aus derStandard.at, 3. August 2018, 12:02
Haben wir die
Buckelwal-Gesänge völlig falsch verstanden?
Psychologe glaubt, dass bisherige Interpretationen grundlegend falsch
sind: Die Wale würden für sich selbst singen, nicht für ein Publiku
Buffalo – Zu den berühmten Gesängen von Buckelwalen gibt es mittlerweile
mehr Interpretationen, als man aufzählen kann. Doch egal, ob die
komplexen Lautäußerungen aus einer nüchtern-informationsgehalt- bezogenen,
einer ästhetischen oder gar einer esoterischen Perspektive betrachtet
werden – ein Minimalkon- sens besteht zwischen all diesen Sichtweisen: nämlich dass die Meeresriesen für ein Publikum singen.
Und genau hier widerspricht nun Eduardo Mercado III; kein Biologe,
sondern ein Psychologe von der University at Buffalo im US-Bundesstaat
New York. Er glaubt, dass die Wale in Wirklichkeit für sich selbst
singen. Seine These stellte er im Fachjournal "Frontiers in Psychology"
vor.
Ein Fall von Projektion?
Dass Wale die Gesänge ihrer Artgenossen genießen könnten, hält Mercado
für einen Fall von Projektion: Wir würden lediglich unsere Annahmen
einer anderen Spezies überstülpen. Zum ersten Mal mit dem Thema in
Berührung kam er, als er für einen Studenten-Job Walgesänge analysieren
sollte.
Dabei ergaben sich für ihn Widersprüche – etwa dass viele individuelle
Walgesänge fortwährendem Wandel unterzogen sind, was Kommunikation nicht
eben erleichtern würde. Mercado vergleicht es damit, als hätte ein
Mensch die Aufgabe, jährlich eine neue Sprache zu lernen, die eine
vollkommen andere Grammatik als die eigene Muttersprache hat.
Fast schon historisch: Buckelwalgesänge auf Vinyl gepresst.
Mercado glaubt daher, dass Buckelwale ihre Gesänge ähnlich wie Sonar
einsetzen. Sie schicken seiner Hy- pothese nach komplexe Klangfolgen aus,
um aus den zurückkehrenden Echos akustische Repräsentationen ihrer
Umwelt zu gewinnen. Dies würde ihnen im Rahmen einer "Auditory scene
analysis" (einem Konzept aus der Wahrnehmungspsychologie) anzeigen, wo
sich potenzielle Paarungspartner oder Konkurrenten auf- halten, wohin sich
diese bewegen und ob der Sänger zu ihnen aufschließen kann.
Männliche Buckelwale singen nur während der Paarungszeit – ein
Zusammenhang mit Fortpflanzungs- bemühungen ist daher kaum
wegzudiskutieren, auch nicht von Mercado. Der grundlegende Unterschied
ist, dass in seiner Version durch die Gesänge nicht Weibchen beeindruckt
oder andere Männchen abgeschreckt werden sollen, da die Lieder nicht
von Zuhörern, sondern vom Sänger selbst ausgewertet werden.
Mercado räumt ein, dass die meisten Biologen seine Hypothese für reinen
Nonsens halten werden, zumal er auch nicht vom Fach kommt. Skeptikern
hält er aber ein simples "Widerlegt mich" entgegen. (red, 3. 8. 2018)
Link
Frontiers in Psychology: "The Sonar Model for Humpback Whale Song Revised"
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