gedächtnis zugrunde liegen, kann uns vielleicht neue Erkenntnisse über den Spracherwerb beim Menschen liefern. Evolutionsbiologen haben bisher drei wichtige Schlussfolgerungen aus der Evolution des Gehirns bei Wirbeltieren gezogen [2]:
 

1. Alle Wirbeltiere, mit Ausnahme der Kieferlosen (Agnathen), denen ein Kleinhirn fehlt, haben die gleiche Anzahl Gehirnglieder.
 

2. Die Gehirngröße hat bei einigen Mitgliedern jeder Wirbeltierklasse unabhängig zugenommen. Sowohl Vögel als auch Säugetiere haben ein Gehirn, das 6–10 Mal größer ist als das Gehirn von Reptilien der gleichen Körpergröße.
 

3. Zunahme der Gehirngröße hat häufig zu einer Zunahme der Anzahl neuronaler Zentren, einer Zunahme der Anzahl neuronaler Zellklassen innerhalb eines Zentrums und wahrscheinlich einer Zunahme der Verhaltenskomplexität geführt. Das auffälligste Beispiel für eine Zunahme der Nervenzentren mit Zunahme der relativen Gehirngröße fanden die Neurobiologen bei den Säugetieren. Von den Nagetieren zu den Primaten steigt die Anzahl der kortikalen Unterteilungen um das Fünffache.
 

Die meisten Neurobiologen nehmen an, dass die Komplexität des Gehirns und die Komplexität des Verhaltens irgendwie miteinander verbunden sind. Gehirne existieren, um Informationen zu verarbeiten, die es einem Tier ermöglichen, Probleme zu lösen, was wiederum zur Fitness dieses Tieres beiträgt. Mit zunehmender Größe des Gehirns nehmen auch die Anzahl der Nervenzellen und ihrer Verbindungen zu, wodurch die verfügbare Ausrüstung für die Informationsverarbeitung erweitert wird. Diese gesteigerte Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, ermöglicht es einem Tier, eine komplexere Wahrnehmungswelt aufzubauen, die wiederum erhöhte Möglichkeiten zur Problemlösung aufzeigen und dazu führen soll, dass Verhalten komplexer und anpassungsfähiger wird.
 

Pyramidenzellen eignen sich für Deep Learning
 

Die KI-Forscher Blake Richards und Jordan Guerguiev haben in der Fachzeitschrift eLife einen Algorithmus publiziert [3], der simuliert, wie Deep Learning in unserem Gehirn funktionieren kann. Das Netzwerk zeigt, dass die neokortikalen Pyramidenzellen von Säugetieren die Form und die elektrischen Eigenschaften besitzen, die sich für Deep Learning eignen.
 

“Die meisten dieser Neuronen sind wie Bäume geformt, mit “Wurzeln” tief im Gehirn und “Ästen” in der Nähe der Oberfläche”, sagt Richards. “Interessant ist, dass diese Wurzeln andere Eingaben erhalten als die Äste, die ganz oben im Baum stehen.”
 

Mit dem Wissen über die Struktur der Pyramidenzellen bauten Richards und Guerguiev ein Modell, das auf ähnliche Weise Signale in getrennten Kompartimenten empfing. Diese Kompartimente ermöglichten es simulierten Neuronen in verschiedenen Schichten, zusammenzuarbeiten und Deep Learning zu erreichen.
 

“Es handelt sich lediglich um eine Reihe von Simulationen, so dass wir nicht genau sagen können, was unser Gehirn tut. Es ist jedoch ausreichend, um weitere experimentelle Untersuchungen zu rechtfertigen, wenn unser eigenes Gehirn die gleichen Algorithmen verwendet”, sagt Richards. Langfristig hofft er, dass die KI-Forscher die großen Herausforderungen meistern können, beispielsweise durch Erfahrung lernen, ohne Feedback zu erhalten.

[1]. Phillip Hamrick, Jarrad A. G. Lum, Michael T. Ullman. (2018) Child first language and adult second language are both tied to general-purpose learning systems. Proceedings of the National Academy of S[ciences, 115 (7), 1487-1492.
[2]. R. Glenn Northcutt (2002) Understanding Vertebrate Brain Evolution; Integrative and Comparative Biology, 42 (4), 743–756.
[3]. Jordan Guergiuev, Timothy P. Lillicrap, Blake A. Richards. 2017 Towards deep learning with segregated dendrites. eLife, 2017

Mittwoch, 23. Januar 2019

Radikale Frühaufklärung in Deutschland.

Einer der prominenten Frühaufklärer: N...der der Lehre vom geistigen Eigentum.   | Foto: ÖNB 
aus Badische Zeitung, 23. Januar 2019                     Einer der prominenten Frühaufklärer: Nicolaus Hieronymus Gundling (1671–1729)

Eine Zeit intellektueller Vielfalt
Der Historiker Martin Mulsow hat eine fesselnde Geschichte der frühen Aufklärung geschrieben.

Von Harald Loch

Wer meint, eine Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit könne nicht spannend sein, der nehme die beiden Bände "Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680 – 1720" von Martin Mulsow als Gegenbeweis zur Hand. Es geht im ersten Band um "Moderne aus dem Untergrund", im zweiten um "Clandestine Vernunft". Der Verfasser ist Professor für Wissenskulturen der europäischen Neuzeit an der Universität Erfurt. Er gilt als der umfassend gebildete Detektiv unter den Philosophiehistorikern, er ist in der europäischen gelehrten Welt um 1700 wie kein anderer heute zu Hause. 

Der erste seiner zwei Bände ist aus der Münchner Habilitationsschrift Mulsows hervorgegangen, die erst vor gut 15 Jahren etwa zeitgleich mit Jonathan Israels "Radical Enlightenment" ein inzwischen in ganz Europa etabliertes Forschungsgebiet begründet hat. In der damaligen Ausgabe hatte Mulsow schon den zweiten Band angekündigt, nun hat er ihn zusammen mit einer überarbeiteten Version des ersten vorgelegt. "Die Materialfülle", schreibt der Autor selbst in seinem Vorwort, "ist in der Tat überwältigend."

Hunderte von unbekannten Freidenkern ans Licht geholt

Die Zeit um 1700 muss sehr fruchtbar gewesen sein! Die unübersehbar vielfältige intellektuelle Landschaft der Frühaufklärung verlangt, dass Mulsow nicht nur prominente Gelehrte auftreten lässt, sondern auch Hunderte von kaum bekannten damaligen Freidenkern und verfolgten Autoren benennt und aus dem Vergessen emporholt. Er hat dazu rund hundert handschriftliche Quellen herangezogen, die er oftmals erst entziffern musste. Sie stammen aus Archiven in ganz Europa. Die Bibliographie der gedruckten Quellen umfasst über 30 Seiten, die der internationalen Forschungsliteratur enthält annähernd 1500 Titel. Was daraus entstanden ist, hat der Historikerkollege Kurt Flasch gewürdigt: "Die Bedeutung des monumentalen Werkes von Mulsow liegt darin, dass er bisher getrennte Strömungen vereinigt: die ideengeschichtliche Erforschung der Aufklärungsphilosophie, die bibliothekarische Erfassung der Clandestina und die Analyse der Kommunikationsweisen in der europäischen Gelehrtenrepublik um 1700."

Die Geschichte der radikalen intellektuellen Prozesse der frühen Aufklärung, die Mulsow durch Befragung der Quellen aufdeckt, die Entdeckungen, an denen er seine Leser teilhaben lässt, die Korrekturen, die er an oberflächlicheren Beschreibungen vornimmt – alles das ist atemberaubend und zudem fesselnd erzählt.

Was in einer Zeit von Zensur und Verfolgung im weltlichen und christlichen Absolutismus oft anonym geschrieben und manchmal sogar veröffentlicht wurde, ist nicht immer der Klartext der dahinterstehenden Gedanken. Verschlüsselung und Ironie, Perspektivenverlagerung in erfundene Erzählfiguren und Möglichkeitsformen aller Schattierungen fand der Verfasser in den meist klandestin, eben im "Untergrund", verfassten Quellen, deren eigentlicher Gehalt erst im Kontext mit Briefkorrespondenzen oder externen Kritiken erschlossen werden konnten.

Studentenulk mutierte mitunter zu einer Idee, auf die bisher niemand gekommen war, zu weiterführenden Gedanken. Vieles hatte einen religionskritischen, zuweilen auch antichristlichen Gehalt. Der Anteil der jüdischen Frühaufklärer, die sich besonders mit der Widerlegung von christlichen Weissagungsideologien beschäftigten, lösten bei manchen radikalen Frühaufklärern, die zumeist christlich sozialisiert waren, ein Aha-Erlebnis aus. Naturwissenschaftliche und medizinische Forschung bestärkten die Zweifel an vermeintlich unumstößlichen Glaubensgrundsätzen.

Die radikalen Frühaufklärer stellten vieles in Frage, errichteten aber keine homogene Gedankenwelt, sondern boten ein farbiges, oft in sich widersprüchliches und abenteuerliches Bild intellektueller Vielfalt. Ohne die erforderliche Freiheit wagten sich Freidenker aus der Deckung. Sie hinterließen ein Fundament, auf dem dann die Aufklärung im Sinne von Immanuel Kant entstehen konnte. Dieses durchaus noch schwankende Fundament sichtbar erscheinen zu lassen, verleiht Mulsows Werk seine Bedeutung.


Martin Mulsow: Radikale Frühaufklärung in Deutschland. Band 1: Moderne aus dem Untergrund, Band 2: Clandestine Vernunft. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. Zusammen 1126 Seiten, 21 Abbildungen, 59,90 Euro.


Nota. - Die Rede von "deutschen Sonderweg" ist ja nicht falsch. Sie hat aber den Haken, dass sie den Verlauf unserer Geschichte im 20. Jahrhundert wie eine unvermeidliche Schicksalfügung erscheinen lässt. Alles, was nach 1945 die Schuld der Lebenden verringern konnte und sie den Toten zuschob, war willkommen und für den Neuanfang vielleicht unverzichtbar. Aber der gottlob gelungene Neuanfang liegt nun lange zurück, und vorbei ist die Zeit, wo Deutschland mit Rücksicht auf seine Vergangenheit weltpolitischen Verbindlichkeiten aus dem Weg gehen musste. Jetzt ist die Zeit, uns daran zu erinnern, dass wir nicht bloß mit unserer Schuld alle andern weit hinter und gelassen haben - sondern auch mit unsern Möglichkeiten nicht hinter ihnen zu- rückstehen und, wenn erforderlich, auch mal einen ersten Schritt voran tun können.
JE

Dienstag, 22. Januar 2019

Ist mein Gehirn leistungsfähig oder robust?

Neuronen
aus spektrum.de, 22.01.2019

Neuronaler Code: 
Was den Menschen vom Affen unterscheidet 
Erstmals wollen Forscher einen Unterschied in der Gehirn-»Software« gefunden haben. Findet sich im Feuern der Neurone die Antwort auf die Frage nach der menschlichen Intelligenz?

Um das Verhalten der Nervenzellen zu beobachten, zeichnete das Team um Rony Paz vom Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot bei fünf Affen und sieben Menschen die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen auf, insgesamt 750 Neurone flossen in die Auswertung ein. Diese Daten, die die Wissenschaftler jeweils über mehrere Stunden aufnahmen, analysierten sie anschließend mit Methoden der mathematischen Signalanalyse.

Erwartungsgemäß feuerten bei beiden Spezies die Nervenzellen immer mehr oder weniger stark im synchronen Gleichschritt. Im Detail offenbarten sich allerdings Unterschiede: Bei den Makaken war dieser Gleichklang ausgeprägter, die Muster, in denen die Zellen feuerten, wiederholten sich häufiger als bei den Menschen. Das mache die Signalverarbeitung der Makaken »robust«, wie es die Forscher in ihrem Beitrag im Fachmagazin »Cell« nennen.

Bei Menschen hingegen schien die Abfolge des Feuerns eher durch die Kombination mehrerer Muster zu entstehen. Im Vergleich zum Makakenhirn operiere das Menschenhirn weniger synchron und dadurch »effizienter«, so Paz und Kollegen. Schneller zwischen Mustern umschalten oder gar mehrere Muster gleichzeitig verarbeiten zu können, mache das Gehirn des Menschen flexibler und erlaube eine differenziertere Reaktion auf Reize. Der Preis dafür sei jedoch eine höhere Störanfälligkeit.
 

Kein Gehirn könne gleichzeitig robust und effizient sein, so die Forscher. Es komme vielmehr auf eine Balance zwischen beiden Aspekten an, die zu den Lebensumständen der Spezies passt. Wie Paz erklärt, könnten bei Menschen psychische Störungen zu den Folgen unserer »effizienteren«, also flexiblen und störanfälligen Signalverarbeitung zählen. Bei Makaken hingegen scheint die Evolution eher auf schnelle und eindeutige Reaktionen gesetzt zu haben.

Offen bleibt dabei, ob sich die beobachteten Unterschiede auch in anderen Hirnregionen zeigen – die Forscher zeichneten Nervenzellen nur in zwei Bereichen, Amygdala und Zingulum, auf. Auch ist noch nicht geklärt, mit welchen Mechanismen die Nervenzellverbände das Gleichgewicht zwischen Robustheit und Effizienz einstellen. Leider ist es nicht leicht, an die entsprechenden Daten zu kommen, denn um einzelne Nervenzellen abzuhören, müssen Elektroden ins Gehirn versenkt werden, was mit einem chirurgischen Eingriff verbunden ist. Für ihre aktuelle Studie experimentierten Paz und Kollegen mit Freiwilligen, bei denen Mediziner wegen einer Epilepsiebehandlung ohnehin Elektroden im Hirn platziert hatten.


Nota. - Wer hätte das gedacht! Dem Grobian kann so schnell nix was anhaben. Aber an Finesse fehlt es ihm. Gut, dass wir das nun auch experimentell belegt haben, sonst hätte man's womöglich noch für ein Vorurteil gehalten.
JE


 

Donnerstag, 17. Januar 2019

Können Pflanzen hören?

aus derStandard.at, 17. Jänner 2019, 07:00

Pflanzen "hören" Bienengesumm ... und reagieren
Forscher stellten fest, dass bestimmte Geräusche dazu führen, dass Pflanzen süßeren Nektar produzieren

Laut einer aktuellen Studie können manche Pflanzen das Schwirren von Bienen hören – und sogar den noch viel subtileren Flügelschlag von Schmetterlingsschwingen.

Tel Aviv – Manche Pflanzen sind offenbar dazu in der Lage, ihre Blüten als Quasi-Ohren zu nutzen: Das schließen zumindest israelische Forscher aus ihren Beobachtungen, die sie mit einem Experiment überprüften. Sie vermuten, dass die Pflanzen so die Symbiose mit ihren Bestäubern optimieren.

Experimentelle Überprüfung

Die Forscher um um Marine Veits von der Universität Tel Aviv stellten fest, dass sich die Nektarzusammensetzung der Nachtkerzen-Art Oenothera drummondii verändert, wenn sie von Bienen oder Faltern – typischen Bestäubern dieser Pflanze – angeflogen wird. Um zu überprüfen, ob es einen akustischen Zusammenhang geben könnte, nahmen die Forscher die Schwirrgeräusche von fliegenden Bienen und Faltern auf.

Anschließend erzeugten sie künstliche Geräusche mit gleichen und zur Kontrolle auch mit anderen Frequenzen und spielten diese mehr als 650 Blumen vor. Davor und danach analysierten sie den Nektar in den Blüten. Das Ergebnis: Passe die Frequenz, trete derselbe Effekt auf – die durchschnittliche Zuckerkonzentration im Nektar erhöhe sich innerhalb von drei Minuten um rund 20 Prozent. Die Pflanze mache sich damit für ihre Bestäuber noch attraktiver.

Interpretation

"Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass Pflanzen schnell auf ökologisch relevante Art auf das Geräusch von Bestäubern reagieren können", schreiben die Autoren der Studie, die zur Veröffentlichung eingereicht, aber noch nicht in einem Fachjournal erschienen ist. Das "Hören" scheint nicht ganz undenkbar: Immerhin hatten US-Forscher bereits vor einigen Jahren berichtet, dass die Acker-Schmalwand ihre chemischen Abwehrmechanismen gegen Schädlinge hochfährt, wenn sie Kaugeräusche von Raupen wahrnimmt.

Das Team um Veits glaubt festgestellt zu haben, dass die Geräusche eine Vibration der Blütenblätter auslösen. Dies weise "auf einen plausiblen Mechanismus hin, bei dem die Blüten als Hörsinnesorgan der Pflanze dienen". Die Studie deute zudem darauf hin, dass Pflanzen auch durch Geräusche beeinflusst werden könnten, die der Mensch verursacht, schrieben die Forscher. Durch "die Fähigkeit zu hören" könnten sie zudem auf Pflanzenfresser oder andere Tiere reagieren. (APA, red,)


Link
bioRxiv: "Flowers respond to pollinator sound within minutes by increasing nectar sugar concentration"



Nota. - Das klingt doch aber mehr nach "lernen": Konditionierung nach dem Reiz-Reaktions-Schema, gene- tisch weitergereicht durch Selektion und Anpassung. Doch unter hören verstehen wir landläufig das Umset- zen einer (analogen) akustischen 'Information' in eine (digitale) semantische 'Bedeutung': Interpretation und Wahl. Das wäre der Charakter von 'Intgelligenz'. - Davon kann hier ja wohl nicht die Rede sein. So kann man wissenschaftliche Ergebnisse fälschen, ohne die Unwahrheit sagen su müssen.
JE

Mittwoch, 16. Januar 2019

Ein neues kosmologisches Standardmodell?

aus Telepolis, 9. Januar 2019

Beim Urknall könnte mit dem Universum auch ein Antiuniversum entstanden sein
Kanadische Physiker stellen ein kosmologisches Modell vor, das die CPT-Symmetrie wahrt und erklärt, warum es in unserem Universum sehr viel mehr Materie als Antimaterie gibt



Mit dem Urknall, dem Big Bang, beginnt alles, zumindest der Kosmos, den wir kennen. Der Urknall er- eignete sich irgendwann vor 13,7 Milliarden Jahren, was davor war und ob es etwas davor gegen hat, ist eine Frage der Spekulation (Hubble und die Expansion des Universums). Mit dem Urknall sind Zeit, Raum und Materie sowie Antimaterie entstanden, indem sich das irrwitzig kleine und heiße Universum mit irrwit- ziger Geschwindigkeit in der Phase der Inflation ausdehnte, auch heute noch expandiert das Universum unaufhaltsam weiter.

Ein Paradox ist jedoch, dass es im Universum weitaus mehr Materie als Antimaterie gibt, obgleich sie eigentlich zu gleichen Teilen nach dem Urknall vorhanden gewesen sein müssten. Es muss mithin die an- genommene CP-Invarianz, wonach in einem physikalisches System sich nichts ändert, wenn alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt und gleichzeitig alle Raumkoordinaten gespiegelt werden, verletzt (CP-Ver- letzung) werden, um das Ungleichgewicht zu erklären (Antimaterie: Mehr als nur Anti).

Nach dem darauf aufbauenden CPT-Theorem, also der Annahme der Symmetrie bei der Transformation von Ladung, Parität und der Zeit, ist das Übergewicht der Materie ebenfalls nur durch eine Verletzung der Symmetrie erklärbar. Nach der CPT-Symmetrie müsste beispielsweise ein Atom, das in der Zeit vorwärts durch das Universum reist, von einem Antimaterie-Atom, das in der Zeit rückwärts in einem Spiegeluni- versum reist, ununterscheidbar sein. Wasserstoffatome und Anti-Wasserstoffatome müssten identische Spektren haben etc. (Antimaterie für Minuten eingesperrt).

Nun haben die kanadischen Wissenschaftler Latham Boyle, Kieran Finn, and Neil Turok vom Perimeter Institute for Theoretical Physics einen Vorschlag entwickelt, der sowohl das Ungleichgewicht als auch die ebenfalls bislang nur angenommene Dunkle Materie erklären können soll. Nach ihrem Modell, das sie in Pysical Review Letters vorstellen (CPT-Symmetric Universe), gab es zwar auch nur einen Urknall, aus dem seien aber gleichzeitig das Universum und ein Antiuniversum entstanden, in dem die Zeit in die entgegen- gesetzte Richtung läuft und in dem spiegelbildlich die Antimaterie überwiegt. Die Wissenschaftler erklären, dass eine solche CPT-Symmetrie mit zwei spiegelbildlichen Universen mit der kosmischen Expansion übereinstimmt. 
Überdies benötige man für dieses Modell keine neuen Teilchen oder Felder zur Erklärung.

Auch für die angenommene Inflation kurz nach dem Urknall, die zwar einige kosmologische Beobach- tungen erklären könne, aber zusätzlich das Vorhandensein von bislang nur hypothetischen Quantenfeldern voraussetze, schlagen sie eine Alternative mit ihrem Modell vor. Danach habe sich das Universum nicht explosiv oder exponentiell aufgebläht, sondern Zeit und Raum hätten sich kontinuierlich im Universum und Antiuniversum ausgedehnt. Zwar hätten die Wissenschaftler, wie Michael Schirber, Redakteur der Zeit- schrift Physics schreibt, noch nicht zeigen können, wie aus ihrem Modell die Uniformität des Kosmos erklärt werden kann, was die Inflationstheorie leiste. Aber ihr Modell beinhalte eine Erklärung für die Dunkle Materie. Ein CPT-symmterische Universum würde eine große Zahl von superschweren sterilen Neutrinos produzieren, die auch die Ursache der kürzlich beobachteten hochergetischen kosmischen Strahlung sein könnten. 


Nota. - Die Erwartung an neue Fakten in der kosmologischen Forschung ist so groß, dass man meinen könnte, alle Welt freue sich auf eine Widerlegung der einstweiligen Erklärungsmodelle; dass man jede Erklärung begrüßen würde, wenn sie nur nicht die Gängige wäre. Als ob das Anderssein ein wissenschaft- licher Vorzug wäre!

Psychologisch steckt aber wohl etwas anderes dahinter. Es ist die heimliche Hoffnung, dass mit der über- lieferten Gesetzmäßigkeit die Gesetzmäßigkeit überhaupt ins Trudeln geriete. 

Wilhelm Dilthey hatte dem im Laufe des 19. Jahrhunderts an der Naturforschung ausgebildeten Begriff von positiver Wissenschaft den Begriff einer einer problematisch orientierten Geistes wissenschaft entgegenge- setzt. Das hat nicht lange gehalten. Aus theorieimmanenten Gründen wurde dem die Unterscheidung in 'no- mothetische', Gesetze suchende und verkündende, und 'idiographische', bestimmte Einzelphänomene (mög- lichst) erschöpfend beschreibende Wissenschaften nachgeschoben. Was aber in 'der Natur' gesucht wird, seien eo ipso Gesetze, Naturwissenschaft sei daher wesentlich nomothetisch (während sich historische und gesellschaftliche Forschung mit Beschreibungen bescheiden müssten).

Das kann aber das letzte Wort auch nicht sein. Die Vorstellung von einem Gesetz supponiert die Vorstel- lung von einem, der es gesetzt hat. Der läge freilich jenseits des Gesetzes - und führte die Nomothesis ad absurdum. Kein Wissenschaftler kann sich freilich leisten, einfach zu sagen: Es ist nunmal, wie es ist. Wenn er nichts anbieten kann, was dem 'zu Grunde liegt', ist er bei den Kollegen unten durch. Aber wenn er etwas aufbietet, von dem er sagt, dass es 'zu Grunde liegt', und sich damit blamiert, lachen sich alle andern ins Fäustchen. 

Dem neuen Modell wird es dann so ergehen wie dem bislang gültigen. Und irgendwann mal wird man sich endlich an den Gedanken gewöhnt haben, dass... es nunmal so ist, wie es ist.
JE