Montag, 20. April 2015

Der Anteil des Werkzeugbaus an der Menschwerdung des Affen.


wikimedia
 Experimentelle Archäologie: Die alten Techniken werden erlernt, zugleich zeigen bildgebende Verfahren, welche Hirnregionen aktiv werden.

aus Die Presse, Wien, 16. 4. 2015

Geist schärfte sich früh: An Steinen
Viel früher als bisher gedacht wurden Werkzeuge hergestellt: vor 3,3 Mio. Jahren. Damit wurden auch die Grundlagen der Sprache gelegt, Experimente zeigen es.

von Jürgen Langenbach

In einem stimmten Charles Darwin und Friedrich Engels, der in seinem Lesehunger auch die Evolutionstheorie verschlungen hatte, völlig überein: Engels nannte es 1876 bündig den „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“; Darwin formulierte 1871 im „Descent of Man“ präziser: „Aus einem Feuerstein auch nur das einfachste Werkzeug zu schlagen, braucht eine perfekte Hand“, und „die Struktur der Hand mag in dieser Hinsicht mit der des Vokalorgans“ verglichen werden; dazu passt dann wieder ein Vermutung Engels': „Beim Herstellen von Werkzeugen hatten sie einander etwas zu sagen.“

War es so? Ist der Mensch nicht einfach durch den Gebrauch, sondern durch das Herstellen von Werkzeugen zum Menschen geworden? Werkzeuge verwenden können andere auch, Schimpansen etwa, aber einen Stein mit scharfen Kanten aus einem Rohling herausschlagen, können sie nicht, auch dann nicht, wenn man es ihnen zeigt: Man hat es vor Jahren in einem Experiment mit Kanzi getan, das ist ein Bonobo am Language Research Center (Georgia State University), der ausgiebig mit den Forschern kommuniziert: Sie reden in Wörtern, er deutet auf Zeichen. Warum redet er „nur“ in Zeichen? Am Kehlkopf liegt es nicht, der senkt sich bei jungen Schimpansen so ab wie bei uns. Liegt es daran, dass seine Hände nicht fein genug sind?

Und wann wurden es die unserer Ahnen? Vor 2,6 Millionen Jahren tauchten die (bisher) ältesten gesicherten Steinwerkzeuge auf, in Äthiopien, nach dem Fundort nannte man die Herstellungstechnik Oldowan. 2010 fanden sich dann, anderswo in Äthiopien, mögliche Schnittmarken an 3,4 Millionen Jahren alten Tierknochen. Diese Einritzungen könnten auch anders entstanden sein, der Fund blieb strittig. Aber jetzt hat Sonia Harmand (Stony Brook University) in Kenia Werkzeuge gefunden, die 3,3 Millionen Jahre alt sind, sie hat der Jahrestagung der Paleoanthropology Society in San Francisco davon berichtet: Der Fundort ist voll mit Werkzeugen und Rohlingen, es gibt auch Stücke, die exakt zusammenpassen, datiert wurde mit paläomagnetischen Techniken, die Umpolungen des Magnetfelds der Erde auswerten (Sciencenow 14. 4.).


Werkzeugmacher Australopithecus?

Die Konferenz reagierte beeindruckt, allerdings bekommen die Anthropologen nun einiges zu tun bzw. zu revidieren: Vor 3,3 Millionen Jahren gab es noch nicht die Menschen, die wir gern als die wirklichen Ahnen ansehen: Homo erectus, die kamen erst vor 1,8 Millionen Jahren. Da hatte ihr Gehirn schon 1000 Kubikzentimeter Volumen, unseres hat, individuell stark schwankend, um die 1200. Vor 3,3 Millionen Jahren war noch Australopithecus unterwegs – Urmutter Lucy! – mit 450 Kubikzentimetern Gehirn. Gab es damals schon auch andere? Erst Anfang März hat man etwas ausgegraben, was mit 2,8 Millionen Jahren schon nach Mensch aussieht, mit geringen Anteilen Australopithecus.

Aber wer auch immer nun vor 3,3 Millionen Jahren Werkzeuge aus Steinen schlug – er muss nicht nur eine feine Hand gehabt haben, sondern auch ein feines Gehirn. Woher will man denn das wissen? Von der experimentellen Archäologie, in der sich heutige Menschen in die alten Techniken einlernen, vor allem Dietrich Stout (Emory University) treibt das voran: Nun hat er sechs seiner Studenten – fünf Männer und eine Frau – zwei Jahre lang die alten Techniken lernen lassen, bei denen in der einen Hand der Rohling gehalten wird und in der anderen der Schlagstein. Die Schlaghand war auch früher meist die rechte, man sieht es den Produkten an.

Erlernt wurden zwei Techniken, zum einen die uralte von Oldowan, zum anderen eine jüngere und feinere, die des Acheuléen, sie kam vor etwa 500.000 Jahren. Jedes halbe Jahr hat Stout dann mit bildgebenden Verfahren nachgesehen, was sich wo im Gehirn tut. Bei der Oldowan-Technik zeigen sich Aktivitäten vor allem dort, wo es um Wahrnehmung und Bewegung geht, Stout weist zum Vergleich auf Golfspielen oder Autofahren. Bei Acheuléen kommt mehr ins Spiel, hier geht es um Weitblick und komplexes Planen, hier wird auch das Broca-Zentrum aktiv, das für Sprache und Gestik mitzuständig ist (PLoS One, 15. 4.). Stouts nächstes Experiment läuft, es heißt „Language of Technology“ und soll gezielt klären, ob das Zusammensetzen von Wörtern zu einem sinnvollen Gebilde und das Aneinanderreihen von Bewegungen zum Erreichen eines Ziels sich in bestimmten Regionen im Gehirn überlappen.



aus derStandard.at, 19. April 2015, 23:59

Älteste menschliche Werkzeuge?

Für große Aufregung sorgte in der vergangenen Woche die Paläoanthropologin Sonia Harmand von der Stony Brook University mit einem Vortrag bei einer Archäologentagung in San Francisco. Die Forscherin präsentierte vor versammelter Kollegenschaft Steinwerkzeuge aus Afrika, die per Magnetostratigrafie des umgebenden Sediments auf ein Alter von 3,3 Millionen Jahren datiert wurden. Damit wäre dies der älteste existierende Beleg für menschlichen Werkzeuggebrauch. Gefunden wurden die Artefakte in Lomekwi westlich des Turkana-Sees in Kenia. Da vor 3,3 Millionen Jahren in dieser Region noch keine Menschen der Gattung Homo lebten, könnte dies bedeuten, dass bereits Australopithecus zur Herstellung von Steinwerkzeugen befähigt war. Naturgemäß zeigten sich Fachkollegen überwiegend skeptisch. Dass es sich bei den Abschlägen tatsächlich um Werkzeuge handelt, zeigen Vergleiche mit ähnlichen Funden aus der Oldowan-Kultur (im Bild). Diese sind rund 2,6 Millionen Jahre alt und galten bisher als älteste menschengemachte Werkzeuge.

aus derStandard.at, 19. 9. 2015, 15:49

Vorfahren des Homo sapiens hatten keinen schlechteren Griff
Forscher untersuchten die Greiffähigkeit heutiger Primaten sowie ausgestorbener Hominini

New Haven/Wien - Primaten zeichnen sich im Vergleich zu anderen Säugetieren durch ihre herausragende Greiffähigkeit aus. Beim Greifen nach sehr kleinen Objekten schneiden Menschen deutlich besser ab als Affen: Sie haben mehr Möglichkeiten, Dinge bis etwa Tennisball-Größe mit einem Präzisionsgriff zwischen Daumen und Zeigefinger zu positionieren.

Den Hintergrund dafür haben nun Forscher um den österreichischen Maschinenbauer Thomas Feix von der Yale University durch biomechanische Modellberechnungen ergründet. Der mögliche "Daumen-Zeigefinger-Arbeitsraum", der die unterschiedlichen Positionen umfasst, in dem die beiden Finger Gegenstände im Zangengriff halten können, sei bei Menschen etwa doppelt so groß wie bei anderen Primaten. Das sei besonders bei der Werkzeugbenutzung hilfreich, so Feix.

Gorillas nach Menschen

Für ihre Studie im "Journal of the Royal Society Interface" haben die Wissenschafter für heute lebende Menschen, Affen und Lemuren, sowie ausgestorbene Hominini wie Neandertaler und Australopithecus afarensis anhand der Fingerproportionen und der Beweglichkeit der Gelenke bestimmt, wie groß dieser Daumen-Zeigefinger-Arbeitsraum für unterschiedlich große Gegenstände ist. Denn bei fast allen präzisen oder kraftvollen Greifarten sei es wichtig, Dinge zwischen Daumen und Zeigefinger festzuhalten, so die Forscher.

Nach den Menschen hatten Gorillas den größten Daumen-Zeigefinger-Arbeitsraum, gefolgt von Schimpansen und Bonobos. Die Finger der Menschenaffen seien aber bezüglich der Positionierungs-Möglichkeiten auf größere Gegenstände optimiert als jene von Menschen.

Fingerfertige Neandertaler

Beim Vergleich von Homo sapiens mit seinen fossilen Vorfahren seien jedoch keine signifikanten Größenunterschiede im Daumen-Zeigefinger-Arbeitsraum feststellbar, berichten die Wissenschafter weiters. Auch Neandertaler hätten demnach entgegen früherer Annahmen wohl die gleiche Fingerfertigkeit wie moderne Menschen gehabt.

Bei Australopithecus afarensis ist es derzeit fraglich, ober er schon Werkzeug gebrauchte. Die Geschicklichkeit seiner Hände hätte das aber wohl möglich gemacht. "Unser Modell hat jedenfalls keine Gründe gefunden, warum es nicht so sein sollte", so Feix. (APA/red.)

Abstract
Journal of the Royal Society Interface: "Estimating thumb–index finger precision grip and manipulation potential in extant and fossil primates"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen