Freitag, 5. Dezember 2014

Vom viralen Anfang des Lebens.

Viren als Krankheitserreger: Ein HI-Virus dringt in eine Immunzelle ein.
aus nzz.ch, 5. 12. 2014


Karin Möllings Reise zum Ursprung des Lebens
Mit den Viren fing alles an 

von Alan Niederer Nach einem Virus gefragt, würden derzeit wahrscheinlich viele Ebola sagen. Vielleicht auch HIV oder Grippe. Und bei den meisten dürften sich diese Namen mit düsteren Bildern im Kopf vermengen: Ärzte in Schutzanzügen, Tote, weinende Kinder, Angst und Schrecken. Bei solchen Vorstellungen zeigt sich, dass Viren meist nur als unheimliche Krankheitserreger wahrgenommen werden, denen auch heute noch Jahr für Jahr Millionen von Menschen zum Opfer fallen.

Diese Tatsachen ignoriert auch Karin Mölling nicht. Doch die ehemalige Direktorin des Instituts für medizinische Virologie der Universität Zürich will mit ihrem Buch mehr als eine Schreckensgeschichte der humanpathogenen Viren erzählen. Denn wir Menschen könnten viel von den Mikroben lernen, auch über uns selbst. Das ist Möllings Perspektive – und der interessierte Leser wird der Autorin auf ihren «Reisen in die erstaunliche Welt der Viren» gerne folgen. Denn was da an Wissen, persönlichen Einschätzungen und heiteren bis skurrilen Anekdoten aus dem Forschungsbetrieb zwischen zwei Buchdeckeln steckt, ist beeindruckend.

Fasziniert von Virologie und Molekularbiologie, will Mölling nicht nur ihre Begeisterung mit dem Leser teilen. Die erfolgreiche Forscherin erzählt auch von ihrer grossen Idee. Dass nämlich die Viren am Anfang des Lebens stehen. Damit habe alles begonnen, so Mölling. Das bedeutet, dass alles Biologische auf der Welt – von den Bakterien bis zum Menschen – von Viren bzw. ihren Vorläufern «gemacht» ist. Mit diesem Gedanken korrigiert sie den anthropozentrischen Blick auf Mikroben, der in den «niederen» Lebewesen nur eine Gefahr für uns Menschen sehen will.


Mölling dagegen schreibt eine veritable Erfolgsgeschichte der Viren. Diese begann mit kleinen Stückchen von Erbgut. Das war noch keine doppelsträngige DNA, wie sie bei uns zur Aufbewahrung des Erbguts verwendet wird. Die Geschichte des Lebens begann mit einsträngiger RNA, wie sie in vielen Viren vorkommt. Solche «nackten» RNA-Stückchen seien die ersten Biomoleküle gewesen. Daraus habe sich alles andere entwickelt, auch unsere DNA. Spuren einer solchen viralen Vergangenheit sind noch heute sichtbar. So hat die Entschlüsselung des Genoms gezeigt, dass fast 50 Prozent unseres Erbguts von sogenannten Retroviren abstammen.

Die Autorin macht kein Hehl daraus, dass nicht alle Forscher ihre Ansicht teilen. Zuerst waren die Zellen da, denn Viren brauchen Zellen. So dachte offenbar auch der Nobelpreisträger Thomas Cech, der RNA mit katalytischer Wirkung entdeckt hat. Nachdem er Möllings Argumente gehört hatte, soll er seine Meinung geändert haben.

Mit «Supermacht des Lebens» legt Karin Mölling ein ebenso faszinierendes wie unkonventionelles Buch vor. Der Leser erkennt darin eine originelle Wissenschafterin, die oft weiterdenkt als andere und mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält. Es ist dem Lektorat hoch anzurechnen, dass es Möllings assoziativen Erzählstil, der teilweise an einen mündlichen Vortrag erinnert, nicht in ein enges Sprachkorsett gezwängt hat. Dass die Lektüre streckenweise anspruchsvoll ist, weiss auch Mölling, die auf Seite 171 den denkwürdigen Satz schreibt: «Wer bis hierher gelesen hat, darf mir schreiben, ob er einen Fehler entdeckt hat [. . .]: Dann erhält er ein Freiexemplar dieses Buches von mir mit Widmung!» Solche Bemerkungen zeigen, wie bei dieser Autorin Ernsthaftigkeit und Schalk zusammenfinden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen