Mittwoch, 26. Februar 2014

Einstein - doch kein Urknall?

aus derStandard.at, 25.2.2014

Manuskript entdeckt: 
Einstein arbeitete an einer Alternative zur Urknalltheorie
Entwurf zeigt, dass der Physiker die Grundidee der Steady-State-Theorie zur Entstehung des Kosmos bereits 1931 hatte

Jerusalem - Man könnte meinen, Albert Einsteins Arbeit sei hinlänglich bekannt und umfassend erforscht. Dass er an einer Alternative zur Urknalltheorie arbeitete, war bisher allerdings nicht bekannt. Nach über 80 Jahren ist nun in Jerusalem ein Manuskript des Physikers aufgetaucht, in dem er der Möglichkeit einer kontinuierlichen gleichförmigen Expansion des Universums nachging. 

Der Entwurf mit dem Titel "Zum kosmologischen Problem" aus dem Jahr 1931 erinnert stark an die Steady-State-Theorie, die der britische Forscher Fred Hoyle beinahe 20 Jahre später entwickelte. Einstein dürfte seine Idee zwar bald wieder verworfen haben, das Manuskript ist aber ein klarer Hinweis dafür, dass ihn die Vorstellung eines explosiven Beginns des Universums durch einen Urknall mit folgender Expansion nicht ganz überzeugte.

Die Explosion des Uratoms

Die Grundvoraussetzung für Urknall-Modelle hatte Einstein mit der 1915 publizierten allgemeinen Relativitätstheorie selbst geschaffen. In den 1920er Jahren entwickelte Georges Lemaître die erste Urknall-Theorie, 1929 entdeckte Edwin Hubble durch Entfernungsmessungen an Sternen außerhalb der Milchstraße schließlich die Expansion des Universums. Er bestätigte damit Lemaîtres Vorhersage, ohne dass ihm dessen Arbeit bekannt war. Dies schien die Annahme eines extrem heißen, dichten Anfangszustands, eines Uratoms, das im Moment der Entstehung des Universums explodierte, zu stützen.

Hoyles Gegenentwurf

In den späten 1940er Jahren widersprach Fred Hoyle dieser Interpretation: Er erkannte zwar Hubbles Entdeckung der Expansion des Universums an, folgerte daraus aber, dass sich das Universum in einem Zustand der Gleichförmigkeit befinde, in dem die kontinuierliche Erzeugung von Materie die Expansion des Weltalls vorantreibe. Detail am Rande: Den heute gängigen Begriff "Big Bang" prägte kein anderer als Hoyle, als er 1949 in einer BBC-Radiosendung die Urknalltheorie Lemaîtres kritisierte.

Öffentlich zugängliches Dokument

Wie das nun entdeckte Dokument zeigt, hatte Einstein die Grundidee der Steady-State-Theorie schon viel früher - ohne, dass Hoyle wiederum davon wusste: "Betrachtet man ein durch physische Massstäbe begrenztes Volumen, so wandern unausgesetzt materielle Teilchen aus demselben hinaus. Damit die Dichte konstant bleibe, müssen immer neue Massenteilchen in dem Volumen aus dem Raume entstehen", heißt es dort. Dass er die Idee wieder verwarf zeigt, dass Einstein der späteren Fachdebatte um fast zwei Jahrzehnte voraus war: Der zum Teil auf amerikanischem Briefpapier geschriebene Entwurf dürfte 1931 während einer Reise nach Kalifornien entstanden sein, glauben Experten.

Entdeckt hat das Manuskript nun der Physiker Cormac O’Raifeartaigh vom irischen Waterford Institute of Technology - obwohl es streng genommen nie verschwunden war: Es ist seit langem frei zugänglich im Albert-Einstein-Archiv in Jerusalem ausgestellt und auch online in dessen digitaler Datenbank abrufbar. Irrtümlicherweise wurde es bisher allerdings für den Erstentwurf eines anderen Einstein-Papers gehalten. O’Raifeartaigh und seine Kollegen veröffentlichten ihre Entdeckung aktuell auf dem Preprint-Server arXiv. (David Rennert)
 

Link
Digitalisiertes Originaldokument (Einstein Archives Online)
Abstract
arXiv: "A steady-state model of the universe by Albert Einstein"



aus Der Standard, Wien, 26. 2. 2014



Wie Albert Einstein gegen den Urknall stritt
In einem bisher unveröffentlichten Manuskript aus dem Jahr 1931 vertrat der Vater der Relativitätstheorie die Ansicht, dass im Universum ständig neue Materie entsteht. Aber er hatte sich verrechnet.



Das Universum dehnt sich aus, alle Galaxien bewegen sich voneinander fort: Diese Erkenntnis Edwin Hubbles im Jahr 1929 revolutionierte unser Weltbild. Die nächste Revolution fand Ende der Neunzigerjahre statt: Seit damals glauben die meisten Kosmologen, dass sich das Universum nicht nur ausdehnt, sondern immer schneller ausdehnt.

Es war der Theologe und Physiker Georges Lemaître, der 1931 einen naheliegenden Schluss zog: Wenn sich das Universum beständig ausdehnt und keine Materie dazukommt, verliert es immer mehr an Dichte. Umgekehrt war es früher dichter als heute. Extrapoliert man zurück, kommt man zu einem Zeitpunkt, wo es die größtmögliche Dichte hatte: Lemaître sprach vom Uratom. Heute sagen wir Urknall bzw. auf Englisch Big Bang. Dieses Wort war anfangs spöttisch gemeint, Fred Hoyle prägte es. Er mochte die Urknalltheorie nicht und entwickelte in den späten Vierzigern eine Alternative: die Steady-State-Theorie. Dieser zufolge expandiert das Universum zwar, seine Dichte bleibt aber konstant. Logische Folgerung: Es muss immer neue Materie entstehen. Das glaubt heute kaum mehr einer.

Doch Einstein liebäugelte damit. Das entdeckte der Physiker Cormac O'Raifeartaigh in den „Albert Einstein Archives“ der Uni Jerusalem: Er las ein unveröffentlichtes Manuskript Albert Einsteins, entstanden 1931 auf einer Reise nach Kalifornien, mit dem Titel „Zum kosmologischen Problem“. Bisher hatte man es für einen Entwurf für den sehr wohl publizierten Artikel „Zum kosmologischen Problem der allgemeinen Relativitätstheorie“ gehalten. Nun fand O'Raifeartaigh: Es enthält andere Gedanken. Vor allem den, dass die Dichte des Universums konstant bleibt, weil ständig neue Teilchen entstehen. So nahm Einstein die Steady-State-Theorie voraus.

Er glaubte an ein statisches Universum

Einstein ging von einem Problem aus, das ihn schon lange plagte: Die von ihm 1915 vollendete allgemeine Relativitätstheorie erlaubt zunächst keine statische Lösung für das Universum. Da Einstein aber nicht glaubte, dass das Universum sich ausdehnt – oder zusammenzieht –, führte er eine „kosmologische Konstante“ λ in seine Gleichungen ein, durch die ein statisches Universum möglich wurde. Als er 1929 von der Expansion des Universums erfuhr, verwarf er die Konstante als „Komplikation, die die logische Einfachheit der Theorie beeinträchtigt“, nannte sie angeblich „die größte Eselei meines Lebens“. Die Konstante ist längst wieder da, heute wird sie als Energiedichte des Vakuums interpretiert – und als Grund für die beschleunigte Expansion des Universums.

Wie kam Einstein auf die Aussage, dass die Dichte konstant sei? Offenbar durch einen Rechenfehler, den er selbst noch an einer Stelle korrigierte – die Zahl 9 durch 3 ersetzte –, bevor er das Manuskript beiseitelegte. Wohl, weil er erkannte, dass ohne den Fehler ein triviales Ergebnis herausgekommen wäre: dass die Dichte gleich null ist. Damit ist der zentrale Satz der Arbeit hinfällig: „Die Dichte ist also konstant und bestimmt die Expansion bis auf das Vorzeichen.“ Und auch die abschließende Erklärung Einsteins: „Der Erhaltungssatz bleibt dadurch gewahrt, dass bei Setzung des λ-Gliedes der Raum selbst nicht energetisch leer ist.“

Das nur vierseitige Manuskript bezeugt zweierlei: dass auch große Köpfe sich schlicht verrechnen können. Und dass auch Genies wie Einstein ihren Vorurteilen treu bleiben. Die Idee, dass das Universum nicht im Wesentlichen gleich bleibt, war ihm einfach über Jahrzehnte zuwider. Ähnlich wie die Konsequenzen der Quantentheorie.

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