Mittwoch, 25. Februar 2015

Person heißt Maske, II.

aus nzz.ch, 24.2.2015, 05:30 Uhr

«Person»

von Klaus Bartels 

Es ist gar nicht leicht zu sagen, wann der Sprachgebrauch uns statt von «Menschen» von «Personen» sprechen lässt. Eine Liftkabine, zum Beispiel, ist für «max. 4 Personen» zugelassen; stehen die «Personen» da für blosse Achtzig-Kilo-Normalgewichte, und wäre da, «max. 4 Menschen» zu schreiben, schon zu «menschlich», um nicht zu sagen: zu «persönlich»? Auch bei einer Tragödie oder Komödie sprechen wir von darin auftretenden «Personen»; aber empfinden, sprechen und handeln diese Personen wie König Ödipus oder der Dorfrichter Adam denn nicht ausgesprochen «menschlich»?

Die Schauspieler auf der Bühne und die Gestalten, die sie verkörpern, sind die eigentlichen «Personen». Im klassischen Latein bezeichnete die persona zunächst die tragische oder komische «Maske», die der antike Schauspieler trug, und in einer naheliegenden Übertragung dann auch die Rolle oder eben die «Person», die er in dieser Maske spielte. Ein griechisches Sprichwort nennt «die Welt eine Bühne, das Leben einen Auftritt». In diesem Sinne hat sich die persona weiter auf die vielerlei Rollen und «Personen» übertragen, die jedermann in diesem Welttheater nun auch ohne Maske spielt. Wenn einer als Richter über einen Freund richten solle, sagt Cicero einmal, müsse er «die persona des Freundes ablegen und dafür die des Richters anlegen». In einem weiter gefassten Wortgebrauch ist auch schon von Äusserungen «in eigener persona», «im eigenen Namen», oder allgemein etwa von «mächtigen Personen» die Rede; da stellt das Wort sozusagen «mächtige Akteure» vor Augen.


Schon für die alten Römer hat diese persona selbst eine Maske getragen. Abgesehen von zwei Ablegern, einem personatus, «maskiert», und einem personalis, «auf die Person bezogen», hat das Wort im Lateinischen keine Verwandten. Eine antike Erklärung suchte die persona von dem Kompositum personare, «durchdringend ertönen lassen», abzuleiten; aber schon das hier lange, dort kurze «o» schliesst eine Verwandtschaft mit dem Verb sonare aus. Und wie sollte eine Maske auch danach benannt sein, dass der Schauspieler durch sie seine Stimme ertönen lässt? Vielleicht gibt die zweifache Beischrift «phersu» zu zwei Maskenträgern auf einem Wandgemälde in einer etruskischen Grabkammer die Herkunft des Wortes zu erkennen, und vielleicht hat dann doch, als auch in Rom Theatermasken gebräuchlich wurden, eine Volksetymologie dieses etruskische phersu an das lateinische personare angenähert.

Die Grammatik, die Jurisprudenz und die Theologie haben sich das Bild der auf der Theaterbühne agierenden «Person» auf je ihre Weise zu eigen gemacht. Die römischen Grammatiker haben – wie zuvor die Griechen – das sprechende Ich als die erste, das angesprochene Du als die zweite «Person» an der Rampe und das da durchgenommene Er-sie-es als die dritte «Person» im Bühnenhintergrund gezählt. Die römischen Juristen haben das vielfältige Rollenspiel der tragischen und komischen «Personen» im Theater auf das geradeso vielfältige Rollenspiel der natürlichen und juristischen «Personen» im Gerichtssaal übertragen. Und die christlichen Theologen haben das Dogma von dem «einen göttlichen Wesen in drei Personen» aufgestellt; die mittelhochdeutsche persone oder auch schon kurz person galt vornehmlich dieser Dreieinigkeit in den drei «Personen» des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Wo einer «die Hauptperson spielt», steht mit ihm das alte Wort wieder mitten auf der Bühne. Hören wir die Wörter flüstern, wenn wir aus der individuellen «persönlichen» Anlageberatung im Private Banking noch einen fernen Bezug auf die besondere Welttheaterrolle des so persönlich Beratenen heraushören? Vielleicht, vielleicht auch nicht; jedenfalls hört der Kunde besser nicht weiter hin, sonst flüstert ihm das «individuell» noch so etwas von unverteilten Dividenden, das «persönlich» etwas von «Vermummung» und das «privat» etwas von «Beraubung» – ja, von «Beraubung»! – ins Ohr.

Zuallerletzt hat das Amtsdeutsch gesichtslose quasi maskierte «Lehrpersonen» hervorgebracht; vor entsprechend unpersönlichen «Lernpersonen» ist der Amtsschimmel noch zurückgescheut. Aber in der Liftkabine, wo die vier für ein paar Stockwerkslängen zusammengewürfelten «Personen» unverwandt aneinander vorbeischauen und vorbeischweigen, liest sich die Inschrift auf der amtlichen Plakette zu ihren Häupten doch recht hübsch, wonach zu dieser stummen Szene «max. 4 Masken» zugelassen sind.


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