Komplexe Systeme
Viele Bereiche unseres Lebens sind KOMPLEXE SYSTEME, die nur schwer beherrschbar sind. In Wien soll nun ein Institut zu deren Erforschung etabliert werden.
von Martin Kugler
Die Reisterassen in Bali sind seit 2012 Teil des UNESCO Welterbes. Das ist nicht nur der landschaftlichen Schönheit geschuldet, sondern viel mehr der Art, wie sie entstanden sind und bis heute von Bewässerungsgemeinschaften (Subaks) betrieben werden: Wie US-Anthropologe Stephen Lansing herausgefunden hat, wurde das System nicht von einer übergeordneten Instanz geschaffen, sondern bildete sich durch Selbstorganisation der Reisbauern.
Szenenwechsel: Forscher um Stefan Thurner (Medizin-Uni Wien) analysieren die beinah unüberblickbaren Netzwerke von Genen, Proteinen, Stoffwechselprodukten sowie deren Veränderungen durch äußere Faktoren wie Alter, Lebensstil etc. Eine Krankheit wird als Zusammenbruch der gesunden Netzwerke begriffen.
Diese beiden Beispiele illustrieren, dass viele Phänomene aus unterschiedlichsten Bereichen eine große Gemeinsamkeit haben: Es handelt sich um komplexe Systeme. Diese bestehen aus Elementen, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Man kann die Systemeigenschaften nicht aus seinen Einzelteilen vorhersagen – das Ganze ist mehr als seine Teile. Denn komplexe Systeme zeigen „Emergenz“: Es bilden sich spontan neue Systemzustände, aus kleinen Ursachen können große Wirkungen entstehen.
Solche Systeme findet man auch in der Wirtschaft, bei Verkehrssystemen, beim Wettergeschehen, bei der politischen Meinungsbildung oder in Nervensystemen. Diese und viele andere Beispiele wurden Anfang dieser Woche bei einer hochkarätig besetzten Konferenz in Wien diskutiert, zu der die Initiative Complexity Science Hub Vienna eingeladen hatte. Das Ziel: Unter der Federführung von Thurner und dem Wissenschaftschef des Austrian Institute of Technology (AIT), Wolfgang Knoll, soll ein Komplexitätsforschungszentrum in Wien etabliert werden. Neben dem AIT und der Med-Uni Wien sind auch die Technischen Universitäten Wien und Graz sowie das Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg mit an Bord; intensive Kontakte gibt es mit dem Santa Fe Institute und der Nanyang University in Singapur. Die Stadt Wien hat bereits Unterstützung zugesagt.
Für Österreich, so die ehemalige Vorsitzende des Europäischen Forschungsrates, Helga Nowotny, ergebe sich nun die Möglichkeit, in einem völlig neuen Forschungszweig international an der Spitze mitzumischen. Die Hoffnung lebt, dass auch die Forschungspolitik diese Chance aufgreift!
Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.
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