Donnerstag, 26. Februar 2015

Indogermanisch

skythisch, 7.-6. Jhdt. v. Chr.

aus Die Presse, Wien, 19.02.2015



Genetik
Als die neue Sprache aus der Steppe nach Europa fuhr
Woher kam die Mutter der indoeuropäischen Sprachen? Und wann? Ursprungsort und Zeit sind umstritten, aber Genanalysen stützen die Steppen-Hypothese.

Von Jürgen Langenbach

Von Isländern hoch im Nordwesten bis zu Indern weit im Südosten haben drei Milliarden Menschen eines gemeinsam: Sie sprechen eine der 400 Sprachen der Familie der indoeuropäischen. Das fiel schon 1647 dem niederländischen Linguisten Marcus Zuerius van Boxhorn auf, er vermutete eine Ursprache, das Skythische. Damit kam er zu früh, 1816 dann verglich der Deutsche Franz Bopp das Sanskrit mit der persischen und europäischen Sprachen, damit begründete er das, was man zunächst Indogermanisch nannte und später zu Indoeuropäisch entschärfte, es hatte Nationalismen Vorschub geleistet, nicht nur deutschen, auch indischen: Jeweils dort sollte der Sprachnabel liegen.

Dort liegt er nicht, so viel ist klar, aber um die exakte Herkunft in Raum und Zeit konkurrieren zwei Ansätze, zunächst die Anatolien-Hypothese. Die geht davon aus, dass sich vor 9500 bis 8000 Jahren die Agrikultur von Anatolien aus – dort wurde sie erfunden – nach West und Ost verbreitet hat. Dabei war, was Europa angeht, lang umstritten, ob ganze Völkerschaften unterwegs waren (demische Diffusion) oder ob nur die Kultur selbst von Nachbarn zu Nachbarn weitergereicht wurde (kulturelle Diffusion).

Viele Wörter haben mit Rädern zu tun

Der Streit dauerte lang, vor fünf Jahren wurde er zugunsten der demischen Diffusion entschieden: Die anatolischen Bauern sind eingewandert, sie haben die ortsansässigen Jäger und Sammler verdrängt bzw. in sich aufgenommen. Aber brachten sie auch die Mutter der indoeuropäischen Sprachen mit? Dem widerspricht die Steppen-Hypothese, sie führt etwa an, dass es im rekonstruierten Proto-Indoeuropäisch viele Wörter gibt, die mit Fahrzeugen mit Rädern zu tun haben. Diese gab es aber noch nicht, als die Anatolier wanderten, sondern erst später, etwa in der Steppe am Nordostrand des Schwarzen Meers, dort, wo heute die Ukraine mit Russland ringt. Von dort seien sie vor 6000 bis 5000 Jahren losgefahren, sowohl mit Streitwagen als auch mit zivilen, beide hätten sie rasch an die Nordränder Europas gebracht.

So weit die Hypothese. Es fehlte bisher nur jeder Beleg, dass es in der fraglichen Zeit eine Massenwanderung gab. Das hat nun eine Gruppe um David Reich (Harvard) nachgeholt, sie hat die Gene von 94 Individuen verglichen, die vor 8000 bis 3000 Jahren in Eurasien lebten. Dabei bestätigte sich zunächst die demische Diffusion, aber dann zeigte sich noch eine zweite, spätere Wanderungswelle, die sehr rasch vorangekommen war: Die Gene der Jamnaja, die vor 5000 Jahren als Steppenhirten im ukrainisch/russischen Raum lebten, fanden sich vor 4500 Jahren in Deutschland, auch in Norwegen, Schottland und Litauen, sie lösten dort die früheren Gene ab: „Es gab eine massive Migration von der östlichen Peripherie ins Herz Europas“, schließen die Forscher (vorpubliziert auf bioRxiv: http://dx.doi.org/10.1101/013433).

Brachten diese Einwanderer auch die Ursprache? „Obwohl alte DNA über die gesprochenen Sprachen schweigt, zeigt sie doch Wanderungen, die zur Steppen-Hypothese passen“, erklärt Reich. Er findet damit weithin Zustimmung, allerdings könnte es auch sein, dass aus der Steppe nur ein Dialekt des Indoeuropäischen mitgebracht wurde, der sich dann zu slawischen, deutschen und nordeuropäischen Sprachen entwickelte. Unklar ist hingegen die andere Richtung: Ob aus der Steppe auch nach Indien gewandert bzw. gefahren wurde, ist unbekannt, im dortigen Klima hält sich fossile DNA nicht lang.

aus scinexx

Kommt unsere Ursprache aus der Steppe?
Nomaden statt Landwirte? Forscher haben neue Hinweise darauf entdeckt, dass die Urversion aller indoeuropäischen Sprachen in der russischen Steppe entstand. Vor rund 6.500 Jahren könnten Reiternomaden diese Ursprache entwickelt und dann über Asien und Europa verbreitet haben. Das allerdings widerspricht einer zweiten Theorie, nach der das Indoeuropäische in Anatolien entstand. Der Streit geht damit erstmal weiter.


Jurten in der kasachischen Steppe - kam von hier das Indoeuropäische?

Woher kommt unsere Sprache? Das Deutsche gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie, einer Sprachengruppe, die rund 400 Sprachen umfasst und die von rund drei Milliarden Menschen gesprochen werden. Wo aber die Urversion – quasi der Stammvater - aller dieser Sprachen entstand, ist heiß umstritten.

Anatolien oder die Steppe?

Erst 2012 präsentierten Forscher Belege dafür, dass das Indoeuropäische vor gut 8.000 Jahren in Anatolien aufkam und sich dann mit der Landwirtschaft über die Welt verbreitete. Eine andere Theorie aber geht von einer Entstehung des Indoeuropäischen in der russischen Steppe aus – bei nomadischen Reiterstämmen, die in den Gebieten nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres lebten und diese Ursprache verbreiteten.

Neue Indizien für die Steppentheorie präsentieren nun Will Chan von der University of California in Berkeley und seine Kollegen. Sie haben 200 Wörter aus lebenden und ausgestorbenen indoeuropäischen Sprachen verglichen und aus deren Veränderungen im Laufe der Zeit quasi einen Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen rekonstruiert. Über diesen zogen sie dann mit Hilfe von statistischen Berechnungen Rückschlüsse auf deren Ursprung.

Ursprung von 6.500 Jahren

Wie die Auswertung ergab, spricht der Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen für einen gemeinsamen Ursprung vor erst rund 5.500 bis 6.500 Jahren. Das spreche gegen die Anatolien-Theorie und für die Steppe als Ursprungsort, konstatieren die Forscher. "Unsere statistische phylogenetische Analyse stützt die Entstehung der indoeuropäischen Sprachen in der pontisch-kaspischen Steppe", so Chan und seine Kollegen.

Die Heimat unserer Sprache könnte demnach in dem weiten Steppengebiet Zentralasiens liegen, das sich von Moldavien über die Ukraine und Russland bis nach West-Kasachstan erstreckt. Archäologische Funde zeigen, dass die dort lebenden Nomadenvölker bereits früh wichtige Kulturtechniken entwickelten, darunter Viehzucht, Wagenbau und Metallverarbeitung. Diese gaben sie vermutlich an andere Kulturen, darunter die Europäer, weiter – und damit möglicherweise auch die Sprache. (Language, 2015; in press)

(Linguistic Society of America, 19.02.2015 - NPO)


Nota. - Es gilt die Regel, dass ein jedes wissenschaftliches Fakt bei dem Namen genannt wird, auf den sein Entdecker es getauft hat, und darum enthält Tee Koffein und nicht Tein. Die indo-germanischen Sprachen heißen so, weil der Name die Sprachen in ihrem äußersten Osten - Indien - umfasst, und die Sprache in ihrem äußersten Westen - Island, wo das germanische Nordisch gesprochen wird. An der Geographie hat sich mit der Zeit nichts geändert.
JE


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.


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