Montag, 23. Januar 2017

Gedächtnis: Nicht nur auf die Synapsen, auch auf den Zellkern kommt es an.

 aus derStandard.at, 22. Jänner 2017, 09:00                                     Nervenzellen im Hippocampus

Innsbrucker Forscher entschlüsseln das Gedächtnis
Molekularbiologen der Medizinischen Universität Innsbruck forschen an den Grundlagen für das Langzeitgedächtnis 

von Steffen Arora

Innsbruck – Kein anderes Organ im menschlichen Körper stellt die Wissenschaft bis heute vor so viele Rätsel wie das Gehirn. Die Molekularbiologen Galina Apostolova und Georg Dechant von der Gemeinsamen Einrichtung für Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Innsbruck haben nun einen weiteren Schritt bei der Entschlüsselung der Funktionsweise unseres Gedächtnisses geschafft.

Konkret wurde nachgewiesen, dass ohne das Protein Satb2 im zentralen Nervensystem kein Langzeitgedächtnis gebildet werden kann. Satb2 regelt im Zellkern die dreidimensionale Anordnung der DNA. Die neue Innsbrucker Studie, die im Wissenschaftsmagazin eLife publiziert wurde, belegt nun, dass eine korrekte Ausführung von Gedächtnisleistungen nur möglich ist, wenn die DNA richtig angeordnet ist. Bei Versuchen mit erwachsenen Mäusen gelang es den Forschern durch die Entnahme und das Wiederhinzufügen des Proteins Satb2 aus dem Gehirn, das Langzeitgedächtnis der Tiere aus- und wieder einzuschalten.

Vor allem dieses neue Tiermodell schafft Möglichkeiten der Umlegbarkeit der Forschungsergebnisse auf den Menschen. Bei Patienten werden Mutationen des menschlichen Satb2-Gens nicht nur für schwerwiegende Beeinträchtigungen der höheren Denkfunktionen verantwortlich gemacht, sondern sie vermitteln auch ein erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken.

Standen bei der Gedächtnisforschung bisher die synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen im Vordergrund, belegen nun neue Arbeiten, wie die der Innsbrucker Wissenschafter, dass die Grundlagen für unser Langzeitgedächtnis auch im Zellkern zu suchen sind. Anders als etwa Hautzellen erneuern sich Nervenzellen so gut wie nicht durch Zellteilung.

"Diese Zellen und ihr Zellkern müssen ein ganzes Leben lang ihre Funktion erfüllen und sich plastisch an Veränderungen anpassen. Wir vermuten, dass die Abnahme von Denkleistungen im Alter auch mit der Verschlechterung der Leistung der Kerne von Nervenzellen zusammenhängen könnte", erklärt Dechant.

Verteilung des Proteins

Interessant ist auch die Verteilung des Satb2-Proteins, das nur sehr selektiv in zwei Bereichen des Gehirns vorkommt: im zerebralen Kortex, wo Gedächtnisinhalte abgespeichert werden, und im Hippocampus, wo das Gedächtnis gebildet wird.

Gerade hinsichtlich möglicher neuer Therapieformen ist diese Verteilung besonders wichtig, weil sich Satb2 somit als ideales Target anbietet, um Gedächtnisleistung zu verändern, ohne dass Vitalfunktionen, die von anderen Gehirnregionen gesteuert werden, durch Nebenwirkungen in Mitleidenschaft gezogen werden.

Durch die Entschlüsselung der Wirkung von Satb2 im Nervenzellkern sind Apostolova und Dechant in ihrer Forschung einen großen Schritt weitergekommen. "Ziel unserer zukünftigen Arbeiten wird es sein, einen Wirkstoff in Form eines Medikamentes zu finden, der die Funktion von Satb2 im Gehirn beeinflusst." Um ihre Erkenntnisse für den Menschen anwendbar zu machen, bedarf es noch viel Arbeit.

Ringen um Mittel

Finanziert wurde die Forschung vom Wissenschaftsfonds FWF. Ohne ihn, einen Spezialforschungsbereich sowie ein Doktoratskolleg wäre die Forschung nicht möglich gewesen, sagen die Wissenschafter. Durch diese Netzwerke wurde auch die Zusammenarbeit mit Nicolas Singewald vom Institut für Pharmakologie an der Innsbrucker Universität ermöglicht, die wesentlich zum Erfolg der Arbeit beigetragen hat.

"Es wäre wichtig, wenn Österreich den FWF mehr wertschätzen würde und mit mehr Mitteln ausstatten könnte. Wir tun uns sehr schwer, langfristig zu planen, und sind im Vergleich mit unseren internationalen Kollegen unterfinanziert", beschreibt Dechant die alltäglichen Schwierigkeiten in seiner Arbeit.

Denn die Konkurrenz schläft nicht. Die Neurowissenschaften entwickeln sich immer mehr zur Leitwissenschaft. Das bleibt für den Arbeitsmarkt für Wissenschafter nicht ohne Folgen. So sind Neurowissenschafter zunehmend auch in der Wirtschaft und der IT-Branche gefragt. "Auch dort hat man großes Interesse daran, die Grundlagen menschlichen Verhaltens besser zu verstehen."  

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