Montag, 22. Dezember 2014

Nicht die Wissenschaftsjournalisten sind schuld...

...sondern die Forschungsinstitute selbst.

aus nzz.ch, 18.12.2014, 05:32 Uhr

Wie kommt der "Dreh" in Wissenschaftsgeschichten?
Übertreibungen in universitären Pressemitteilungen Medienberichte über Forschungsergebnisse enthalten oft unzulässige Verzerrungen. Dass diese meist schon in den universitären Pressemitteilungen existieren, zeigt eine Analyse aus Grossbritannien.

Verzerrungen und Zuspitzungen in Nachrichten über Forschungsergebnisse sind keine Seltenheit. Nur: An welcher Stelle im Publikationsprozess wird der «Spin» in die Geschichte eingebaut? Dieser Frage sind britische Forscher im Zusammenhang mit Meldungen zu Gesundheitsthemen nachgegangen – und haben Erstaunliches festgestellt.¹ Nicht die Journalisten sind die Haupttäter, wenn es um Übertreibungen geht; das Problem liegt eine Stufe «tiefer», in den Kommunikationsabteilungen der Hochschulen. Diese Stellen sind für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Dazu gehört auch das Verfassen von Pressemitteilungen, mit denen die Universität die Medien über eigene Forschungsergebnisse informiert. Meist werden diese Communiqués zusammen mit den involvierten Forschern verfasst.

Medienmitteilungen der 20 führenden Universitäten

Für ihre Studie haben Petroc Summer und Christopher Chambers von der Cardiff University 462 Pressecommuniqués der 20 führenden Universitäten in Grossbritannien untersucht. Alle Mitteilungen enthielten Forschungsresultate aus dem biomedizinischen und psychologischen Bereich, die in wissenschaftlichen Fachjournalen veröffentlicht worden waren. Ebenfalls studiert wurden 668 Online- und Print-Nachrichten, die sich auf die Pressemitteilungen bezogen und von der nationalen Presse veröffentlicht worden waren.



Wie ihre Analyse zeigt, waren die meisten Übertreibungen in journalistischen Texten bereits in der Pressemitteilung nachweisbar. Die Forscher haben drei Kategorien von Verzerrungen untersucht: Übertreibungen bei Gesundheitsratschlägen; Übertreibungen bei sogenannten Korrelationsstudien, aus denen in unzulässiger Weise eine Ursache-Wirkungs-Beziehung herausgelesen wird; Übertreibungen bei Tierstudien, aus denen ohne Relativierung auf den Menschen geschlossen wird.


Neue Übertreibungen in Presseerzeugnissen sind selten

Die Forscher konnten nachweisen, dass 40 Prozent der Pressemitteilungen gegenüber der Originalpublikation überzogene Gesundheitsratschläge enthielten. In 33 Prozent der Fälle war die Grenze zwischen Korrelation und Kausalität verwischt, und in 36 Prozent waren die Ergebnisse bei Tieren als relevant für den Menschen ausgegeben worden.


Was weniger erstaunen dürfte: Überzogene Pressemitteilungen führten oft zu Medienberichten, in denen sich dieselben Übertreibungen wiederfanden (Anteil mit Übertreibungen je nach Kategorie: 58%, 81% bzw. 86%). Umgekehrt folgten auf inhaltlich korrekte Pressemeldungen eher seriöse journalistische Texte ohne «Sensationsdreh» (Anteil mit Übertreibungen je nach Kategorie: 17%, 18% bzw. 10%). Dies zeige, so die britischen Studienautoren, dass sich Interventionen bei den universitären Pressemitteilungen anbieten, um die Informationsqualität bei wissenschaftlichen Themen zu verbessern.


In der Schweiz wird das Thema in den Akademien diskutiert

Dass die Hochschulkommunikation auch hierzulande anfällig für Übertreibungen ist, bestätigt Peter Meier-Abt, Präsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Seiner Meinung nach hat sich das Problem in den letzten Jahren akzentuiert. Als Hauptgrund gibt der Pharmakologe den grossen Wettbewerbsdruck an, der nicht nur zwischen den Institutionen, sondern auch zwischen den Forschern herrsche. Das könne dazu verführen, Ergebnisse verfrüht zu publizieren und übersteigert zu kommunizieren.


Laut Meier-Abt hat die Schweizerische Akademie der Wissenschaften das Problem erkannt und eine Diskussion darüber angestossen, wie eine sachgerechte und faire Kommunikation von Forschungsresultaten aussehen müsste. Darüber hinaus werde in der SAMW ein breiterer Diskurs zur Wissenschaftskultur geführt, zu der auch die Kommunikation zähle. Dafür sei eine Arbeitsgruppe gegründet worden. Meier-Abt hofft, dass Mitte 2015 Empfehlungen oder ein Positionspapier vorliegen werden.

¹ BMJ, Online-Publikation vom 10. Dezember 2014.

Nota. - Das hätten Sie nicht erwartet, nicht wahr? Man hätte gedacht, die Institute müssen ihre Meldungen notgedrungen straffen und die Journalisten, die doch nicht alles so genau verstehen, machen sich ihren Reim drauf. Nun erfahren wir: Es sind die Institute selbst!

Bloß aus Ruhmsucht? Oder hat es mit Erfordernis des Einwerbens von Drittmitteln zu tun?
JE


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