Montag, 15. Dezember 2014

Wissenschaft seit Aristoteles?


Rembrandt, Aristoteles und Homer
aus Der Standard, Wien, 10.12.2014

Aristoteles und die Wunderlampe
Der US-amerikanische Autor John Freely zeigt, wie das Wissen der Antike in den Akademien der islamischen Welt und den Klöstern des Mittelalters überdauerte
von Anja Sattelmacher

Die moderne Wissenschaft gilt als vergleichsweise junge Erfindung: Nach geläufiger Darstellung kam es durch Gelehrte wie Galileo Galilei, Francis Bacon oder René Descartes sowie durch die Gründung der ersten Akademien zu einer wissenschaftlichen Revolution, die sich im Wesentlichen im 17. Jahrhundert zutrug. Was aber war davor? Wurde da gar keine Forschung betrieben?
Einer, der diese geläufige Darstellung der Wissenschaftsgeschichte korrigieren möchte, ist der US-amerikanische Physiker und Autor John Freely. Der mittlerweile 88-Jährige, der zuletzt in Istanbul lehrte, ist auch durch Reisebücher und populärwissenschaftliche Darstellungen der Geschichte der Levante bekannt. Mit seinen beiden neuen Büchern will er hingegen Licht ins wissenschaftliche Dunkel des Mittelalters bringen und zeigen, dass die moderne Wissenschaft nicht erst mit Galilei begann.

Bereits Gelehrte wie Thomas von Aquin oder Nikolaus von Oresme hätten, so eine der Thesen von Freely, über beachtliches wissenschaftliches Wissen verfügt, den Umfang der Erde exakt vermessen oder genaue Angaben über Planetenumlaufbahnen machen können. In seinem jüngsten Werk Aristoteles in Oxford nimmt Freely den Leser mit auf eine Reise, die bei den Werken der Vorsokratiker beginnt und bei Isaac Newton und dem "Höhepunkt der wissenschaftlichen Revolution" im 17. Jahrhundert endet.


Dazwischen versucht der Autor, eine ununterbrochene Kette von Wissenschaftern zu rekonstruieren, die sich des Wissens der Antike bedienten und dieses weiterentwickelten. Wie schon im Vorgängerbuch Platon in Bagdad geht der Autor in seiner Erzählung chronologisch vor. Dabei beginnt er mit der Legende vom Brand der Bibliothek von Alexandria, in der die Erkenntnisse der griechischen Antike versammelt waren.

Freely nimmt diese Geschichte für bare Münze und erzählt, wie verlorengeglaubte Schriften durch arabischsprachige Gelehrte überliefert wurden. Dieses Wissen gelangte dann im Verlauf der arabischen Eroberung der Iberischen Halbinsel wieder zurück nach Europa und wurde dort vor allem mittels lateinischer Übersetzungen an Klosterschulen überliefert. Kopernikus, Galileo und Newton konnten somit auf einen reichen Schatz an wissenschaftlichen Erkenntnissen zurückgreifen, die seit dem europäischen Mittelalter mithilfe der Gelehrten aus der islamischen Welt verbreitet worden waren.

Während Freely in seinem neuen Aristoteles-Buch nur kursorisch auf die "Anschauungen der Araber" eingeht, beleuchtet er in Plato in Bagdad ausführlich die Schauplätze des Morgenlandes, an denen vor etwa 1000 Jahren ein reger wissenschaftlicher Austausch stattfand. Freely zeigt, wie es durch Handelsbeziehungen der Griechen mit den Ägyptern zu einem reichen Wissenstransfer kam und wie die Städte Bagdad, Istanbul und Samarkand zu wichtigen Orten wurden, an denen Gelehrte bahnbrechende neue Erkenntnisse in Geometrie, Astronomie, aber auch Medizin und Physik produzierten.

Wenngleich beide Bücher mit einem bemerkenswerten Detailreichtum sowie einer gut recherchierten Bibliografie aufwarten, ist eine solch ununterbrochene Kette von Geschehnissen und Personen nicht ganz plausibel: Zum Teil liegen enorme Zeitspannen zwischen den Gelehrten, die der Autor einer Epoche zuschreibt.

Beide Bücher Freelys lesen sich eher wie Nachschlagewerke oder ein Who's who der Wissenschaft und weniger wie historische Studien, die Neues zutage fördern. Insbesondere bei den Ausführungen zur islamischen Welt würde man sich zudem mehr Differenzierung wünschen. Etwas problematisch ist zudem, dass Freely sich als ein weiterer von vielen Autoren erweist, der die "moderne Wissenschaft" in Europa verankert sieht und mit einer eurozentrischen Brille auf den Rest der Welt schaut.

Die anschaulichen Beschreibungen komplexer naturwissenschaftlicher Phänomene und deren historische Einbettung machen beide Bände dennoch zu einer lohnenden Lektüre. 


Nota. - Dass "die moderne Wissenschaft in Europa verankert" ist, wäre ja gar nicht so falsch; nur lässt es sich nicht plausibel machen, wenn man unter Geschichte der Wissenschaft lediglich die Geschichte der wissenschaftlichen Entdeckungen versteht - wie anscheinend sowohl der Autor als auch seine Rezensentin. Die Heilkunst der Ägypter, Griechen und Araber hatte schon eine Fülle medizinischer Kenntnisse hervorgebracht, ehe (eigentlich erst seit Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs) die Medizin zu einer Wissenschaft wurde. Wobei die systematische Vereinheitlichung der einzelnen Wissenselemente nichts anderes als die Verwissenschaftlichung des Wissens selber war!

Und die hat in der Tat mit Galileo begonnen.
JE


Freitag, 12. Dezember 2014

Was ist die Zeit?

aus derStandard.at, 7. Dezember 2014, 17:30

Sein und Zeit und niemals letzte Erklärungen  
Für Philosophen war eine Erklärung der Zeit, derer man so schwer habhaft wurde, schon immer ein logisches Betätigungsfeld

von Alois Pumhösel

"Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich's, will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's nicht." Eines der berühmtesten Zitate von Augustinus deutet darauf hin, warum Zeit in der Philosophie eine so große Rolle spielt; warum sie geradezu prädestiniert dazu ist, dass man sich immer wieder Gedanken um sie macht. Man wird zu keiner finalen, alle Aspekte umfassenden Definition kommen, egal wie sehr man darum ringt. Der Begriff der Zeit entfaltet ethische, religiöse, politische, kulturelle Dimensionen, die in der Gegenwart nicht alle so große Konjunktur erleben wie naturwissenschaftliche Betrachtungsweisen.

Max Brinnich und Philipp Schaller vom Institut für Philosophie der Universität Wien haben sich um den Begriff der Zeit heute und quer durch die Philosophiegeschichte Gedanken gemacht. Die Zeit erscheine oft als Grenze, sagen sie. Sie trennt das Diesseits vom Jenseits, sie macht unser Handeln endlich und begrenzt die Möglichkeiten, was man überhaupt erkennen kann. Es sei bemerkenswert, dass unsere Sprache überhaupt erlaube zu fragen: "Was war vor der Zeit?" Mit den Begriffen der Zeit nach einer Nicht-Zeit zu fragen, ist sinnlos.



Augustinus, Philosoph und Kirchenlehrer der ausgehenden Antike, fand doch noch einen Weg, seine Zeitvorstellung zu erklären. Er fragte sich, warum wir überhaupt mit Zeit umgehen können, da die Zukunft noch nicht, die Vergangenheit nicht mehr existiert. Warum haben wir also überhaupt eine Ahnung von Zeiträumen? Er kam zum Schluss, dass es eine gegenwärtige Vergangenheit und eine gegenwärtige Zukunft im Bewusstsein geben müsse, so Schaller. "Vergangenheit und Zukunft sind im eigenen Geist. Er macht es möglich, sie zu vermessen, Zeiträume zu vergleichen."

Augustinus' Ansatz erwies sich bis ins 20. Jahrhundert als fruchtbar. Edmund Husserl überlegte, wie die Phänomene im Bewusstsein zeitlich Gestalt annehmen. Wenn man eine Melodie hört oder ein Buch liest - für Husserl sind das "Zeitobjekte" -, spielen Erinnerungs- und Erwartungsfunktionen eine Rolle. Man muss sich an den vergangenen Ton eines Liedes erinnern und den kommenden Ton in gewisser Weise erwarten, damit ein Bewusstsein für die Melodie entstehen kann.

Die Existenz und die Essenz

Heidegger, wie Husserl ein Phänomenologe, stellte den Tod - er nannte ihn "die äußerste Möglichkeit" - in den Mittelpunkt seiner Zeitbetrachtung. Das Leben vom Tod aus betrachtend, sah er eine jeweilige Sorge des Menschen um sich selbst im Vordergrund. Emanuel Levinas, von beiden Denkern beeinflusst, gab der Zeit hingegen eine ethisch-religiöse Bedeutung. Sie ziehe eine Grenze zwischen Diesseits und Jenseits. "Die Erfahrung des Menschen, die für ihn etwas absolut anderes als das eigene Selbst ist, weil sie die Freiheit des anderen Menschen mit einschließt, ließen ihn Tugenden wie Geduld, Hoffnung, Verantwortung hervorheben", so Brinnich.

Die Phänomenologie schuf einen großen Gegenentwurf zur langen Tradition der essenzialistischen Philosophen von Aristoteles bis Immanuel Kant, die nach dem Wesen der Dinge fragten. Die Frage nach dem Wesen der Zeit wurde von neuen abgelöst, so: Was bedeutet es für unser Leben, dass Zeit für uns selbstverständlich ist, wir aber nur begrenzte Zeit haben? Jean-Paul Sartre hätte gesagt, die Existenz geht der Essenz voraus, nicht umgekehrt.

Den antiken Philosophen Aristoteles führte die Schwierigkeit, das Wesen der Zeit dingfest zu machen, zum Ansatz, sie an die Wahrnehmung von Veränderung zu knüpfen. Für ihn war Zeit "das Gezählte an der Bewegung". Ob Zeit auch unabhängig von der Wahrnehmung möglich sei, lässt er offen. Kant, der als meistrezipierter Philosoph gilt, festigte seine Vorstellungen von Zeit unter dem Eindruck der Physik Isaac Newtons. Der britische Naturwissenschafter setzte Raum und Zeit absolut, machte sie zu leeren Gefäßen, zu Containern, die von den Dingen der Welt und unabhängig von der Betrachtung des Menschen gefüllt wurden. Sein Gegenspieler Gottfried Wilhelm Leibniz hob dagegen einen relativen Charakter von Zeit hervor - wofür er nach Albert Einsteins Relativitätstheorie zu neuem Ansehen kam.

Kant bezog eine Gegenposition zu Newton, erklären Brinnich und Schaller. Kant versuchte zu zeigen, dass Zeit und Raum nur die Art und Weise ist, wie wir erfahren. Es ist ein Begriff, der vor jeder Erfahrung anzusetzen ist, indem er bereits einfache Wahrnehmung betrifft. Etwas nicht zeitlich wahrzunehmen, ist unmöglich. Raum und Zeit bilden die Grenze dessen, was Menschen überhaupt erkennen können. Hegel wird der Vorstellung der Zeit später wieder Ethik und Zielgerichtetheit mitgeben.

Die Musik, die auf andere Weise in der Zeit ist, als etwa ein Bild, das man betrachtet, wurde im 19. Jahrhundert gerne als Sprache der Innerlichkeit, des Gemüts aufgefasst. Arthur Schopenhauer machte sie zur "Sprache des Willens". Die Abfolge von Glück und Melancholie wird weniger mit einer räumlichen, sehr wohl aber mit einer zeitlichen Vorstellung verbunden. Allerdings: Wenn wir uns von Zeit eine Vorstellung machen, wird oft auf räumliche Metaphern zurückgegriffen: ein Zeitstrahl, oder die Partitur, die das Nacheinander der Noten verzeichnet. Schaller: "Die Zeit borgt sich den Raum gerne aus."

Vor 300 Jahren regte Newtons Physik die Philosophie zu neuen, großen Ansätzen an. Aktuelle naturwissenschaftliche Erkenntnisse - etwa in der Quantenphysik, die durchaus verwirrende Zeit- Effekte zu bieten hätte - werden selten von der Philosophie behandelt. Die Disziplinen scheinen auseinanderzudriften. Der Naturwissenschaft wird von vielen Menschen eine hauptsächliche Deutungshoheit zugestanden.

Aber auch die Physik oder die Astronomie hat keine letzten Grundsätze zu bieten, schon gar nicht in Bereichen wie Ethik oder Moral. Brinnich: "Man sollte die Disziplinen nicht in Konkurrenz zueinander sehen. In allen Wissenschaften gibt es Paradigmenwechsel und Annahmen, die durch einen Zeitgeist geprägt sind. Im Moment hat Philosophie vielleicht die Aufgabe, jenen religiösen, ethischen, moralischen oder politischen Phänomenen, die von der Naturwissenschaft nicht abgedeckt werden, wieder zu mehr Reflexion zu verhelfen." 


Nota. - "Im Moment" hat Philosophie die Aufgabe, die sie immer hat: das kursierende Denken zu prüfen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Sie ist an sich kritisch, weshalb sie sich auf einen Glauben, woher er auch käme, gar nicht einlässt. Macht euch einer was anderes vor, dann führt er was im Schilde.

Und zur Sache: Dass Kant 'nach dem Wesen der Dinge gefragt' hätte, sollte man z. B. überhaupt nicht glauben, da man nach diesbezüglicher Lektüre wissen kann, dass er diese Frage ausdrücklich zurück- gewiesen hat. Schon gar nicht darf man glauben, dass er - "unterm Einfluss Newtons" - die Zeit absolut gesetzt hätte, wenn man gleich darauf richtig erklärt, er habe sie, zusammen mit dem Raum, für bloße Weisen der Wahrnehmung gehalten.

Das ist keine Einführung ins Thema, sondern allenfalls eine Einführung in die Einführung. Denn in der Einführung selbst müsste wenigstens Henri Bergsons Unterscheidung zwischen erlebter und physikalischer Zeit vorkommen. Was die Zeit 'an sich' auch immer sei - 'erlebt' wird sie als Dauer, unser Leben hat einen Anfang und ein Ende. - Mit der physikalischen Zeit hat es die Philosophie seit Kant nicht mehr zu tun.
JE

Dienstag, 9. Dezember 2014

Hinter die Welt, bis ans Ende der Zeit.

aus derStandard, 7. Dezember 2014, 18:00

Das große Knirschen zwischen Urknall und Urknall
Das Ende der Zeit aus physikalischer Sicht

von Tanja Traxler

Am Anfang war der Urknall. Darüber, wie das Universum und damit die Zeit ihren Anfang genommen haben, gibt es in der Wissenschaft mit der Big-Bang-Theorie eine recht unwidersprochene Ansicht. Wie die Zeit möglicherweise zu Ende geht, ist dagegen umstritten.

Mindestens sieben Thesen versuchen, den Untergang des Universums physikalisch zu fassen. Und die klingen alle ziemlich groß: Big Crunch, Big Whimper, Big Rip, Big Freeze, Big Brake, Big Lurch und Big Bounce.

All diese Theorien haben viel mit dem Urknall zu tun: dass sich das Universum seit dem Big Bang ausdehnt - und zwar mit wachsender Geschwindigkeit -, scheint durch Messungen kosmischer Strahlung gesichert. 2011 wurde dafür der Nobelpreis für Physik vergeben. Der Schwung des Urknalls treibt das Universum also auseinander. Die Schwerkraft, die auf die Materie wirkt, hält es aber zusammen - je nachdem, welche dieser Kräfte als die stärkere hervorgeht, entscheidet, wie sich das Universum entwickelt und ob und wie die Zeit zu Ende geht.

Glaubt man der Relativitätstheorie, siegt die Schwerkraft und hält das Universum schließlich davon ab, sich weiter auszudehnen. Die Zeit endet dann in sogenannten Singularitäten. Das sind Momente, in denen die Materie das Zentrum eines Schwarzen Loches erreicht oder das Universum in einem Big Crunch kollabiert.

Beliebtes Wimmern

Diese Theorie des großen "Knirschens" verliert aber zunehmend an Anhängern. Jochen Schieck, Direktor des ÖAW-Instituts für Hochenergiephysik, geht davon aus, dass die sogenannte Dunkle Energie eine entscheidende Rolle spielen könnte. Es handelt sich dabei um eine hypothetische Form der Energie, mit der die beschleunigte Ausdehnung des Universums erklärt werden soll.

Auf die Hypothese der Dunklen Energie gestützt, herrscht momentan unter Physikern die Meinung vor, dass sich das Universum weiter ausdehnt - vorerst zumindest.

Der Untergang mit den meisten Anhängern ist derzeit wohl Big Whimper. In diesem "Großen Wimmern" stirbt das Universum einen Kältetod: In seiner ständigen Ausdehnung verliert es zunehmend Energie. Was bleibt, klingt ernüchternd: Schwarze Löcher, Kälte und Dunkelheit. Dabei gibt es kein scharfes Ende der Zeit, aber sie wird zunehmend bedeutungslos - das Universum verändert sich derart, dass eine Definition von Zeit nicht mehr sinnvoll möglich ist.

Am Ende fliegen die Fetzen

Spektakulärer ist der Big Rip: Das Universum dehnt sich weiter aus und reißt sich schließlich selbst in Stücke. Selbst Atome werden dabei zerfetzt, und so hört auch die Zeit auf - in schätzungsweise 20 Milliarden Jahren.

Wesentlich früher könnte uns allerdings der Big Lurch bevorstehen: Schon in neun Millionen Jahren könnte sich die Materie in einem enormen "Taumel" verlieren, der möglicherweise auch das Ende der Zeit bedeutet.

Eine gemäßigtere Form des Untergangs ist der Big Freeze. Dabei füllt sich das Universum mit einer Phantomenergie und erreicht unendliche Dichte, auch wenn es nur endlich ausgedehnt ist. Die zurückbleibende Materie steckt fest und die Zeit steht still.

Zum Stillstand kommt es auch im Big Brake: Die Dunkle Energie könnte aufhören, das Universum in seiner Ausdehnung anzutreiben, sondern es im Gegenteil abbremsen. Obwohl dabei einige physikalische Größen erhalten bleiben könnten, hätte das "Große Bremsen" "unglückliche Konsequenzen für die Zeit", schreibt der Wissenschaftsredakteur George Musser in seinem 2010 im Scientific American erschienenen Artikel "Could Time End?".

Statt eines natürlichen Todes könnte unser Universum auch einem Unfall zum Opfer fallen, wenn sich Paul Steinhardts Modell eines "ekpyrotischen Universums" bewahrheitet: Was wir als Urknall deuten, war demnach eine Kollision mit einem Nachbaruniversum - und Derartiges könnte sich demnächst wiederholen.

Eine gewisse Hoffnung im Moment der Apokalypse verheißt der Big Bounce. Sobald das Universum eine finale Ausdehnung erreicht hat, könnte die Schwerkraft überhandnehmen und dazu führen, dass sich das Universum wieder zusammenzieht - bis zum nächsten Urknall. 

Sonntag, 7. Dezember 2014

Glückshormon hilft Affen rechnen.

aus scinexx                                        Auch Rhesusaffen können Rechenaufgaben mit einfachen Regeln lösen.

Dopamin hilft beim Rechnen auf die Sprünge
Botenstoff stimuliert bestimmte Nervenzellen bei der Verarbeitung von Regeln

"Glückshormon" als Rechenhilfe: Der Botenstoff Dopamin unterstützt das Gehirn auch beim Erkennen und Anwenden von mathematischen Regeln. Diesen Effekt haben deutsche Wissenschaftler entdeckt, indem sie Rhesusaffen Rechenaufgaben der Art "größer oder kleiner als" beibrachten. Wie sich zeigte, hilft das Dopamin dabei auf gleich zwei Wegen, die kognitive Aufgabe zu lösen, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift "Neuron".

Das sogenannte "Glückshormon" Dopamin sorgt für mehr als nur Glücksgefühle. Viele seiner Funktionen zeigen sich besonders dramatisch, wenn der Dopamin-Haushalt aus dem Gleichgewicht gerät: Bei der Parkinsonschen Krankheit beispielsweise zieht dies vor allem Bewegungsvorgänge in Mitleidenschaft, aber auch geistige Funktionen sind betroffen. Denn gerade unser höchstes kognitives Steuerzentrum, der sogenannte Präfrontalkortex im Stirnbereich, wird besonders intensiv mit Dopamin versorgt. In diesem Bereich denken wir abstrakt, treffen logische Schlussfolgerungen und Entscheidungen auf der Grundlage bekannter Regeln.

Regelzellen unterscheiden "größer" und "kleiner

Obwohl Dopamin sowohl medizinisch als auch physiologisch ein wichtiger Botenstoff ist, ist sein Effekt auf die Informationsverarbeitung von Nervenzellen im gesunden Gehirn kaum verstanden. Wissenschaftler um Torben Ott von der Eberhard Karls Universität Tübingen wollen diese Wissenslücke schließen. Dazu trainierten sie Rhesusaffen darauf, Rechenaufgaben nach der Regel "größer als" oder "kleiner als" zu lösen.

Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass bestimmte Hirnzellen im Präfrontalkortex diese Regeln beantworten: Eine Hälfte dieser sogenannten Regelzellen wird nur dann aktiv, wenn die Regel "größer als" gilt, die andere Hälfte nur dann, wenn das Versuchstier die Regel "kleiner als" anwenden musste. Für die aktuelle Studie stimulierten die Forscher nun die Dopamin-Rezeptoren der Regelzellen mit spezifischen Wirkstoffen. Diese wirkten entweder genau wie der eigentliche Botenstoff oder sie blockierten die Rezeptoren.

Zusammenarbeit von zwei Rezeptoren

Dabei zeigte sich zunächst: Das Dopamin macht die Regelzellen deutlich leistungsfähiger, die Affen schnitten bei ihren Rechenübungen besser ab. Die Forscher entdeckten darüber hinaus jedoch, dass dies durch zwei verschiedene Mechanismen geschieht, die sich perfekt ergänzen. Verantwortlich sind die zwei verschiedenen Arten von Dopamin-Rezeptoren, die in den Zellen vorkommen.

Wird der Rezeptor D1 mit Dopamin oder einem ähnlichen Stoff angeregt, so bremst er die Signale der Nervenzellen, steuert dadurch aber die Entscheidung auf die zutreffende Regel hin. Rezeptor D2 tut das genaue Gegenteil: Er regt die Nervenpulse an, unterdrückt aber die Entscheidung für die falsche Regel. Beide Signalwege zusammen lassen also deutlicher zwischen den Regeln "größer als" und "kleiner als" unterscheiden, und die Regelzellen arbeiten effektiver.

Besseres Verständnis für Medikamente

Die Studie liefert den Forschern Erkenntnisse darüber, wie Dopamin abstrakte Denkprozesse beeinflusst, mit denen wir zum Beispiel Rechenregeln korrekt anwenden können. "Wir beginnen mit den neuen Befunden zu verstehen, wie Nervenzellen des Präfrontalkortex komplexes zielgerichtetes Verhalten hervorbringen", erklärt Erstautor Ott.

Dieses bessere Verständnis ist nicht nur für die neurologische Grundlagenforschung interessant, sondern könnte auch für die Medizin relevant sein. "Die neuen Erkenntnisse helfen uns, die Wirkung bestimmter Medikamente besser zu interpretieren, die etwa bei schweren psychischen Störungen zum Einsatz kommen", sagt Studienleiter Andreas Nieder: "Denn solche Medikamente beeinflussen das Dopaminsystem im Präfrontalkortex auf eine bisher schlecht verstandenen Weise."(Neuroscience, 2014; doi: 10.1016/j.neuron.2014.11.012)

(Eberhard Karls Universität Tübingen, 05.12.2014 - AKR)

Samstag, 6. Dezember 2014

Glauben oder wissen.


aus nzz.ch, 6.12.2014, 05:30 Uhr

Wissen und Glauben
Über das Göttliche und den Sinns des Sinns
Kann es unter den Bedingungen der modernen Existenz eine rationale Theologie geben? Es spricht manches dafür – nicht zuletzt die Rolle, die der Sinn für das Dasein des Menschen in der Welt spielt: für das bewusste Leben im Horizont eines Ganzen, das nicht gewusst, sondern nur erschlossen werden kann.

von Volker Gerhardt

Die Kritik am Glauben lebt aus der Überzeugung, dass Glauben und Wissen Gegensätze sind. Das mag in einzelnen Fällen so sein: Die biblische Schöpfungsgeschichte ist mit dem, was die moderne Wissenschaft über den Urknall spekuliert, nicht ohne weiteres vereinbar. Das Gleiche gilt von dem, was uns die Evolutionstheorie zu denken gibt. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass dort, wo einer zu wissen glaubt, gar kein Glaube mehr nötig sei. Im Gegenteil: Man muss bereits an das Wissen glauben, wenn man sich ihm anvertraut. Und dort, wo es endet, sind wir augenblicklich auf den Glauben angewiesen. Das beginnt mit unseren Plänen für den nächsten Tag und setzt sich in allen Erwartungen fort, die wir an unser Leben, die Politik, die Kultur oder die Zukunft überhaupt stellen. Also darf, ja muss man sagen, dass Wissen und Glauben einander nicht ausschliessen, sondern im Gegenteil wechselseitig fordern.

Die Brücke zwischen Mensch und Welt

Dafür spricht auch ihre logische Struktur: Beide sind auf Sachverhalte bezogen. Sie meinen etwas, das sich nach Art eines Gegenstands oder eines Ereignisses beschreiben lässt. Deshalb sind sowohl das Wissen wie auch der religiöse Glauben mit Lehren, mit Theorien oder Dogmen, verbunden, von deren Richtigkeit diejenigen überzeugt sind, die sich auf sie berufen. Damit beanspruchen sie eine Bedeutung – und mit ihr einen Sinn, in dem sich die Empfindung, das Gefühl oder die Einsicht eines Menschen mit etwas verbindet, das zur Welt gehört.

Der Sinn ist die Brücke zwischen dem Organismus und seiner Umgebung, die im Menschen bis zur Höhe seines Bewusstseins ausgebaut ist und somit erst hier den Begriff der Welt zur Entfaltung bringt. Wer ohne Sinn lebt, ist bewusstlos und hat somit auch keine Welt. Während man das Leben als die externe Bedingung des Sinns bezeichnen kann, ist Erleben die interne Sinnkondition überhaupt. Damit gibt es eine ausser Zweifel stehende Bedingung des Sinns – nämlich die des sich erlebenden Lebens. Aber es gibt auch eine in der Eigenlogik des Sinns liegende Bedingung seiner selbst, sei er empfunden, gefühlt, sicher gewusst, erahnt oder ersehnt: Er muss sich auf die bedeutungsvolle Einheit eines Reizes beziehen, der auch für die Einheit des erlebenden Individuums von Bedeutung ist. In dieser Entsprechung der Ganzheit eines rezipierten Sachverhalts und der Ganzheit der dadurch aktivierten Person liegt der schliesslich auch theologisch relevante Tatbestand.

Denn man kann zeigen, dass jeder bestimmte Sinn in ein Ganzes eingebunden ist, das in seiner Totalität zwar erlebt und begrifflich erschlossen, aber nicht leibhaftig erfahren, nicht bearbeitet und schon gar nicht allein nach den Regeln des Verstandes ausgelegt werden kann. Es lässt sich in seiner umfassenden Anwesenheit im Verfahren der begrifflichen Erschliessung zwar anschaulich machen; aber es kann kein Gegenstand des Wissens sein. Seine Bedeutung kann nur geglaubt werden.

Eine Formel

Der Begriff der Welt schliesst alles ein, was nicht nur in ihrer physischen und sozialen, sondern auch in ihrer intelligiblen Verfassung Bedeutung haben kann. In dieser Gesamtheit ist sie unvorstellbar gross, umfassend und unergründlich tief. Und da sie stets nur in der Dimension des Sinns vorgestellt werden kann, steht ausser Zweifel, dass jede für den Sinn empfängliche Instanz zur Welt hinzugehört. So kommt es zur tautologisch erscheinenden, in Wahrheit aber transzendentalen, d. h. grundlegenden Rede vom «Sinn des Sinns». Die Formel bringt die interne Fundierung des Sinns durch das erlebende Bewusstsein einerseits und durch das in seine Umwelten eingelassene Leben anderseits zum Ausdruck. Damit kann sie den philosophischen Vorwurf, «bloss» idealistisch zu sein, abwehren. Sie hat zwar, wie alles Erkennen, Wissen und Glauben, ihren Ursprung im Menschen. Doch in ihrer Fundierung durch den Sinn hat sie eine ganz und gar weltliche Ausrichtung. Die Formel vom Sinn des Sinns zielt auf den Grund, den die Bedeutung des Ganzen für den Menschen hat.

Dabei sollte die Frage, ob dieser Grund auch theologisches Gewicht haben kann, nicht strittig sein. Zwar bewegt sich der Versuch, das Ganze des Daseins in seiner Bedeutung für den Menschen zu erfassen, innerhalb der Grenzen einer die Einheit des Ganzen erschliessenden Vernunft. Aber wenn es dabei um die Bedeutung geht, die diese gedachte Einheit für den Menschen hat, kann sie die nur im Glauben finden. Dann wird das Ganze nicht nur als alles einschliessend und über alles verfügend gedacht, sondern es wird in seiner alle Begriffe sprengenden Unendlichkeit (die dennoch Raum für das endliche Dasein des Menschen lässt) als erhaben vorgestellt. Man kann es nur fürchten, bestaunen und bewundern, weil es in der Unfassbarkeit seines Sinns gleichwohl die Vielfalt des Sinns ermöglicht, in dem sich die Welt erleben und deuten lässt. Dann wird der Sinn des Sinns als göttlich vorgestellt.

Mit dem Versuch, sich dem Ganzen einer allen Sinn tragenden Einheit des Sinns zu nähern, ist das Göttliche in die Perspektive einer rationalen Theologie gerückt. Die Annäherung erfolgt durch die im Wissen vollzogene, aber durch das Gefühl motivierte Bemühung um ein das denkende und fühlende Individuum in seiner Eigenständigkeit einschliessendes Ganzes, in dem der Mensch zu sich selbst finden kann. Im Frieden mit sich selbst sucht er zugleich das Einverständnis mit dem Ganzen.

Bereits in der Annäherung ist klar, dass man sich hier auf etwas zubewegt, für das es keinen gegenständlichen Sinngehalt geben kann – ausser eben den, dass etwas unüberbietbar Bedeutungsvolles gegenwärtig wird, das als universelle Sinnbedingung für sich selbst mit keiner partikularen Bedeutung verknüpft sein kann. Man kann nur sagen, dass eine alles Dasein und alles Verstehen ermöglichende Einheit avisiert ist, die allem, was ist, Bedeutung verleiht, einschliesslich des nach Sinn suchenden Individuums. Mit dieser Erläuterung dürfte erkennbar sein, dass der Verweis auf das Gefühl des Erhabenen nicht so verstanden werden darf, als sei es nur ein ästhetisches Moment, das uns für das Göttliche einnimmt. Entscheidend ist vielmehr ein durch und durch Rationales, das dem Göttlichen seine Stellung gibt: Es ist die begrifflich benötigte Einheit, die jeden von uns, sofern er überhaupt nur etwas versteht, auf eine Einheit mit den erkannten Dingen dieser Welt sowie eben darin auch mit seinesgleichen verpflichtet. Es gibt eine von keinem Menschen gemachte, ja von keinem auch nur zu wollende (oder gar: nicht zu wollende) logische Einheit der Welt, in der wir alles in allem, einschliesslich unserer selbst, verstehen.

Diese Einheit brauchen wir, um «ich» oder «du» oder «wir» zu sagen. Wir legen sie zugrunde, wenn wir von Unterschieden oder Gegensätzen, von Vielheit oder Bewegung sprechen, oder wenn von Welt oder All die Rede ist. Ja selbst wenn von nichts – gar vom «Nichts» – gesprochen wird, ist dabei ein Etwas, ein Sein oder ein Ganzes unterstellt, in dem wir selber als jeweils ganze Personen sind.

Und dies ist das Ganze, das allem Wissen und allem Glauben zugrunde liegt. Es hat die alles umfassende Stellung, die dem Göttlichen in allen philosophischen Theologien zugestanden und die ihm vermutlich von keiner Religion, noch nicht einmal vom Buddhismus oder Taoismus, abgesprochen wird. Es ist dies ein Begriff von einem Ganzen, der so evident ist, dass man gar nicht versteht, warum es keine Existenz haben sollte, erst recht keine, die man nicht beweisen können soll. Doch der Grund für die Unbeweisbarkeit des so verstanden Göttlichen ist offenkundig: Was den Grund für jedes Denken und Sprechen legt, ist zugleich die Bedingung eines jeden möglichen Beweises und kann folglich nicht in einem Einzelbeweis bewiesen werden. Deshalb kann man dem Göttlichen auch nicht mit der Zumutung begegnen, etwas Bestimmtes innerhalb oder gar ausserhalb der Welt zu sein.

Der personale Gott

Es müsste einiges mehr gesagt werden, um das Theologische des Glaubens an dieses alle Bedeutung tragende und jeden Sinn einbindende Ganze einsichtig zu machen. Die auf den Mensch und Welt verbindenden Sinn gegründete These vermeidet die Vergegenständlichung Gottes, holt das Göttliche aus dem Niemandsland der Transzendenz und sucht es als das Ganze der Welt in Tateinheit mit dem Ganzen des gläubigen Individuums zu denken. So viel Gefühl und Wissen, so viel Sinnlichkeit und Weltgehalt, so viel Individualität und Universalität in diese rationale Annäherung an das Göttliche auch eingehen mag, so blass muss das Erreichte jenen erscheinen, die nach der lebendigen Gegenwart eines Gottes suchen. Wer hier enttäuscht ist, sollte nicht die Philosophen schmähen, sondern das auf ältesten Einsichten beruhende Wort der Theologen bedenken, dass selbst ihre Wissenschaft über ein «analoges» Denken und Sprechen über Gott nicht hinauskommt.

Der Nachweis, dass der Begriff des als göttlich angesehenen Einen und Ganzen notwendig alles trägt, was für den Menschen überhaupt semantisch und logisch von Bedeutung ist, ist das Äusserste, was mit philosophischen Argumenten zu erreichen ist. Umso wichtiger dürfte der Hinweis sein, wie nahe der Aufweis eines einheitlichen Bedeutungsgrundes, eines Sinns in allem Sinn und somit eines Sinns des Sinns überhaupt, den sogenannten Gottesbeweisen steht, mit denen die Philosophie vor Kant noch gearbeitet hat. Tatsächlich hat das Argument für die Unerlässlichkeit eines einheitlichen Bedeutungsgrunds allen Sinns sowohl in seiner logischen Anlage wie auch in seiner universellen Reichweite Ähnlichkeit mit dem ontologischen Gottesbeweis. Wem er genügt, der mag daraus auch die Gewissheit für seinen Glauben an ein Göttliches ziehen. In seiner logisch-semantischen Produktivität wird das Göttliche als Generator allen Sinns, somit als «Schöpfer» gedacht.

Mit dem solcherart erwiesenen Göttlichen wäre der Mensch der formalen Denkfigur eines «Schöpfers aller Dinge» bereits sehr nahe. Doch die lebendige Gegenwart eines personal verfassten Gottes wäre damit nicht erreicht. Hier liegt eine definitive Grenze der Philosophie. Wer glaubt, einen Gott zu benötigen, der zu ihm aus dem Dornbusch spricht, der ihm Gesetze gibt und Gebote erteilt, einen Gott, der so geduldig ist, sich Gebete anzuhören und Bitten zu erfüllen, und der wie ein strenger, gütiger Vater angesprochen werden kann, der muss sich der Religion anvertrauen, die ihm menschlich nahesteht. Die rationale Theologie kann dazu nur sagen, dass sie keine prinzipiellen Einwände gegen einen solchen persönlich angelegten Glauben geltend machen kann. Sie kann sogar dartun, dass der von ihr explizierte Selbstbegriff des Menschen unvollständig bleibt, solange er nicht in einer Welt zur Geltung kommt, die Bedeutung für den Menschen hat. Sie kann herausarbeiten, dass es dazu einer immer auch existenziellen Beziehung zwischen Mensch und Welt bedarf, in der die Dimension des Ganzen alles Einzelne als gleichermassen nichtig erscheinen lässt, aber gleichwohl als Herausforderung erfahren werden kann.

Die Philosophie vermag sogar so weit zu gehen, eine begriffliche Korrespondenz zwischen der Unbegreiflichkeit der Welt auf der einen und der Abgründigkeit der Person auf der anderen Seite zu exponieren. Da es dem Menschen gelingt, die Unfassbarkeit seiner selbst in einen ihn selbst leitenden Begriff, nämlich in den der Person, zu transformieren, kann sie selbst grösstes Verständnis dafür haben, dass der Mensch die von ihm benötigte Einheit der Welt mit dem Begriff der Person als analog versteht. Im praktizierten Bewusstsein des Glaubens nimmt die Person die Welt auch von innen her an, um mit sich und mit ihr einig zu sein. Gott ist dann die personal verstandene Einheit, in der das Ganze der Welt und das Ganze der Person einander wechselseitig bedingen.

Volker Gerhardt ist emeritierter Professor für Praktische Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin. Unlängst ist sein Buch «Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche» (bei C. H. Beck) erschienen



Nota. - Über solch prätentiösen Mist kann ich mich aufregen. Ob es eine rationale Theologie geben kann, ist eine - na, sagen wir mal: nicht so vordringliche Frage. Ihr mag man sich zuwenden, wenn man die durchaus vordringliche Frage beantwortet hat, ob es eine rationale Philosophie geben kann. Die Frage ist freilich soweit geklärt, als es eine solche ja gibt; ich meine eine, die nicht auf dem (einen oder andern) Glauben beruht, sondern vom Wissen ausgehend im Wissen verbleibt. Das ist die Kritische alias Transzen- dentalphilosophie. Sie handelt nicht von Gott und der Welt - dazu müsste sie nämlich allerhand glauben -, sondern von unseren Vorstellungen von Gott und der Welt, denn die allein sind uns bekannt. 

Diese Unterscheidung - zwischen den Dingen selbst und dem, was wir uns darunter vorstellen - ist für die exakten Wissenschaften (in denen zum Beispiel der erwähnte Urknall vorkommt) ohne Belang: Sofern und solange sie diese ihre Vorstellung mit ihren andern Vorstellungen (immer wieder aufs Neue) in Einklang bringen kann, hat sie ihr Geschäft besorgt. 

Wieweit die Gesamtheit ihrer Vorstellungen mit der Gesamtheit der vorgefundenen - na, nennen wir's ruhig: Welt übereinstimmt, ist keine Frage des theoretischen Glaubens, sondern der pragmatischen, denkpraktischen Bewährung. Solange die neugewonnenen Vorstellungen sich ins vorhandene Gebäude (alias "Standardmodell") einfügen lassen, ohne dass dadurch immer neue unprüfbare Zusatzannahmen notwendig würden, tut es seine Dienste und darf weiterhin als "einstweilen endgültig" angenommen werden. Bis eines Tages ein Modell in Vorschlag gebracht wird, das alles Bekannte und vieles Neue einfacher darstellen kann. Auch an dieses muss niemand glauben, es wird reichen, wenn es sich denkpraktisch bewährt.

Mit der rationalen Philosophie ist es was Anderes. Die Prätention, die Vorstellungsgebäude der exakten Wissenschaften einem Wahrheitsurteil zu unterziehen, hat sie mit Kants kritischer Wendung abgelegt. Für die realen Wissenschaften ist sie eine kritische Instanz, die lediglich, aber immerhin über die immanente Konsistenz der theoretischen Modelle mitzureden hat, und nicht über ihre metaphysische Endgültigkeit. 

Doch auch gegenüber den Sinnsuchern und Sinnerfindern ist sie kritische Instanz. Sie ist nicht Fleisch von ihrem Fleisch, sie reden nicht von Gleich zu Gleich; "auf Augenhöhe", wie der Flachmann sagt. Ihnen allen sagt sie, ohne Ausnahme: Tut nicht so, als hättet ihr für eure Sinnbehauptungen belastbare Gründe. Ihr habt Motive, und die hat jeder. Dass eure Motive besser sind als die der andern, muss sich zeigen. Wenn ihr sie stattdessen unter vorgeschützten Gründen versteckt, von denen man nichts wissen und die man nur glauben kann, werden sie es nötig haben. Wir jedenfalls können vor euch nur warnen.
JE

Freitag, 5. Dezember 2014

Vom viralen Anfang des Lebens.

Viren als Krankheitserreger: Ein HI-Virus dringt in eine Immunzelle ein.
aus nzz.ch, 5. 12. 2014


Karin Möllings Reise zum Ursprung des Lebens
Mit den Viren fing alles an 

von Alan Niederer Nach einem Virus gefragt, würden derzeit wahrscheinlich viele Ebola sagen. Vielleicht auch HIV oder Grippe. Und bei den meisten dürften sich diese Namen mit düsteren Bildern im Kopf vermengen: Ärzte in Schutzanzügen, Tote, weinende Kinder, Angst und Schrecken. Bei solchen Vorstellungen zeigt sich, dass Viren meist nur als unheimliche Krankheitserreger wahrgenommen werden, denen auch heute noch Jahr für Jahr Millionen von Menschen zum Opfer fallen.

Diese Tatsachen ignoriert auch Karin Mölling nicht. Doch die ehemalige Direktorin des Instituts für medizinische Virologie der Universität Zürich will mit ihrem Buch mehr als eine Schreckensgeschichte der humanpathogenen Viren erzählen. Denn wir Menschen könnten viel von den Mikroben lernen, auch über uns selbst. Das ist Möllings Perspektive – und der interessierte Leser wird der Autorin auf ihren «Reisen in die erstaunliche Welt der Viren» gerne folgen. Denn was da an Wissen, persönlichen Einschätzungen und heiteren bis skurrilen Anekdoten aus dem Forschungsbetrieb zwischen zwei Buchdeckeln steckt, ist beeindruckend.

Fasziniert von Virologie und Molekularbiologie, will Mölling nicht nur ihre Begeisterung mit dem Leser teilen. Die erfolgreiche Forscherin erzählt auch von ihrer grossen Idee. Dass nämlich die Viren am Anfang des Lebens stehen. Damit habe alles begonnen, so Mölling. Das bedeutet, dass alles Biologische auf der Welt – von den Bakterien bis zum Menschen – von Viren bzw. ihren Vorläufern «gemacht» ist. Mit diesem Gedanken korrigiert sie den anthropozentrischen Blick auf Mikroben, der in den «niederen» Lebewesen nur eine Gefahr für uns Menschen sehen will.


Mölling dagegen schreibt eine veritable Erfolgsgeschichte der Viren. Diese begann mit kleinen Stückchen von Erbgut. Das war noch keine doppelsträngige DNA, wie sie bei uns zur Aufbewahrung des Erbguts verwendet wird. Die Geschichte des Lebens begann mit einsträngiger RNA, wie sie in vielen Viren vorkommt. Solche «nackten» RNA-Stückchen seien die ersten Biomoleküle gewesen. Daraus habe sich alles andere entwickelt, auch unsere DNA. Spuren einer solchen viralen Vergangenheit sind noch heute sichtbar. So hat die Entschlüsselung des Genoms gezeigt, dass fast 50 Prozent unseres Erbguts von sogenannten Retroviren abstammen.

Die Autorin macht kein Hehl daraus, dass nicht alle Forscher ihre Ansicht teilen. Zuerst waren die Zellen da, denn Viren brauchen Zellen. So dachte offenbar auch der Nobelpreisträger Thomas Cech, der RNA mit katalytischer Wirkung entdeckt hat. Nachdem er Möllings Argumente gehört hatte, soll er seine Meinung geändert haben.

Mit «Supermacht des Lebens» legt Karin Mölling ein ebenso faszinierendes wie unkonventionelles Buch vor. Der Leser erkennt darin eine originelle Wissenschafterin, die oft weiterdenkt als andere und mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg hält. Es ist dem Lektorat hoch anzurechnen, dass es Möllings assoziativen Erzählstil, der teilweise an einen mündlichen Vortrag erinnert, nicht in ein enges Sprachkorsett gezwängt hat. Dass die Lektüre streckenweise anspruchsvoll ist, weiss auch Mölling, die auf Seite 171 den denkwürdigen Satz schreibt: «Wer bis hierher gelesen hat, darf mir schreiben, ob er einen Fehler entdeckt hat [. . .]: Dann erhält er ein Freiexemplar dieses Buches von mir mit Widmung!» Solche Bemerkungen zeigen, wie bei dieser Autorin Ernsthaftigkeit und Schalk zusammenfinden.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Das Weiße im Auge des Feindes - und der Freunde.

aus scinexx

Schon Babys lesen Gefühle von den Augen ab
Die Form des Weißen im Auge reicht schon aus, um Angst oder die Blickrichtung zu vermitteln


Verräterische Augen: Schon Säuglinge können anderen Menschen die Gefühle an den Augen ablesen. An Form und Größe des Weißen im Auge erkennen sie, ob jemand sie fixiert, ängstlich oder fröhlich ist, wie Experimente deutscher Forscher belegen. Der Mensch ist demnach schon von frühester Kindheit an darauf geeicht, die Stimmung seiner Mitmenschen wahrzunehmen, so die Forscher im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Wir Menschen lernen viel über unser Gegenüber, wenn wir ihm in die Augen blicken. Die Augen sagen uns, wie sich unser Gesprächspartner fühlt. Durch unsere Blicke können wir zudem unsere Kommunikation koordinieren. Wenn wir einen Menschen treffen, schauen wir ihm deshalb zuerst in die Augen. Die weiße Lederhaut des Augapfels, die Sclera, hat dabei eine zentrale Signalfunktion.

Das Weiße im Auge verrät einiges

Die Lederhaut verrät uns beispielsweise, ob ein Mensch Angst hat und wohin er gerade blickt: Die Augen sind dann geweitet und die Lederhaut erscheint dadurch größer. Schweift sein Blick ängstlich umher, ist das ein Hinweis auf Gefahr in der Umgebung. Schaut er sein Gegenüber auf diese Weise direkt an, drückt er damit Angst vor seinem Gesprächspartner aus.

Auch Neugeborene registrieren Blicke und reagieren darauf. So erkennen sie bereits, ob jemand sie direkt anblickt oder nicht. Sie versuchen auch, dem Blick eines anderen Menschen zu folgen. Woran sie die Blickrichtung jedoch erkennen und ob sie auch die Stimmung an den Augen ablesen, blieb unklar. Sarah Jessen und Tobias Grossmann vom Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben dies nun in Experimenten mit sieben Monate alten Säuglingen untersucht.


Die Babys sahen nur schematisierte Augen, von denen nur die Sclera zu sehen war.
Die Babys sahen nur schematisierte Augen, von denen nur die Sclera zu sehen war.
Deutliche Reaktion

In ihrer Studie zeigten sie Säuglingen jeweils kurz Bilder von Augen, die die Säuglinge direkt anblickten oder an ihnen vorbei sahen. Die Wissenschaftler hatten die Fotos so verändert, dass nicht die kompletten Augen zu sehen waren, sondern nur die Sclera. Einige Bilder waren zudem so verändert, dass die Sclera einem typisch ängstlichen Ausdruck entsprach. Mithilfe von Elektroden, die vorne und hinten am Kopf aufgeklebt waren, zeichneten die Forscher die Gehirnaktivität der Babys auf.

Das Ergebnis: An stärksten reagierten die Säuglinge auf ängstlichen Augen. Obwohl sie nur die Sclera sehen, löste der Anblick in ihrem Gehirn starke elektrische Aktivität aus, wie die Forscher berichten. Das Gehirn reagierte dabei stärker, wenn die Augen die Säuglinge direkt anzusehen schienen. Ein ängstlicher Blick am Kind vorbei rief schwächere Potenziale in den Arealen hinter der Stirn hervor, die für höhere geistige Fähigkeiten und Aufmerksamkeit zuständig sind

Unbewusst auf Gefühls-Einschätzung gepolt

Diese Reaktion läuft unbewusst ab, wie die Wissenschaftler erklären. Denn sie zeigten den Säuglingen jedes Bild immer nur 50 Millisekunden lang – zu kurz, um von den Babys bewusst wahrgenommen zu werden. "Schon im Alter von sieben Monaten können Säuglinge demnach Angst aus den Augen ihres Gegenübers lesen, ohne dass ihnen das bewusst wird", so Jessen. "Sie verlassen sich dabei ausschließlich auf die Form der Sclera."

„Dass Menschen die Blicke und Gefühle anderer schon von frühester Kindheit an lesen können, ist ein Indiz dafür, wie wichtig diese Fähigkeit für unser Zusammenleben ist“, sagt Grossmann. Sich auf die Augen und die Blickrichtung konzentrieren zu können ist somit ein wichtiges Kennzeichnen für eine gesunde, soziale Entwicklung. Säuglinge, bei denen dies zwischen dem zweiten und sechsten Lebensmonat nachlässt, weisen beispielsweise später oft soziale Defizite auf oder erkranken an Autismus. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2014; doi: 10.1073/pnas.1411333111)

(Max-Planck Gesellschaft , 28.10.2014 - NPO)