Montag, 28. Oktober 2013

Allnächtliche Gehirnwäsche.

aus scinexx

Gehirnwäsche im Schlaf
Nachts schwemmt das Gehirn molekularen Abfall aus  

Im Schlaf regeneriert sich nicht nur unser Körper, auch das Gehirn benötigt diese Ruhepause. Wozu, ist bisher allerdings nur in Teilen geklärt. US-Forscher haben nun eine neue Antwort auf die alte Frage gefunden: Unser Denkorgan nutzt den Schlaf zur Müllentsorgung. Es schwemmt während der Nacht molekulare Abfallstoffe aus. Möglicherweise ist es daher sogar das Bedürfnis nach Entsorgung, das unsere Müdigkeit und unser Schlafbedürfnis auslöst, mutmaßen die Wissenschaftler im Fachmagazin "Science". 

Ob Maus oder Mensch, Wal oder Giraffe: Nahezu jedes Tier schläft in irgendeiner Form – und stirbt, wenn ihm die Nachtruhe lang genug verwehrt wird. Bei unserer Spezies gelten chronische Schlafstörungen als Risikofaktor für allerlei Krankheiten, von Epilepsie über Alzheimer bis hin zum Schlaganfall. Schon eine schlaflose Nacht reicht, um uns das Hirn zu vernebeln: Wer müde ist, ist weniger aufmerksam und trifft schlechtere Entscheidungen. Doch warum ist Schlaf so wichtig für uns? Bekannt ist bereits, dass unser Hirn die Nachtruhe benötigt, um neue Erinnerungen zu konsolidieren. Was aber unsere grauen Zellen sonst so treiben, wenn uns die Augen zufallen, war bisher unbekannt.

Entweder aufpassen oder aufräumen

Forscher um Lulu Xie von der University of Rochester haben nun bei Mäusen einen weiteren Mechanismus entdeckt, der Schlaf unabkömmlich macht: Nachts werden schädliche Stoffwechselprodukte im Gehirn weggeschafft. „Das Hirn hat nur eine begrenzte Menge an Energie zur Verfügung, und es scheint, als müsse es sich zwischen zwei funktionellen Zuständen entscheiden – entweder ist es wach und passt auf, oder es schläft und räumt auf“, sagt Koautorin Maiken Nedergaard. „Man kann es sich so vorstellen, als würde man eine Party bei sich zu Hause schmeißen. Entweder man unterhält die Gäste oder man räumt auf, aber man kann kaum beides zur gleichen Zeit machen.“

Die Müllabfuhr im Gehirn bedient sich eines Systems, das die Forscher bereits im vergangenen Jahr aufgespürt hatten. Das glymphatische System ist ein Netzwerk aus winzigen Kanälen, die Hirnwasser transportieren. Kontrolliert wird dieses Netzwerk nicht von Nerven-, sondern von Gliazellen, den Stütz- und Hüllzellen des Gehirns. Ähnlich wie das Lymphsystem im Rest unseres Körpers ist es für den Abtransport von Abfällen zuständig. Der gesammelte Unrat wandert aus dem Hirnwasser zurück in den Blutkreislauf und wird fortgewaschen.

Abflusskanäle erweitern sich im Schlaf

Um die Aktivität des glymphatischen Systems im schlafenden und wachen Hirn vergleichen zu können, brachten die Wissenschaftler Mäusen bei, unter einem speziellen Mikroskop einzuschlafen. Waren die Nager eingedöst, injizierten die Forscher grünen Farbstoff ins Hirnwasser und beobachteten, wie er sich verteilte. Nachdem sie die Mäuse wieder aufgeweckt hatten, injizierten sie rote Farbe und beobachteten wiederum, was mit ihr geschah.

Sie stellten fest, dass der Fluss des Hirnwassers im Schlaf und unter Narkose tief ins Gewebe hineinreichte. Bei wachen Mäusen reduzierte er sich um 95 Prozent und blieb auf die Oberfläche des Gehirns beschränkt. Auch extra markierte β-Amyloide wurden im Schlaf doppelt so schnell weggeschafft wie im Wachzustand. Diese Proteine sind Bestandteil der krankhaften Ablagerungen im Hirn von Alzheimer-Patienten.

Der effizientere Abtransport von molekularem Müll ging mit erstaunlichen Veränderungen der Gewebestruktur einher. Bei wachen Mäusen machte der Zellzwischenraum lediglich 14 Prozent des Hirnvolumens aus, bei schlafenden Tieren waren es hingegen 23 Prozent. Die Forscher vermuten, dass der Neurotransmitter Noradrenalin eine wichtige Rolle bei der Ausdehnung und Kontraktion der Zellen spielt. Das Hormon wird verstärkt ausgeschüttet, wenn wir wachsam sein müssen – etwa in Gefahrensituationen. Im Schlaf sinkt seine Konzentration im Gehirn.

Bestimmt die Müllabfuhr unser Schlafbedürfnis?

Die Forschungsergebnisse werfen eine Reihe weiterer Fragen auf – etwa die, ob die Ansammlung von Müll im Hirn auch unser Schlafbedürfnis beeinflusst. Denkbar wäre, dass uns die Müdigkeit überfällt, sobald die Unordnung zu groß wird. Möglicherweise drängt uns das Hirn zu einem Nickerchen, damit es mit dem Reinemachen beginnen kann. Die zweite Frage ist, ob und zu welchem Ausmaß das Phänomen der nächtlichen Hirnwäsche bei anderen Arten auftritt.

Suzana Herculano-Houzel von der Universidade Federal do Rio de Janeiro schlägt in einem begleitenden Kommentar vor, der Mechanismus könne eine Erklärung für das unterschiedliche Schlafbedürfnis verschiedener Tiere liefern. Denn während Fledermäuse 20 Stunden am Tag ratzen, kommen Giraffen und Elefanten mit drei bis vier Stunden aus. Haben sie dank ihrer großen Hirne einfach größere Zellzwischenräume voller Hirnwasser, die Schadstoffe zwischenspeichern können? Ein Rätsel, das nicht einfach zu lösen sein wird, wie Herculano-Houzel weiß: „Wenn Neurowissenschaftler lebende Tiere mit großem Hirn doch nur so einfach ins Labor holen könnten.“ (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1241224)

(Science, 21.10.2013 - NSC)



aus diePresse.com, 17.10.2013 | 16:17 |

Wozu Schlaf? Zum Entsorgen des Hirnmülls! 
Eines der größten Rätsel des Lebens ist gelöst: das, warum alle schlafen, obwohl das gefährlich ist. Es muss sein. Das Gehirn entsorgt dann seine Abfälle, die oft so giftig sind, dass sie Leiden wie Alzheimer auslösen.

Schlafen ist, zumindest in der freien Natur, eine riskante Sache – viele Raubtiere nützen das Dunkel –, und doch schlafen alle, von der kleinsten Mücke bis zum größten Elefanten, sie tun es nur unterschiedlich lang. Fledermäuse verschlafen 20 Stunden des Tages, Elefanten kommen mit vier Stunden aus. Und wir? Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir in diesem eigenartigen Zustand, in dem in Wahrheit fast nichts schläft, das Herz pumpt, gottlob, das Gehirn ist auch aktiv, nur die Sinnesorgane sind eingelullt, und die Skelettmuskeln stellen ihre Aktivität weithin ein, sonst würden wir im Schlaf herumspringen und uns und andere verletzen.

Wozu tun wir und all die anderen das, wo doch Gefahr droht (für uns: über die längste Zeit der Gattungsgeschichte drohte)? Man weiß es nicht, es gibt bzw. gab nur Hypothesen, etwa die, dass das Gehirn im Schlaf Müll entsorgt, giftige Stoffwechselprodukte der Tagesarbeit; oder die, dass das Gehirn im Schlaf den Tag durchgeht, unwichtige Erinnerungen ausscheidet, wichtige verfestigt: lernt. Das ist auch so, wie man in den vergangenen Jahren gezeigt hat, aber es wiegt das Risiko der minimierten Wahrnehmung der Umwelt nicht auf. Wozu also? Bisher kannte man nur eine höchst unzureichende Antwort ex negativo: Wenn man Ratten den Schlaf entzieht, sind sie nach spätestens 14 Tagen tot, Hunger halten sie länger aus; und wenn man Menschen den Schlaf entzieht, brechen sie bzw. ihre Willenskräfte in kürzester Zeit zusammen – das machten und machen sich die Folterer aller Zeiten zunutze.

Zellen machen Platz für Kanalisation

Aber was sorgt im Gehirn dafür, dass Schlaflosigkeit noch viel riskanter ist als Schlaf? Die (dann fehlende) Müllabfuhr, diese Hypothese hat sich nun bestätigt. Und zwar eine Müllabfuhr, die Maiken Nedergaard (Rochester) erst im Vorjahr entdeckt hat. Zuvor war völlig unklar, wie das Gehirn entsorgt, was es nicht mehr braucht und was ihm gefährlich werden kann. Im restlichen Körper ist dafür das Lymphsystem zuständig, aber das endet an der dichten Grenze des Gehirns, der Blut/Hirn-Schranke. Zwar fließt auch im Gehirn etwas – Zerebrospinalflüssigkeit vulgo Nervenwasser –, und es spült auch Abfall aus, aber viel zu langsam und viel zu wenig. Doch das Gehirn hat ein zweites Entsorgungssystem, es wird von Gliazellen gebildet und erhielt deshalb – in Anlehnung an die Lymphe – den Namen glymphatisches System. Er stammt von Nedergaard, sie konnte das Phänomen nur entdecken, weil man es nur am lebenden Gehirn sieht und erst neueste Mikroskoptechnik diesen Blick ermöglicht.

Nun kommt die Forscherin mit der nächsten Überraschung, sie hat – wieder an Mäusen, wie im Vorjahr – bemerkt, dass das glymphatische System im Schlaf aktiver ist, um die zehnmal so aktiv wie im Wachzustand: 95 Prozent des Gehirnmülls werden dann entsorgt. Möglich wird das dadurch, dass im Schlaf die Gehirnzellen schrumpfen, und wie: um 60 Prozent, das schafft Raum für die Abwasserkanäle (Science, 342, S. 372). Durch die werden dann etwa toxische Proteine entsorgt, die hinter vielen Krankheiten des Gehirns stehen, etwa hinter Alzheimer: „Unsere Befunde haben signifikante Implikationen für die Behandlung von Krankheiten des ,verschmutzten Gehirns‘“, schließt Nedergaard.

Vielleicht haben sie auch Bedeutung weit darüber hinaus: Dass wir ein Drittel unseres Lebens verschlafen, ist schon lange nicht mehr wahr, die Schlafdauer hat sich in den vergangenen Jahren verkürzt, parallel dazu haben nicht nur die Alterskrankheiten des Gehirns zugenommen, es kam auch zur von der Weltgesundheitsorganisation WHO so genannten „Epidemie der Verfettung“, auch andere Leiden werden mit dem mangelnden Schlaf bzw. der Lichtverschmutzung in Verbindung gebracht. (jl)

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