Donnerstag, 8. Januar 2015

Gehirnprothesen.

aus nzz.ch, 7.1.2015, 05:30 Uhr

Gehirn-Computer-Schnittstellen 
Wovon ein Hirnforscher träumt  

Interview: Katrin Zöfel 

Am neuen Wyss Center am Campus Biotech bei Genf sollen Gehirn-Computer-Schnittstellen entwickelt werden, die kranken Menschen das Leben erleichtern. John Donoghue wird die Leitung des Zentrums übernehmen. Hier erklärt er, was ihn antreibt. 

Das Gehirn ist ungeheuer komplex, ein Rätsel – und Rätsel sind für Wissenschafter wundervoll. Wir verstehen noch nicht einmal annähernd, wie alltägliche Abläufe funktionieren. Ich mache einmal ein Beispiel: Wenn ich mit Ihnen rede, dann sortieren Sie in Gedanken sofort, was Sie wichtig oder weniger wichtig finden. Vielleicht werden Sie zwischendurch auch kurz abgelenkt, oder Ihnen fällt etwas zu dem ein, was ich sage. All das hat einen Einfluss darauf, wie das, was ich sage, bei Ihnen ankommt und wie Sie es speichern. Schliesslich greifen Sie vielleicht zu Ihrem Stift und schreiben sich eine kleine Notiz auf.

Bildet das Gehirn die Welt denn realitätsgetreu ab?

Nein. Das, was im Gehirn geschieht, ist sogar ziemlich weit von der Realität entfernt. Es filtert und gewichtet, sortiert aus, gruppiert und vergisst. Und irgendwann wird aus dem, was man hört oder liest, riecht oder sieht, ein neuer Gedanke, dann ein Plan und schliesslich der Befehl zum Handeln, der an die Muskeln geschickt wird, so dass man den Stift ergreift und schreibt.

Und Sie wollen herausfinden, wie unser Hirn diese Leistung erbringt?

Ja. Aber als Wissenschafter musste ich mir einen ganz kleinen Bereich herauspicken, mit dem ich mich beschäftigen kann. Mein Fokus liegt darauf, wie eine Intention zu einer Handlung wird. Zum Beispiel, wenn ich morgens beim Frühstück sitze: Wie entsteht aus dem Wunsch, einen Schluck Kaffee zu trinken, der Befehl an meine Hand, die Tasse zu nehmen und zum Mund zu führen? Das ist eine kleine Aufgabe, aber auch da haben wir schnell gemerkt, dass sie immer noch ungeheuer komplex ist.

Dennoch sind Sie inzwischen dazu übergegangen, Ihre Erkenntnisse für praktische Anwendungen zu nutzen. Sie haben ein sogenanntes Brain-Computer-Interface entwickelt, das Patienten ermöglichen soll, ihre Extremitäten wieder eigenmächtig zu bewegen. War das von Anfang an Ihr Ziel?

Als ich angefangen habe, hätte ich nicht gewagt, daran auch nur zu denken. Damals in den 1980ern hatten wir keine Ahnung, wie das Gehirn Befehle an den Körper schickt. Wir hatten noch nicht einmal die Instrumente, welche die relevanten Signale im Gehirn messen konnten. Damals über so etwas wie Brain-Computer-Interfaces zu sprechen, wäre in etwa so gewesen, als hätte man mit Isaac Newton über eine Smartphone-App reden wollen. Newton hätte ja noch nicht einmal gewusst, was ein Telefon ist, geschweige denn ein Smartphone. Mit dem Gedanken an eine App hätte er rein gar nichts anfangen können. So wäre es uns damals gegangen, wenn wir Brain-Gate vorgestellt hätten.

Wann wurde Ihnen klar, dass so etwas doch denkbar ist? 

Wir haben Versuche mit Affen gemacht, bei denen die Tiere über eine Computermaus einen Cursor auf einem Bildschirm bewegten. Wir zeichneten dabei ihre Hirnaktivität auf – so lange, bis wir Muster erkennen konnten. Schliesslich kamen wir so weit, dass wir daraus ablesen konnten, wohin der Affe den Cursor bewegen wollte. Da dachten wir: Wow, das müssen wir nutzen, um gelähmten Menschen zu helfen. Wir wollten versuchen, die Befehle, die das Gehirn eines Gelähmten in Richtung seines Körpers schickt, aufzufangen und sie dann über eine andere Schnittstelle an den gelähmten Körperteil weiterzuleiten. Zum Beispiel an den Arm, der eine Tasse anhebt und zum Mund führt. Und tatsächlich haben wir so etwas entwickelt. Ein Gerät, das die Impulse im Gehirn aufnimmt, weitergibt und damit Bewegungen steuert oder etwas in einen Computer eingibt. Bisher haben wir es in neun Patienten implantiert, allerdings immer nur vorübergehend. Das ist nichts für den Dauergebrauch.

Warum?

Es gibt noch viele Probleme zu lösen, bis ein solches Gerät für den Alltagsgebrauch taugt. Wir haben bis jetzt nur einen Sensor, der seine Signale über Kabel weitergibt. Das heisst, unsere Patienten haben einen Metallknopf am Schädel, eine Art Zugang, wo wir dann Kabel einstecken können, um die Signale abzunehmen. Das ist natürlich nicht ideal. Und ausserdem sind viele Komponenten noch viel zu gross. Der Receiver zum Beispiel ist etwa so gross wie ein kleiner Kühlschrank. 

Wovon träumen Sie?

Ich stelle mir ein Implantat vor, einen winzigen Sensor im Gehirn, der die Hirnsignale direkt von dort abnimmt und kabellos an einen Receiver schickt, der so gross ist wie ein Smartphone und am Gürtel getragen werden kann. Der Receiver verarbeitet die Signale und schickt sie dann zu einem Empfänger im Arm. Der wiederum gibt Signale an die Muskeln weiter, so dass sich der Arm so bewegt, wie der Patient es will. Ich will unser Gerät so unsichtbar machen wie einen modernen Herzschrittmacher.

Mit solchen Geräten könnte man auch Flugzeuge oder Autos nur mit der Kraft der Gedanken steuern. Zumindest sind dies Ansätze, die von anderen Forschern verfolgt werden. Was halten Sie davon?

Das könnte man vielleicht schon, aber das ist für mich nicht so spannend. Ich weiss noch, wie ich bei einer Vorbesprechung für unsere Tests die Patienten fragte, ob sie gerne wieder laufen können würden. Einer sagte darauf: Ja, laufen wäre schon schön, aber erst einmal will ich einfach nur meine Nase kratzen können, wenn sie juckt. Ich glaube, das macht deutlich, wie sehr diese Menschen eingeschränkt sind. Sie träumen davon, wieder einmal selbständig in einen Apfel zu beissen. Ihnen zu helfen, interessiert mich viel mehr als irgendwelche phantastischen Dinge.

Die Idee funktioniert also, aber es bleibt noch jede Menge Entwicklungsbedarf?

Genau, und ich glaube, dass das neue Wyss Center dafür der richtige Ort ist. Wir werden dort Experten aus verschiedenen Bereichen zusammenbringen: Ingenieure, Mediziner, Neurowissenschafter, Mathematiker und Informatiker. Die zu entwickelnden Geräte müssen kleiner werden, die Kabel und Gehäuse sollten ganz weich und biegsam sein. Sie müssen lange halten, die Mustererkennung für die Signale im Gehirn muss noch besser werden, und so weiter. Ich freue mich sehr auf diese Arbeit.

Dafür verlassen Sie ihre Heimat, die USA. Ist die Schweiz für Sie so verlockend?

Ich lerne die Schweiz ja gerade erst kennen, aber mir fällt auf, dass man hier bereit ist, Risiken einzugehen. Am Wyss Center sollen Ideen aus der Forschung weiterentwickelt werden, bis sie marktreif sind. Es ist klar, dass viele auf dem Weg scheitern werden. Das ist einkalkuliert. Ich glaube, das Wyss Center wird eine wunderbare Umgebung werden, wo Dinge entstehen können, für die woanders die Voraussetzungen fehlen.

Wie würden Sie Ihre Aufgabe dort beschreiben?

Erst einmal will ich betonen, dass es am Wyss Center nicht um Brain-Gate geht. Das ist mein Projekt. Am Wyss werden wir viele Projekte zusammenführen, die alle damit zu tun haben, das Gehirn oder die Nerven mit technischen Hilfsmitteln zu kombinieren. Manche Forscher arbeiten daran, via Neurofeedback Schmerzen zu unterdrücken, andere wollen, dass Menschen ihre Prothesen besser wahrnehmen können und keinen Phantomschmerz mehr spüren. Für all diese Projekte wollen wir ein ideales Ökosystem schaffen, damit sie gedeihen können.

Was muss dieses Ökosystem leisten?

Wenn ein Forscher eine gute Idee hat und überzeugt ist, dass sie auch in der realen Welt funktionieren könnte, dann steht er plötzlich vor Fragen, die er sich noch nie gestellt hat. Vielleicht hat er auch Angst, dass jemand aus der Industrie ihm seine Idee bei einer Kooperation einfach wegschnappt. Industrievertreter warten dagegen gerne ab, bis ein Forscher noch mehr Entwicklungsarbeit geleistet hat, einfach weil sie Angst haben, viel Geld für nichts zu investieren. Viele gute Ideen sterben, bevor sie richtig anfangen zu leben. In den USA nennen wir das das «Tal des Todes». Im Wyss Center wollen wir versuchen, guten Ideen beim Durchqueren dieses Tals zu helfen.

Auch das Human Brain Project wird von der ETH Lausanne auf den Biotech-Campus umziehen. Verstehen Sie die Querelen um das Projekt?

Ich bin daran nicht beteiligt und kann dies deshalb nicht kommentieren. Aber ich glaube, dass sich die Anstrengungen der amerikanischen Brain-Initiative und des Human Brain Projects sehr gut ergänzen können und auch ergänzen müssen. Das erklärte Ziel ist doch, zu verstehen, wie das Gehirn arbeitet. Diese Informationen werden bei all dem, was wir wollen, sehr helfen. ...



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