Dienstag, 17. Februar 2015

Das Besondere am Menschen.

Wer gewinnt wohl diese Partie, der Affe oder Jerry Lewis? Und falls es der Affe ist, versteht er dann, wie er zu seinem Sieg kam? aus nzz.ch, 17.2.2015, 05:30 Uhr

Was macht den Menschen zum Menschen?
Der Unterschied

von Christoph Lüthy 

Wie tierisch ist der Mensch, wie menschlich sind die Tiere? Gibt es ein Merkmal, das allein dem Menschen vorbehalten ist? Und wäre dies die Vernunft oder das Lachen oder die Sprache? Aus biblischer Sicht ist die Antwort deutlich: Alle Lebewesen sind von Gott geschaffen, doch nach dessen Bilde ist es bloss der Mensch – wobei diese Bildhaftigkeit als Beseeltheit oder Geistigkeit gedeutet werden kann. Eine dermassen kategorische Trennung zwischen Mensch und Tier wird wiederum von der Evolutionstheorie unterlaufen, die fliessende Übergänge annimmt. Die rigide Stufenleiter der Daseinsformen ersetzt sie durch eine Rolltreppe, auf welcher das Leben in Richtung stets komplexerer Formen und Fähigkeiten getragen werden kann.

Kein Konsens

Interessanterweise hat jedoch die Evolutionstheorie zum Thema der Stellung des Menschen keinen Konsens finden können. Der radikalste der Schüler Darwins, Thomas Henry Huxley, folgerte beispielsweise, das menschliche Bewusstsein sei bloss ein folgenloses Abfallprodukt der Hirnaktivität, unser vermeintliches Denken und Planen eine reine Illusion. Zum gegenteiligen Schluss kam der Mitbegründer der Evolutionstheorie, Alfred Russel Wallace. Nach dessen Ansicht war es nämlich genau das menschliche Bewusstsein («mind»), dank welchem unsere Spezies die Spielregeln der natürlichen Selektion umgehen und die kulturelle Evolution in Gang setzen konnte. Interessanterweise haben sich diese gegensätzlichen Auffassungen zur Rolle von Bewusstsein und Geist trotz allen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnen in den vergangenen hundertfünfzig Jahren erhalten können.

Weshalb hat sich aber bisher kein Konsens zur Frage des Unterschieds zwischen Mensch und Tier herausbilden können? Wohl vor allem deshalb, weil wir einerseits zu wenig über uns selbst wissen und andererseits zu wenig über die Tiere, die wir beobachten. Welche Schlüsse dürfen wir ziehen, wenn wir beobachten, dass ein Hund oder ein Affe einen neuen Trick lernt? Hat das Tier etwas «verstanden» – oder wurde es bloss auf ein neues Reaktionsmuster abgerichtet? Da wir uns selbst in unserem Tun oft genug nicht zureichend erklären oder verstehen können, sind unsere Interpretationen von tierischem Verhalten häufig nichts anderes als Übertragungen unbegriffener Ausdrücke von «uns» auf «sie».

Die vergleichende Verhaltensforschung (oder Ethologie) hat seit ihrem Entstehen im späten 19. Jahrhundert aus diesem Grunde auch stets zwei gegenläufige methodologische Tendenzen aufgewiesen. Die eine Strategie besteht darin, menschliches Handlungsbewusstsein bis auf die unterste Stufe tierischen Verhaltens zu projizieren. In den Worten von George Romanes (1863): «Es besteht kein genereller Unterschied zwischen dem Vernunftakt eines Krebses und dem eines Menschen.» Die gegenteilige Strategie besteht darin, rein physiologische Input-Output-Muster, tierischen Instinkt und Konditionierung, bis hinauf zur komplexesten menschlichen Verhaltensebene als Erklärungsmodell anzuwenden und dabei das Bewusstsein als mögliches Handlungszentrum zu ignorieren. Ausgehend von ihren Studien zu Gänsen, Ameisen oder Affen haben beispielsweise Konrad Lorenz, E. O. Wilson oder Frans de Waal versucht, den Menschen als biologisch und sozial durch und durch determiniertes Wesen zu deuten.

Mit seinem unlängst ins Deutsche übersetzten Buch «Der Unterschied – Was den Menschen zum Menschen macht» wagt sich Thomas Suddendorf in dieses von zahlreichen alten und neuen Laufgräben durchfurchte Terrain. Suddendorf, ein aus dem Münsterland stammender und nunmehr an der australischen University of Queensland in Brisbane tätiger Entwicklungspsychologe, untersucht die Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten bei Menschen- und Affenkindern. Dieses Forschungsfeld ermöglicht ihm, den Fehler vieler seiner Kollegen zu vermeiden, die vom erwachsenen menschlichen Bewusstsein Rückschlüsse auf Tiere ziehen beziehungsweise aus Tierbeobachtungen gewonnene Erkenntnisse auf unsere Gattung projizieren. Suddendorf vergleicht die Entwicklung von Menschen und Menschenaffen im Frühstadium ihres Lebens, die während der ersten zwei Jahre weitgehend parallel verläuft, um sich danach deutlich zu unterscheiden.

Der Autor besitzt die bewundernswerte Fähigkeit, schwierige Theorien und komplexe Experimente der Verhaltensforschung, der Primatologie und der Entwicklungspsychologie auf zugängliche Weise zu beschreiben. Nach Suddendorf gab es eine Zeit, in der sich verschiedene Menschenarten auf der Welt tummelten, deren Fähigkeiten sich noch nicht radikal von denen der Vorgänger der heutigen Menschenaffen abhoben. Im Laufe der letzten sechs Millionen Jahre hat sich jedoch einerseits der Homo sapiens herausgebildet, haben andererseits die verschiedenen Affenarten ihre jeweiligen spezifischen Entwicklungen durchlaufen; zudem sind rivalisierende Menschenarten ausgestorben, möglicherweise durch das Zutun unserer eigenen Vorfahren. Das Resultat ist, dass wir heute von einer «enormen Kluft» sprechen müssen, die uns von unseren engsten Verwandten im Tierreich trennt. Da sämtliche Menschenaffen vom Aussterben bedroht sind, könnte diese Kluft zwischen uns und dem restlichen Tierreich übrigens bald noch grösser werden.

Zeitreisen und die Sprache

Es sind vor allem zwei menschliche Fähigkeiten, die Suddendorf bei unseren engsten Verwandten vermisst. Die erste ist die Befähigung zu mentalen Zeitreisen. Wir sind in Gedanken fortdauernd damit beschäftigt, Zukunftsszenarien auszuprobieren, wobei wir Parameter verschieben, die zu unterschiedlichen Resultaten führen. Ähnliches tun wir auch mit der erinnerten Vergangenheit. Auch wenn das Verhalten von Menschenaffen Aspekte der Zukunftsplanung enthält, lassen die von Suddendorf analysierten Experimente auf eine vergleichsweise beschränkte Befähigung zu mentalen Zukunftsspielereien schliessen. Die zweite spezifisch menschliche Fähigkeit ist der Gebrauch einer konzeptuellen Sprache. Gewissen Affen konnten zwar (im Extremfall) mehr als tausend Wörter beigebracht werden, die sie auf Piktogrammen oder via Gebärdensprache erkannten und erfolgreich an Gegenstände zu koppeln wussten. Selbst einfache syntaktische Strukturen («Leg den Schlüssel in die Kiste») konnten einige von ihnen erlernen. Doch wurde die angelernte Sprache von den abgerichteten Affen nie an andere weitergegeben oder dazu benutzt, dem Forscher etwas Neues mitzuteilen.

Welche Schlüsse man daraus in Bezug auf das mentale Leben der Menschenaffen ziehen kann, ist unter Primatenforschern umstritten. Suddendorf wirbt für eine «schlanke» Interpretation, die dem Affen spezifische Fähigkeiten abspricht, wie beispielsweise die «Meta-Repräsentation», das Vermögen, sich in Gedanken von aussen zu sehen, und die Rekursion, das Verschachteln von sprachlichen Versatzstücken in einem Satz. Für Suddendorf steht es ausser Frage, dass eine Erklärung dafür gefunden werden muss, weshalb «unser Geist Zivilisationen und Technologien hervorgebracht hat, die das Antlitz der Erde veränderten, während unsere engsten Verwandten aus dem Tierreich unauffällig in den ihnen verbliebenen Wäldern leben».

Thomas Suddendorf: Der Unterschied – Was den Menschen zum Menschen macht. Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Bernhard Jendricke und Barbara Steckhan. Berlin-Verlag, Berlin 2014. 384 S., Fr. 34.90.

Nota.

Die Conditio humana beruht auf diesem einen: Der Mensch muss urteilen. Urteilen heißt, über die Bedeutungen befinden. Einem Ding eine Bedeutung zuerkennen ist: urteilen, dass eines, das erscheint, einem unterliegt, das gilt. Geltung ist dasjenige 'an' den Erscheinungen, das zum Bestimmungsgrund für mein Handeln wird. Handeln und Urteilen sind Wechselbegriffe. Handeln heißt nicht bloß; etwas tun - das tut das Tier auch; sondern: einen Grund dafür haben. Der Mensch muss handeln und Der Mensch muss urteilen bedeuten dasselbe.

J. E., aus e. Notizbuch, 9. 9. 2003


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