Mittwoch, 30. Oktober 2013

Der Beitrag der Schlange zur Menschwerdung des Affen.

aus Die Presse, Wien, 30.10.2013

Haben die Schlangen den Menschen (mit) erschaffen?
Warum wir große Gehirne haben und den Blick direkt nach vorn gerichtet, ist ein altes Rätsel. Eine Hypothese vermutet, es komme daher, dass Primaten immer schon die Gefahr früh sehen mussten.


Kein anderes Tier hat es in den Mythen zu so einer Rolle gebracht wie die Schlange, für manche Kulturen war sie die Inkarnation des Bösen, die Midgardschlange etwa, für andere war sie heilig. Und das seit Beginn der Zeiten, zumindest denen der Kultur: In einer Höhle in Botswana ruht seit 60.000 Jahren ein gewaltiger, von Menschen behauener Stein, sechs Meter lang, er sieht aus wie ein Python; noch älter sind, auch in Afrika, Ockerstücke und Eierschalen, in die Muster eingeritzt sind, vielleicht Ornamente, vielleicht aber auch – Schlangenlinien. Woher das alles?

Es gibt natürlich noch einen Mythos, den der Genesis, und den kann man auch so lesen, dass der Mensch erst Mensch wurde, als die Schlange kam mit ihrer vergifteten Gabe. Durch deren Verzehr erkannten sie einander – und den Sex und die Moral –, und dann mussten sie hinaus in die Sterblichkeit und in die Welt, unter Schmerzen gebären, im Schweiß des Angesichts arbeiten, sich auseinandersetzen mit Objekten und sich bilden.

Steckt in dieser Schlüsselrolle der Schlange etwas, was man in der Schöpfungsgeschichte zuletzt vermuten würde: ein zentraler Schritt der Evolution? Das postuliert die „Snake Detection Theory“, sie wurde 2004 von der Anthropologin Lyne Isbell (UC Davis) entwickelt und sollte erklären, warum Primaten direkt nach vorn gerichtete Augen haben, und warum es bei manchen Primaten, unseren Ahnen, zu einer starken Vergrößerung des Gehirns kam. In der herkömmlichen Sicht wurden Augen so nach vorn gerichtet, weil Primaten mit ihren Händen nach etwas greifen – Futter –, aber man fand keine entsprechenden Nervenzellen im Gehirn.

Deshalb setzte Isbell auf die Schlange, die ist die älteste Bedrohung der Säugetiere: Vor 100 Millionen Jahren kamen die Würgeschlangen, vor 60 Millionen die mit den Giften, und manche Säuger, Nager, reagierten mit Immunisierung gegen die Gifte. Andere, Primaten, stellten den ganzen Körper um: Sie schärften die Augen und fuhren im Gegenzug den Geruchssinn herunter; sie bildeten im Gehirn ein putatives Zentrum zur Erkennung von Gefahren („fear module“), und beides sorgte mit dafür, dass das Gehirn größer wurde (Journal of Human Evolution, 51, S.1).

So weit die Hypothese. Die gefiel dem japanischen Hirnforscher Hisao Nshijo (Toyama), er tat sich mit Isbell zusammen, sie testeten das Ganze im Experiment an zwei Makaken, denen sie Elektroden in die Gehirne einpflanzten und dann auf PC-Schirmen Bilder vorführten, Bilder von Schlangen, ausgestreckten oder eingerollten, Bilder von Artgenossen mit verärgerten Gesichtern, Bilder von geometrischen Mustern.

Auf alle Bilder schlug im Gehirn eine Region an, das Pulvinar, es ist Teil des Thalamus – dort wird entschieden, welche Information wichtig ist –, es ist auch direkt mit der Netzhaut verbunden. Aber die Reaktionen waren in Quantität und Qualität höchst verschieden: Bei den Schlangen wurden 40 Prozent der Zellen aktiv, beim bedrohlichen Artgenossen 28, beim Muster 12. Zudem kam die Reaktion auf Schlangen extrem schnell, 15 Millisekunden rascher als auf das Gesicht, 25 rascher als auf die Muster (Pnas, 28.10.). „Das unterstützt die Perspektive, dass Schlangen in der Evolution unsere Primatenlinie schon lange mit geformt haben“, schließen die Forscher, sie fügen noch einen indirekten Beleg hinzu: Auf Madagaskar gibt es keine Giftschlangen – und die dortigen Primaten, die Lemuren, haben im Gehirn überhaupt kein Pulvinar.

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