Dienstag, 2. Dezember 2014

Der Anteil des Schnapses an der Menschwerdung des Affen, II.

aus nzz.ch, 2.12.2014, 08:04 Uhr

Alkoholkonsum im Tierreich
Als Menschenaffen sich auf alkoholisierte Früchte spezialisierten
Eine Mutation in einem Enzym ermöglicht es Menschenaffen vor 10 Millionen Jahren, Alkohol schneller abzubauen. Von da an können sie gärende Früchte in grossen Mengen verzehren.

von Lena Stallmach

Tiere sind dem Alkohol nicht abgeneigt. Darauf lassen unzählige anekdotische Berichte schliessen. Bekanntheit erlangte eine Szene aus dem Dokumentarfilm «Die lustige Welt der Tiere» aus dem Jahr 1974, in der Elefanten, Giraffen und Affen herumtorkeln, nachdem sie sich mit überreifen Früchten vollgefressen haben. Doch ist der Rauschzustand für Tiere gefährlich. Durch ihre Unachtsamkeit und fehlende Koordination sind sie für Räuber eine leichte Beute. Auch für Menschen ist übermässiger Alkoholkonsum schädlich. Dennoch können viele nicht die Finger davon lassen. Forscher grübeln darüber, wie sich ein so negatives Verhalten in der Evolution halten konnte.

Alkohol weist auf Zucker hin

Laut einer Theorie konsumieren Affen schon seit Millionen von Jahren regelmässig Alkohol in gärenden Früchten. Dabei ist der Geruch von Alkohol ein Indikator für süsse, kalorienreiche Früchte – also etwas Positives. Nun haben Forscher um Matthew Carrigan vom Santa Fe College in Gainsville, Florida,weitere Hinweise gefunden, die diese Theorie stützen.¹



Sie zeigen, dass Menschenaffen vor etwa zehn Millionen Jahren die Fähigkeit entwickelten, Alkohol schneller abzubauen. Die Forscher verglichen die Gensequenzen eines Alkohol abbauenden Enzyms (ADH4) verschiedener Primaten- und Säugetierarten. Sie stellten die Enzyme im Labor her und zeigten, dass jene Variante, die bei Gorillas, Schimpansen und Menschen vorliegt, Alkohol vierzigmal schneller abbaut als die Variante des Orang-Utans, der ebenfalls zu den Menschenaffen gehört. Nachdem sich die Linie der Menschenaffen getrennt hatte, hat der gemeinsame Vorfahre von Gorilla, Schimpanse und Mensch demnach vor etwa zehn Millionen Jahren durch eine einzige Mutation in ADH4 die Fähigkeit erworben, grössere Mengen gegorener Früchte zu verspeisen. Diese Anpassung fällt laut den Forschern in einen Zeitraum, in dem sich das Klima in Afrika veränderte. 

Mit Folgen für den Lebensraum der Primaten: Das waldreiche Ökosystem wurde durch fragmentierte Wald- und Graslandschaften ersetzt. Viele Arten starben aus, andere passten sich an. Während die frühen Menschenaffen wie die heutigen Orang-Utans auf Bäumen lebten, verlagerten sich die Vorfahren von Gorilla, Schimpanse* und Mensch auf den Boden. Dort also, wo gärende Früchte häufiger zu finden sind als in Bäumen. Die Forscher nehmen an, dass die Mutation für die Tiere zur rechten Zeit kam, um diese Nahrungsquelle optimal zu nutzen.

Ein evolutionäres Hangover

Als der Mensch dann aber vor etwa 9000 Jahren die Fähigkeit erlangte, alkoholische Getränke zu brauen, kamen die negativen Folgen des Alkoholkonsums zum Tragen. Die positive Bewertung von kalorienreicher Nahrung entpuppt sich in der modernen Welt ebenfalls als Nachteil. In diesem Zusammenhang spricht man von einem evolutionären Hangover. Alle unsere genetischen Marker seien noch darauf getrimmt, dass kalorienreiche Nahrung gut für uns sei, erklärt der Suchtforscher Rainer Spanagel vom Institut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

In der neuen Studie sieht Spanagel die Theorie des evolutionären Hangover erneut bestätigt. Im Jahr 2008 hatte er mit Kollegen gezeigt, dass Federschwanz-Spitzhörnchen für ihre kleine Körpergrösse grosse Mengen Alkohol konsumieren.² Dennoch fielen die Tiere nie durch Trunkenheit auf. Später habe sich gezeigt, dass bei ihnen ein anderes Alkohol abbauendes Enzym sehr effizient arbeite: zehnmal schneller als beim Menschen, sagt Spanagel. Womöglich hatte der Alkohol bei ihnen also keine psychoaktive Wirkung. Wenn die Tiere aber wählen durften zwischen einem künstlich hergestellten Palmnektar mit oder ohne Alkohol, entschieden sie sich häufiger für den alkoholischen. Auch dies könne man damit erklären, dass sie Alkohol mit kalorienreicher Nahrung gleichsetzten, sagt Spanagel.

 ¹ PNAS, Online-Publikation vom 1. Dezember 2014; ² PNAS 105, 10426–10431 (2008).


*) Hier wird anscheinend davon ausgegangen, dass Schimpansen und Gorillas erst später wieder (teilweise) auf die Bäume zurückkehrten. JE


Nota.-  Ich versuch's mal mit reiner weniger biologischen als menschenkundigen Erklärung: Nachdem die Menschen sich erst einmal den Geist zugezogen hatten, war Nüchternheit auf die Dauer kein zufrieden- stellender Zustand.
JE



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