Freitag, 17. März 2017

Isaac Newtons bedenklicher Charakter.


 
aus Der Standard, Wien, 17. März 2017, 16:05 

"Was für ein Arschloch": Florian Freistetter nimmt Newton auseinander
Eine etwas andere Biografie gibt auch Einführung in wichtigste wissenschaftliche Erkenntnisse

Wien – Um vorweg kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Der Wissenschaftsjournalist, derStandard.at-Blogger und "Science Buster" Florian Freistetter bewundert den Physiker Isaac Newton "wie fast keinen anderen Wissenschaftler der Vergangenheit". Das ändert aber nichts daran, dass er gewisse Vorbehalte gegenüber der Persönlichkeit des Erfinders des Gravitationsgesetzes hat. 

Diese schildert er in seinem Buch "Newton – Wie ein Arschloch das Universum neu erfand".
 
"Was für ein genialer Wissenschaftler. Und was für ein Arschloch" – so gibt Freistetter bereits am Ende der Einleitung die Stoßrichtung vor. Anschließend schildert er Newton als kompromisslosen Nerd auf einem Ego-Trip, der als Chef dem Protagonisten der TV-Serie "Stromberg" gleicht bzw. diesen als Ekelpaket sogar noch übertrifft. Oder als nachtragenden, in bis aufs Blut ausgetragene wissenschaftliche und private Streitigkeiten verwickelten mimosenhaften Rechthaber.

 

Kritikresistenter Schöpfer der Gravitationstheorie

 
Gleichzeitig lässt Freistetter die wichtigsten Forschungsarbeiten und Erkenntnisse Newtons immer wieder anklingen – sei es die Entwicklung der Gravitationstheorie (samt Aufklärung der Missverständnisse um den berühmten Apfel und dessen Bedeutung) oder die Konstruktion seines Spiegelteleskops. In diese bzw. den Umgang mit diesen lässt er immer wieder die Charakterschwächen des Wissenschafters einfließen – etwa seine Kritikresistenz in der Diskussion seiner Forschungen.

Oder seinen Hang zu Intrige und Auseinandersetzungen. In seinen letzten Lebensjahren als Beamter der Münzprägeanstalt habe Newton kaum noch Muße für Forschung gehabt, konstatiert Freistetter: "Für einen ordentlichen Streit konnte er aber anscheinend immer Zeit erübrigen." Exemplarisch dafür nimmt er sich die als Prioritätsstreit bekannte Auseinandersetzung mit Gottfried Wilhelm Leibniz vor.

Im Kern ging es dabei darum, wer von den beiden als erster die Grundzüge der Infinitesimalrechnung entwickelt – also im Endeffekt die heutige Differential- bzw. Integralrechnung begründet hat. Es folgten jahrelange Streitereien um Plagiate, selbst verfasste anonyme Lobreden auf die eigene Arbeit bzw. selbst verfasste und anderen untergeschobene kritische Kommentare zum Werk des anderen.

 

Bibel, Alchemie und Esotherik

 
An anderer Stelle vergleicht Freistetter seinen Protagonisten mit dem Pseudowissenschafter Erich von Däniken: Newton beschäftigte sich – durchaus nicht untypisch für seine Zeit – auch mit heute als esoterisch geltenden Fragestellungen. Mindestens genauso wichtig wie die Naturwissenschaften seien ihm Bibelaus- legung, religiöse Chronologie, Alchemie und Prophezeiungen gewesen. In Newtons Privatbibliothek fanden sich fast 500 Bücher über Theologie, aber nur 52 über Physik. Die Texte in seinem Nachlass umfassten rund drei Millionen von ihm geschriebene Worte, fast die Hälfte davon zu Theologie und Religion, 650.000 widmete er der Alchemie. (APA, 18.3.2017)
Zum Thema
Freistetter-Blog: Hier irrt die Wissenschaft
 
Termin
Buchpräsentation am 17. März, 19.00 Uhr in der Buchhandlung Thalia


Montag, 6. März 2017

Das Bewusstsein sitzt in einer riesigen Zelle.

aus derStandard.at, 6. 3. 2917

Riesige Nervenzelle als mögliche Quelle des Bewusstseins

Was das menschliche Gehirn so leistungsfähig macht und letztendlich auch unser Bewusstsein hervor- bringt, ist trotz jahrzehntelanger aufwändiger Forschungen nach wie vor eine weitgehend ungelöste Frage. Immerhin dürfte mittlerweile klar sein, dass die komplexen Verschaltungen der zerebralen Nervenzellen eine bedeutende Rolle dabei spielen. Um diesem gewaltigen Netzwerk, dem sogenannten Konnektom, auf den Grund zu gehen, haben sich deutsche Wissenschafter, wie zuletzt berichtet, auch Hilfe bei künstlichen neuronalen Netzen gesucht.

In den USA könnte eine Gruppe von Wissenschaftern auf der Suche nach dem Ursprung des Bewusstseins nun aber an einer anderen Stelle fündig geworden sein: Das Team um Christof Koch vom Allen Institute for Brain Science in Seattle hat bei Mäusen mit einem neuen bildgebenden Verfahren eine riesige Nerven- zelle (im Bild eine digitale Rekonstruktion) entdeckt, die das gesamte Gehirn umschließt und dicht mit beiden Hemisphären verknüpft ist.[?] Koch schließt aus den gewonnen Daten, die zwei weitere ähnlich ausgedehnte Neuronen einschließt, dass die Nervenzelle die Signale aus dem Claustrum, der am dichtesten vernetzten Schicht grauer Gehirnzellen, koordiniert. Da das Claustrum bereits zuvor mit dem Bewusstsein in Verbindung gebraucht wurde, vermuten die Forscher, dass die Harmonisierung der Signale aus diesen Arealen mithilfe der neu entdeckten Nervenzelle letztlich unsere bewussten Gedanken hervorbringen könnte. 


Nota. - Kein Homunculus, kein Kommandant, sondern ein Sammler und Koordinator. Offen bleibt, wer wie wo die Entscheidungen trifft.
JE



Mittwoch, 1. März 2017

Das Bewusstsein am Modell rekonstruieren.

aus derStandard.at, 28. Februar 2017, 14:30                                                  Konnektom

Künstliche Intelligenz soll nach Quelle des Bewusstseins suchen
Neuronales Netzwerk hilft bei der Entschlüsselung des Konnektoms. System überrascht mit geringer Fehlerrate

Martinsried – Das menschliche Gehirn ist trotz zahlreicher Forschungsprojekte nach wie vor ein großes Rätsel. Vor allem über den Ursprung unseres Bewusstseins können die Wissenschafter vorerst allenfalls Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich steht es in engem Zusammenhang mit dem komplexen Schaltplan des Gehirns. Doch den zu entschlüsseln ist eine enorm zeitaufwendige Aufgabe. Nun haben sich Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried Hilfe bei künstlicher Intelligenz gesucht. Die Forscher haben neuronale Netze so trainiert, dass die Rekonstruktion von Nervenzellschaltplänen enorm beschleunigt wird.

Nervenzellen brauchen Gesellschaft. Während eine einzelne Zelle wenig bewirken kann, werden Nervenzellen im Verbund zu einem mächtigen Netzwerk, das zum Beispiel unser Verhalten steuert. Dabei tauschen die Zellen Informationen über ihre Kontaktstellen, die Synapsen, aus. Das Wissen darüber, welche Nervenzellen wann und wo miteinander verbunden sind, trägt entscheidend dazu bei, grundlegende Hirnfunktionen ebenso wie übergeordnete Prozesse wie Lernen, Gedächtnis, Bewusstsein und Erkrankungen des Nervensystems zu verstehen. Denn Forscher vermuten, dass der Schlüssel zu alldem in der Verschaltung der rund 100 Milliarden Zellen im menschlichen Gehirn liegt.

Automatisierte Abtastung

Um diesen Schlüssel verwenden zu können, müsste jedoch das Konnektom erfasst werden – jede Nervenzelle eines Gehirns mit ihren tausenden Kontakten und Partnerzellen. Noch vor wenigen Jahren schien so etwas gänzlich unmöglich. Von "unmöglich" lassen sich die Wissenschafter in der Abteilung "Elektronen – Photonen – Neuronen" am Max-Planck-Institut für Neurobiologie allerdings kaum abschrecken. So entwickelten und verbesserten sie in den vergangenen Jahren Färbe- und Mikroskopiemethoden, mit denen Hirngewebeproben in einem automatisierten Prozess in dreidimensionale, hochaufgelöste Elektronenmikroskopbilder verwandelt werden.

Ihr neuestes Mikroskop, dass als Prototyp in der Abteilung im Einsatz ist, tastet die Oberfläche einer Probe gleich mit 91 Elektronenstrahlen parallel ab, bevor die nächste Probenebene freigelegt wird. Im Vergleich zum Vorgängermodell erhöht sich die Datenerfassungsrate so um mehr als das Fünfzigfache. Ein ganzes Mäusegehirn könnte anstatt in vielen Dekaden, innerhalb weniger Jahre erfasst werden.

Jahrelange Bilderanalyse

Während es somit nun möglich ist, ein Hirngewebestück in wenigen Wochen in Billionen Pixel zu zerlegen, dauert die Analyse dieser elektronenmikroskopischen Bilder viele Jahre. Das liegt daran, dass herkömmliche Computeralgorithmen oft zu ungenau sind, um die hauchdünnen Fortsätze der Nervenzellen über lange Strecken zuverlässig zu verfolgen und die Synapsen zu erkennen. Daher müssen immer noch Menschen in stundenlanger Bildschirmarbeit die Synapsen in den Bilderstapeln aus dem Elektronenmikroskop identifizieren.

Doch auch diese Hürde nehmen nun die Forscher um Jörgen Kornfeld mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze. Diese Algorithmen können aus Beispielen und Erfahrungen lernen und dieses Wissen auch verallgemeinern. Bereits heute werden sie sehr erfolgreich in der Bildverarbeitung und Mustererkennung eingesetzt. "Da war der Weg nicht weit zum Einsatz eines künstlichen Netzes für die Analyse eines echten neuronalen Netzes", so Kornfeld, Hauptautor der in "Nature Methods" erschienen Studie. Ganz so einfach wie es klingt, war es dann doch nicht. In monatelanger Arbeit trainierten und testeten die Wissenschafter sogenannte "Convolutional Neural Networks" darauf, Zellfortsätze, Zellbestandteile und Synapsen in den Bilddaten zu erkennen und voneinander zu unterscheiden.

Überraschend geringe Fehlerrate

Das so entstandene SyConn Netzwerk kann nun, nach einer kurzen Anlernphase, diese Strukturen selbstständig und äußerst zuverlässig identifizieren. Die Anwendung auf Datensätze aus dem Singvogelgehirn zeigte, dass SyConn so zuverlässig ist, dass ein menschliches Fehlerlesen überflüssig wird. "Das ist absolut fantastisch, denn mit einer so geringen Fehlerrate hatten wir eigentlich gar nicht gerechnet", meint Kornfeld. Die neu entwickelten künstlichen neuronalen Netze können Neurobiologen in Zukunft viele tausend Stunden monotoner Arbeit abnehmen – und so die Zeit bis zur Entschlüsselung des Konnektoms, und vielleicht auch des Bewusstseins, um viele Jahre verkürzen. (red)