Mittwoch, 2. März 2016

Die Geschichte des Teufels.


Die Menschen glaubten, dass trotz Gottes Allmacht diese gefallene Welt vom Teufel beherrscht werde und diabolisch böse Geistwesen, Dämonen zu jeder Zeit und an jedem Ort fehlbare Menschen zum sündhaft falschen Denken und Handeln verführen könnten
aus Die Welt, 16. 9. 2015                                                                                             Gargouille, Notre Dame de Paris

BIOGRAFIE DES SATANS
Den Teufel sind wir los, die Teufel sind geblieben
Für Augustinus war er ein "Lufttier", für Thomas von Aquin der Geist des Bösen. Eine neue Biografie des Teufels zeigt, wie fromme Fiktionen Fakten schufen und Sexualität und Sünde zusammenrückten.

von Friedrich Wilhelm Graf

Im Jahre 1821 veröffentlichte der Berliner Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, der bedeutendste Theologe des modernen Protestantismus, unter dem Titel "Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt" eine zweibändige Deutung überkommener christlicher Glaubensvorstellungen.

Trotz des so kirchlich klingenden Titels wollte Schleiermacher aber keine Dogmatik oder begriffliche Darstellung von Kirchenlehren bieten, sondern eine Analyse der christlich frommen Gemütszustände freiheitsliebender Bürgerinnen und Bürger. Jeder und jede habe in Fragen der Religion das Recht auf Kritik und dürfe nach den Maßstäben des je eigenen "frommen Selbstbewusstseins" entscheiden, was ihm an den uralten Glaubensvorstellungen der christlichen Überlieferung überhaupt wichtig sei.


„Gänzliche Unwissenheit über das Dasein eines solchen Wesens“: Anonymes Doppelporträt von Papst und Teufel um 1600
Doppelporträt Satans und des Papstes, um 1600

Zu einer einst ganz zentralen mythologischen Gestalt ging Schleiermacher entschieden auf Distanz: zum Teufel, dem "altbösen Feind", der in vielen Kirchenliedern für alles Üble, Schlechte in der Welt und im Leben des einzelnen verantwortlich gemacht wurde. Schleiermacher gestand seine "gänzliche Unwissenheit über das Dasein eines solchen Wesens" und betonte: "Die Vorstellung vom Teufel, wie sie sich unter uns ausgebildet hat, ist so haltungslos, dass man eine Überzeugung von ihrer Wahrheit niemandem zumuten kann."

Allerdings musste Schleiermacher einräumen, dass in der Bibel und vor allem im Neuen Testament sehr viel vom Diabolos oder Satan und von Dämonen die Rede ist. Auch wusste er um die dogmatische Hartnäckigkeit, mit der vor allem die römisch-katholische Kirche die zerstörerische Macht des als widergöttliche Person mit starker Handlungsfähigkeit gedachten Teufels behauptete.

Zudem kannte Schleiermacher einige jener literarischen "Apologien des Teufels", die in den 1790er Jahren selbst in den "Philosophischen Journalen" kritischer Philosophen erschienen waren. Der systematische Theologe und Philosoph fand aus dieser Lage einen nur widersprüchlichen Ausweg: Er erklärte einerseits mit großer Bestimmtheit, dass die mythologische Vorstellung eines persönlichen Teufels für den christlichen Glauben nicht konstitutiv sei.

Andererseits wollte er keinem Christen das Recht absprechen, im "Privatgebrauch" weiter an einen realiter existierenden Teufel zu glauben. Doch am besten mache man vom Teufel nur noch einen "dichterischen Gebrauch". Das war natürlich eine Anspielung auf den Mephisto in Goethes "Faust".

Mit seinem Versuch der "dichterischen" Rettung des "altbösen Feindes" provozierte Schleiermacher allerdings den Widerspruch Hegels, seines philosophischen Gegenspielers in der Berliner Universität. In den "Vorlesungen über die Ästhetik" erklärte Hegel, dass der Teufel "nichts als die Lüge in sich selbst" und deshalb "eine schlechte, ästhetisch unbrauchbare Figur" sei.

Teuflische Lebensführung

In seiner "neuen Biografie" des Teufels kommt Kurt Flasch ausführlich auf die heftigen Teufelsstreitigkeiten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu sprechen. Ihn interessieren aber nicht allein die vielen gelehrten Kontroversen, die hoch gebildete Theologen, Philosophen, Juristen und auch Ökonomen über das Wesen und die Existenz des Teufels als der Personifizierung der grausamen Macht des Bösen in gelehrten Journalen und dicken Büchern austrugen. Vielmehr will er zugleich auch die starke Präsenz des Teufels im Denken und Leben der einfachen Leute Europas erfassen.

Methodisch orientiert er sich an der Religionstheorie Max Webers. "Zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung gehörten in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die im Glauben an sie verankerten Pflichtvorstellungen", hatte Weber 1904 in seinem berühmten Aufsatz über "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" erklärt. So will Flasch die äußerst starke Prägekraft des Teufels in der "Lebensführung" der an ihn glaubenden Menschen erfassen. Die Frage der Existenz des Teufels stellt sich für ihn deshalb nicht.

Natürlich glaubt der agnostische Liebhaber eines poetischen Christentums nicht an ein tatsächlich existierendes diabolisches Wesen mit personalen Zügen. Aber Flasch weiß auch: Den Teufel gab es als reale Macht, weil über lange Jahrhunderte hinweg die große Mehrheit der in Europa lebenden Menschen davon überzeugt war, dass trotz Gottes Allmacht diese gefallene Welt vom Teufel beherrscht werde und diabolisch böse Geistwesen, Dämonen zu jeder Zeit und an jedem Ort fehlbare Menschen zum sündhaft falschen Denken und Handeln verführen könnten.

Auch fromme Fiktionen sind Fakten, und die Einbildungen der Glaubensfantasie können harte soziale Realitäten schaffen. Der Teufel machte Angst, schüchterte die Leute ein und erzeugte fortwährend viel Unsicherheit schaffendes Geraune über sein satanisches Treiben.

So ließ er sich auch von den Herrschenden zur Disziplinierung der Untertanen in Anspruch nehmen. Mit dem Hinweis auf Dämonen konnten alle möglichen Katastrophen des Lebens, von Erdbeben und Gewitter über den Krieg bis hin zu Raub, Mord, Totschlag und Krankheit, und alles ansonsten Rätselhafte erklärt werden.

Öffentliche Exorzismen mit Tausenden von Zuschauern dienten nicht nur zur Inszenierung der Macht des Klerus über das fromme Volk, sondern auch zu einer rituellen Vergemeinschaftung, in der gerade durch die Austreibung eines Dämons aus einer Besessenen die lebensbestimmende Macht des Teufels demonstriert wurde.

Und der hinkende Teufel, der nach Schwefel stinkt, Eiseskälte ausstrahlt und als Schwein, schwarze Katze, Kröte, Schlange, Drache oder zotteliger Mensch mit Schwanz und Hörnern auftreten kann, bestimmte die Ordnung des Geschlechterverhältnisses: Die Frau galt als für seine Verführungskünste besonders anfällig.

Doch so sehr Flasch sein Interesse an der Realgeschichte Luzifers oder Beelzebubs betont – sein gelehrtes Buch bietet weithin Ideen- oder Intellektualgeschichte. Von anderen Teufelsforschern oder Kulturhistorikern wie Jeffrey Burton Russell und Nathan Johnstone, die 1984 und 2006 große Bücher über "Lucifer im Mittelalter" und "The Devil and Demonism in Early Modern England" vorgelegt hatten, unterscheidet Flasch sich vor allem dadurch, dass er die große geschichtliche Variabilität der Teufelsvorstellungen betont.

Dem Höllenfürsten wurden im Laufe der Geschichte des Christentums immer neue Fähigkeiten, Künste und Eigenschaften beigelegt. Und nicht nur wandelte sich in den Lehren der Theologen und im Glauben der Leute immer wieder seine Natur, sondern auch der Gebrauch, den Pfarrer und Ordensleute in ihren Predigten sowie politische Herrscher in Frieden und Krieg von ihm machten, unterlag vielfältigem Wandel. Flasch berichtet davon sehr kundig, klar und übersichtlich.

Satans Weg zum Bösen

Satan beherrschte Europa, aber stammte nicht von hier, sondern aus der hebräischen Bibel. In den ältesten Textschichten der hebräischen Bibel spielt er zwar noch keine Rolle, und auch in den Schöpfungsmythen des ersten Buch Mose, vor allem in der Erzählung von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies, taucht er überhaupt nicht auf.

Im Buch Hiob, entstanden wohl im fünften vorchristlichen Jahrhundert, ist Satan noch kein Feind Gottes, sondern als Mitglied des himmlischen Hofstaates in der Nähe der Gottessöhne an Jahwes Thron mit der Aufgabe betraut, die Menschen zu prüfen. Erst im jüngsten, im ersten vorchristlichen Jahrhundert entstandenen Text der hebräischen Bibel, dem Weisheitsbuch, wird Satan als Verführer mit Adam und Eva in Verbindung gebracht, und nun gilt er als eine neiderfüllte, rachsüchtige Person, die den Menschen Schaden zufügen will.


Biograf des Teufels und Übersetzer des großen Dante: Kurt Flasch
Kurt Flasch

Im Neuen Testament wird die destruktive Macht des Teufels dann noch einmal deutlich gesteigert. Zwar gelten die Kreuzigung und die Auferstehung Jesu von Nazareth als definitiver Sieg über Tod und Teufel. Aber bis zum Ende der Zeiten mit dem göttlichen Endgericht bleibt Satan in den Sündern mächtig, als Herr dieser gefallenen Welt und radikal böser Verderber jedes, jeder einzelnen. Für die weitere Entwicklung der ebenso komplexen wie in sich widersprüchlichen mythologischen Teufelsvorstellungen ist, was Flasch kenntnisreich zeigt, vor allem der große Kirchenvater Augustin verantwortlich.

In penetrantem Realismus kämpft er gegen alle bloß allegorischen, bildhaften Deutungen des Teufels und der Hölle, schreibt dem Teufel einen richtigen Körper als "Lufttier" zu, das in die Seelen der Menschen eindringen kann, arbeitet die überkommene Vorstellung vom Teufelspakt zu einer hoch differenzierten Theorie aus und lehrt mit unerbittlicher Schärfe, dass keine Taufe gültig sei, der nicht ein Exorzismus vorausgegangen sei. Auch sieht er den großen Bösen vor allem in den sexuellen Begierden des Menschen am Werk, mit der lustfeindlichen Folge, dass nun Sexualität und Sünde ganz eng zusammenrücken.

Doch obgleich sich Augustins Höllenrealismus mithilfe Papst Gregors I. im lateinischen Christentum schnell durchsetzte, unterlagen die mythologischen Vorstellungen von Teufelsreich und Höllenfeuer bis in die frühe Neuzeit hinein vielen Veränderungen, sowohl im theologischen Diskurs als auch in kirchlicher Praxis und populärer Religion der Leute. So wurde das "Lufttier" des Augustinus von gelehrten Theologen und Philosophen im 12. und 13. Jahrhundert nun als reines Geistwesen gedacht, besonders übersichtlich bei Thomas von Aquin.

Erosion der Teufelsvorstellungen

Die vielen inneren Widersprüche der gelehrten Satanologie ließen sich dadurch aber nicht beseitigen. Wie können reine Geistwesen durch ein körperliches Höllenfeuer gepeinigt werden? Wie kann der Teufel als personifiziertes Böses reale Wirkung in unserem Leben und Macht über diese Welt haben, ohne Gottes Allmacht zu beschneiden? Woher kommt der Teufel, wenn nicht Gott selbst, der schöpferische Urgrund aller welthaften Wirklichkeit, ihn geschaffen hat?

Im zweiten Teil schreibt Flasch die Geschichte der allmählichen Erosion der Teufelsvorstellungen. Natürlich spielten dabei neue Kenntnisse über die Natur, kritische Lesarten der Heiligen Schrift und überhaupt mehr philosophische Skepsis gegenüber allen Jenseitstheorien eine gewichtige Rolle.


Kurt Flasch: Der Teufel und seine Engel. Die neue Biografie. C.H. Beck, München. 462 S., 26,95 €.

Aber ebenso wichtig wurde die Einsicht, dass ein so großer antiker Denker wie Aristoteles nirgends vom Teufel geredet hatte und all jene ontologischen Spekulationen über die rein geistige Seinsweise der Engel und auch der gefallenen Engel, der Dämonen, an kognitiver Plausibilität verloren. Wie lässt sich überhaupt erkennen, dass das schlechte Tun von Herrn Müller nicht seinen bösen Neigungen entstammt, sondern auf das Wirken Satans zurückgeht?

Noch der "Katechismus der katholischen Kirche" aus dem Jahr 1993 spricht von der Allgewalt Satans: "Sein Tun bringt schlimme geistige und mittelbar selbst physische Schäden über jeden Menschen und jede Gesellschaft." Doch woher weiß die Kirche das?

Und wie verhält sich die Rede von der Macht des Bösen zur Vorstellung eines guten, gnädigen, auch als allmächtig verehrten Schöpfergottes? Es war der jahrhundertelange theologische und philosophische Streit über solche Fragen, die zum allmählichen Verschwinden des Teufels in den Köpfen und Herzen der Menschen führte.

Flasch meint, dass der Teufel in Europa nun definitiv einen Schwächetod gestorben sei. Auch erklärt er mit einiger Überzeugungskraft, dass ein Christentum ohne Teufel nur blass und auf Dauer nicht überlebensfähig sei. Darüber mag man streiten. Aber gewiss hat Goethe recht: "Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben" (Faust I, Hexenküche). Dass Menschen einander die Hölle bereiten können, weiß auch der gern gelassen heitere, wunderbar unterhaltsame Erfolgsautor Kurt Flasch.

Friedrich Wilhelm Graf ist emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München und Autor zahlreicher Bücher, darunter "Die Wiederkehr der Götter" und "Götter global" ( beide bei C.H. Beck)



aus nzz.ch, 2.3.2016, 05:30 Uhr                                                                                             Mömpelgarder Altar um 1540 

Der Teufel in der europäischen Kulturgeschichte
Satan, Diabolos, Gottseibeiuns
Der emeritierte Philosophiehistoriker Kurt Flasch hat der Geschichte des Teufels – den Vorstellungen vom Widersacher Gottes – ein Buch gewidmet, das zu einem Plädoyer für den Atheismus gerät.

von Hans-Albrecht Koch

Von Teufel zu reden, heisst für den aufgeklärten Historiker, von der Geschichte der Vorstellungen zu handeln, die sich die Menschen von ihm machten. Der Teufel stammt zwar nicht aus Europa, doch verbrachte er hier seine besten Jahre, wie Kurt Flasch mit der ihm gelegentlich eigenen «Flapsigkeit» – durchaus sympathisch – in seinem neuen Buch formuliert. In vielerlei Gestalt eroberte der Teufel, der religiösen Welt des Orients entstammend, die Welt. Nicht selten trat die Verkörperung des Bösen als abgefallener Sohn oder gefallener Engel auf die Bühne der Religionsgeschichte. – Als populäre Droh- und Schreckensgestalt ist der Teufel äusserlich durch zahlreiche Deformationen gekennzeichnet, etwa den Hinkefuss. In seiner Wandlungsfähigkeit kommt er nicht nur als dunkler Junker, sondern auch als Drache, Schlange oder Schwein daher – stets mit grosser Intelligenz und Kraft ausgestattet, seine bösen Pläne zu verrichten.

Manichäisches Weltbild

Den emeritierten Philosophiehistoriker interessieren die Lebensverhältnisse des Teufels; eine seiner Fragen lautet: «War er wenigstens verheiratet?» Flaschs Antwort: «Diese Frage würde er schroff zurückweisen; er war wie Gott zölibatär» – sieht man von dem Herrscherpaar ab, das, «teuflische Züge» tragend, in der griechisch-römischen Mythologie über das Totenreich gebietet. Wie in verschiedenen Gestalten, so tritt der Teufel auch unter verschiedenen Namen auf: als Satan im Alten Testament, wo der Widersacher Gottes so viel wie ein Verleumder ist, als Beelzebub, als Diabolos – als «Durcheinanderwerfer» – in der Septuaginta, der griechischen Übertragung der hebräischen Bibel, als Luzifer oder als «Gottseibeiuns», wie er im Deutschen der Neuzeit oft in Unheil abwendender Absicht genannt wurde.

Eine der wichtigsten Funktionen, die der Teufel in der christlichen Diabologie erfüllte, ist, ein strikt dichotomisches Weltbild zu ermöglichen, das die Wirklichkeit in Gut und Böse einzuteilen lehrt und eine von Zweifeln entlastete Begegnung mit ihr erlaubt. Die Überzeugung, Nichtchristen seien «Teufelssöhne», bestimmte allenthalben den Alltag: Nicht nur, dass 1099 die siegreichen Anführer des Ersten Kreuzzugs dem Papst vermelden konnten, sie hätten die Macht «der Sarazenen und des Teufels» besiegt; noch im aufgeklärten Freimaurer-Libretto der «Zauberflöte» hat Papageno keinen Zweifel, dass der ihm begegnende Mohr Monostatos «sicherlich der Teufel» sein müsse.

Eine entscheidende Wandlung des Teufelsbildes betrifft die Entmaterialisierung. Den Teufel und seine Helfer, so er denn von solchen begleitet wurde, stellte man sich in der Antike und im Mittelalter von materieller Körperlichkeit vor. So lehrte Augustinus: «Sie hatten, obwohl nicht von einer Frau geboren, dennoch einen richtigen Körper. Deswegen konnten sie ihn ständig verwandeln – aus jeder beliebigen Spezies, aus jeder Art von Anblick, in jede andere Spezies.» Im Zuge vieler Wandlungen, zu denen etwa auch die Vorstellung von Luftkörpern gehörte, wurden im 13. Jahrhundert Engel und Teufel – dies blieb später in der Neuzeit die gängige Auffassung – zu Geistwesen. Das führte dazu, dass der Teufel, ebenso wie Gott, immer mehr auch unter die Zuständigkeit der Philosophen geriet. Auch sie entwickelten zunächst noch eine ausgewachsene Diabologie, ehe der neuzeitliche Gott der Philosophen-Theologen den Widersacher als ernstzunehmende Grösse verabschiedete.

Gerade zu Beginn der Neuzeit wurde indes der Glaube an die Existenz des Teufels aus verschiedenen Gründen noch einmal zu stärken versucht. Das ging im kirchlich-theologischen Kontext so weit, dass spätestens seit dem 16. Jahrhundert in den Verdacht geraten konnte, ein Atheist zu sein, wer die Existenz des Teufels leugnete. Dessen polemischer Wert in religiös motivierten Konflikten bewährte sich auch in der interkonfessionellen Auseinandersetzung, gleich ob Luther den Papst oder Letzterer den Reformator zu einem Teufel erklärte.

Selten nur brach sich einmal distanzierte Vernunft Bahn, etwa als der niederländische Arzt Johannes Weyer, teufelsgläubig auch er, 1563 ein antidämonistisches Buch veröffentlichte. Mit ihm versuchte er jene Frauen vor der Inquisition zu bewahren, denen bei «abweichendem» Verhalten seit 1486 der «Hexenhammer» des Speyerer Dominikaners Heinrich Kramer das furchtbarste Los – Folter und Scheiterhaufen – androhte. Weyer versuchte sie als «Melancholikerinnen» in die therapeutische Zuständigkeit des Mediziners zu retten. Nicht mit durchschlagendem Erfolg, denn der französische Staatsrechtler Jean Bodin warf schon 1581 mit seinem einflussreichen Buch über die «Dämonomanie» der Zauberer («De magorum daemonomania») das Ruder wieder herum. Erst der aufgeklärte Hallenser Theologe Johann Salomo Semler, einer der Begründer der historisch-kritischen Bibelauslegung im 18. Jahrhundert, unternahm so etwas wie eine Entmythologisierung der Bibel und interpretierte die Mythen von Teufel und Dämonen im Hinblick auf ihre Funktionen.

Plädoyer für den Atheismus

Nicht um den Teufel als Metapher oder das Böse in der Welt als solches geht es Flasch, sondern «um den Teufel als eine eigene Person, ein rein geistiges Geschöpf, als substantia separata, wie ihn die traditionelle Orthodoxie katholischer wie protestantischer Konfession an die Wand gemalt hat». Sein Buch stellt also recht eigentlich ein Stück europäischer Mentalitätsgeschichte dar. Es porträtiert eine Figur, auf die fundamentalistische Ideologien für die Lenkung des Sozialverhaltens – besonders, aber nicht nur der Unterschichten – nicht verzichten wollten. Auch nicht in der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main, wo der junge Goethe den Teufel im Puppenspiel kennenlernte, lange ehe der Dichter des «Faust» den alten Naturteufel vom Platz wies und den Mephisto der Kunstwelt auftreten liess.

Wer die Bücher von Kurt Flasch kennt, wird sich nicht wundern, dass dem Autor seine Geschichte des Teufels zu einem Plädoyer für den Atheismus gerät. Kein anderes Thema erlaubt es ihm so sehr, ganz Voltaire, ganz esprit fort und Freigeist zu sein

Dienstag, 23. Februar 2016

Ungeduldig und kurzlebig.



aus Die Presse, Wien, 23.02.2016

Kurzes Leben, kurze Geduld, aber wie herum?
Es gibt eine Korrelation zwischen der Länge der Telomere, die vermutlich bei der des Lebens mitspielen, und der des Geduldsfadens. Man weiß nur nicht, was Ursache ist und was Wirkung.

von Jürgen Langenbach

Ob im Supermarkt oder in der U-Bahn beim Aussteigen: Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Ungeduld der Menschen mit ihrem Alter wächst. Das ist natürlich eine ganz unsystematische private Beobachtung, „anecdotal evidence“. Immerhin, die TV-Werbung hat es aufgenommen, jene für ein elektronisches Zahlungsmittel: Mit der Chipkarte in der Hand wippt an einer Kasse eine alte Dame immer drängender von einem Fuß auf den anderen, weil der junge Mann vor ihr so endlos mit dem Bargeld braucht.

Das ist natürlich eine Persiflage. Aber irgendwie haben Alter und Geduld doch etwas miteinander zu tun, und zwar ganz tief in der Biologie: in den Telomeren. Das sind die Endstücke der Chromosomen, man kann sie sich wie die Kappen an den Ende von Schnürsenkeln vorstellen.

Bei den Chromosomen schützen sie die Enden nicht nur, sie bestimmen auch ihre Lebensdauer bzw. die der jeweiligen Zelle: Bei jeder Zellteilung werden sie ein wenig kürzer, und wenn sie einen Schwellenwert überschritten haben, teilt die Zelle sich nicht mehr, diese Uhr bietet wohl Schutz gegen das Anhäufen von zu vielen Mutationen. Telomere bestimmen also über die Lebensdauer von Zellen, und viele Forscher vermuten, dass sie auch bei der Lebensdauer ganzer Organismen tun. Umgekehrt ist der Zusammenhang gesicherter: Stress verkürzt Telomere, auch und vor allem ganz früher Stress, selbst der im Uterus.

Ab wann lieber die Taube auf dem Dach?

Und Richard Ebstein (Singapur) vermutet, dass kurze Telomere auch mit der kurzen Geduld zusammen-hängen, die man eben an älteren Menschen oft beobachtet und die leicht zu überhasteten Entscheidungen führt – ökonomischen etwa –, die die ergrauenden Gesellschaften in Probleme bringen könnte. Getestet hat er das an jungen Menschen, chinesischen Studenten seiner Universität. Bei ihnen hat er die Länge der Telomere gemessen – an weißen Blutzellen: Leukozyten-Telomer-Länge (LTL) –, dann hat er ihnen einen in der Psychologie gängigen Geduldstest vorgelegt, den des Delay Discounting.

Bei dem wird erhoben, wie hoch oder gering man die Zukunft schätzt: Man bekommt Geld angeboten, 100 Dollar sofort, oder in einem Monat etwas mehr, 101 etwa oder 110 oder 120. Der Schwellenwert, ab dem man lieber die Taube auf dem Dach wählt als den Spatz in der Hand, heißt „Minimales akzeptiertes Angebot“ (MAA), und wer einen hohen MAA hat – also einen hohen Anreiz braucht –, hat nicht nur wenig Geduld, sondern auch wenig Selbstdisziplin und eine ganze Reihe weiterer Eigenschaften, die das Leben schwer machen, bis hin zu Suchtgefahr und dem Risiko psychischer Leiden.

Der Zusammenhang zeigt sich klar – kurze Telomere, kurze Geduld –, ist bei Frauen stärker, vermutlich deshalb, weil sie stärker auf Stress reagieren, darauf deutet auch, dass ihr Geduldsfaden durch Hormone moduliert wird, die Stress bzw. seine Folgen dämpfen, Östrogen und Oxytocin (Pnas 22. 2.). Allerdings zeigte sich der Zusammenhang eben als Korrelation: Es ist ganz unklar, ob kurze Telomere zu kurzer Geduld führen, oder ob umgekehrt der Stress der Ungeduld die Telomere verkürzt.

Dass alles kausal von den Telomeren ausgeht, vermutete Melissa Bateson (Newcastle) in einer früheren Studie des gleichen Phänomens an ganz anderen Lebewesen, Staren: Wenn die unter hohem Stress aufwachsen und entsprechend kurze Telomere haben, entscheiden sie rasch – mit hohem Risiko –, sie müssen überleben, können sich Geduld und Sorgen um ferne Zukunft nicht leisten (Proc. Roy. Soc. B 282: 20142140). Ob das wirklich so ist und ob es auch bei Menschen so ist, muss Ebstein vorerst offen lassen.


Nota. - Es ist noch nicht lange her, da erkannte man einen aufgeklärten Menschen mit weitem Horizont daran, dass er in Sachen menschliches Verhalten den Grundsatz vertrat: alles erworben, alles erlernt, die Sozialisation ist an allem schuld. Inzwischen macht die ernüchterte Einsicht die Runde: Das ist die Berufsideologie des Pädagogenstandes; sie träumen von der Allmacht und wollen mehr Posten.

Und nun findet die Vorstellung Gehör, dass die Physiologie auch bei der Charakterbildung und dem Verhalten des Einzelnen ihre Finger im Spiel hat. Wenn's mal nur nicht wieder ins andere Exptrem umschlägt! Die Anlagen, die einer mitbringt, sind eins; was er dann daraus macht, ist ganz was anderes.
JE 

Montag, 15. Februar 2016

Gibt es von der Literatur eine Wissenschaft?

aus Tagesspiegel.de, 15. 2. 2016

Debatte um die Geisteswissenschaften
Wie wissenschaftlich ist die Literaturwissenschaft?
Sie edieren Texte, kommentieren und interpretieren. Eine illustre Germanisten-Runde in Berlin befand jetzt, schon das zeichne ihr Fach als wahre Wissenschaft aus.

Von 

Helle Aufregung: Wissenschaftler haben erstmals die von Albert Einstein nur theoretisch beschriebenen Gravitationswellen direkt beobachtet. Heureka! Als Literaturwissenschaftlerin beäugt man den Trubel ein bisschen skeptisch. So eine tolle Romananalyse kann man gar nicht schreiben, dass man damit auf die Seite eins einer Zeitung geriete. Naja, entgegnet der Forscher im weißen Kittel, derweil es im Reagenzglas anschaulich blubbert, ist das überhaupt richtige Wissenschaft, was ihr da macht – Bücher interpretieren?

Germanistengrüppchen. Das Format: Wie immer. Podiumsdiskussion. Der Ort: Kreuzberger Hinterhofschick. Eingeladen hatte die Indiana University, die in Berlin vor Kurzem ihren europäischen Ableger eröffnete. Die Gäste: Peter-André Alt (Präsident der Freien Universität), Eva Geulen (Direktorin des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung), Ethel Matala de Mazza (Humboldt-Universität), Jutta Müller-Tamm (FU).

"Alles was wir tun, kann gelernt und gelehrt werden"

Die Leitfrage, worin eigentlich die „Wissenschaft der Literaturwissenschaft“ bestehe, zwang zum Konsens. Ist doch alles handfest, was wir machen, sagte Alt: Texte edieren, kommentieren, interpretieren. Literaturgeschichte untersuchen, Erzählperspektiven typologisieren. All das ergebe ein „verbindliches Propädeutikum“. Die Selbstreflexion, „Ethos“ des Faches, ermögliche es außerdem, das eigene methodische Vorgehen zu hinterfragen. Das betonte auch Geulen: Die Aufmerksamkeit für Texte und stichhaltige Argumente sei „eine Sache der Einübung. Alles, was wir tun, kann gelehrt und gelernt werden“. Die Quasi-Provokation von Alt, der fand, man solle die positivistischen Tendenzen des Faches nicht immer verleugnen, verpuffte etwas. Ein Positivismus, der à la 19. Jahrhundert wissenschaftliche Erkenntnisse in seinen kulturellen Trägern (Archivfunde!) materialisiert sehen will, ist einfach nicht mehr en vogue.

Die Kakaphonie der Meinungen ist kein Gegenbeweis

Allerdings wird die Wissenschaftlichkeit der Disziplin gerade deshalb gern infrage gestellt, weil ein modischer Methodenpluralismus herrsche. Wie soll man bei solch intellektueller Promiskuität zu validen Ergebnissen kommen? Ein Missverständnis, fand Matala de Mazza. Die „Kakophonie der Meinungen“ sei kein Beweis gegen, sondern für die Wissenschaftlichkeit ihrer Arbeit: „Es gibt keine homogene Richtigkeit der Dinge. Es geht in unserem Fach um vieles, und dieses Viele kann nicht intellektuell monopolisiert werden.“ Im Übrigen, warf Geulen ein, solle man bloß nicht denken, in den Naturwissenschaften sei das anders: „Auch der Bienenforscher hat seine Idiosynkrasien.“

Was bewirkt der eigene Schreibstil der Interpreten?

Alle Forschungsfragen seien geprägt von „Denkstilen“, wie der Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck das genannt hat. Eine echte Herausforderung sei deswegen die Gegenwartsliteratur, sagte Müller-Tamm. Sie sei näher an uns dran als kanonisierte Autoren. „Verhindert oder ermöglicht der Präsenzcharakter dieser Literatur unsere Erkenntnis?“ In der Frage, ob die Literaturwissenschaftlerin selbst – ihr Erkenntnishorizont, ihr Schreibstil – eigentlich von ihrem untersuchten Gegenstand zu trennen sei, verhakte sich das Podium ein wenig. Ist Forschung noch reproduzierbar, wenn die Argumentation eines literaturwissenschaftlichen Textes mit seiner ästhetisch reizvollen Stilistik verschmilzt? Man schloss dann wieder auf die nötige Selbstreflexion zurück. „Wir müssen plausibel machen, welche Begriffe uns richtig erscheinen“, sagte Matala de Mazza. Alt fand, die Individualität des Stils sei auch Teil der „habituellen Positionierung“ im Forschungsfeld und komme in allen Fächern vor.

Mit auf dem Podium saß eine Handvoll Gewährsmänner: Kant, Hegel, Dilthey, Blumenberg, Szondi. Dass die Literaturwissenschaft auf Selbstbefragungsdiskurse mit Historisierung reagiert, ist freilich alles andere als unwissenschaftlich. Sondern nur eine andere Form der Relativitätstheorie.


Nota. - Das ist doch, mit Verlaub, läppisch. Dass sich Literaturkritik im weitesten Verständnis wissen-schaftlich, nämlich nach allgemeingültigen, überprüfbaren akademischen Standards betreiben lässt, welcher verständige Mensch wollte es bestreiten? Das war aber nicht die eingangs gestellte Frage. Die war: ob sie selber eine Wissenschaft ist. Das würde nicht nur bedeuten, dass sie in jedem ihrer einzelnen Schritte nicht nur nach Gründen fragt und in der Egel auch welche findet; sondern dass sie als Ganze begründet ist. 

Sie ist es natürlich, aber sie ist, im Einzelnen wie im Ganzen, in ästhetischen Urteilen begründet - und die haben die bemerkenswerte Eigenart, dass sie ihrerseits nicht begründbar sind. So dass jeder literatur- oder sonst kulturwissenschaftliche Streit jederzeit auf den Punkt stoßen kann, wo nur noch festzustellen bleibt: Du hast deine Meinung, ich hab meine Meinung.

Damit ist ja schon viel gewonnen, wenn das Wortgestrüpp auf die Meinungen zurückgeführt wird, in denen es - dieser Strauch hier, jener Strauch dort -  'gründet'. Das ist Kritik, und die öffnet Augen, Ohren und Ver-ständnis. Aber Wissenschaft in dem Sinne, dass die Kontroversen so entschieden werden könnten, dass eine Seite die andre überzeugt, indem sie das letzte Wort behält - nein, das ist sie nicht.
JE

Sonntag, 14. Februar 2016

Gedächtnis - Auf die richtige Menge kommt es an.

aus derStandard.at, 13. Februar 2016, 14:55

Wie das Gehirn das Speichern von Informationen kontrolliert
Neuronaler Schaltkreis aktiviert genau die richtige Anzahl an Zellen – Sind es zu viele, kann die Speicherung gestört werden

Genf – Die Fähigkeit unseres Gehirns, Erinnerungen zu speichern und abzurufen, ist immer noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Nun haben Wissenschafter der Universität Genf neue Aspekte dieser komplexen Mechanismen enthüllt: Die Forscher haben an Mäusen herausgefunden, wie das Gehirn genau die richtigen Nervenzellen aktiviert – und zwar keine zu viel.

Das Netzwerk von Zellen, das eine Erinnerung speichert, bezeichnen Hirnforscher als Engramm. Wie genau eine Erinnerung einem bestimmten Ensemble von Nervenzellen zugeordnet wird, ist eines der Rätsel, mit denen sich Gedächtnisforscher beschäftigen. Die Schweizer Wissenschafter entdeckten bei ihren Versuchen mit Mäusen einen Schaltkreis aus Nervenzellen, der die Größe eines Engramms kontrolliert, wie die Hochschule in Genf am Donnerstag mitteilte. Ihre Ergebnisse erscheinen im Fachjournal "Neuron".

Die Zahl muss stimmen

Das Ensemble aus Zellen, das einer Erinnerung entspricht, formiert sich beim Abspeichern. Es wird gefestigt, indem genau die richtige Anzahl von Zellen aktiviert wird. Sind dabei zu viele aktiv, kann die Speicherung von Informationen gestört sein. Indem die Wissenschafter gezielt Zellen im Hippocampus von Mäusen aktivierten, konnten sie zeigen, wie die Nervenzellen eines Engramms die umliegenden Neurone lahmlegen, und zwar indem sie unterdrückende Zellen aktivieren. Dadurch wird die Größe des Engramms und somit auch die Stabilität der Erinnerung kontrolliert.

Größere Engramme, bessere Erinnerungen?

Die Untersuchung habe ergeben, dass eine Erinnerung umso besser behalten werde, je größer das Engramm sei, erklärte der Studienleiter Pablo Mendez in der Mitteilung. "Das gilt aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ist dieser überschritten, funktioniert die Erinnerung nicht mehr." Als nächstes möchten die Forschenden entschlüsseln, wie Erinnerungen genau funktionieren, also welche Zellen an welcher Erinnerung beteiligt sind und welche Neurone tatsächlich eine Erinnerung verschlüsseln. (APA, red)

Abstract
Neuron: "Hippocampal Somatostatin Interneurons Control the Size of Neuronal Memory Ensembles."


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Samstag, 13. Februar 2016

Ernst Mach zum 100. Todestag.

aus Der Standard, Wien,13. Februar 2016

Einsteins österreichischer Seelenverwandter 
Einer der einflussreichsten Denker rund um 1900 starb vor hundert Jahren. 
Auch Albert Einstein verehrte ihn 

von Karl Sigmund 

Wien – Das Ende kam nicht unerwartet: "Seien Sie nicht zu sehr überrascht", hatte Ernst Mach seinem jungen Anhänger geschrieben, dem Physiker Friedrich Adler, "wenn Sie hören, ich hätte mich in das Nirwana zurückgezogen, wozu es ja eigentlich schon Zeit wäre." 

Auf dem Partezettel, den Mach eigenhändig verfasst hatte, stand: "Bei seinem Ausscheiden aus dem Leben grüßt Professor Ernst Mach alle, die ihn kannten, und bittet, ihm ein heiteres Andenken zu bewahren." Heiter hatte er sich auch bei seinem Abschied aus Wien von der Akademie der Wissenschaften abgemeldet: "Sollte dieser Brief mein letzter sein, so bitte ich nur anzunehmen, dass Charon, der alte Schalk, mich nach einer Station entführt hat, die noch nicht dem Welt-Post-Verein angehört." 

Die letzten drei Jahre hatte Mach in häuslicher Pflege bei seinem Sohn Ludwig in der Nähe Münchens verbracht. Mach starb am 19. Februar 1916, am Tag nach seinem 78. Geburtstag. Friedrich Adler veröffentlichte einen mehrseitigen Nachruf für die von seinem Vater Victor Adler herausgegebene "Arbeiter-Zeitung". Auch zahlreiche andere Zeitungen widmeten Machs Leben und Werk umfangreiche Betrachtungen. Sie verdrängten die üblichen Schlachtberichte von den ersten Seiten. Das Toben des Weltkriegs habe Ernst Mach in seiner Einsamkeit nur mehr ganz schwach vernommen, schrieb Friedrich Adler, "abseits von jener Welt, in der alle Furien der Barbarei entfesselt sind". 

Auch Albert Einstein – gleich alt wie sein Studienfreund Friedrich Adler – ließ es sich nicht nehmen, einen Nachruf auf Mach zu verfassen, und zwar für das Fachblatt "Die Naturwissenschaften". Einstein hatte nur wenige Monate zuvor sein Meisterwerk vollendet, die allgemeine Relativitätstheorie. Nun erklärte er, dass Mach "schon ein halbes Jahrhundert zuvor nicht weit davon entfernt gewesen war, eine allgemeine Relativitätstheorie zu fordern". Ja, Einstein schrieb: "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Mach auf die Relativitätstheorie gekommen wäre, als er jugendfrischen Geistes war." 

Besuch beim Hofrat 

Einstein hatte Mach ein einziges Mal getroffen. Das war im September 1910, als Einstein, soeben nach Prag an Machs ehemaliges Physikinstitut berufen, im zuständigen Wiener k. u. k. Ministerium vorsprach. Der junge Gelehrte, knappe dreißig und seit fünf Jahren in kometenhaftem Aufstieg begriffen, ließ es sich nicht nehmen, dem legendären alten Hofrat Mach einen Besuch abzustatten – und übrigens am selben Nachmittag auch Victor Adler, dem nicht minder berühmten Vater seines Freundes. 

Sowohl Einstein als auch Friedrich Adler waren weniger von den Entdeckungen des Experimentalphysikers Mach fasziniert als von dessen philosophischen Überlegungen, die um die Frage kreisten, was Physik denn eigentlich sei. Lange hatte Mach das Gefühl, "allein gegen den Strom zu schwimmen". Doch sein 1883 erschienenes Buch "Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt" bedeutete den Durchbruch für Machs antimetaphysische Wissenschaftsphilosophie. Naturgesetze sind nichts als umfassende, verdichtende Berichte von Tatsachen. Wissenschaft bezweckt die ökonomische Darstellung der Erfahrungen. 

1895 wurde Mach als Philosoph nach Wien berufen, obwohl er bestritt, ein Philosoph zu sein "oder auch nur heißen zu wollen". Er wolle keine neue Philosophie schaffen, erklärte er immer wieder, "sondern eine alte, abgestandene daraus entfernen". Vielen ging er darin zu weit. So waren Atome für Mach "bloße Gedankendinge", da nicht unmittelbar wahrnehmbar. 

Das stieß auf heftigen Widerspruch seines Wiener Kollegen Ludwig Boltzmann. Ihre "Atomdebatte" ging in die Wissenschaftsgeschichte ein. Eine der ersten Arbeiten Einsteins entschied diese Frage zugunsten Boltzmanns. Mach leistete zwar hinhaltenden Widerstand, aber Einstein gegenüber gab er zu, dass man von der Existenz von Atomen sprechen könne, solang es keine natürlichere denkökonomische Alternative gebe. Das klang nicht hundertprozentig überzeugt. 

Bei der Relativität jedoch standen Mach und Einstein Seite an Seite. Machs Untersuchung von Newtons Prinzipien hatte klargemacht, wie viel Metaphysik hinter den Begriffen von absolutem Raum und absoluter Zeit steckt. Solch eine leere Bühne für die Vorgänge dieser Welt ist grundsätzlich der Erfahrung nicht zugänglich. Häufig wies Einstein darauf hin, wie wichtig Machs Einsichten für ihn gewesen seien. 

Als ihn Einstein 1910 besuchte, lebte Mach zurückgezogen in Gersthof. Wenige Jahre nach seiner Berufung an die Universität Wien hatte er einen Schlaganfall erlitten, der ihn halbseitig lähmte. Geistig blieb er rege. Seine Schriften brachte er mit der linken Hand zu Papier, auf einer umgebauten Schreibmaschine. Und die Mathematik hinter Einsteins spezieller Relativitätstheorie ließ er sich von jüngeren Kollegen erklären. 

Geschwindigkeit spüren 

Grundlage der speziellen Relativitätstheorie war die Einsicht, dass physikalische Gesetze für Beobachter, die sich mit konstanter Geschwindigkeit zueinander bewegen, dieselbe Gestalt haben müssen. Ob einer ruht oder nicht, lässt sich nicht sagen. Keiner "spürt" seine Geschwindigkeit, solange sie unverändert bleibt. 

Doch wenn sich die Geschwindigkeit ändert, in Betrag oder Richtung, so spürt man die Beschleunigung als Trägheit oder Fliehkraft. Für Beobachter, die sich beschleunigt zueinander bewegen, ändern sich die physikalischen Gesetze. Wie, das sollte die allgemeine Relativitätstheorie klären. Dabei berief sich Einstein auf eine Idee, die er als "Mach'sches Prinzip" bezeichnete: Trägheits- und Fliehkräfte hängen von der Verteilung der Massen im Weltall ab. Die Kräfte, die bei Beschleunigungen auftreten, sind Gravitationskräfte. 

"Wenn meine allgemeine Relativitätstheorie stimmt", schrieb Einstein 1913 begeistert an Mach, "so erfahren Ihre genialen Untersuchungen über die Grundlagen der Mechanik eine glänzende Bestätigung." Einsteins Jubel war verfrüht – er musste noch zwei Jahre um die richtigen Gleichungen kämpfen -, aber er korrespondierte mit Mach und bedankte sich für dessen "freundliches Interesse". Die zwei Physiker-Philosophen verband eine Seelenverwandtschaft. 

Einsteins Zuneigung 

In Einsteins Nachruf spürt man diese Zuneigung: "Bei Mach war die unmittelbare Freude am Sehen und Begreifen so stark vorherrschend, dass er bis ins hohe Alter hinein mit den neugierigen Augen eines Kindes in die Welt guckte, um sich wunschlos am Verstehen der Zusammenhänge zu erfreuen." Umso schlimmer dann die Überraschung, als 1921, fünf Jahre nach Machs Tod, dessen lang erwarteter Band zur "Optik" erschien. Im Vorwort verwehrte sich Mach barsch dagegen, dass ihm "die Rolle eines Wegbereiters der Relativitätstheorie zugedacht wird". Diese Theorie werde "immer dogmatischer"; er bezweifle, dass sie in der Geschichte der Wissenschaft mehr als eine geistreiche Randbemerkung darstellen werde; und er lehne "mit Entschiedenheit ab, den Relativisten vorangestellt zu werden". 

Für Einstein, der gerade den Höhepunkt seines Ruhms erreicht hatte, musste das Vorwort, das Mach ihm quasi aus dem Grab oder besser Nirwana nachschickte, wie eine brüske Replik auf seinen Nachruf klingen. Zwar unterstrich Einstein weiterhin, wie sehr Mach ihn beeinflusst hatte, doch wies er zunehmend auf dessen "geniale Einseitigkeit" hin. "Guter Mechaniker, aber deplorabler Philosoph", entfuhr es ihm bei einem Vortrag in Paris. Sein Verdikt wäre nachsichtiger ausgefallen, hätte Einstein geahnt, dass es sich beim Mach'schen Vorwort um eine Fälschung handelte. Das wurde, Jahrzehnte nach Einsteins Tod, vom Wissenschaftshistoriker Gereon Wolters überzeugend nachgewiesen: Ludwig Mach, guter Sohn, aber deplorabler Physiker, hatte das Vorwort 1921 geschrieben und auf 1913 rückdatiert.

Karl Sigmund ist emeritierter Professor für Mathematik an der Universität Wien und Autor des Buches "Sie nannten sich Der Wiener Kreis" (Springer Spektrum 2015), das zum österreichischen Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt wurde.

Nota. - Was Karl Sigmund den Lesern des Wiener Standard nicht extra mitteilen musste: Ernst Machs Freund Victor Adler war der Gründer und langjährige Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie. Sein Sohn (und Einsteins Freund) Friedrich galt als eines der Häupter des Austromarxismus, der Marx unter Berufung auf Ernst Mach mit der Kant'schen Transzendentalphilosphie verbinden wollte. Zugleich war er der Frontmann des linken Parteiflügels und erschoss im besagten Jahr 1916 als Manifestation gegen die Unterstützung der Parteimehrheit für den Krieg den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgk. 

Was aber auch den Wiener Zeitungslesern vielleicht nicht präsent ist: Es waren die Bemühungen der Austromarxisten um Friedrich Adler, die Lenin veranlassten, seine giftige Philippika Materialismus und Empiriokritizismus loszulassen, deren vornehmste Zielscheibe kein anderer als Ernst Mach war.
JE


Mittwoch, 10. Februar 2016

Verstehen Pferde menschlichen Gemütsausdruck?

aus scinexx

Pferde erkennen unseren Gesichtsausdruck
Erster Beleg für ein artübergreifendes Mimik-Verständnis auch beim Pferd
Auge in Auge: Pferde können erkennen, ob wir sie anlächeln oder grimmig dreinschauen. Diese Fähigkeit zum artübergreifenden Verstehen von Mimik belegt nun erstmals ein Experiment britischer Forscher. Sehen die Pferde das Foto eines wütenden Gesichts, reagieren sie prompt: Ihr Herzschlag beschleunigt sich und sie wenden den Kopf nach rechts ab – eine typische Reaktion der Huftiere auf negative Reize.

Unser Gesichtsausdruck verrät viel über unsere Stimmung – entsprechend genau achten wir auf die Mimik unserer Mitmenschen. Und auch die Mimik und Körpersprache unserer Haus- und Nutztiere haben wir im Laufe unserer Evolution gelernt, zu interpretieren. Aber wie ist es umgekehrt? Bisher weiß man nur von Hunden, dass sie nach ein wenig Training das Lächeln ihrer Besitzer von einem neutralen oder bösen Gesichtsausdruck unterscheiden können.

Fotostunde für Reitpferde

Ob jedoch Pferde ebenfalls dazu fähig sind, in unseren Gesichtern zu lesen, war bisher unbekannt. Deshalb haben Amy Smith und ihre Kolleginnen von der University of Sussex in Brighton dies in einem Experiment mit 28 Pferden aus verschiedenen Reitställen untersucht. Die Pferde wurden dafür am Führseil in die Reithalle geführt.

Dort zeigte man ihnen entweder ein Foto eines ihnen unbekannten lächelnden menschlichen Gesichts oder eines der gleichen Person mit grimmigem, zähnefletschenden Ausdruck. Die Wissenschaftlerinnen beobachteten die Reaktion der Pferde und maßen ihren Herzschlag. Sie konnten dabei nicht erkennen, welches Gesicht das Pferd gerade sah.

Das linke Auge ist für Gefahren

Das Ergebnis: "Die Reaktion auf die wütenden Gesichtsausdrücke waren besonders deutlich", berichtet Smith. "Es gab einen Anstieg des Pulses und die Pferde bewegten ihren Kopf, um die wütenden Gesichter mit ihrem linken Auge zu mustern." Ähnlich wie Hunde neigen Pferde dazu, negative, potenziell bedrohliche Reize verstärkt mit ihrem linken Auge zu beobachten. Die darüber aufgenommene Information gelangt direkt in die rechte Hirnhälfte und wird dort verarbeitet, wie die Forscherinnen erklären. Auf die freundlichen Gesichter reagierten die Pferde dagegen kaum.

"Eine Erklärung dafür könnte sein, dass es für Tiere wichtiger ist, potenzielle Bedrohungen in ihrer Umwelt zu erkennen", sagt Smith. "In diesem Zusammenhang ist das Erkennen von wütenden Gesichtern eine Art Warnsystem, das die Pferde darauf vorbereitet, negatives Verhalten von dem Menschen zu erwarten, wie beispielsweise ein grober Umgang."

Artübergreifendes Erkennen

Die Reaktion der Pferde belegt, dass diese Tiere auch über die Artgrenze hinaus Emotionen erkennen können, so die Forscherin. "Wir wissen schon seit langem, dass Pferde über ein komplexes Sozialverhalten verfügen", erklärt Smith. "Aber dies ist der erste Nachweis, dass sie auch zwischen positiven und negativen menschlichen Gesichtsausdrücken unterscheiden können." Dies sei auch deshalb beachtlich, weil die Morphologie der Gesichter von Mensch und Pferd ziemlich verschieden sei.

Warum die Pferde unsere Mimik verstehen, ist noch nicht eindeutig geklärt. Eine Möglichkeit wäre, dass Pferde von vornherein ein gutes Mimikverständnis für ihre Artgenossen besitzen und diese Fähigkeit dann bei ihrer Domestikation auf den Menschen übertragen haben. "Es kann aber auch sein, dass die Pferde im Laufe ihres Lebens und durch eigene Erfahrungen gelernt haben, die Gesichtsausdrücke des Menschen zu interpretieren", meint Seniorautorin Karen McComb. Bei Hunden ist bereits bekannt, dass solche Erfahrungen eine Rolle für die Mimikerkennung spielen. (Biology Letters, 2016; doi: 10.1098/rsbl.2015.0907)

(University of Sussex, 10.02.2016 - NPO)


Nota. - Verstehen Pferde unsern Gesichtsausdruck? Keiner, der je mit einem Pferd zu tun hatte, käme auf die Idee, dass es nicht so sein könnte. Was ist also der Informationswert dieser Forschung? 'Einen bösen Gesichtsausdruck interpretieren sie als Bedrohung.' Das wäre gewöhnliches Reiz-Reaktions-Lernen wie bei einer verstärkten Taube. Eine Meldung wäre, dass Pferde ein Lächeln als Freundlichkeit interpretieren; allerdings keine überraschende, weil wir das alle vermuten. 

Eine Nachricht wäre gewesen: Pferde verstehen unseren Gesichtsausdruck, weil sie sich in uns hineinver-setzen. Das wäre Perspektivwechsel und ein erster Funke von theory of mind. Auch das würden wir erwar-ten, aber das haben die Forscherinnen nicht einmal erfragt.
JE 




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Dienstag, 9. Februar 2016

Hunde geben Auskunft über unsere Intelligenz

aus scinexx

IQ-Test für Hunde
Die Intelligenz der Vierbeiner ist ähnlich strukturiert wie die unsrige
Vierbeiner im Test: Die Intelligenz von Hunden lässt sich wie die unsrige in einem IQ-Test vergleichen und messen. Das zeigt ein spezieller Intelligenztest für Hunde, den britische Forscher entwickelt haben. Wie sich zeigte, ergab die Anwendung dieses Tests bei Border-Collies durchaus Parallelen zum Menschen. Die Intelligenz der Hunde ist demnach ähnlich strukturiert wie die unsrige, so die Forscher im Fachmagazin "Intelligence".

Hunde haben sich schon in vielen Tests als relativ intelligent erweisen: Sie erkennen sich in einer Art Spiegeltest, sie folgen unseren Blicken und finden so Futter, erkennen unsere Gesichter auf Fotos und können zählen – wenn auch schlechter als Wölfe. In all diesen Tests geht es jedoch meist um die Frage, ob Hunde solche Aufgaben grundsätzlich beherrschen, nicht aber um die individuellen Unterschiede.

Hierarchische Intelligenz?

Um das zu ändern, haben Rosalind Arden von der London School of Economics und Mark Adams von der University of Edinburgh nun einen IQ-Test für Hunde entwickelt. Mit diesem wollten sie feststellen, wie die Intelligenz der Hunde innerhalb einer Rasse variiert und auch, ob dies ähnlich wie bei uns Menschen geschieht. 

"Beim Menschen sind kognitive Fähigkeiten wie die räumliche Orientierung, das Leseverständnis und das Zahlenverständnis positiv korreliert – eine Person, die in einem Gebiet überdurchschnittlich abschneidet, ist meist auch in den anderen gut", erklären die Forscher. Der gängigen Theorie nach liegt dies daran, dass die menschliche Intelligenz hierarchisch aufgebaut ist. Über allen in Tests abgefragten verschiedenen Manifestationen der Intelligenz steht demnach eine Art Grundintelligenz.

Navigation, Gestenverständnis und Zählen

Für den Hunde-IQ absolvierten 68 Border Collies drei verschiedene Arten von Aufgaben. Im ersten Test sollten sie möglichst schnell verschiedene Hindernisse umlaufen und überwinden, um an ihr Futter zu gelangen. Ein Labyrinth testete zudem ihre räumliche Orientierung. In der zweiten Aufgabe ging es darum festzustellen, wie gut und schnell die Hunde einer Zeigegeste zum Futter folgten. Im letzten Test sollten die Hunde abschätzen, welcher Futternapf besser gefüllt war und den volleren auswählen.

Das Ergebnis: "So wie Menschen beim IQ-Test unterschiedlich gut abschneiden, ist es auch bei Hunden der Fall", sagt Arden. Auch innerhalb einer Hunderasse gebe es messbare Unterschiede im IQ. Dabei schnitten die vierbeinigen Probanden, die die Aufgaben schnell bewältigten, meist auch richtiger ab als ihre zögerlicheren Artgenossen.

Übergeordnete Intelligenz auch bei Hunden

Aber nicht nur das: "Ein Hund, der schnell und akkurat in einem Test abschneidet, hat die Tendenz, auch in den anderen schnell und richtig zu liegen", berichten die Forscher. Sie schließen daraus, dass Hunde ähnlich wie wir Menschen eine übergeordnete, allgemeine Intelligenz besitzen. Sie führt dazu, dass ein Hund mit gute Fähigkeiten in einem Aufgabenbereich auch in den anderen besser abschneidet.

Interessant ist dies auch deshalb, weil Experimente zeigen, dass Hunde ihre Problemlöse-Fähigkeiten nicht so einfach von einer auf eine andere Aufgabe übertragen können wie wir es tun. Diese Form des mentalen Transfers fällt ihnen schwer. Daher spreche das gleichmäßige gute Abschneiden in verschiedenartigen Tests erst recht für eine übergeordnete, individuell unterschiedliche Intelligenz, so die Forscher.

"Nur der erste Schritt"

"Dies ist aber nur der erste Schritt", betont Adams. Denn er und seine Kollegin wollen die IQ-Tests für Hunde noch weiter ausbauen und durch weitere Aufgaben ergänzen. "Wir wollen einen IQ-Test für Hunde schaffen, der verlässlich und aussagekräftig ist und relativ schnell absolviert werden kann." 

Im Prototyp-Test hatten die Hunde eine Stunde Zeit, um alle Aufgaben zu absolvieren – das ist bereits relativ schnell gemessen an sonstigen Verhaltensstudien. "Hunde sind für diese Art der Forschung besonders gut geeignet", sagt Adams. "Denn sie sind willige Teilnehmer und scheinen Spaß an diesen Tests zu haben." (Intelligence, 2016; doi: 10.1016/j.intell.2016.01.008)

(London School of Economics (LSE), 09.02.2016 - NPO)


Nota. - Das ist nun gar nicht banal. Dass unsere Intelligenz "hierarchisch aufgebaut" ist, erfahren wir hier ganz nebenbei. Selbstverständlich ist es aber nicht. Bisher hieß es immer, dass die Leistungen, die in den IQ-Tests gemessen werden, rein pragmatisch danach ausgewählt und gewichtet würden, was im Alltags-verstand eben unter einem 'intelligenten Menschen' verstanden wird; eine wissenschaftliche Aussage dazu, 'was Intelligenz eigentlich ist', sei nicht impliziert.

Das müsste ja nun berichtigt und die IQ-Tests müssten wenigstens hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Leistungen neu erarbeitet werden, wenn es tatsächlich ein Grundvermögen gibt, von dem alle anderen mehr oder weniger direkt abstammen. Einer Definition dessen, 'was Intgelligenz ist', würde man dann doch einen Schritt näher kommen.
JE





Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.