Montag, 24. März 2014

Büchner-Ausstellung in Zürich.

aus NZZ, 21. 3. 2014

Fragmente einer unvollendeten Existenz
Das Museum Strauhof erkundet in der Ausstellung «Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell» Leben und Werk des in Zürich verstorbenen Dichters 

von Roman Bucheli 

Unweigerlich stellt man sich die Frage: Wo, um Himmels willen, sollen dereinst solche Ausstellungen in Zürich gezeigt werden? Wenn es das Museum Strauhof nicht gäbe, man müsste es erfinden. Wie und wo könnte man sonst eine verwinkelte Existenz wie Georg Büchners mit einem literarischen Werk aus lauter Bruchstücken wie seines ausstellen - wenn nicht in einem Haus, das seinerseits das Verwinkelte und Zerstückelte in sich abbildet? Bald wird es das Museum Strauhof indes nicht mehr geben. Und bald wird es darum auch solche Ausstellungen nicht mehr geben.

Gebrochene Lebenslinien

Zu Georg Büchners 200. Geburtstag war diese Ausstellung in Darmstadt konzipiert und erstmals im vergangenen Herbst gezeigt worden. Der Kurator Ralf Beil, Direktor des Instituts Mathildenhöhe, hatte sie in einen riesigen Saal des Kongresszentrums gebaut - und machte dort die gebrochenen Linien dieses kurzen Lebens mit dem vielfältigen, nach allen Richtungen ausgreifenden Schaffen in einer architektonisch aufwendigen Inszenierung geschickt sichtbar.

Natürlich fragt man sich, ob und wie eine derart grosszügig angelegte und reich bestückte Ausstellung in den engen Verhältnissen im Strauhof überhaupt noch ihre Wirkung entfalten kann. Die Antwort ist schnell gegeben: Gewiss musste auf zahlreiche Exponate verzichtet werden; solche Verluste aber macht gerade das Atmosphärische dieses Hauses spielend wett. Das Enge muss hier nicht künstlich nachgebaut werden, die vielfachen Krümmungen und Brüche des Lebensweges lassen sich geradezu ideal in den Räumlichkeiten abbilden, und die vielen Durchblicke von Zimmer zu Zimmer versinnbildlichen die gesellschaftliche und politische Sprengkraft von Büchners Gedankenwelt in einer Zeit sozialer Not und autoritärer Herrschaft.

Die Räume des Erdgeschosses zeichnen die biografischen Stationen von Kindheit und Jugend in Darmstadt, der Studienjahre in Strassburg und Giessen nach und münden schliesslich in die Flucht nach Zürich, denn als solche kann man Büchners Übersiedlung in die Schweiz wohl bezeichnen.
Mit geschickter Auswahl von Dokumenten (Schulzeugnisse, Briefe, die elterliche Bibliothek) und expressiver Inszenierung (von einer der Aussichtsplattform des Strassburger Münsters nachempfundenen Balustrade aus blickt man auf ein fotografiertes Relief der Stadt hinunter) wird Büchners Lebensweg vermessen und die Ausbildung zum philosophisch geschulten Naturwissenschafter dokumentiert.

Auf- und Umbrüche

Ob darin eine innere Folgerichtigkeit waltete, ob der Weg vom Elternhaus über die mannigfaltigen Lektüren, das Studium und die Verlobte Wilhelmine Jaeglé im Strassburger evangelischen Pfarrhaus, mit der sich Büchner durchaus auch über Weltanschauliches austauschte, in die Politisierung führen musste? Die Ausstellung gibt darauf keine Antwort. Sie zeigt lediglich, wie dieses Leben sich entwickelte, bald zielstrebig in geraden Linien, bald in wilden Auf- und Umbrüchen.

Und wie aus diesem biografischen Unterbau ein literarisches Werk in einer veritablen Eruption und in kürzester Zeit herausbrach: Das führen die Ausstellungsräume im oberen Stockwerk des Strauhofs vor. Vom revolutionären Manifest «Der Hessische Landbote» (das Büchners Mitstreitern Haft und Tod brachte) über die Erzählung «Lenz» bis zu den drei überlieferten Dramen. Das letzte dieser Dramen, «Woyzeck», gedieh freilich nicht über fragmentarische Handschriften hinaus. Zwei davon entstanden in Büchners letzten Lebensmonaten in Zürich.

Und auch hier kommt das Labyrinthische der Räumlichkeiten dem Stoff entgegen. Die Inszenierung auf kleinstem Raum verdichtet sowohl das Beengende der Zeit wie zugleich das aufwühlende Ineinander von revolutionärem Aufbruch, Dekadenz im Lustspiel und Wahn- wie Irrsinn in der Erzählung «Lenz» oder in den Dramen «Dantons Tod» und «Woyzeck» zu physisch erlebbarer Unmittelbarkeit.

So sieht sich der Besucher in der kleinen «Lenz»-Kammer unvermittelt einem überlebensgrossen, schreckensstarr und weit geöffneten Augenpaar gegenüber und begreift auf einmal und ganz zwanglos die doppelte Perspektive: Büchner hat in «Lenz» auch ein freilich verfremdetes Selbstporträt gezeichnet. Die Einsicht in die Ausweglosigkeit - im Politischen - und die Unzulänglichkeit aller - auch der poetischen - Mittel angesichts autoritärer Despoten musste ihn ernüchtert und deprimiert haben. Lenz machte die Erfahrung im Zeichen der Poesie, mit Woyzeck zeichnete Büchner diese existenziellen Erschütterungen, die geistige wie sittliche Zerrüttung des Menschen noch einmal in rabiater Zuspitzung nach.

Fragmente einer Existenz

Büchner muss in Zürich an der Spiegelgasse eine stille Zimmerexistenz geführt haben (auch wenn er Geselligkeiten im nahen Kasino im heutigen Obergericht nicht abgeneigt war). Er schrieb, sezierte und dozierte (vor zwei, drei Studenten) in seiner Kammer, die im Strauhof andeutungsweise nachgebaut worden ist. Hier hinein blickt der Besucher und sieht die Fragmente einer unvollendeten Existenz vor sich: Schreibwaren, Sezierbesteck. Im Oktober 1837 besuchte ein Freund das Grab auf dem Krautgarten-Friedhof. «Noch wächst kein Gras, aber Blumen drauf von lieber Hand gepflanzt», berichtet er und fügt hinzu: «Sein Andenken ist unter den Professoren schon ziemlich erblasst.»

Zürich, Museum Strauhof, bis 1. Juni. Das umfangreiche und vielfältig bebilderte Katalogbuch erschien im Verlag Hatje Cantz und kostet in der Ausstellung
72 Franken.
Im Begleitprogramm zeigt das Filmpodium im April Werner Herzogs Film «Woyzeck» und im Mai Thomas Imbachs Film «Lenz».

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