Dienstag, 14. April 2015

Der Hirnforscher und die Verneinung.

Erstaunt bemerke ich, dass ich den folgenden Beitrag in diesem Blog noch nicht wieder gepostet hatte. Das hole ich nun nach, wenn auch die Aktualität es nicht erheischt.



Als der Hirnforscher Gerhard Roth im Philosophischen Quartett bei Sloterdijk und Safranski die These von der vollständigen Determiniertheit unseres durchaus nicht freien Willens vertrat, räumt er am Ende der Diskussion doch eine Ausnahme ein: „die Verneinung“.

Er hat die Tragweite seiner Einschränkung nicht bedacht. Wenn der Verneinungsmodus eine Ausnahme von der Determiniertheit unseres Willens ist, dann ist der ganze Mensch eine Ausnahme von der Determination. Denn der Mensch kann grundsätzlich Alles verneinen und verleugnen. Könnte er nicht nein sagen, dann könnte er nicht ja sagen. Eben das ist die Freiheit seines Willens.

„Der Mensch ist das Tier, das nein sagenkann“, meint Max Scheler.

Die Ausnahme von der Regel.

Ich will raus in den Park. Ich sehe aus dem Fenster. Eine dunkle Wolkenfront zieht auf. Ich sage „Nein!“

Da habe ich, nach Gerhard Roth,  frei gehandelt.


(Ich will raus in…) Ich sehe in den Himmel. „Soll ich oder soll ich nicht?“ Dann greife ich meinen Schirm und gehe doch.

Ich habe ebenfalls frei gehandelt. Denn zu dem Gedanken „ich soll nicht“ habe ich nein gesagt.
Das wird Gerhard Roth kaum bestreiten.

Ich bin im Park, ein unabweisliches Bedürfnis ergreift mich, „nein“ kommt überhaupt nicht in Frage, aber… wie? Taschentücher sind noch genügend da, da vorn ist ein Gebüsch, na wenn das mal nicht in (…) geht…

Eine Wahl habe ich nicht, aber einfach nur ja! sagen kommt schon gar nicht in Frage, es ist so vieles zu berücksichtigen, zu erwägen, in die Wege zu leiten, und alles so schnell…

Und das soll dann ‚unfrei’ sein?

Schnick- schnack, würde Wolf Singesagen. Kollege Roth hat manchmal einen schwachen Moment, ich für mein’ Teil hätte so eine Einschränkung gar nicht zugegeben: „Im Bezugssystem neurobiologischer Forschung gibt es keinen Raum für objektive Freiheit, weil die je nächste Handlung, der je nächste Zustand des Gehirns immer determiniert wäre durch das je unmittelbar Vorausgegangene.“ Einem jeden uns als frei gefasst dünkenden Gedanken liegt ein neuronales Verschaltungsmuster zu Grunde, das diesen und nur diesen einen Gedanken ‚bedeutet’. Singer sagt uns, „dass unterschiedlichen Gedanken verschiedene neuronale Aktivitätsmuster zugrunde liegen. Kein Gedanke ohne Substrat. Allem, was begrifflich trennbar ist, müssen unterschiedliche Gehirnzustände entsprechen.”

Abbildungs-Modi

(Lassen wir mal das ‚begrifflich’ beiseite, das hier gar nichts verloren hat. Und an dieser Stelle will ich mich auch nicht über die mögliche Umkehrung auslassen: Einer sagt mir das Wort ‚Pferd’, ich denke also ‚Pferd’ – und folglich stellt sich in meinem Hirn dieses eine und kein anderes Ver- schaltungsmuster ein… Da würde dann der Geist die Materie “determinieren”.)

Hier will ich genauer auf die Frage eingehen, was „zu Grunde liegen“ an dieser Stelle bedeuten mag. Dann werden wir nämlich sehen, dass im Verneinungs-Modus auch ganz ohne Gerhard Roth der Teufel steckt!

Mit Zugrundeliegen dürfte ja wohl Abbilden gemeint sein, wenn Singer das Wort auch meidet. Nämlich in einemanalogen Modus „wiedergeben“, „repräsentieren“, „nachzeichnen“.

Zur Erinnerung: ‚Analog’ ist ein Zifferblatt, wenn sich darauf ein Zeiger in konstantem Tempo so dreht, dass die Drehbewegung auf sinnlich wahrnehmbare Weise das gleichmäßige ‚Verlaufen’ der Zeit „darstellt“; selbst wenn gar keine Ziffern zu sehen sind, sondern nur Striche und Punkte. Auf einem ‚digitalen’ Zifferblatt erscheinen dagegen in gleichmäßigen Abständen nach einander die Ziffern selbst und zeigen an, „wie spät“ es ist. Freilich nur dem, der weiß, was diese Ziffern – diese ‘digits’ – bedeuten. Er muss unser Zahlensystem gelernt haben und wissen, dass der Tag vierundzwanzig Stunden hat. Auf dem analogen Ziffernblatt kann ein Fünfjähriger an der Bewegung des Sekundenzeigers zusehen, wie eine Minute vergeht. Er mag sogar geistig zurück geblieben sein: Er sieht es doch!

Das ist der Unterschied zwischen Abbildung und Symbol. Das eine ist analog, das andere ist digital. Eine arabische Ziffer (nur die heißen so!) ist digital; die römischen Zahlen sind analog, aber auch nur die ersten drei. Bei der IV wird’s ebenfalls digital. Dazwischen liegt der Akt der Reflexion, der Akt des Verstehens, das Denken in specie: die Umrechnung einer (sinnlichen) Erscheinung in eine (logische) Bedeutung – mit der in einem so entstehenden logischen Raum ‚operiert’ werden kann, ohne dass irgendwelche Gegenstände sinnlich anwesend wären).

Der Haken: Im analogen Bilderraum gibt es keinen Verneinungs-Modus. Das ist der Vorzug der analogen Darstellung gegenüber der digitalen: Sie ist reicher, sie ist farbiger. Es kann immer noch eine und noch eine Gestaltqualität, noch eine Farbkombination hinzu erfunden werden. Aber die digitale Darstellungsweise ist bestimmter. ‚Digits’ lassen sich eindeutig unterscheiden. Ein Apfel und eine Birne lassen sich – von Weitem schon gar – manchmal nicht so klar unterscheiden

Und vor allem: Das digitale Repräsentationsmuster erlaubt die Verneinung, das analoge nicht. ‚Ein Pferd’ kann ich mir anschaulich vor Augen führen. ‚Kein Pferd’ nicht: Wenn ich es mir „vorstelle“, sieht es auch nicht anders aus als, sagen wir, ‚keine Suppenschüssel’.

Und was das Schlimmste ist: Wo es keinen Verneinungsmodus gibt, da gibt es erst recht keinen Frage-Modus!

Wolf Singer mag sich drehn und winden wie er mag: Nicht nur haben die Menschen den Frage- und Verneinungsmodus, sondern es gibt sogar gewichtige anthropologische Gründe, darin ein – oder das – auszeichnende Merkmal des Menschlichen zu sehen.

Ein umgedrehter Spieß

Die Freiheit bestreitet Wolf Singer mit dem Argument, die Forschung habe im Menschenhirn keinen ‚Sitz’ des Ich lokalisieren können. Das Ich stelle sich immer wieder situativ neu her durch je andere neuronale Verschaltungen. Mit dem Vernei-nungsmodus dreht sich der Spieß von alleine um: Wenn er uns keine ‚Stelle’ nachweisen kann, wo durch rein neuronale Kettenreaktionen analoge Bilder in digitale Symbole „umgerechnet“ und so die gattungsmäßig unverzichtbaren Frage- und Verneinungsmodi möglich gemacht werden – dann kann unser Wille nicht ‚determiniert’, dann muss er ‚frei’ sein.


PS. Ich will allerdings nicht verhehlen, dass sich Wolf Singer und sein Kollege Roth in eine no-win-Situation begeben haben. Denn wenn sie eines Tages eine solche ‘Stelle’ lokalisieren sollten, dann… werde ich ihnen sagen: “Na da isses ja endlich, das Ich, nach dem Ihr so lange gesucht habt! An der Stelle, wo der physiologische Sinnesreiz mit einer Bedeutung ausgestattet wird, da ist der Sitz unserer Freiheit!”

September 21, 2008 

PPS. Gerhard Roth ist mit seinen Forschungen inzwischen bei ganz anderen Resultaten angelangt. Das ist hier noch nicht berücksichtigt.


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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