Freitag, 9. Januar 2015

Hypertelie.

Mit Laserpunkten brachten die Forscher Rhesusaffen dazu, sich selbst im Spiegel zu erkennen.
aus scinexx

Affen 
Gelernte Selbsterkenntnis
Rhesusaffen können sich sehr wohl im Spiegel erkennen – nach einem speziellen Training

Menschenaffen können es, Elefanten und auch Elstern: Sie alle erkennen sich selbst im Spiegel. Doch Rhesusaffen fielen bisher beim Spiegeltest stets durch – bis jetzt. Denn wie ein Experiment nun zeigt, können diese Affen die Selbsterkenntnis im Spiegel lernen. Dies belegt, dass auch das Gehirn der Rhesusaffen prinzipiell die "Hardware" für diese Form der Selbsterkenntnis besitzt, wie die Forscher im Fachmagazin "Current Biology" schreiben.

Ab einem Alter von etwa zwei Jahren begreifen Menschen beim Blick in einen Spiegel: Das bin ich, und erkennen auch, dass sie einen Fleck im Gesicht haben. Menschenaffen, Elefanten und sogar Elstern besitzen diese Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ebenfalls, wie Spiegeltests zeigen. Doch beim Rhesusaffen hieß es bislang: Fehlanzeige. Ihr Verhalten gab zwar schon Hinweise darauf, dass sie ein gewisses Selbstbewusstsein besitzen, den Markierungs-Test vor dem Spiegel bestanden sie aber nicht.

Laserpunkt als Trainings-Hilfe

Liangtang Chang und seine Kollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Schanghai hatten die Idee, die Rhesusaffen zunächst mit einem speziellen Training einzustimmen, bevor sie die Rhesusaffen erneut auf die Spiegelprobe stellten: Sie platzierten die vor einen Spiegel und erzeugten mit einem speziellen Lasersystem farbige Lichtpunkte im Gesicht der Affen. Der Clou dabei: Der Laserstrahl war leicht reizend – die Affen konnten den Punkt also im Spiegel sehen und gleichzeitig auf ihrer Gesichtshaut spüren.

Nach ein bis fünf Wochen regelmäßigen Trainings hatten die Affen das Prinzip des Spiegels begriffen, wie die Forscher berichten. Nun berührten sie auch einen schwachen Laserpunkt in ihrem Gesicht, den sie im Spiegelbild sehen, aber nicht mehr fühlen konnten. Ebenso betasteten sie nun auch gewöhnliche Farbmarkierungen in ihrem Gesicht, nachdem sie diese im Spiegel sahen.

Neurologische Hardware ist vorhanden

Einmal kapiert, nutzten fünf der sieben Affen den Spiegel auch, um sich Körperteile anzusehen, die sie normalerweise nicht sehen können – sie experimentierten mit dem neu enteckten Effekt. All dies ähnelt dem Verhalten, das bisher bereits von denjenigen Arten bekannt war, die den Spiegeltest spontan bestanden haben.

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Gehirn der Rhesusaffen schon die grundlegende Hardware für die Spiegel-Selbsterkenntnis besitzt", konstatiert Seniorautor Neng Gong. "Aber sie benötigen entsprechendes Training, um die Software für diese Selbsterkenntnis auszubilden." Diese mache Hoffnung, auch beim Menschen Defizite in der Spiegel-Selbsterkentnis durch Lernen beheben zu können, so die Forscher. Solche Defizite können beispielsweise bei geistigen Behinderungen, aber auch bei Demenzen und Schizophrenie auftreten. (Current Biology, 2014; doi: 10.1016/j.cub.2014.11.016)
(Neng Gong et al., Current Biology, 09.01.2015 - MVI)

Nota. - Die Natur veschwendet nichts, lautet eine gängige Plattitüde; so als ob sie ein sparsamer Spießer wäre wie du und ich, allezeit ihre Kosten-Nutzen-Rechnung nicht im Geiste, sondern schon im Rücken- mark mit sich führend. Dagegen hat der Schweizer Zoologe Adolf Portmann den Begriff der Hypertelie in die Biologie eingeführt, die Tendenz von Organismen, sich "über das Ziel hinaus" zu entwickeln und Formen auszubilden, die unter den gegebenen Lebensumständen dem Organismus keinerlei Erhaltungs- vorteil verschaffen; einen allgemein luxurierenden Grundzug des Lebens. 

Das zu erklärende Phänomen wäre daher nicht diese oder jene Fähigkeit dieser oder jener Spezies, deren Voraussetzung phylogenetisch längt gegeben war, sondern der Umstand, dass sie bei der einen Art verwirk- licht und weiterentwickelt wurde, während sie bei einer andern brach liegenblieb. Und die Erklärung ist eben in den Umständen zu finden, die - mehr oder minder 'zufällig' - die Situationen vermehren, in denen die Fähigkeit herausgefordert wird, in denen die Individuen "damit was anfangen können" und dies Anfan- gen in der Spezies schließlich habituell wird.

Und was auf freier Wildbahn natürlich geschehen müsste, wird in den Forschungsstationen der Verhaltens- biologen künstlich nachgeahmt...
JE

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