Sonntag, 17. November 2013

Konrad Lorenz, vor 110 Jahren.

aus Die Presse, Wien, 17. 11. 2013


Postmortale Trivialisierung: 
Leben und Werk des Konrad Lorenz 
Der Nobelpreisträger von 1973 wäre vergangene Woche 110Jahre alt geworden: ein Wissenschaftler und Opportunist.

 

Am 7.November wäre Konrad Lorenz 110 Jahre alt geworden – in den österreichischen Medien blieb das weitgehend unbeachtet. Ein Beitrag des WDR war auch nicht gerade ein Grund zur Freude. Ohne diesen hätte ich den Geburtstag allerdings auch vergessen. Shame on me – habe ich doch 1990, etwa ein halbes Jahr nach seinem Tod, die Leitung der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau/Almtal für die Uni Wien übernommen.

Lorenz haben wir dauerhaft viel zu verdanken. Er war wohl einer der wirkmächtigsten Begründer eines naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes. Schon als Kind hielt er viele Tiere, zog sie per Hand auf und erwarb damit früh ein systematisches Wissen über Instinkthandlungen und Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens. Schon als junger Mann war er neben Erwin Stresemann und Oskar Heinroth einer der profiliertesten Wissenschaftler seiner Zeit.

In den 1930er-Jahren wurde Lorenz zu einem entschiedenen Gegner der sogenannten Vitalisten. Diese hielten sich nämlich ein metaphysisches Schlupfloch offen, indem sie meinten dass der Instinkt einer wissenschaftlichen Erklärung weder bedürftig noch zugänglich sei. Dem hielt Lorenz entgegen, dass alle Lebensäußerungen auf den physikochemischen Vorgängen im Gehirn beruhten. Womit er natürlich recht behalten sollte.
 
 

Konrad Lorenz begründete gemeinsam mit Erich von Holst die „Ethologische Theorie“, die er später mit Niko Tinbergen zur tragfähigen Theorie der evolutionär fundierten Erklärung tierischen und menschlichen Verhaltens ausbaute, wofür die beiden mit Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis für Medizin erhielten. Lorenz beschrieb unter anderem die soziale Prägung, er verankerte das Kindchenschema in unserem Bewusstsein und er legte den Grundstein für das moderne Verständnis des Menschen als Teil des „Darwin'schen Kontinuums“.

Er war tatsächlich einer der Väter der vergleichenden Verhaltensforschung. Wohingegen ihn der zweifelhafte Ehrentitel Vater der Graugänse aus naheliegenden Gründen immer ärgerte.

 

Lorenz war frühzeitig und recht opportunistisch um ein eigenes Kaiser-Wilhelm-Institut bemüht. Das sollte er erst 1950 mit einem Max-Planck-Institut schaffen. Darum, und weil er den Muff des österreichischen Ständestaates nicht ausstehen konnte, trat er 1938 der NSDAP bei. Der Verhaltensbiologie deswegen vorzuwerfen, sie wäre Nazi-Wissenschaft ist natürlich absurd. Einen unrühmlichen ideologischen Berührungspunkt hatte Lorenz aber sein Leben lang: sein Vorurteil von der „Verhausschweinung“ des Menschen, also der Selbstdomestikation – verursacht durch genetische Degeneration des Zivilisationsmenschen. Diesen Unsinn verzapfte er selbst noch in seinen „Acht Todsünden“, einem Machwerk zweifelhafter Güte, erschienen im Jahr der Nobelpreisverleihung.

Die Lorenz'schen Nazi-Verwicklungen wurden in der 2003 erschienenen Biografie von Klaus Taschwer und Benedikt Föger aufgearbeitet. Die beiden verfügten aber offenbar nicht über die entsprechende Perspektive, um die Lorenz'sche Lebensgeschichte in ein angemessenes Verhältnis zum wissenschaftlichen Werk zu setzen. Auch im erwähnten WDR-Beitrag überwogen seine Nazi-Verwicklungen – platt und ohne eine Ahnung davon zu vermitteln, wie wichtig Konrad Lorenz für die Entwicklung des modernen Menschenbildes war. Auch eine Art postmortaler Trivialisierung.

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.
E-Mails an: debatte@diepresse.com





Nota.

Mir hat die Sache mit der Verhausschweinung immer besonders gefallen, mehr als einiges andre. Was stimmt denn damit nicht? Nicht politisch korrekt?
JE 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen