Donnerstag, 29. September 2016

Warum vorwissenschaftliche Vorstellungen überleben.

aus nzz.ch, 29.9.2016, 17:00 Uhr

Wissenschaftsphilosophie
Warum falsche Vorstellungen nicht aussterben 
Der Weg des wissenschaftlichen Fortschritts ist mit Leichen gepflastert. Viele der überwundenen Ideen sind aber nicht wirklich «tot». Sie leben im Verborgenen weiter und treiben dort seltsame Blüten.

von Eduard Kaeser

Für viele sich fortschrittlich dünkende Menschen stellt die Wissenschaftsgeschichte so etwas wie eine Leiter dar, auf der wir immer höher steigen, dabei Aberglauben und Ignoranz hinter uns lassend. Die Astronomie hat die Astrologie abgeworfen, so wie die klassische Mechanik die aristotelische Bewegungslehre, die Chemie die Alchemie, die Physiologie die paracelsische Pharmakologie oder die Neurologie die Psychologie. Dadurch, dass wir Ideen falsifizieren, kommen wir der Wahrheit ein Stück näher, lehrte der Philosoph Karl Popper.

Stimmt das? Sofort bietet sich eine Handvoll Gegenbeispiele an: Viele Leute glauben heute noch an eine flache Erde, Exorzismus, Astrologie, Kreationismus, okkulte Heilkräfte der Steine. Man könnte diese Epidemiologie des Aberglaubens fast ad libitum fortsetzen. Soll man einfach sagen, diese Leute seien töricht und unbelehrbar? Das wäre nun selber töricht. Einer der grössten Physiker des letzten Jahrhunderts, Niels Bohr, antwortete einmal auf die Frage, ob er an das Hufeisen über seiner Haustür glaube: «Natürlich nicht. Aber wissen Sie, es soll auch nützen, wenn man nicht daran glaubt.»

Verloren im Abstrakten

Ob Bohr dies ernst meinte, sei dahingestellt. Jedenfalls ist das Beharrungsvermögen alter, überständiger Ideen eine feststellbare Tatsache. Und es hat mehrere Gründe. Zunächst einen kognitiven. Wir leben in einer zunehmend komplexeren Welt. Die wissenschaftlichen Theorien, die uns das Geschehen erklären, wachsen uns über den Kopf in immer abstraktere Höhen. Sie sind selbst für Eingeweihte oft kaum mehr verständlich. Sie gewähren uns keine kognitive Heimat.

Betrachten wir zum Beispiel das Horoskop. Es ist auch im Zeitalter der wissenschaftlichen Prognose weit verbreitet und beliebt. Vielleicht gerade deshalb, weil es einer Epoche entstammt, in der man an die Verknüpfung des menschlichen Schicksals mit dem Gang der Sterne glaubte. Das Universum der Astrologie ist kein physikalisches, sondern ein hermeneutisches: voller deutbarer Zeichen. Der Himmel geht mich hier «persönlich» etwas an, er «sagt» mir etwas. Ich fühle mich zu Hause, anders als im kalten, trost- und sinnlosen Universum der Astrophysik. Wir wissen zwar heute, dass es solche astralen Verknüpfungen nicht gibt, aber wir glauben nicht, was wir wissen! – Ich nenne dies das Wissensparadoxon.
Ein anderer Grund für das Überleben falscher Ideen liegt in der «Provinzialität» unserer Alltagserfahrung. Unsere Rede von Aufgang und Untergang der Sonne ist provinziell. Wir haben ja durchaus die Botschaft des Wissens vernommen, dass dies der Standpunkt eines überwundenen geozentrischen Weltbildes sei, aber uns fehlt der Glaube. Unsere Intuition, die sich vor allem an Alltagssituationen orientiert, teilt uns wenig über die Rotation der Erde oder die Krümmung der Erdoberfläche mit. Es braucht schon ein bisschen Überlegung und genaue Beobachtungsgabe. Je mehr sich unsere Theorien von diesen Alltagsintuitionen entfernen, desto mehr verlangen sie eine Adaptation unserer Gehirne an die ungewohnten Situationen.

Lange Ablösungsphase

Hinzu tritt der Autoritätsglaube. Wir hören das Echo von Max Plancks berühmtem Diktum: «Irrlehren der Wissenschaft brauchen 50 Jahre, bis sie durch neue Erkenntnisse abgelöst werden, weil nicht nur die alten Professoren, sondern auch deren Schüler aussterben müssen.» Ein schönes Beispiel liefert der Fall der notorischen Zungenkarte. Der deutsche Physiologe David Paul Hänig fand zu Beginn des letzten Jahrhunderts heraus, dass die Zunge Geschmackszonen aufweist. Die elementaren Geschmacksqualitäten würden an entsprechenden Stellen mit «geringfügig» verschiedenen Intensitäten empfunden: süss an der Zungenspitze, bitter an der Zungenwurzel, sauer und salzig seitwärts.

Hänigs Buch wurde in den 1940er Jahren vom angesehenen amerikanischen Psychologen Edwin G. Boring ins Englische übersetzt, nur erachtete es dieser als hilfreicher, anstelle von Hänigs Diagrammen eine einfache und eingängige Karte der Geschmackszonen zu erstellen, wobei er verschwieg, dass die Unterschiede eigentlich geringfügig seien. Die Zungenkarte war geboren, ein Bestandteil der Lehrbücher bis in die 1970er Jahre.

Falsche Ideen können auch immun gegenüber der Wirklichkeit sein, weil sie die Wirklichkeit überhaupt erst schaffen helfen. Zum Beispiel die ökonomische. Nach der globalen Finanzkrise listete der australische Wirtschaftswissenschafter John Quiggin fünf «Zombie-Ideen» auf, die nun eigentlich hätten beerdigt werden müssen. Insbesondere die sogenannte Markteffizienz-Hypothese, die in einer Version besagt, dass die im Finanzsektor generierten Preise das optimale Kriterium zur Abschätzung jeder Investition darstellen, weil alle Information bereits in den Preisen enthalten ist. Genau dies wurde durch die Krise falsifiziert. Aber die Hypothese war, so Quiggin, «zu zweckdienlich, um einfach aufgegeben zu werden». Too big to fail, auch bei Ideen.

Die Kraft des Orakels

Diese Verteidigungsstrategie erinnert an das Giftorakel, das der Kulturanthropologe Edward E. Evans-Pritchard in den 1920er Jahren bei den Zande in Zentralafrika beobachtet hatte. Um eine Antwort auf eine schwierige Frage über die Zukunft zu erhalten, gibt der Wahrsager einem Huhn Gift. Je nachdem, ob das Huhn überlebt, trifft die Voraussage zu oder nicht. Die Kraft des Orakels wird nicht angezweifelt. Liegt es falsch, dann greift man zu dem, was Evans-Pritchard «sekundäre Elaboration» nennt. Man erfindet Zusatzhypothesen, vulgo: Ausreden.

Sind wir also aufklärungsresistent? Hier könnten neuere Beobachtungen Aufschluss geben, die von den Kognitionspsychologen Andrew Shtulman und Joshua Valcarel vom Occidental College, Los Angeles, gemacht worden sind. Sie konfrontierten naturwissenschaftlich unterrichtete Studenten mit einer Reihe von Aussagen aus diversen Fächern, deren Wahrheitsgehalt sie möglichst schnell und intuitiv einschätzen mussten. Die Studenten neigten oft zu älteren, überwundenen Ideen, obwohl sie eines «Besseren» belehrt worden waren. Shtulman und Valcarel kommen zum Schluss: «Wenn Studenten wissenschaftliche Theorien lernen, die früheren, naiven Vorstellungen widersprechen, was geschieht dann mit diesen früheren Ideen? Unsere Resultate legen nahe, dass naive Theorien durch wissenschaftliche Theorien verdrängt, aber nicht ersetzt werden.» Wir lernen Neues, aber verlernen Altes nicht.

Diese Erkenntnis suggeriert ein anderes Bild als jenes der Leiter. Alles Wissen ist geschichtlich. Es gleicht einem Stück Erdboden mit seinen sedimentierten Schichten; zuoberst unsere eigene Epoche, darunter frühere Lagen. In ihnen liegen die Wissensresiduen aus alter Zeit bewahrt. Wir mögen sie als Überreste eines vorwissenschaftlichen Denkens bezeichnen, aber im Sedimentmodell des Wissens gewinnen sie eine vitalere Bedeutung: Sie bilden den Grund, auf dem unser Wissen in immer luftigere und abstraktere Höhen hinaufwächst. Sie sind der notwendige geistige Humus solchen Wachstums. Aus ihm stossen immer wieder einmal Triebe an die Oberfläche und erwachen zu neuer Blüte. Ideen, welche die Vorsokratiker als reine Denkübung erwogen – die Atomhypothese oder die Viele-Welten-Theorie –, lagen Jahrtausende begraben, bis sie in den Schichten des 20. und 21. Jahrhunderts zu physikalischer «Seriosität» erwachten.

Der Fall der Homöopathie

Manchmal erheben allerdings auch Denkleichen ihr Haupt, die besser beerdigt blieben. Betrachten wir das Beispiel der Homöopathie. Besonders die Idee eines Wassergedächtnisses hat in letzter Zeit an Aufmerksamkeit gewonnen. Wasser ist eine einfache und vitale Substanz, die einen überwältigenden Reichtum von Molekülstrukturen offenbart. Das hat Forscher auf den Gedanken der Übertragung struktureller Information gebracht: Wenn nicht die Zusammensetzung, sondern die Struktur einer Substanz ihre Eigenschaften ausmacht, dann könnte es ja sein, dass die homöopathische Lösung quasi die strukturelle Information – den «Geist» – des Heilmittels eingeprägt erhält, selbst wenn sie kein einziges Molekül der heilenden Materie mehr enthält.

Das ist nun allerdings ein höchst spekulativer Gedanke, der kaum Licht in die Black Box des Schüttelns und Verdünnens von homöopathischen Elixieren bringt. In solchen Fällen dürfte ein durchdachtes Mass an «Orthodoxie» angebracht sein: Die Wirksamkeit von chemischen Mitteln hat sich auf so vielen Feldern bestätigt, dass es vielleicht doch an der Zeit wäre, die homöopathische Idee endgültig zu begraben.

Eine einfache erkenntnistheoretische Lektion erteilt sie uns dennoch: Sagen wir niemals vorschnell, eine Idee sei gestorben. Totgesagtes lebt vielleicht gerade in der Wissenschaft am längsten.

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Nota. - Was redet er denn? Ich habe es ja selbst gesehen, nicht nur einmal, sondern immer wieder: Die Sonne dreht sich um die Erde: Im Osten geht sie auf, mittags steht sie im Süden, abends geht sie im Westen unter - und am nächsten Tag dasselbe von vorn.

Ich weiß, es wird auch gesagt, in Wahrheit sei es andersrum, die Erde drehe sich um die Sonne; dass es uns umgekehrt vorkommt, läge nur an unserm zufälligen Standort hier unten; nur, weil wir selber hier leben, halten wir unsere Erde für das Zentrum. Stelle man sich aber auf den Standpunkt der Sonne, dann sei sie der Mittelpunkt.

Doch kann ich keinen Sinn darin erkennen, mich auf den Standpunkt der Sonne zu stellen. Faktisch wäre es ja gar nicht möglich, schon während der Annäherung würde mir viel zu heiß. Und was sollte ich dort auch? Da wächst ja nichts. 

Und mich in Gedanken auf den Standpunkt der Sonne zu stellen, ist ganz vollends sinnlos. Wenn ich schon in Gedanken von meinem Standort abstrahieren soll, damit ich mich nicht für den Nabel der Welt halte, dann bitte richtig und ganz und gar. Und dann belehrt mich die Wissenschaft, dass es im Weltall keinen ausge- zeichneten Ort gibt, auf den mein geistiger Standpunkt eher gehörte als auf einen andern. Wo immer ich bin - und ich kann hier so gut sein wie dort -, dreht sich der Himmel um... meinen Standort. Und alles andere dreht sich um einander: die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde, je nachdem.

Will sagen, logisch, d. h. wissenschaftlich gibt es keinen ausgezeichneten Standort für mich. Doch lassen wir die Kirche im Dorf: Im wirklichen Leben gibt es sehr wohl einen, nämlich bei uns hier unten. Wenn der Satz 'Diese dreht sich sich um jene' irgendwo in der Welt überhaupt einen plausiblen Sinn hat, dann ist es - hier. Jeder Alltagsmensch weiß das.

Herrn Kaeser scheint aber eine Welt vorzuschweben, in der die Wissenschaft an die Stelle des gesunden Alltagsverstands getreten ist. Herr Kaeser, dafür wurde die Wissenschaft doch gar nicht erfunden! Und glauben Sie mir: Mit so einer Geistesverfassung würden auch Sie hier in unserer Welt kaum vierundzwanzig Stunden heil überstehen.
JE


 

Mittwoch, 28. September 2016

Der Dank des Pinguins.

Tiere


Die Geschichte vom treuesten Pinguin der Welt

Provetá (dpa) - Das Boot schaukelt auf dem offenen Meer. Es ist nicht leicht, dieses versteckte Nest auf der Ilha Grande, einer Insel im Atlantik, zu finden.

An der Einfahrt zur Bucht steht auf einem Fels: "Bem vindo a Provetá. Jesus te ama", "Herzlich willkommen in Provetá, Jesus liebt dich". Am Strand streiten sich Geier um tote Fische.

Hier in Provetá ist man unter sich, alte Kutter rosten im kleinen Hafen vor sich hin, benannt nach Gott und Jesus, Provetá ist fest in der Hand evangelikaler Sekten. Hier soll ein pensionierter Maurer leben, João Pereira de Souza. Da es in dem sehr abgelegenen Inseldorf keinen Telefonempfang gibt, bleibt nur eine Option: hinfahren, suchen.

Denn João Pereira de Souza ist Protagonist einer recht unglaublich anmutenden Geschichte. Im Frühjahr 2011 war er am Strand unterwegs, als er plötzlich einen Pinguin dort liegen sah, verklebt mit Öl, ein Bein gebrochen, am Rücken verletzt. Dem Tod geweiht. Er nahm ihn die 50 Meter mit zu seinem Häuschen und pflegte ihn wieder gesund, er schmierte ihm den Rücken sogar mit seiner eigenen Rückensalbe ein.

Nach ein paar Monaten fuhr er mit einem kleinen Boot raus auf das offene Meer und setzte den Pinguin, den er Dindim getauft hatte, wieder aus. Doch noch ehe Pereira de Souza wieder den Strand erreicht hatte, war dort: der Pinguin. Er blieb noch einige Monate, dann schwamm er wohl zurück nach Patagonien, seine argentinische Heimat.

Aber dann folgte das Ungewöhnliche: 2012, 2013, 2014 und 2015 stand immer im Juni oder Juli Pinguin Dindim wieder am Zaun aus Bambusrohren. Er muss mehrere Wochen Tausende Kilometer hoch bis zur Ilha Grande geschwommen sein und vom Strand den Sandweg zum in der zweiten Reihe stehenden Häuschen gewatschelt sein. Es wird davon ausgegangen, dass seine Heimat rund 4000 Kilometer weiter südlich in Patagonien liegt und er daher bis zu 8000 Kilometer für den "Retter-Besuch" unterwegs sein kann. Er blieb in der Vergangenheit bis zu acht Monate, dann schwamm er wieder in andere Gefilde, der brasilianische Sommer ist dann doch zu warm. So zumindest die Geschichte. Kann das stimmen?

"Ah João Cachaça?", sagt ein Fischer, "der wohnt da hinten, neben dem roten Häuschen direkt hinter dem Strand". Cachaça ist also sein Spitzname - das ist der Schnaps mit dem Caipirinha gemacht wird. Vielleicht hat er sich die Pinguin-Erscheinung auch nur angetrunken?


Das Häuschen ist schnell gefunden. João und seine Frau sitzen auf einer Holzbank, mürrischer Blick. Ganz Provetá wirkt nicht besonders einladend, warum sollte Dindim hierhin immer wiederkommen? Dann ein Blick über den Zaun und tatsächlich: links, da steht ein Pinguin.

Durch Reporter des Senders "Globo TV" ist die Geschichte einer der ungewöhnlichsten Freundschaften publik geworden - João will eigentlich nicht darüber reden. Aber nach und nach taut er auf - und wie er mit seinem Pinguin umgeht, diese Vertrautheit, die in den nächsten Stunden zu sehen ist, lässt die Story realer erscheinen.

"Ich war mir sicher, dieses Jahr kommt Dindim nicht mehr", erzählt er. Denn erstmals seit 2011 musste er seinen Geburtstag am 24. Juli nur mit seiner Frau Creusa, ohne Pinguin, feiern. 73 Jahre ist er geworden. Doch am 1. August wachte er auf - und da stand Dindim am Zaun. "Ich liebe ihn wie meine drei Kinder", sagt João. Er hat ihm in den Vorjahren einen Ring angelegt, um ihn wiedererkennen zu können.

Der deutsche Pinguinforscher Klemens Pütz nennt die regelmäßige Wiederkehr ungewöhnlich, aber möglich. "Der Ort liegt an der Route der Magellan-Pinguine, nach dem Brüten in Patagonien schwimmen sie im Winter oft Tausende Kilometer hoch in den wärmeren Norden bis nach Brasilien", erklärt der wissenschaftliche Direktor des sogenannten Antarctic Research Trust. Sie würden nach Monaten auf See auch ihre Bruthöhle wiederfinden, daher sei die Rückkehr nach Provetá, das Finden des Hauses, realistisch - zumal sie gerne dorthin zurückkehren, wo sie sich wohlfühlen.

Ungewöhnlich sei, dass der Pinguin so lange an Land lebe. Es komme aber immer wieder vor, dass sich Pinguine in Retter oder Pfleger verliebten, auch in Zoos. Aber Dindim ist doch ein Männchen. "Da machen Pinguine keinen Unterschied", lacht Pütz.

Um seinen Schwimmweg nachvollziehen zu können, wo er sich den Rest des Jahres aufhält, soll ihm nun ein GPS-Sender eingepflanzt werden. João Pereira de Souza spricht von einem geplanten Vertrag mit einem TV-Sender. Gästen beißt der Pinguin schnell in den Finger, an seinen Retter kuschelt er sich an, der spült ihn mit Wasser ab. Dann geht es los zum Strand. Dindim, der rund sieben Jahre alt sein soll und durchaus 25 Jahre alt werden kann, schaut die Wellen an, dann watschelt er los, springt hinein, schwimmt. Nach fünf Minuten "Baden" kommt er zurück an Land und rennt gleich zum väterlichen Freund.

Sie spielen zusammen, Pereira de Souza schmiegt sein Gesicht an das von Dindim. Es sieht nach tiefer Freundschaft aus. "Er isst immer nur Sardinen", erzählt der Rentner. Und zeigt, wo er ihn 2011 aufgelesen hat. "Ich werde nie vergessen, wie ich mit dem Boot zurückkam, nachdem ich ihn im Meer ausgesetzt hatte. Er war schon da und schaute mich an."

Zwei Kinder kommen auf dem Weg zur Schule vorbei, "Dindim, Dindim", rufen sie - der zurückkommende Pinguin ist die Attraktion des sonst eher tristen Ortes, rund 170 Kilometer Luftlinie westlich von Rio de Janeiro. Mehrere Dorfbewohner bestätigen die Story.

Leider kann Dindim ja nicht sprechen - es wäre auch interessant zu erfahren, warum er sich dieses Jahr so verspätet hat. Und wo er so hin schwimmt. Wie sieht denn der Abschied aus, wenn der Pinguin wieder in kühlere Gefilde entschwindet? Das sei nichts Besonderes, erzählt Pereira de Souza. "Dindim geht einfach zum Strand und schwimmt los." 
 
Links zum Text


Nota. - An die erstaunlichsten Nachrichten über die Intelligenz bei Tieren, vor allem bei Vögeln, haben wir uns inzwischen gewöhnt. Von den vielen Kronen der Schöpfung sind wir nur die ziemlich größte. Aber dass uns nun Vögel auch in Sache große Gefühle ein- und überholen, macht mal wieder nachdenklich.
JE

Sonntag, 25. September 2016

Manches geht auch ohne Hirn.

meinekatzeundich
aus Die Presse, Wien,

Wie wissen Vierbeiner, wohin sie ihre Füße setzen?
Das Rückenmark steuert den Großteil der Bewegungen, das Hirn schaltet sich nur bei Überraschungen ein. Das ist auch beim Menschen so.

 

Ein Esel kraxelt geschickt den Steilhang einer griechischen Insel hinunter, auch die Last auf seinem Rücken bringt ihn nicht aus dem Gleichgewicht. Ein Reh fühlt sich bedroht und rast in atemberaubendem Tempo durch den Wald. Ein Steinbock springt scheinbar mühelos eine Felswand hinauf, ohne den Untergrund zu inspizieren. „Die Tiere wissen durch das sensorisches Feedback, wo sich ihre Extremitäten in Relation zur Umgebung befinden“, erklärt Christian Peham von der Vet-Med-Uni Wien.

Dabei steuern Sensoren in Haut und Muskeln die Wahrnehmung, nur ein kleiner Teil der Informationen kommt aus dem Gehirn. Der Großteil geht vom Rückenmark direkt an die Gliedmaßen. Das erlernen die Tiere von klein auf und verfeinern die Bewegungsmuster dann ihr Leben lang. „Sie wissen intuitiv, wie die Gelenksstellung im Körper ist und wie sich ihre Gliedmaßen im Raum bewegen“, sagt Peham. Forscher testeten das bei Katzen in den 1960er-Jahren in einem grausamen Experiment: Man durchtrennte das Rückenmark der Tiere. So konnte das Gehirn die Bewegung nicht mehr beeinflussen, dennoch beherrschten sie alle Gangarten.

Pferde können Stiegen steigen

Das Gehirn greife nur ein, wenn das Tempo geändert wird oder sich Überraschungen im Umfeld ergeben, erklärt Peham. Das ist auch beim Menschen so, der eigentlich trabt: So wie sich die diagonalen Beinpaare beim Pferd gleichzeitig nach vorn oder hinten bewegen, schwingen bei ihm linker Fuß und rechte Hand gleichzeitig nach vorn – und umgekehrt. Sportler trainieren die Wahrnehmung ihrer Gliedmaßen im Raum auch. Skirennläufer Ivica Kostelić soll dazu etwa in atemberaubendem Tempo über Felsen am Strand rennen. „Wenn ich erst zu denken beginne, wie eine Bewegung funktioniert, ist es auch schon zu spät“, sagt Peham – und das gelte, wenn es wirklich schnell gehen muss, für Mensch und Tier. Die Augen können dabei nur ein Stück weit kompensieren.

Fehlt der optische Reiz, lässt sich testen, ob ein Pferd sensorische Defizite hat: nämlich wenn man ihm ein Tuch über die Augen hängt und es beim Führen zur Seite driftet und keine gerade Linie halten kann. „Wir müssen ja aus dem Verhalten des Tieres auf eine Erkrankung schließen“, so Peham. Auch ob – beim Pferd etwa durch Viren verursachte – neurologische Probleme vorliegen, erkennen Veterinärmediziner, wenn es vor ihnen in Schlangenlinien eine Gehsteigkante hinauf und hinunter geführt wird: Stolpert es häufig mit den Hinterbeinen, ist das ein Hinweis darauf, dass das sensorische Feedback nicht mehr richtig funktioniert. Denn normalerweise sind Pferde geschickt: Sie können sogar Stiegen steigen.

In seiner Forschung in der Movement Science Group der Vet-Med-Uni untersucht Peham derzeit in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt, inwieweit das Pferd ein Modell für den Menschen sein kann: Dabei geht es darum, wie sich Muskelnetzwerke der Vierbeiner abstimmen. Die Erkenntnisse könnten der Humanmedizin nutzen. In weiteren Projekten wurden Vorrichtungen entwickelt, mit denen sich Böden – etwa in Ställen oder Reitanlagen – testen lassen. Denn auch wenn sich die Tiere geschickt über Stock und über Stein bewegen, müssen die Bedingungen in Sport und Haltung doch dauerhaft passen.

Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com


Nota. - Das Gehirn wird immer dann in Anspruch genommen, wenn etwas Ungewohntes geschieht - ins- besondere, wenn eine Lösung für ein neues Problem nötig wird. Dann ist offenbar unser Bewusstsein ge- fordert. Aber zwischen der mechanischen, automatischen Reiz-Reaktions-Kette. die Rückenmark und Mus- kulatur verbindet, und dem bewussten Problemlösen liegt offenbar ein weites Feld von Handlungen, wo 'unterschwellige' Wahrnehmungen auf einer vor-bewussten Stufe vom Hirn 'verarbeitet' werden, ohne das Oberstübchen des 'klaren und bestimmten' Denkens in Anspruch zu nehmen. Also etwa Autofahren, Klavier- spielen, Maschineschreiben, Lieder singen... Lässt sich da eine Grenze ziehen, oder hat es gar keinen Sinn, eine Grenze überhaupt ziehen zu wollen?
JE

Freitag, 23. September 2016

Wenn Pferde Symbole verwenden.

Pferde sind gute Beobachter – und lernen schnell, abstrakte Symbole zu unterscheiden und zu nutzen.
aus scinexx

Pferde können über Symbole kommunizieren 
Direkte Kommunikation könnte Pferdehaltung verbessern 

Pferdeflüsterer überflüssig: Pferde lernen verblüffend schnell, über abstrakte Symbole mit uns zu kommunizieren. Im Experiment zeigten sie beispielsweise durch Stups auf das passende Symbol an, ob sie eine Decke wollten oder ihre Decke loswerden wollten. Pferde können demnach nicht nur abstrakte Symbole unterscheiden lernen, sie begreifen auch, dass sie ein Mittel zur Kommunikation sein können. Das könnte die Pferdehaltung verbessern. 

Pferde sind gut darin, subtile Signale zu interpretieren. Sie erkennen so die Stimmung ihrer Artgenossen und können sogar unseren Gesichtsausdruck erkennen und interpretieren. Reitpferde lernen zudem, die Hilfen ihres Reiters zu verstehen. 

Senkrechte und waagerechte Balken 

"Traditionell ist dieses Training aber immer mit der Kommunikation in nur einer Richtung verbunden: vom Mensch zum Pferd", erklären Cecilie Mejdell vom Norwegischen Veterinärinstitut in Oslo und ihre Kollegen. Sie haben nun untersucht, ob Pferde auch lernen können, gezielt mit uns zu kommunizieren. 

Für ihr Experiment trainierten die Forscher 22 Freizeitpferde verschiedenster Rassen zunächst darauf, drei verschiedene Symbole zu erkennen und zu unterscheiden: einen senkrechten schwarzen Balken, einen waagerechten Balken und ein leeres weißes Feld. Dann lernten die Pferde, dass ihnen beim Schnauzenstupser auf den senkrechten Balken die Decke abgenommen wurde, beim waagerechten Balken bekamen sie eine Decke übergeworfen. Das weiße Feld stand für "keine Veränderung".
 
So ungefähr sahen die Symbole aus, die die Pferde benutzten.
So ungefähr sahen die Symbole aus, die die Pferde benutzten.
Decke an oder aus?

Jetzt folgte der entscheidende Test: Die Pferde wurden wie üblich tagsüber auf die Weide gelassen und die Biologen beobachteten, was nun geschah. Würden die Pferde die Schilder nutzen, um ihre Bedürfnisse mitzuteilen? "Wenn die Pferde die Bedeutung des Symbols und ihre Funktion als Kommunikationsmittel verstehen, müssten sie je nach Wetter unterschiedlich reagieren", sagen Mejdell und ihre Kollegen.


Und tatsächlich: An heißen Sommertagen stupsten alle 22 Pferde gezielt das Symbol mit dem senkrechten Balken an. An zwei Tagen mit Dauerregen und kaltem Wind wählten dagegen 20 der 22 Pferde das Symbol mit dem waagerechten Balken und signalisierten damit: Ich möchte eine Decke bekommen".

Direkte Kommunikation

Nach Ansicht der Forscher belegt dies eindeutig, dass Pferde nicht nur abstrakte Symbole unterscheiden können. Sie begreifen auch schnell, dass diese Symbole ein Mittel zu Kommunikation sein können. "Die Pferde nutzten ihre Erkenntnis dazu, um ihre Vorliebe bezüglich der Decken zu kommunizieren", so Mejdell und ihre Kollegen. "Sie hatten erkannt, dass sie so je nach Wetter ihren Komfort erhöhen oder beibehalten können."

 Diese Fähigkeit scheint zudem nicht auf bestimmte Rassen oder besonders talentierte Individuen beschränkt: Im Experiment lernten alle Pferde, die Symbole zu nutzen, wie die Forscher berichten. Warmblüter schafften es zwar etwas früher als Kaltblüter, aber am Ende teilten alle Pferde ihre Bedürfnisse über die abstrakten Zeichen mit.

 Die Forscher hoffen, dass ihre Studie dazu führt, dass künftig auch andere diese Chance nutzen, um mit den Pferden zu kommunizieren und sie gezielt nach ihrem Wohlbefinden oder ihren Bedürfnissen zu fragen. (Applied Animal Behaviour Science, 2016; doi: 10.1016/j.applanim.2016.07.014)

(Applied Animal Behaviour, 23.09.2016 - NPO)  

Nota. - Dass domestizierte Pferde die ihnen von Menschen vorgegebenen Symbole verstehen und verständig verwenden können, ist eins. Es ist bemerkenswert genug. Es bedeutet nicht, dass Pferde "von Natur" dazu fähig sind, Symbole zu erfinden; denn dazu müssten sie zuerst eine Bedeutung aus einere kokreten Situation heraus- und vom Zeitmoment ablösen und sie an ein beliebig gewähltes zeitloses Zeichen anheften. Das wäre eine ganz neue Welt.
JE 

Dienstag, 20. September 2016

Geschichte der Kybernetik.


 
aus nzz.ch,14.9.2016, 05:30 Uhr                                                  Norbert Wiener

Thomas Rids Geschichte der Kybernetik
 
Der unaufhaltsame Aufstieg der Maschinen 
Der am Londoner King's College lehrende Cyber- und Sicherheitsexperte Thomas Rid erzählt in einem neuen Buch die Geschichte der Kybernetik seit ihren Anfängen – leider nicht bis heute.

von Oliver Pfohlmann 

Digitale Doppelgänger bekannter realer Phänomene werden gern mit der Vorsilbe «Cyber-» versehen: Cybergeld, Cyberkrieg, Cybersex. Mehr als dreissig Jahre ist es her, dass William Gibson in seiner Kurzgeschichte «Burning Chrome» den «Cyberspace», die virtuelle Realität, erfand, und noch immer klingt dieses Präfix nach Science-Fiction. Anders als die Wissenschaft, von der es sich ableitet, die Kybernetik. Sie lässt heute allenfalls an turnhallengrosse Rechner mit wild blinkenden Lämpchen denken oder an verrückte Wissenschafter vom Typ Dr. Seltsam wie in Stanley Kubricks berühmter Satire auf den Kalten Krieg von 1964. 

Ursprung im Krieg

Tatsächlich liegen die Wurzeln dieser Wissenschaft in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, als der amerikanische Mathematiker Norbert Wiener (1894–1964) Probleme der automatischen Zielerfassung bei der Flugabwehr zu lösen versuchte. Allerdings erfolglos, wie Thomas Rid in seiner Studie «Maschinendämmerung» konstatiert. Trotzdem entwickelte Wiener aus seinen Ideen über Kontrolle, Steuerung und Rückkopplungsschleifen eine wirkmächtige Theorie, die für Maschinen ebenso wie für lebende Organismen gültig sein sollte und deren Veröffentlichung ihn 1948 berühmt machte.

Eine revolutionäre, interdisziplinäre Grundlagenwissenschaft, von der sich eine ganze Wissenschaftergeneration anregen liess.

Die Kybernetik präsentierte sich als revolutionäre, interdisziplinäre Grundlagenwissenschaft. Bald liess sich eine ganze Wissenschaftergeneration von ihr anregen, Vordenker des US-Militärs wie der Mathematiker John von Neumann, Biologen wie Ludwig von Bertalanffy, Anthropologen wie Gregory Bateson oder Soziologen wie Talcott Parsons. Aber auch der Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, der in Wieners Theorie das perfekte Werkzeug zur Bewusstseinskontrolle gefunden zu haben glaubte. Der entsetzte Norbert Wiener freilich habe Hubbards «Dianetik» mit Voodoo und Mesmerismus verglichen, so Rid.

Weil der Autor den Fokus auf die Entwicklung in den USA legt, erfährt man aus seiner mit knapp 500 Seiten gar nicht einmal so kurzen «kurzen Geschichte der Kybernetik» leider nichts über die Grossversuche in den sechziger und siebziger Jahren, mittels kybernetischer Einsichten ganze Gesellschaften zu steuern – wie in Chile, wo Salvador Allende mit dem Projekt «Cybersyn» die Wirtschaft zentral in Echtzeit kontrollieren wollte; jüngst nachzulesen in Sascha Rehs Roman «Gegen die Zeit». Davon abgesehen liefert Rids Studie eine eindrucksvolle und spannend zu lesende Sammlung von Beispielen dafür, welche utopischen und dystopischen Visionen, welche Hoffnungen und Ängste sich an Wieners «allgemeiner Maschinentheorie» entzündeten. Schon Norbert Wiener selbst rätselte, ob die Maschinen den Menschen befreien oder nicht doch eines Tages unterjochen würden.

Zwei «Muster»

Zwei «Muster» prägten nach Rid die Geschichte der Kybernetik: Da ist zum einen der wiederkehrende Zyklus vom «Aufstieg und Fall der Maschinen». Ein ums andere Mal sei die Phantasie den realen technischen Möglichkeiten weit voraus gewesen: Schon 1960 träumte man vom Einsatz von Cyborgs, Mischwesen aus Mensch und Maschine, auf dem Mond, konnte aber nur Laborratten maschinell gesteuerte Injektionspumpen implantieren. Nicht anders die Visionen der Militärs: 1964 konstruierte General Electric den fünfeinhalb Meter hohen «Pedipulator», mit dem ein GI wie ein «Star Wars»-Walker durch den Dschungel von Vietnam hätte stapfen können – wäre die zweibeinige Laufmaschine nicht von einer Nabelschnur für die Hydraulikflüssigkeit abhängig gewesen.

Das zweite Muster findet Rid in dem bis heute schwelenden Konflikt zwischen den Think-Tanks der Militärs an der Ostküste und den von libertär-anarchischen Utopien getriebenen, vor allem in Kalifornien beheimateten Computer-Aktivisten. Seit den sechziger Jahren entdeckte die Gegenkultur mehr und mehr die technologischen Möglichkeiten für sich. So verglich der Hippie-Guru Timothy Leary die ersten «Personal Computer» trotz ihren – von heute aus gesehen – limitierten technischen Möglichkeiten mit bewusstseinserweiternden Drogen und träumte von «Cybernauten». Und der Grateful-Dead-Sänger Jerry Garcia orakelte über die PC: «LSD haben sie verboten. Wird interessant sein zu sehen, was sie damit machen.»

Für Rid, der die Geschichte der Kybernetik schlüssig in sieben historischen Entwicklungssträngen bündelt, ist Wieners Theorie nicht nur «eine der folgenschwersten und zentralsten Ideen des 20. Jahrhunderts». Ihr Vermächtnis werde auch im 21. Jahrhundert eine, und sogar noch gewichtigere, Rolle spielen, behauptet der am Department of War Studies am Londoner King's College lehrende Cyber- und Sicherheitsexperte. Warum das aber so sein soll – diese Antwort bleibt der Autor seinen Lesern leider schuldig, endet seine Studie doch just mit der Jahrtausendwende und blendet somit weitgehend die rasante Entwicklung der letzten anderthalb Jahrzehnte aus.

Und die NSA?

Es ist dies ein Defizit seiner Darstellung, das sich etwa beim Thema Cyber-Security bemerkbar macht: So spielt zwar Rid in seiner Einleitung auf Edward Snowdens Enthüllungen zumindest kurz an. Aber das entsprechende Kapitel über das mit der zunehmenden Vernetzung der Computer seit den achtziger Jahren entstandene Problem der Datensicherheit endet mit den «Moonlight Maze»-Ermittlungen des FBI gegen eine Gruppe russischer Hacker Ende der neunziger Jahre – mit einem Fall also, bei dem die USA zum Opfer ausländischer Datenspione wurden. Kein Wort darüber, dass die NSA inzwischen selbst die weltweit wohl grösste Hacker-Organisation darstellt. Selbst neue Techniken des Cyberkriegs wie Stuxnet – ein 2010 entdeckter Computerwurm, der, wie Experten vermuten, gezielt zur Sabotage iranischer Atomanlagen programmiert wurde – lässt der Autor rätselhafterweise unerwähnt.

Tatsächlich wird Rids erstes und wichtigstes «Muster» von der Gegenwart inzwischen schlicht widerlegt: Denn das meiste von dem, wovon Zukunftsforscher oder die ersten Internetaktivisten träumten und wovor Technikskeptiker warnten, gibt es inzwischen; zwar noch keine Cyborgs à la «RoboCop», aber Virtual-Reality-Brillen für jedermann, digitales, von den Zentralbanken unabhängiges Kryptogeld oder selbstfahrende Autos. Sogar der erste von einem Roboter getötete Mensch wurde jüngst vermeldet. Daher zeigt die Geschichte der Kybernetik gerade nicht, dass die utopischen Versprechen und dystopischen Befürchtungen gleichermassen «überzeichnet» wären, weil sich die neuen Technologien nicht einstellen wollten, wie Thomas Rid behauptet. Sie sind längst da – die Realität hat die Phantasie eingeholt.

Thomas Rid: Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen, Berlin 2016. 494 S., Fr. 31.90.

Sonntag, 18. September 2016

Was hat die Liebe mit Sex zu tun?

A. Canova, Eros
aus nzz.ch, NZZ am Sonntag, 18.9.2016, 10:05 Uhr

Sexualität
Was hat Sex mit Liebe zu tun?
In der Antike nur lose verbunden, rückten Sex und Liebe, zuerst durch die Kirche, dann durch die Romantik, immer enger zusammen. Doch haben diese Deutungsmuster heute noch Gültigkeit? 

von Martin Helg 

Was Sex und Liebe miteinander zu tun haben? Nun, eigentlich kann die Liebe dem Sex gestohlen bleiben. Er war auf jeden Fall zuerst da. Ihm verdanken wir unsere Existenz, nackt steht er am Anfang. Alle wissenschaftlichen Versuche, Sex und Liebe in einem natürlichen Zusammenhang zu sehen, sind Spekulation geblieben. Was also hat Sex mit Liebe zu tun?



Wenig in Sachen Biologie, viel, wenn es um das psychische Erleben geht. Immerhin reden wir von «Liebe machen»! Betrachtet man die Wertvorstellungen, die unsere Gefühle und Verhaltensmuster quer durch die Epochen bestimmt haben, zeigt sich, dass sich die beiden ungleichen Geschwister in weiten Bögen aufeinander zu bewegen – bis sie sich endlich, im heiligen Ideal der romantischen Liebesbeziehung, auf ewig vereinigen.

Erkenntnis im Bett

Nicht einmal die Errungenschaften der sexuellen Revolution, die der Lust heute ein autonomes Existenzrecht einräumen, konnten den Siegeszug der Romantik stoppen; dem wachsenden Erlebnisangebot der One-Night-Stands, der Prostitution und Pornografie zum Trotz sind Sex und Liebe heute untrennbar miteinander verknüpft. Ihre Exklusivität bildet die Grundlage der Paarbeziehung, seit Familie, Gesellschaftsschicht und Religion ihre Bestimmungsmacht auf diesem Gebiet verloren haben.

Soziale Faktoren wie Status oder Bildung spielen zwar nach wie vor eine Rolle, aber je individualistischer die Menschen organisiert sind, desto unbedeutender sind diese Faktoren. Als Basis einer allein durch sich selbst legitimierten Gefühlswahl wird stattdessen die körperlich konkrete Person immer wichtiger, ihr Charakter, ihr Aussehen und das, was wir als «erotisches Kapital» bezeichnen.

Sex – so der Befund einflussreicher Soziologen wie Eva Illouz und Anthony Giddens – ist zu dem bestimmenden Faktor zeitgenössischer Beziehungen geworden. Fehlt er, hat die Beziehung – und damit letztlich auch die Liebe selbst – ein Rechtfertigungsproblem.

Wie konnte der Sex so viel Macht erlangen? Es ist das Konzept der romantischen Liebe, um 1750 von europäischen Dichtern und Denkern erfunden und seither kontinuierlich modernisiert, das die ungleichen Geschwister erstmals in einem «Gesamtpaket» anpries. Es setzte sich gegen die ständische Vernunftehe durch, in der das kalte Kalkül regierte und die Macht der Mächtigen durch Zweckbündnisse festigte.

Ein revolutionärer Geist durchwehte das neue Ideengebäude deshalb vom ersten Tag an – und hat sich bis heute nicht daraus verzogen, obwohl der romantische Imperativ längst seinerseits despotisch regiert. «Manche würden sich nicht verlieben, wenn sie davon noch nie gehört hätten», schrieb im 17. Jahrhundert der Schriftsteller François de La Rochefoucauld.

Dieser Eventualität stellten sich die grossen Werbeagenturen der Romantik mit Entschlossenheit entgegen: der bürgerliche Roman und später die von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auf diesen Namen getaufte «Kulturindustrie». Legionen von Groschenromanen und Liebesfilmen singen das Lied der monogamen Liebe, Samtkissen in Herzform, auf die die Partner nachts ihre Köpfe betten, schliessen das Postulat mit den Körpern kurz.

So weit schon hat es sich unseres Denkens und Fühlens bemächtigt, dass wir Sex nicht mehr als Medium der Lust, sondern der Selbsterkenntnis begreifen, «als sei es wesentlich für uns, aus diesem kleinen Bruchstück unserer selbst auch Wissen zu ziehen», wie Michel Foucault im raunenden Duktus schreibt: «Zwischen einem jeden von uns und unserem Sex hat das Abendland eine unaufhörliche Wahrheitsforderung gespannt.»

Wo es aber um Wahrheit geht, ist die Religion nicht weit. «Sex ist zum Gegenstand einer grossen Predigt geworden, der die Tradition des theologischen Predigens ersetzt», diagnostiziert Anthony Giddens.

«Du darfst ein Mädchen umarmen, aber du musst eingestehen, 
dass es eine Sünde war.»

Dass Sex und Liebe dereinst zum goldenen Kalb verschmelzen würden, darauf deutete lange Zeit wenig hin. Die alten Griechen unterschieden zwischen der Liebe zum Körper und jener zur Seele und werteten die Liebe zur Seele höher.

In der Erzählung der Ilias, an deren Beginn der Raub einer sexuell begehrenswerten Frau steht, geht die Liebe vor lauter Machtpolitik vergessen, während im Nachfolge-Sequel, der Odyssee, der Held seinen Status festigt, indem er Gefühlsangebote zurückweist. Kalypso, die ihn als Sexsklaven in ihrer Höhle hält, verlässt er; mit Kirke, die seine Gefährten in Schweine verwandelt, handelt er eine Immunitätsklausel aus; und mit zugestopften Ohren segelt er an den singenden Sirenen vorbei.

Nicht dass die Antike prüde gewesen wäre. Sex in allen Formen sei damals eine Art «Niesen mit dem Unterleib» gewesen, schreibt der Historiker Kyle Harper. Nur als Ausdruck von Liebe wurde er vermutlich weniger verstanden. Die Liebeslyrik eines Catull oder Horaz oder die «Ars amatoria» Ovids gelten unter Spezialisten eher als Gegenentwurf zu einer unromantischen Wirklichkeit, in der sogar die Familie mehr Geschäfts- als Gefühlsverbund war und Ehefrauen durch Prostitution zum Haushaltseinkommen beitrugen.

Schon in der Antike offenbart sich zudem ein chronisches Strukturproblem, das dem freien, von Liebe geleiteten Gebrauch der Lust bis ins 20. Jahrhundert hinein entgegensteht: die Unterdrückung der Frauen durch die Männer. Sex in der Ehe diente der Fortpflanzung, zur weiteren Befriedigung boten sich den Männern – und nur ihnen! – Sklavinnen und Prostituierte an. Oder die Knabenliebe, bei der Jünglinge ihre Gunst im Tausch gegen Weisheit gewährten.

Später hob die Kirche die Frau auf den Sockel der Marien-Ikonografie, um sie gleichzeitig von institutionellen Entscheidungen auszuschliessen. Und so weiter. Die über lange Zeit währende Macht-Asymmetrie auch in sexueller Beziehung gleicht erst die Frauenemanzipation aus. Sie ging für die Frauen mit einem Mehr an Privilegien und für die Männer mit einem Verlust von solchen einher.

Geist gegen Materie

Doch lange bevor es so weit war, ordnete erst einmal das Christentum die Lüste und Gefühle neu. Der Philosoph Michel Foucault konnte anhand der Religion, die wie keine zweite Ideologie den abendländischen Wertekanon prägte, seine «Repressionshypothese» veranschaulichen. Sie besagt, dass die Regulierung bzw. Unterdrückung der Sexualität zu allen Zeiten der Machtfestigung gedient habe.

Den Kirchenvätern gelang dies in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, indem sie die Ideale der Jungfräulichkeit und der Enthaltsamkeit postulierten und mit Tertullian um 200 auch die «Erbsünde», die den Menschen zum Sünder von Geburt an erklärt. Ergänzend boten sie den Gläubigen die Erlösung vom Teufel durch das Eingeständnis ihrer Schuld an. «Das Christentum ist im Wesentlichen die Religion der Beichte», schreibt Foucault.

Dass Luther später das katholische Buss-Institut zerlegte und den Sündenablass verbot, bedeutete in sexueller Hinsicht auch keine Befreiung. Im Gegenteil: Indem der Reformator die Strafgerichte aus den Kirchen in die Köpfe der Gläubigen verlegte, verewigte er deren Gewissensqualen. Wer konnte ihnen jetzt noch Absolution erteilen?

Heinrich Heine: «Luther hatte nicht begriffen, dass der Katholizismus ein Konkordat war zwischen Gott und dem Teufel, d.h. zwischen dem Geist und der Materie, wodurch die Allgemeinherrschaft des Geistes in der Theorie ausgesprochen wird, aber die Materie in den Stand gesetzt wird, alle ihre annullierten Rechte in der Praxis auszuüben. Du darfst ein schönes Mädchen umarmen, aber du musst eingestehen, dass es eine schändliche Sünde war.»

Im Morgengrauen der Neuzeit hatte sich der Sex im Unterholz der Schuld verlaufen. Und was machte unterdessen die Liebe? Sie brauchte noch ein wenig Zeit. Lange war sie den Göttern vorbehalten gewesen, die sich stellvertretend für die Menschen als Individuen gebärdeten und ihre Spielchen trieben. Die Sterblichen waren derweil damit beschäftigt, den Erfordernissen des Kollektivs zu genügen. Vielleicht befreundeten sie sich da und dort, vielleicht pflegten sie die Nächsten-, Gottes- oder Gattenliebe.

In der antiken Liebeslyrik und später im Minnesang nahm die Liebe eine erotische Färbung an. Aber auch hier waren die Spielregeln – meist wenden sich Männer an unerreichbare Frauen – mehr von der sozialen Norm geprägt als vom Subjekt und seinem Gefühl. Und doch haben die Dichter der Romantik vorgespurt.

Der Soziologe Niklas Luhmann interpretiert die von den Troubadouren besungene «höfische Liebe» als Prozess der Konzentration: «Die alte Differenz von häuslicher Reproduktion und Liebesaffären ausserhalb wird nicht beseitigt, aber überformt durch die Idee einer grossen Liebe, die einer und nur einer Frau gilt.»

Weiter diagnostiziert Luhmann eine Grenz-Auflösung zwischen Körper und Geist – jenes folgenreichen, auf Platon zurückgehenden Dualismus, der der christlichen Körperfeindlichkeit zugrunde lag. Schritt für Schritt – und vorerst nur im gebildeten Adel – bahnte sich die Versöhnung von Geschlechtslust und seelischer Freundschaft an, die schliesslich durch die Erfindung der romantische Liebe geheiligt werden sollte.

Der erste Blick zählt

Die Voraussetzungen dafür schuf die gesellschaftliche Gesamterneuerung des 18. und 19. Jahrhunderts. Die grossen politischen Revolutionen besiegelten den Untergang der ständischen Ordnung, in den industriellen Produktionszentren formulierte das Bürgertum seinen Machtanspruch.

Dem öffentlichen Raum des Hofes setzte es den privaten der Familie entgegen, der kollektiven Sitte das individuelle Gefühl. Das intellektuelle Programm dazu lieferten Künstler und Dichter wie William Turner, William Wordsworth oder Jane Austen in England, Novalis, Eichendorff, die Brüder Schlegel oder Caspar David Friedrich in Deutschland.

Zunächst war der romantische Liebesdiskurs eine elitäre, auf Transzendenz und Todessehnsucht gestimmte Schwärmerei. Doch in der Rezeption durch das Bürgertum – beginnend mit Goethes Bestseller «Die Leiden des jungen Werthers» – festigte er sich zum praktikablen Beziehungsmodell, in dem Sexualität, leidenschaftliche Liebe und Freundschaft einen Verbund bildeten.

Ihren Platz fand die romantische Liebe in der Ehe, zu deren notwendiger Voraussetzung sie wurde: Das Konzept der Liebesheirat war geboren. Es bezog zwar zunächst materielles Abwägen ein, blieb standesgemäss und kirchlich beglaubigt, setzte aber mit dem Primat des Gefühls das Strategiedenken des Adels ausser Kraft. Ein Neubeginn!

Und das war’s dann mit der Freiheit bis zum heutigen Tag – für den Sex wie für die Liebe. Sie sind nie wieder voneinander losgekommen. Zwar emanzipierte sich die romantische Liebe von der Ehe, aber der Rückbezug auf Sex und Gefühl blieb.

Ebenso der spirituelle Fluchtpunkt: Emile Durkheim, Mitbegründer der Soziologie, beschrieb die Liebe vor hundert Jahren als Nachfolgerin des Heiligen und Verkörperung des Ausseralltäglichen auf Erden, der Bestsellerautor Alain de Botton stellt heute die gleiche Diagnose auf der Website seiner philosophischen Bildungsanstalt «School of life»: «Ein Idealismus, der zuvor Göttern und Geistern galt, richtet sich nun auf die Menschen.»

Mit zum Gesamtpaket gehört der vom Christentum übernommene sexuellen Exklusivitätsanspruch. Unabhängig vom religiösen Begründungszusammenhang versteht die Romantik Treue als konstitutives Element der Liebe. Im Gegenzug verspricht sie die Erfahrung einer Seelenverwandtschaft, die sich im Idealfall schicksalshaft auf den ersten Blick kundtut – «across a crowded room», wie es im Englischen heisst, über die «tiefen Blicke », von denen Goethe schreibt.

Romantische Liebe ergreift uns, wir fühlen uns ihr gegenüber machtlos. Paradoxerweise halten wir sie für umso wahrhaftiger, je sorgloser sie sich über soziale Gegebenheiten hinwegsetzt. Als Folge davon hält sie dem Alltag selten unbeschädigt stand. «Ich glaube nicht, dass Liebe etwas ist, das in natürlicher Weise mit der Zubereitung des Frühstücks, dem Wäschewaschen und solchem Zeug in Einklang zu bringen ist», sagt eine Frau in Eva Illouz’ soziologischem Liebes-Klassiker «Der Konsum der Freiheit».

Schon der bürgerliche Roman des 19. Jahrhunderts beschreibt dieses Dilemma, wobei damals vor allem für die wirtschaftlich abhängigen Frauen viel auf dem Spiel stand: Effi Briest, Emma Bovary und Anna Karenina opfern ihre Ehen, um dem Ruf ihres Herzens zu folgen. Symbol ihrer emotionalen Untreue ist jeweils die sexuelle – das Zweierticket von Sex und Liebe wird für alle drei Frauen zum sozialen Verderben.

Seit Antibabypille, Feminismus und sexuelle Revolution die letzten gesellschaftlichen Hemmnisse aus dem Weg geräumt haben, hat sich die Diktatur der romantischen Idee noch verschärft. Die Vorstellung, ihr nicht zu entsprechen, ist heute das, was früher die Sünde war – Beziehungen scheitern daran. Und so fehlt es denn nicht an Versuchen, die ungleichen Geschwister Sex und Liebe wieder voneinander zu trennen.

Zuerst zielten diese darauf ab, den Sex aus seinem Gefängnis zu befreien. Die 68er, die nebenbei viel zur Gleichberechtigung der Frauen beitrugen, propagierten die «freie Liebe». Doch allein schon der missverständliche Kampfbegriff zeugt von der Schwierigkeit, vom romantischen Projekt loszukommen. Nur die Speerspitze der Tapfersten lebte sich unbeschwert aus, der Rest der Kommunarden soll sich in Eifersucht verstrickt haben.

Abschaffung missglückt

Seit sich der Sex seine autonome Existenzberechtigung zurückerkämpft hat, muss er sich der romantischen Liebe im freien Wettbewerb stellen – ein Vergleich, der nicht zu seinen Gunsten ausfällt. Statt das Augenmerk weiter auf den Sex zu legen, knöpfen sich neue Diskurse und Praktiken deshalb eher die Liebe vor.

Eva Illouz versucht, diese auf ihre kulturelle und kommerzielle Konstruiertheit hin transparent zu machen, wobei sie sich hütet, das goldene Kalb zu schlachten. Stattdessen ruft sie dazu auf, den Alltag samt Kinderaufzucht in eine romantisch unbelastete WG zu verlagern, um das Liebesprojekt zu entlasten.

Andere versuchen das Problem zu lösen, indem sie angesichts einer promisken Wirklichkeit «das Ende der Liebe» proklamieren – der Autor Sven Hillenkamp tat dies in seinem gleichnamigen Sachbuch. Durch solche Diagnosen ist die romantische Idee aber so wenig zu erschüttern wie die Gottessehnsucht durch Nietzsches altes Diktum «Gott ist tot».

Das heilige Ideal des sexuell konnotierten, aber den ganzen Menschen erfassenden Gefühls, bei Novalis einst «blaue Blume» genannt, bleibt, es sucht sich nur neue Namen: offene Beziehung, sexpositiver Feminismus, serielle Monogamie, Polyamorie.

Das Vokabular der Beziehungsformen kennt seit einiger Zeit auch den Fachausdruck «Friends with benefits». Er steht für Sex mit Freunden, der frei ist vom Erfolgsdruck des romantischen Projekts und deshalb so entspannt und tolerant bleibt, dass die Freundschaft keinen Schaden nehme. Es klingt nach einer praktikablen Beziehungsform. Oder lauert hier irgendwo schon wieder Amor?


Nota. - Es gibt Menschen, die meinen, sie könnten ohne Sex nicht leben. Doch könnten sie es, wenn es numal nicht anders ginge, wahrscheinlich doch. Tatsächlich würden die meisten Menschen ohne Liebe nicht leben können. Den Sex braucht der Mensch als Gattungswesen, Liebe braucht er als Individuum. Doch selbst die Gattung könnte den Sex durch Reproduktionstechnik erübrigen. Dadurch stürbe er ver- mutlich nicht gleich aus. Aber er würde zu einer Marotte wie die Lust auf Süßes oder auf saure Gurken.

Die Liebe bliebe davon unbeschädigt, denn sie ist eine Leidenschaft. Das ist ein Wort, das im obigen Text gar nicht vorkommt. Gefährlich ist eigentlich sie, nicht der Sex, den gibt es safer. Das ist wohl der Grund, weshalb die neueste Prüderie ihn der Liebe vorzieht. Fortleben des romantischen Liebesdiktats, Herr Helg? Ich beobachte vielmehr seit einem halben Jahundert die Allgegenwart der Pornographie. Brunst ist keine Leidenschaft, sondern ein bloßes Bedürfnis. Gescheite Leute nehmen damit vorlieb. 
JE