Donnerstag, 20. Februar 2014

Der Pontifex maximus des deutschen Philisteriums.

aus NZZ, 20. 2. 2014

Streit um Hegel
Aus dem Nachlass Wolfgang Harichs

von Stefan Dornuf · Fast zwanzig Jahre nach dem Tod des Ostberliner Philosophen Wolfgang Harich (1923-1995) hat der Marburger Tectum-Verlag eine auf elf Bände veranschlagte Nachlassedition begonnen. Der Herausgeber Andreas Heyer hat im vorliegenden Band fünf sämtliche erreichbaren Texte und Materialien untergebracht, die den Streit um Hegel in der DDR der fünfziger Jahre dokumentieren: «An der ideologischen Front. Hegel zwischen Feuerbach und Marx». Tatsächlich lieferte der «Fall Hegel» einen willkommenen Vorwand für den Ideologiepapst Kurt Hager, im Verein mit dem Leipziger Ordinarius Rugard Otto Gropp die philosophische Szene von lästigen Störenfrieden zu säubern. So kam es, dass Harich 1956 für acht Jahre im Gefängnis verschwand, Ernst Bloch 1957 seine Lehrbefugnis verlor und Georg Lukács ab 1958 in der DDR nicht mehr verlegt werden durfte. Damit war der Kahlschlag komplett, und es etablierte sich in Ostdeutschland das philosophische Regime Manfred Buhrs, dem später noch die Harich-Schülerin Camilla Warnke zum Opfer fallen sollte, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Peter Ruben aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen wurde.

Dank seinen Mehrfachfunktionen - als Mitherausgeber und Chefredakteur der «Deutschen Zeitschrift für Philosophie», als Chefredakteur des Aufbau-Verlags für Philosophie und Belletristik sowie als Dozent an der Humboldt-Universität - war Harich in der intellektuellen Landschaft der DDR eine nicht zu umgehende Grösse. Der bisweilen als Wunderkind Apostrophierte liess keinen Zweifel daran, dass das für ihn massgebliche Hegel-Bild sich von demjenigen Stalins - der Diktator hatte Hegel als Reaktionär abgestempelt - unterschied. Inspirieren liess Harich sich von Lukács und Bloch, deren Konzeptionen er auch in seinen einschlägigen Lehrveranstaltungen propagierte, die auf beinahe 300 Seiten dokumentiert werden. Die dialektische Pointe dabei ist, dass nicht der politisch radikalere Fichte, sondern der gemässigte Hegel die letztlich adäquate Einschätzung der bürgerlichen Umwälzung in Frankreich liefert, weil er, anders als Fichte, die Kategorie der «Versöhnung» kennt. Auf dieser Linie wird dann auch der im Vergleich mit den utopischen Sozialisten grössere Realismus eines Karl Marx verständlich.

In seinen Vorlesungen charakterisiert Harich Hegel als «philiströs, spiesserhaft, altklug und alltäglich und vor allem: [eine] eines jedes Schwungs und jeden Feuers entbehrende durch und durch prosaische Natur». Doch sollte man die dialektische Umwendung nicht überlesen. Aus alledem folgt nämlich nicht weniger, als dass Hegel, so Harich, «frei von der Sentimentalität des Sturms und Drangs war. Nichts von jenem Kultus der Individualität, von jener hypochondrischen Selbstbeobachtung, jenem Schöntun mit sich selbst, wie es sich in der bürgerlichen Intelligenz infolge der allgemeinen Verödung des öffentlichen Lebens durch den Mangel grosser und allgemeiner Interessen in Deutschland ausgebildet hatte.» - Es ist deprimierend zu sehen, wie Wolfgang Harichs Versuche der Aufklärung des philosophisch interessierten Publikums von der bornierten Kaderphilosophie immer wieder hintertrieben wurden. Und es ist nicht übertrieben, zu sagen, dieser Band erbringe den Beweis, dass die offizielle Kulturpolitik der SED schon zu einem frühen Zeitpunkt einer Bankrotterklärung gleichkam.

Wolfgang Harich: An der ideologischen Front. Hegel zwischen Feuerbach und Marx. Schriften aus dem Nachlass. Herausgegeben von Andreas Heyer. Band 5. Tectum-Verlag, Marburg 2013. 816 S., Fr. 55.60.

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