Montag, 30. Oktober 2017

Risiko ist Charaktersache.

 aus derStandard.at, 30. Oktober 2017, 12:03

Risikobereitschaft ist in der Persönlichkeit verwurzelt
Befragungen und Verhaltensexperimente mit 1.500 Probanden hinterfragen bisherige Untersuchungen

Basel – Auch wenn die menschliche Risikofreude je nach Situation schwankt, die Grundeinstellung zu Risiken dürfte ein stabiles psychologisches Merkmal sein, etwa vergleichbar mit dem Intelligenzquotient. Zu diesem Schluss kamen nun Basler Forscher zusammen mit deutschen Kollegen.

"Zwar gehen viele Forschende davon aus, dass es eine Risikodisposition gibt, aber wir haben den Nachweis dafür mit einer deutlich größeren Anzahl von Probanden und Messmethoden erbracht als frühere Studien", erklärte Jörg Rieskamp von der Uni Basel. Im Rahmen der vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützten Studie befragten und testeten die Forscher um Rieskamp über 1.500 Probanden.

Mehrfache Tests

Die Wissenschafter befragten die Teilnehmenden zum einen über ihr Risikoverhalten in hypothetischen Szenarien sowie ihr Verhalten im Alltag. Zum anderen ließen sie Verhaltensexperimente durchführen, wie die Schweizer Forscher gemeinsam mit Experten vom Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung in Berlin am Montag mitteilten. Insgesamt absolvierten die Probanden 39 Tests.

Nach sechs Monaten wiederholten die Wissenschafter die Untersuchung mit 109 der Teilnehmenden, um festzustellen, wie stabil die Ergebnisse über die Zeit waren. "Mit statistischen Methoden konnten wir nachweisen, dass es einen übergreifenden Faktor der Risikobereitschaft gibt, der einen großen Teil des individuellen Verhaltens erklärt", so Rieskamp. "Zusätzlich gibt es aber je nach Situation Schwankungen."

Unzuverlässige Verhaltenstests

Die Untersuchung förderte zudem eine Schwachstelle von Verhaltenstests zutage, die von vielen Verhaltensökonominnen und Psychologen meist als zuverlässiger betrachtet werden als Selbstauskünfte. Bei solchen Tests geht es beispielsweise darum, durch risikofreudige Spieleinsätze einen finanziellen Gewinn zu maximieren, oder sich mit einem kleineren Gewinn zu begnügen, den man aber mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit erhält.

"Viele argumentieren, in den Tests beobachte man tatsächliches Verhalten", so Rieskamp. "Unsere Studie mit vielen verschiedenen Tests hat aber gezeigt, dass sie je nach Versuchsaufbau zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen kommen können. Die gleiche Person wird je nach Test als risikoscheu oder als risikofreudig eingestuft." Die Selbstauskunft zum Verhalten im Alltag und zu theoretischen Szenarien lieferten in der neuen Studie hingegen ein konsistenteres Bild.

"Unsere Arbeiten sind ein Weckruf, die verschiedenen Messtraditionen zu hinterfragen und insbesondere besser zu verstehen, was genau die Verhaltenstests eigentlich messen", sagte Studienautor Ralph Hertwig vom MPI. "Sie scheinen jedenfalls keine situationsübergreifende Risikopräferenz zu erfassen." Die Entdeckung, dass es eine solche gibt, erlaube nun auch, die biologischen Grundlagen von Risikobereitschaft zu untersuchen, wie die Forscher in den Fachjournalen "Science Advances" und "Nature Human Behaviour" schreiben. (APA, red,)

Nota. - Dass Risikobereitschaft und Unternehmungslust tief im Charakter begründet sind, hätte man ohnehin vermutet und frühere Tests haben es bestätigt. Bemerkenswert an dieser Studie ist darum dies: dass Tests weniger zuverlässig sind als Selbstauskünfte. Da würde man doch gerne wissen: Gilt das bloß für die Risikofreudigkeit, oder ist es eine allgemeine Regel? Letzteres wäre eine kleine Revolution in der Verhaltungsforschung.
JE 

Sonntag, 29. Oktober 2017

Der Gegenstand der Naturwissenschaft ist nicht natürlich.


In der Neuen Zürcher vom 3. August d. J. versöffentlichte Hans-Jörg Rheinberger unter der Überschrift Wissenschaften sind veränderliche Kulturtechniken einen Essay über das Verhältnis von Naturwissenschaft und ihren kulturellen Bedingungen. Der Eingangssatz: "Die Objekte naturwissenschaftlicher Forschung sind nichts Natürliches".

Die Rede von den zwei Kulturen und der Überwindung ihrer Grenzen ist ein Dauerthema seit fünfzig Jahren. So formulierte es der vielzitierte – aber wenig gelesene – C. P. Snow 1959: «Literarische Intellektuelle auf der einen Seite – auf der andern Wissenschafter, und als die repräsentativsten unter ihnen die Physiker. Zwischen den beiden ein Abgrund von Unverständnis – manchmal (besonders unter den Jungen) Feindseligkeit und Abneigung, vor allem aber fehlende Verständigung.»

Und er forderte: «Die Kluft zwischen unseren Kulturen zu schliessen, ist eine Notwendigkeit, und zwar sowohl im ganz abstrakten geistigen als auch im ganz praktischen Sinn. Wenn die beiden auseinandergefallen sind, ist eine Gesellschaft nicht mehr in der Lage, weise zu denken.» 

Um die gleiche Zeit sei der Ruf nach Interdisziplinarität aufgekommen - bis heute nicht wieder verstummt.

Das sollte als Hinweis darauf verstanden werden, dass es dabei um mehr als um eine vergängliche Mode geht. Wir haben es vielmehr mit den Zeichen eines tiefgreifenden Umbaus auf dem Feld der Wissenschaften und ihrer Entwicklung selbst zu tun. War die Klage des Physikers, Schriftstellers und Politikers Snow, der sich allerdings äusserst sicher zwischen den Kulturen zu bewegen wusste, nur die Künderin einer zu Ende gehenden Epoche – eine klassische Eule der Minerva also?

Tatsächlich hätten sich nicht zuletzt in der Naturwissenschaften die im 19. festgeschriebenen Grenzen zwischen den Disziplinen inzwischen verflüssigt.

Die Biologie mit ihren Hybridbildungen von der biophysikalischen Chemie über die Molekularbiologie bis zur synthetischen und Systembiologie bietet ein gutes Beispiel dafür. Um das zu sehen, bedarf es eines nahen Blicks auf die jeweiligen Praktiken der Wissenschaften. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen den Naturwissenschaften und den Kultur- sowie Geisteswissenschaften – jedenfalls so, wie sie im akademischen und im öffentlichen Raum zumeist stattfindet – leidet oft genug darunter, dass sie die jeweils aktuellen Frontverläufe der Forschung in ihrer Verschlungenheit gar nicht zur Kenntnis nimmt.


Werfen wir einen Blick auf den biologisch-technischen Komplex, für den gegenwärtig das Schlagwort einer «synthetischen Biologie» immer mehr in Gebrauch kommt. Die Forschungsgegenstände in diesen Bereichen – zugleich prospektive Anwendungsobjekte – sind in der Regel nicht mehr allein durch ihre natürlichen – seien sie physikalisch, chemisch oder biologisch – oder technischen Seiten bestimmt. Sie sind mehrfach hybride Gegenstände geworden, in denen sich Aspekte sowohl von Natur wie auch von Kultur untrennbar miteinander verbinden und sich auch nur verantwortlich handhaben lassen, wenn diese Verbindung nicht ausgeklammert wird.

Kurz gesagt: Das technisch-kulturelle Potenzial bestimmt, was epistemisch, und das epistemische Potenzial bestimmt, was technisch-kulturell relevant werden kann. Damit sind wir bei einer Konstellation des Verhältnisses von Natur und Kultur angelangt, die uns nicht nur dazu einlädt, sondern auch herausfordert, unsere Aufmerksamkeit diesen beiden Kategorien zuzuwenden und sie selbst in ihrer Entstehung und in ihrem historisch wechselnden Zueinander zu betrachten.

Insbesondere scheint mir, dass es für beide Seiten – die Naturwissenschaften wie die Geisteswissenschaften – immer wichtiger wird, ein Bewusstsein für die Veränderungsdynamik der für sie jeweils spezifischen Forschungsgegenstände zu entwickeln. Die Gegenstände des Wissens wie die Anwendungen dieses Wissens haben alle ihre historischen Trajektorien, die entscheidend davon abhängen, welche Möglichkeiten des Zugriffs auf sie sich jeweils eröffnen. Der Bedeutung dieser Zugriffsmöglichkeiten muss eine historische Epistemologie nachgehen.

Es ist also entscheidend, sich der Geschichtlichkeit und damit auch der kulturellen, technischen und sozialen Vermitteltheit der Gegenstände bewusst zu werden, die unsere wissenschaftliche Welt bevölkern.

Manchmal sind es verzweigte und verzwackte Geschichten, sie sind von unterschiedlicher Dauer, von unterschiedlicher Durchschlagskraft, und zuweilen können die ihnen entsprechenden Gegenstände wissenschaftlichen Interesses auch wieder verschwinden. Die historische Entwicklung von Disziplinen ist ja selbst letztlich nichts weiter als der organisatorische und institutionelle Ausdruck der grundlegenden Dynamik eben genau dieser wissenschaftlichen Objekte. Es ist also entscheidend, sich der Geschichtlichkeit und damit auch der kulturellen, technischen und sozialen Vermitteltheit der Gegenstände bewusst zu werden, die unsere wissenschaftliche Welt bevölkern – und eben nicht nur der Theorien und Begriffe oder abstrakter methodologischer Prinzipien wie Verstehen und Erklären.

Hans-Jörg Rheinberger ist Emeritus Scientific Member des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Im vergangenen Jahr ist (bei Diaphanes) sein Buch «Der Kupferstecher und der Philosoph. Albert Flocon trifft Gaston Bachelard» erschienen.


Nota. - Die Kritik an der Künstlichkeit der Gegenstände experimenteller Naturwissenschaft kam gleichzeitig mit der Einführung des experimentellen Verfahrens durch Fr. Bacon auf. In ihren Laboren quälten, folterten und verstümmelten die Forscher die lebendige Natur, und deren abgezwungene Auskünfte seien so unverlässlich wie die Geständnisse eines Angeklagten unter der Tortur. 

Freilich war das ein emphatisches Bild von der Natur und kein reduktionistisches; doch Bilder sind sie beide.

Die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften wurde von Wilhelm Dilthy systematisiert, und umgangssprachlich tut sie bis heute gute Dienste. Aber erkenntnislogisch ist sie irreführend, wie bereits Diltheys neukantianische Zeitgenossen vermerkten: Der Gegenstand der Naturwissenschaften ist vom systematisierenden Geist des Forschers intentional entworfen, und indem er sich mit ihm befasst, befasst er sich - in zweiter Instanz - ebenso mit 'dem Menschen' wie in erster Instanz die Geisteswissenschaften. Nicht nach ihren Gegenständen, sondern nach ihren Erkenntniswegen müssten die Wissenschaften unterschieden werden: in solche, die ("nomothetisch") allgemeine Gesetze für mannigfaltige Phänomene aufstellen; und solche, die ("idiographisch") einzelne Phänomene umfassend beschreiben wollen.  

Jede Forschung verfährt nomothetisch, wenn und indem sie sich mathematischer Formeln bedient. Was mathematisch dargestellt wird, wird als Gesetz dargestellt. Allerdings hat nicht die Natur die Mathematik hervorgebracht. Vielmehr hat ein mathematisches Weltbild das hervorgebracht, was wir heute unter Natur verstehen; es ist ein Zirkel.

Wenn H.-J. Rheinberger den Gegensatz von Natur- und Kulturwissenschaften irgendwie übersteigen will, kann ihm das immer nur nach dieser einen Seite hin gelingen: Im 'Naturgegenstand' steckt immer schon mehr Kultur, als im Kulturereignis natürlicher Stoff...
JE

















Mittwoch, 25. Oktober 2017

Konzentrieren oder ausschweifen?

d'Astanière, Petit diable
aus scinexx

Tagträumer sind oft intelligenter
Gedankliche Auszeiten sprechen für Kreativität und hohe kognitive Kapazität

Wandernde Gedanken: Wer sich häufig beim Tagträumen ertappt, muss nicht besorgt sein – im Gegenteil. Denn das gedankenverlorene Abschweifen kann ein Zeichen für hohe Intelligenz und Kreativität sein, wie eine Studie enthüllt. Forscher fanden darin einen engen Zusammenhang zwischen dem häufigen Tagträumen und einer besonders guten Vernetzung des Gehirns. In Tests der kognitiven Leistung und Kreativität schnitten die Tagträumer zudem besonders gut ab.

Ob in einem nur mäßig spannenden Meeting, in der Schule oder bei der Fahrt zur Arbeit: Oft ertappen wir uns dabei, dass wir mit unseren Gedanken ganz woanders sind als im Hier und Jetzt. Lange galt dieses Tagträumen als Zeichen mangelnder Konzentration und Aufmerksamkeit. Vor allem Eltern machen sich nicht selten Sorgen, wenn ihre Kinder oft gedankenverloren vor sich hin träumen.

Hirnareale stärker vernetzt

Doch wie Christine Godwin vom Georgia Institute of Technology und ihre Kollegen jetzt herausgefunden haben, ist das Tagträumen keineswegs negativ – eher im Gegenteil. Für ihre Studie hatten sie 100 Probanden dazu befragt, wie oft ihre Gedanken im Alltag abschweifen. Anschließend bekamen sie die Aufgabe, fünf Minuten lang einen Punkt zu fixieren, während ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) aufgezeichnet wurde.

"Die Hirnaktivität bei dieser Aufgabe gibt uns Aufschluss darüber, welche Hirnareale während des wachen, entspannten Zustands zusammenarbeiten", erklärt Godwin. Dabei zeigte sich: Bei den Teilnehmern, die über häufige Tagträumereien berichteten, war das für die Aufmerksamkeit wichtige Default-Mode Netzwerk besonders eng mit dem fronto-parietalen Kontrollnetzwerk verknüpft – dem Areal, dass unseren gedanklichen Fokus steuert.



(Georgia Institute of Technology, 25.10.2017 - NPO)


Nota. - Die Schule kann naturgemäß nur Konzentration einüben, studieren: mit Eifer. Zu ausschweifendem Denken anregen kann und will sie nicht.

Vor allen historischen und sozialpolitischen Nebenerwägungen gilt daher: Auch im Idealfall kann die Schule nicht die ganze, sondern allenfalls die halbe Bildung bieten; nämlich das, was an ihr gewöhnlich ist. Ebenso wichtig - und künftig viel wichtiger - ist aber die außergewöhnliche Seite. Die muss man vorm Zugriff der Schule schützen. Unsere Zukunft hängt daran.
JE


Montag, 23. Oktober 2017

Funktioniert das Gehirn wie ein Orchester?

aus derStandard.at, 23. Oktober 2017, 09:47

Gehirn funktioniert wie Orchester
Ein internationales Forschungsteam untersucht die Dynamik der Neuronen im Gehirn – Gammawellen koordinieren Zusammenspiel

Je mehr über die Milliarden von Nervenzellen im Gehirn bekannt ist, desto weniger erscheint ihr Zusammenspiel spontan und zufällig. Welche Harmonie der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten zugrunde liegt, hat die Arbeitsgruppe von Marlene Bartos am Institut für Physiologie veranschaulicht. Die mit einem Kollegen vom Institute of Science and Technology Austria entstandene und im Journal "Nature Communications" publizierte Studie hebt die Rolle von hemmenden Schaltkreisen bei der Entstehung von hochfrequenten Hirnwellen im Hippocampus hervor.

Damit liefert das Team Anhaltspunkte dafür, wie das Gehirn gedächtnisrelevante Informationen verarbeitet. "Forschende vermuten schon länger, dass Frequenzen über 30 Hertz die synchrone Zusammenarbeit verschiedener Zellnetzwerke des Gehirns koordinieren. Bekannt ist auch, dass die Aktivität in diesem Frequenzbereich beispielsweise bei Alzheimer-Patientinnen und -Patienten deutlich reduziert ist", fasst Bartos den Grundgedanken ihrer Forschung zusammen.

Wie Zelltypen verknüpft sind

Wie aber kommt es zu diesen als Gamma-Wellen bezeichneten Signalen an verschiedenen Orten gleichzeitig? Und was konkret bedeutet das für das menschliche Gedächtnis? Als Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der synaptischen Verknüpfungen schauten sich Bartos und ihr Team die Kommunikation zwischen so genannten Interneuronen im Hippocampus von Mäusen genauer an.
Ein Interneuron ist ein zwischen zwei oder mehreren anderen Neuronen liegender Zelltyp mit besonders kurzen Zellfortsätzen, der schnell und effizient eine Fortleitung hemmender Impulse an seine Nachbarzellen bewirken kann. "Vergleichbar zu Instrumentengruppen in einem Orchester gibt es kleine Schaltkreise, an denen inhibitorische Interneurone wesentlich beteiligt sind", erklärt Bartos. "Wie die Aufgabe des Dirigenten, an manchen Stellen beispielsweise die Bläser in den Hintergrund zu rücken, um ihnen im nächsten Moment wieder volles Gewicht zu geben, kann man sich auch ihre Rolle vorstellen."

Auf Signal warten

Wichtigste Beobachtung der Studie war, dass die umliegenden Zellen, wenn sie sich aus ihrem Ruhezustand lösen, empfänglich gegenüber bestimmten Informationen sind. Sie werden dann zur Bildung eines gemeinsamen Aktionspotentials angeregt, sodass ein Signal auf andere Neuronen übertragen werden kann. Dies wiederum lässt sich elektrophysiologisch als Entladung von Gammawellen messen.

"Das Interessante daran ist, dass sich die Mikroschaltkreise nicht ineinander einmischen, sondern parallel verschiedene Informationen, wie zum Beispiel die Attribute Form und Farbe eines Gegenstands, abspeichern oder abrufen können. Dies erlaubt die zeitgleiche parallele Verarbeitung und das Speichern von Information.Wir sind der Meinung, dass auf diese Weise erste Gedächtnisspuren gelegt werden", so Bartos. 

Um dem Gedächtnis wirklich auf die Spur zu kommen, wird es allerdings noch viel mehr Grundlagenforschung benötigen. Bartos und ihr Team arbeiten mit Hochdruck daran, dass ihre Erkenntnisse in ein paar Jahren auch für die Therapie von neurodegenerativen Krankheiten nutzbar sind. (red/idw)

Originalpublikation:
Distance-dependent inhibition supports focality of gamma oscillations 


Nota. - Vergleiche sollen veranschaulischen, Anschaulichkeit soll übersichtlich, also einfacher machen. Der Vergleich mit einem Orchester tut nichts davon. Ein Orchester hat einen Dirigenten, und der Dirigent hat eine Partitur. Das Gehirn hat nichts dergleichen. 

Bleibt: Während einerseits das System als Ganzes kommuniziert, kommunizieren bestimmte Neuronen- gruppen gleichzeitig privilegiert untereinander. Wusste man das bisher noch nicht?
JE 



Mittwoch, 18. Oktober 2017

Domestikation: Wölfe kooperieren besser als Hunde.

Aus scinexx
 
Hunde sind die schlechteren Teamplayer
Wölfe kooperieren effektiver miteinander als Haushunde 

Kooperation mangelhaft: Wenn es ums Teamwork mit Artgenossen geht, schneiden Hunde deutlich schlechter ab als Wölfe. So schaffen es Hunde nur selten, gleichzeitig an einem Seil zu ziehen um sich Futter zu beschaffen, wie ein Experiment zeigt. Für Wölfe dagegen ist dieses Teamwork selbst ohne Training kein großes Problem. Dieses Ergebnis widerspricht der Hypothese, dass die Domestikation die Hunde grundsätzlich kooperativer gemacht hat. 

Hunde sind im Laufe ihrer jahrtausendelangen Domestikation zu echten Begleitern und Helfern des Menschen geworden. Sie folgen unseren Blicken und Gesten, erkennen unsere Stimmung und lassen für unser Lob sogar ihr Futter stehen. Dafür jedoch haben die Haushunde einiges an Selbstständigkeit eingebüßt: Beim Lösen von Problemen schneiden sie schlechter ab als Wölfe – weil sie sich stattdessen hilfesuchend an "ihre" Menschen wenden.

Wie aber sieht es mit der Kooperation bei Hund und Wolf aus? "Aufgrund der Selektion nimmt man an, dass Hunde eine genetische Prädisposition für kooperative Handlungen entwickelt haben", erklären Sarah Marshall-Pescinia von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und ihre Kollegen. Hunde sollten demnach mit Menschen und Artgenossen toleranter und kooperativer umgehen als Wölfe – so jedenfalls die Hypothese.

Loses Seil als Test

Aber stimmt das auch? Um das zu testen, stellten die Forscher Wölfe und Hunde, die unter gleichen Bedingungen halbwild aufgewachsen waren, auf die Probe. Jeweils zwei Wölfe oder Hunde sahen jenseits des Zauns eine Futterbelohnung. Diese wurde aber nur dann erreichbar, wenn beide Tiere gleichzeitig an einem Seil zogen.

"Lässt ein Tier das andere nicht zum Seil und zieht alleine, dann zieht es das Seil aus der Vorrichtung und das Tablett bleibt unerreichbar", erklärt Marshall-Pescinia. Zuerst wurde getestet, ob die Wolfs- und Hundepaare diesen Kooperationstest spontan bewältigen können. Dann folgte ein weiterer Durchgang, bei dem die Vierbeiner-Paare zuvor mehrfach "üben" durften.

Fast perfektes Teamwork – bei den Wölfen

Das Ergebnis: Schon bei den Spontantests hatten die Wölfe klar die Nase vorn: Fünf von sieben Wolfspärchen schafften es auf Anhieb, sich durch Teamwork das Futter zu sichern. Bei den Hunden dagegen versagten sieben von acht Paaren. Auch nach der Übungsphase zeigten die Wölfe das bessere Teamwork: Drei von vier Wolfspärchen zogen wiederholt das Futtertablett durch gleichzeitiges Ziehen am Seil zu sich. Bei den Hunden konnten nur zwei von sechs Paaren die Aufgabe lösen.

"Die Wölfe und Hunde zeigten zwar ein vergleichbares Interesse und die Einzeltiere führten auch oft die richtigen Aktionen durch", berichten die Forscher. "Aber das Entscheidende ist, dass die Wölfe diese Handlungen besser koordinierten. Sie schafften es, gleichzeitig am Seil zu ziehen." Während bei den Hunden eher jeder für sich agierte, zeigten die Wölfe damit ein fast perfektes Teamwork. Sie warteten sogar auf ihren Partner, um dann gemeinsam ans Futter zu kommen.

Domestikation zu Lasten der Artgenossen

Nach Ansicht der Forscher widerlegen diese Ergebnisse die Hypothese, nach der die Domestikation die Hunde grundsätzlich kooperativer gemacht hat. Stattdessen liegt die Fähigkeit zum Teamwork den Wölfen sogar eher im Blut als den Hunden: Wölfe verhalten sich in ihren Rudeln von Natur aus kooperativ, sie jagen, fressen und wandern gemeinsam. Bei wilden Hunden ist dieser Zusammenhalt dagegen weniger stark ausgeprägt.

Die Domestikation sorgte zwar dafür, dass der Hund sich besser an den Menschen anpasste und ihm gegenüber sehr viel kooperativer wurde. Aber seinen Artgenossen gegenüber ist der Hund weniger kooperativ als sein wilder Vorfahre, wie die Forscher erklären. Der Wandel zum "besten Freund" des Menschen ging beim Hund demnach zu Lasten des Teamworks mit anderen Hunden.

Das ändert sich allerdings dann, wenn die Hunde von klein auf darauf trainiert werden, im Team zu arbeiten – beispielsweise bei Schäfer-Hunden. "Studien mit Haushunden zeigten zwar, dass Hunde auch in der Lage sind, gut zusammenzuarbeiten. Allerdings spielt in diesem Fall auch die Erziehung durch den Menschen die ausschlaggebende Rolle", erklärt Marshall-Pescinia. "Deswegen war es uns wichtig, bei diesen Tests nicht mit Haustieren zu arbeiten und so die menschliche Komponente auszuschließen." (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017; doi: 10.1073/pnas.1709027114)

(Veterinärmedizinische Universität Wien, 18.10.2017 - NPO)

Abstract
PNAS: "The importance of a species’ socio-ecology: Wolves outperform dogs in a conspecific cooperation task."


Sonntag, 1. Oktober 2017

Unsere nächsten Verwandten In Afrika.


 aus derStandard.at, 28. September 2017, 14:43                                                        Ausgrabungsstätte in Kenia

Prähistorische Skelette aus Afrika verweisen auf überraschende Verwandtschaften
Ostafrikanische Hadza könnten die engsten Verwandten jener Gruppe sein, die einst auszog, um die Welt zu besiedeln

Jena – Afrika gilt als die Urheimat der Menschheit und war daher ungleich länger vom Homo sapiens besiedelt als die anderen Kontinente. Eine potenzielle archäologische Fundgrube also – bei der Erforschung der afrikanischen Menschheitsgeschichte machte die schlechte Erhaltung der DNA der Wissenschaft aber oft einen Strich durch die Rechnung.

Genetisches Material, wie man es in Knochen und Zähnen uralter Skelette finden kann, degeneriert im feucht-warmen Klima Afrikas schneller als in kalten Regionen. Selbst aus verhältnismäßig junger Vergangenheit liegen daher nur wenige verwertbare Funde vor.

Großstudie

Wie das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte berichtet, gelang es Forschern des Instituts zusammen mit Kollegen aus Südafrika, Malawi, Tansania und Kenia nun, einige Wissenslücken zu stopfen. Den Forscher konnten aus 15 Skeletten von Ureinwohnern Subsahara-Afrikas DNA gewinnen und untersuchen. Die analysierten Individuen stammen aus unterschiedlichen geographischen Regionen des Kontinents und sind zwischen 500 und 8.500 Jahre alt.

Anschließend verglichen die Forscher diese alten Genome – zusammen mit dem bisher einzigen anderen bekannten alten Genom aus Afrika, welches 2015 sequenziert und publiziert worden war – mit Genomen aus heutiger Zeit. Rund 600 davon stammten von heute lebenden Menschen aus 59 unterschiedlichen afrikanischen Populationen, 300 weitere aus 142 nicht-afrikanischen Populationsgruppen. So konnte das Team einige überraschende Erkenntnisse über die Besiedlungsgeschichte Afrikas gewinnen.

Die neolithische Revolution

So zeigten sich etwa Unterschiede im Übergang vom Jäger-und-Sammler-Stadium zur Landwirtschaft. Archäologische Funde aus Kenia und Tansania weisen darauf hin, dass dort die Vermischung dieser beiden Kulturen respektive der Völker, die auf die jeweilige Art lebten, erst nach einer längeren Zeit der Koexistenz stattfand. "Wir glauben, dass Ackerbauern und Jäger-Sammler zunächst nebeneinander herlebten und dabei kaum eine genetische Mischung stattfand", sagt Max-Planck-Forscherin Nicole Boivin.

Im Gebiet des heutigen Malawi lief der Prozess offenbar etwas anders ab. Die Studie lieferte Anhaltspunkte dafür, dass die alten Jäger und Sammler, die dort vor 2.500 bis 8.000 Jahren lebten, ganz verschwanden. Sie scheinen keinen genetischen Beitrag zu den später bzw. bis heute dort lebenden Menschen geleistet zu haben. Dazu Boivin: "Scheinbar hat in Malawi eine fast komplette Ersetzung der ortsansässigen Population von Jäger-Sammlern durch die einströmenden Ackerbauern und Viehzüchter stattgefunden."

Mögliche Cousins von Europäern und Asiaten

Die Studie beleuchtet auch die Ursprünge einer einzigartigen Bevölkerungsgruppe aus Ostafrika: Die Hadza leben im heutigen Tansania und umfassen weniger als 1.000 Menschen. "Die Hadza unterscheiden sich heute phänotypisch, genetisch und auch sprachlich von anderen afrikanischen Bevölkerungsgruppen. Es gab daher Spekulationen, dass diese Gruppe eine frühe Abspaltung anderer afrikanischer Populationen repräsentieren könnte", sagt David Reich von der Harvard Medical School, einer der Hauptautoren der Studie.

Die genomischen Vergleiche legen aber nun eine andere Erklärung nahe: Nämlich dass die Hadza genetisch näher mit heute lebenden Bevölkerungsgruppen außerhalb Afrikas verwandt sind als mit afrikanischen Gruppen. Hieraus folgern die Forscher, dass die Hadza direkte Nachkommen jener Gruppe sein könnten, die vor rund 50.000 Jahren aus Afrika aufbrach und die Welt besiedelte.

Die Evolution läuft weiter

Darüberhinaus lieferte die Studie einmal mehr Hinweise darauf, dass die Evolution des Menschen noch keineswegs an einem Endpunkt angelangt sein muss. Die Forscher fanden nämlich relativ junge genetische Anpassungen an die Umwelt: Eine Jäger-Sammler-Gruppe, deren Ahnen durch die einströmenden Ackerbauern in die Kalahari-Wüste abgedrängt worden waren, entwickelte dort einen verbesserten Schutz vor ultravioletter Strahlung.

Nach Auffassung der Forscher zeigen solche relativ jungen genetischen Anpassungen, dass sich der Mensch kontinuierlich an neue und veränderte Lebens- und Umweltbedingungen anpasst – auch heute noch. (red)

Link
Cell: "Reconstructing Prehistoric African Population Structure"