Sonntag, 1. Dezember 2013

Dein Gesicht.

aus Die Presse, Wien, 26.11.2013

Die (große) Nase macht den Mann
Männer haben größere Nasen als Frauen. Das dient nicht, wie vieles andere in Menschen- und Tiergesichtern, der Signalgebung. Es kommt vom Energiebedarf.

 

Im Zentrum des Gesichts sitzt die Nase, und die des Mannes steht im Ruf, sie haben nicht nur bzw. vorrangig mit der Architektur des Gesichts zu tun, sondern mit einem ganz anderen Körperteil. Das stimmt auch, die Nase des Mannes deutet auf seine Lunge, und von dieser weiter auf die Muskeln, die in der endgültigen Phase des Heranwachsens angesetzt werden, in der Pubertät. Das ist die jüngste Wendung in der Frage nach der Evolution des Gesichts bzw. der unglaublichen Vielfalt, die es bei uns hat, die es bei den Affen hat, bei anderen Tieren auch – Wespen etwa, dort sehen wir nur nicht so gern hin.

Bei den Affen reicht ein Zoobesuch, um die wunderlichste Vielfalt zu bestaunen, vor allem die der Farben – quer durch den Regenbogen – und ihren Kombinationen und Mustern. Darwin fiel das auf, er und manche seiner Zeitgenossen verrechneten manches unter Camouflage, anderes umgekehrt unter Signalgebung. Aber dann schlief das Interesse ein, erst seit wenigen Jahren sucht man wieder Erklärungen, in zwei Richtungen: Der Bau des Gesichts inklusive seiner Behaarung kann an den Lebensbedingungen oder der Lebensweise liegen.

Zu den Lebensbedingungen zählt etwa die Sonnenstrahlung, sie ist gefährlich. Deshalb wird die Hautfarbe der Menschen dunkler, je näher sie am Äquator leben, bei den Gesichtsfarben vieler Affen ist das auch so. Besonders dunkel ist sie bei Affen, die nahe am Äquator leben und zudem in dunklen Wäldern. Das ist Sharlene Santana (University of Washington) aufgefallen, als sie 139 Affen (und andere Primaten) auf ihre Gesichtszeichnung untersuchte (Nature Communications, 11.11.). Zu interpretieren ist dieses Detail schwer, im Wald brennt ja keine Sonne, aber vielleicht sind diese Tiere häufig in den Baumkronen unterwegs, man weiß wenig über ihre Lebensweise.

Andere Details sind eindeutiger, viel liegt am Sozialleben: Je größer die Gruppen sind – bei den Mandrillen leben bis zu 800 zusammen –, desto üppiger blühen im Gesicht die Farben und Muster. Das dient der Abgrenzung gegenüber anderen Arten – gegenüber benachbarten, die sich im Lauf der Evolution aus dem gleichen gemeinsamen Ahnen differenziert haben –, das dient natürlich der Identifikation innerhalb der Gruppe. Dient es auch subtileren Signalen? Eher nicht, das zeigen die Menschenaffen und endlich auch die Menschen. Deren Gesichter sind nicht bunt, sie werden immer eintöniger, vermutlich deshalb, weil sich die Kommunikation verfeinert und die Mimik nach vorn gedrängt hat; sie kann keine wilden Farbmischungen brauchen.

Und bei Menschen kam dann endlich auch die Sprache. Um sie zu ermöglichen, musste erst das Gesicht umgebaut werden, vor allem musste der Unterkiefer verkleinert werden, sonst könnten wir beim Sprechen die Zunge nicht feinsteuern. (Möglich wurde dieser Umbau vermutlich durch die Domestizierung des Feuers bzw. die dadurch mögliche Veredelung des Essens, die die gewaltige Kiefermuskulatur schrumpfen ließ.)

Kleiner Unterschied: Zehn Prozent

Es ist also nicht alles am Gesicht ein Signal, auch die Nase ist es nicht, sie ist eher ein Außenposten der Lunge. Darauf deuteten zunächst die Neandertaler, die sich in Europa an die Kälte angepasst hatten – sie überlebten mehrere Eiszeiten –, auch im Gesicht. Dieses war für die Kälte wie geschaffen, nur an einem Ort nicht: der Nase. Sie war sehr groß, bei Kälte empfiehlt sich aber eine kleine Nase, in ihr muss die Luft vorgewärmt werden. Aber eine kleine Nase konnten die Neandertaler sich nicht leisten, für ihre kräftigen Körper brauchten sie viel Energie: Sauerstoff.

Das vermutete Nathan Holton (Iowa) früher schon (J. Hum. Ev. 55, S.942), nun hat er es an uns gezeigt (Am. J. Phys. Anthr., 18.11.): Bei Kindern ist die Nase gleich groß, unabhängig vom Geschlecht. Das ändert sich im Alter von elf Jahren, dann kommt der Wachstumsschub der Pubertät. Er bringt heranreifenden Männern um zehn Prozent größere Nasen, sie stillen den größeren Energiehunger: Männer setzen dann 95 Prozent Muskeln und fünf Prozent Fett an; bei heranreifenden Frauen sind es 85 Prozent Muskeln. Fett verbraucht keine Energie, Muskeln verbrauchen viel. „In diesem Sinn ist die Nase unabhängig vom Gesicht und mehr mit anderen Teilen unserer Anatomie verbunden“, schließt Holton.



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