Freitag, 4. Oktober 2013

Der Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Jacob Taubes.

aus nzz.ch, 4. 10. 14:53                                                                 Jacob Taubes
   

Philosophen – unter sich und anderswo


von Martin Meyer

Heutiges Philosophieren unter wissenschaftlichem Anspruch ist – wer wollte es bestreiten – ein oftmals technisches und entsprechend trockenes Geschäft geworden. Die Fragestellungen zur Ethik etwa sind Legion, doch der praktische Ertrag für unsere Lebenswelt hält weit hinter dem Aufwand zurück. Publikationen und Seminararbeiten sind für Spezialisten geschrieben, Aufsätze in Fachzeitschriften tragen – mit dem Druck des Leistungsnachweises – das Etikett «publish or perish». Parallel hierzu sind diejenigen, die man früher noch als Autoritäten bezeichnen durfte, vom Aussterben bedroht oder ins Greisenalter eingelaufen, während tüchtige Fach- und Sachkräfte mit blassem Profil das Zepter führen.

Es wäre sinnlos, darüber klagen zu wollen. Jede Zeit hat und braucht, was sie verdient. Lücken – etwa Fragen nach dem Sein und nach dem Sinn in dieser Welt – werden inzwischen von einer üppig spriessenden Beratungsliteratur gefüllt. Da dürfen wir dankbar sein, wenn wenigstens die Archive noch Bedeutsames und Interessantes aus den letzten Glanzzeiten des philosophischen Nachdenkens bergen und schliesslich ans Licht treten lassen. Der Münsteraner Hans Blumenberg war eine Koryphäe des Metiers; der in Berlin lehrende Religionsphilosoph Jacob Taubes immerhin eine profilierte und farbenfreudige Figur. Die beiden verkehrten akademisch miteinander, gelegentlich sogar privat, wovon auch ihr Briefwechsel zeugt. Damals schrieb man noch in dem inzwischen obsolet gewordenen Format. Folglich wird dem, dem nun Einsicht in die Korrespondenz gewährt wird, neben viel Inhaltlichem zugleich viel brillant Stilistisches offenbart.

 

Zwanzig Jahre Korrespondenz


Der intensive, gelegentlich leicht erregte Austausch begann 1961 und endete kurz vor Taubes' Tod mit einer Postkarte: Taubes meldete am 14. Oktober 1981, dass er auf der Frankfurter Buchmesse Blumenbergs epochales Buch «Die Lesbarkeit der Welt» entdeckt und beim Blättern bereits einen Druckfehler gefunden habe. Das konnte den Eremiten von Altenberge bei Münster nicht erfreuen, der solche Makel trotz seiner radikal aufgeklärten Geisteshaltung wie ein Werk des Teufels begriff. Eine Reaktion kam nicht mehr zustande. Ohnehin hatte sich die Beziehung in den letzten Jahren versteift. Schon 1977 war Blumenberg deutlich auf Distanz gegangen, nachdem ihm Taubes einen 21 Seiten langen Brief an Gershom Scholem zugänglich gemacht hatte. In dieser Epistel – und in dem Unterfangen, Scholem eine «kritische» Festschrift angedeihen zu lassen – witterte er rechtens eine Form von Vatermord des Zöglings gegenüber seinem Mentor.

Hans Blumenberg

So aber war Taubes. Ein Mann der sprühenden Einfälle, der sanften und mitunter robusten Provokationen, ein Regisseur von Wissenschaftspolitik mit dem naiven Stolz auf Intrigen und listige Winkelzüge. Was er an Arbeit für ein eigenes Werk, das den Namen verdiente, nicht aufzubringen vermochte, kompensierte er mit einer Fülle von Memoranda, Plänen, Merkskizzen, Diskussionsvoten und Anekdoten sowie mit einer rastlosen Reisetätigkeit zwischen Amerika, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Als Mitherausgeber der Reihe «Theorie» des Suhrkamp-Verlags zog er auch in Frankfurt die Fäden, auch wenn er sich dabei einen Einfluss zumass, den ihm der damalige Verleger Siegfried Unseld so kaum je gewährte.

Blumenberg, anderseits, war nicht von Anfang an nur der einsam-schwierige Verfasser gewaltiger Wälzer. In den sechziger Jahren engagierte er sich als Mitbegründer des Arbeitskreises «Poetik und Hermeneutik» wie auch an der Gestaltung des deutschen Universitätslebens. Er nahm solche Aufgaben sowohl gewissenhaft wie ernst, weshalb die spielerisch-taktischen Ein- und Ausfälle des Kollegen nur begrenzte Begeisterung erhielten. Im späteren Wissen um Taubes' Physiognomie liest man die Briefe der ersten Jahre mit einem gewissen Amüsement. Blumenberg sendet Taubes auf dessen Bitten hin ganze Stapel von Sonderdrucken eigener Aufsätze und erhofft sich dieselbe Geste von dem so Begünstigten. Er wird immer wieder vertröstet und erkennt erst nach längerer Zeit, dass daraus nichts werden wird, weil nichts vorhanden ist.

Immerhin hilft Taubes dabei, dass sich Suhrkamp für Blumenbergs Schriften zu interessieren beginnt, und seit 1965 erscheinen sie in beeindruckend regelmässigem Abstand dortselbst. Blumenbergs grosse Themen, die Säkularisation, die Genesis und Folgemacht der kopernikanischen Welt, die Arbeit am Mythos, das Verhältnis von Lebenszeit und Weltzeit, finden damit ein publizistisches Fundament, das den Autor aller Sorgen enthebt, das Œuvre könnte mehr oder weniger unbemerkt an der Öffentlichkeit vorbeiziehen. – Und Taubes ist – wie sein eigener Nachruhm schliesslich bekunden wird – vor allem ein Genius für Öffentlichkeit. Für ihn, der nach vielen Seiten den intelligenten Conférencier gibt, ist sie das ständig zu erneuernde Medium. Im Berlin der Achtundsechziger bewegt sich Taubes wie der Fisch in der Spree. Während er sich brieflich am Bildungsstand der Revolutionäre und an ihrem engstirnig-doktrinären Marxismus belustigt, präsentiert er nach aussen – im Hörsaal und auf der Strasse – den kämpferischen Stichwortgeber. Als er bei einer Demonstration von einem Polizisten angerempelt wird, trägt er den Angriff wie eine Trophäe – über deren Pathos sich wiederum Blumenberg in einer Glosse aus dem Nachlass den Spott nicht versagen kann. – Blumenberg geht zunehmend und schliesslich radikal anderer Wege. 

«Störung» wird zu einem untergründigen Leitmotiv, wo immer ihm der Eindruck entsteht, er werde davon und wider Willen abgelenkt, sein Werk voranzutreiben. Nach den ersten Kolloquien des Arbeitskreises «Poetik und Hermeneutik» beginnt sein Interesse zu erlahmen, und als er – auch durch manchmal hinterhältige Provokationen Taubes' – dazu verpflichtet werden soll, seine Bücher und sein Denken zu «erklären», ist die Lust an solchen Rechenschaftspflichten ins Gegenteil gekippt. Der Verdruss kündigt sich schon in den späteren sechziger Jahren an, scheut dann auch nicht das offene Wort und formuliert in einigen Briefen sogar frontal. Einmal heisst es: «. . . ich schreibe für einige wenige Leser, deren Erwartungen ich zu kennen oder vermuten zu können glaube». Taubes soll, das zeigt der Verlauf der Korrespondenz, nicht mehr wirklich zu ihnen gehören.

Taubes wiederum lässt sich davon kaum substanziell beeindrucken. Er sieht seinen Part in der Rolle des intelligenten Kommentators, wie er überhaupt die Aufgaben des «Hermeneuten» pflegt – sei es mit Loyalität gegenüber den Kollegen, sei es – öfters – mit Spitzen und Attacken über die Bande. Unseld bekennt er, Blumenberg stehe «manchmal in Gefahr, von seiner Philologie übermächtigt zu werden»; dem Romanisten Hans Robert Jauss eröffnet er im Oktober 1967, er ehre Blumenberg als Gelehrten, müsse aber doch zugeben, «dass der Umgang verdammt schwierig ist». Wer Taubes kannte, konnte nicht überhören, dass «Philologie» für ihn ein böses Verdikt war. Mir gegenüber verstieg er sich einmal gar – und mit weit ausholender Gestik –, Blumenbergs Werk sei im Grunde bloss Philologie.

In der Korrespondenz kokettiert er mit dem Wagnis, sich nunmehr selbst Carl Schmitt zuwenden zu wollen, doch ein persönlicher Kontakt komme allerdings niemals infrage. Bald aber sucht er Schmitts Bekanntschaft – zuerst in Briefen, dann mit mehreren Besuchen in Plettenberg. Politische Theologie will Taubes' Hauptagenda definieren. Tatsächlich kommt der Sohn eines Rabbiners, der selber eine theologische Ausbildung durchlaufen hat, von deren «Wahrheit» nicht los. Die religiöse Ligatur – wie sie sich in Vorlesungen über den Apostel Paulus bis hin in die letzten Lebensmonate dokumentiert – bleibt gegen alle vordergründige Ironie das Entscheidende seiner Existenz. Dagegen wäre in seinen Augen der Aufklärer Blumenberg vergeblich angerannt.

Man findet in Taubes' Briefen und Postkarten daneben witzige, häufig ätzende Aperçus. Der Mann, der von sich selber sagt, er suche immer wieder Gegner, an denen man sich «emporranken» könne, steckt den Grössen des Fachs scharfe Lichter auf. Gadamer oder Heidegger werden mit Spott bedacht. Nachdem der Zürcher Altphilologe Fritz Wehrli sich offenbar geweigert hat, den bedeutenden Religionsforscher Karl Kerényi an seine Universität zu ziehen, wird das Vorkommnis so berichtet: «Fritz Wehrli in Zürich sagte mir einmal, wir wollen keine Balkan-Philologen, obwohl doch Kerényi im Schlaf mehr einfällt als Wehrli in der Vorlesung.» – Anderseits beweist Taubes einigen Sinn für die Qualität von Autoren und Denkern, die damals noch nicht in aller Munde sind. Er empfiehlt Pierre Bourdieu und Henri Corbin, und von E. M. Cioran heisst es, er sei «der feinste Geist, der mir begegnet ist». Ein vielleicht nach bewährter Art übersteigertes, aber nicht falsches Urteil.

 

Im Fokus: Adorno


Adorno bildet eine weitere Spielfigur in und hinter dem Briefwechsel. Gegenüber Unseld lässt Taubes wissen, jener sei Blumenberg schon deshalb überlegen, weil er die dialektische Methode – was immer dies heissen mag – beherrsche. Kurz danach kommt Blumenberg – ohne von solchen Qualifikationen zu ahnen – seinerseits kurz auf Adorno zu reden. Er hat Adornos «Negative Dialektik» gelesen, die eigentlich nur aus Aphorismen bestehe, und was er dort finde, sei – von der Vorsicht der Formulierungen ins Deutsche übersetzt – doch eher zum Lachen.

Die schon erwähnte Kontroverse um Gershom Scholem und den Plan zu einer von Taubes angeregten «kritischen Festschrift» sorgt für den endgültigen «turning point» in der Beziehung. Blumenbergs langer und intensiver Brief des Protests gegenüber Abrechnungen jener Art ist ein herausragendes Testat in der Korrespondenz. Nachdem der Verfasser die Stillosigkeit auf schwachem Niveau benannt hat, holt er grundsätzlich aus zum Verhältnis zwischen Grösse und Kritik. Letztere sei zum Geschäft von Leuten verkommen, die oftmals kaum den Schimmer einer Ahnung davon hätten, was es heisse und bedeutete, über Jahrzehnte hinweg und ohne Knalleffekte ein Werk zu schaffen. Anders gesagt, wenn sich Taubes nun seinerseits solcher Methoden befleissige, verrate sein Brief Erschreckendes, nämlich einen zutiefst aggressiven Akt und – so das «psychologische» Fazit – «motorische Potenz im Hintergrund».

Damit hätte es sich beinahe gehabt. Die letzten Dokumente des Austauschs streben nochmals die Höflichkeit an, doch die Freundschaft von einst – oder das, was beide darunter zu verstehen glaubten – ist zerbrochen. Blumenbergs «Arbeit am Mythos» findet bei Taubes keine echte Resonanz, als er an der Frankfurter Buchmesse «Die Lesbarkeit der Welt» entdeckt, mag zum letzten Male auch das Staunen über die Produktivität des Briefpartners aktiviert worden sein. Aber für Jacob Taubes geht die Lebenszeit dem Ende zu. – Ein Wort zur Präsentation. Sie ist mit Anmerkungen, zusätzlichen Quellen und präzisen Kommentaren mustergültig angelegt worden.


Hans Blumenberg, Jacob Taubes: Briefwechsel. Herausgegeben von Herbert Kopp-Oberstebrink und Martin Treml. Suhrkamp, Berlin 2013. 349 S., Fr. 53.90.

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