Mittwoch, 4. Juli 2018

Hirnforschung: Spezialisieren und Verallgemeinern.


Der Berliner Tagesspiegel bringt heute ein Interwiew mit der Hirnforscherin Svenja Caspers vom 1000Brains-Projekt.

Daraus:

Frau Professor Caspers, was passiert im alternden Gehirn? 

Nervenzellen und ihre Verbindungen sterben. Dadurch nimmt die Hirnmasse ab. Das kann man im Mag- netresonanztomografen auch sehen. Manche Funktionen leiden im Alter aber mehr als andere. Zum Bei- spiel bleiben Sprachfähigkeit und Allgemeinwissen bis ins hohe Alter sehr stabil. Aufmerksamkeit, Ge- dächtnis, Sprachfähigkeiten [?] oder Orientierung bauen dagegen ab.
 
Weil bestimmte Regionen im Gehirn früher vom Altern betroffen sind?

Nicht ganz. Die höheren Funktionen des Gehirns entstehen nicht in einzelnen Arealen, sondern in verteilten Netzwerken. Diese erkennen wir im Scanner daran, dass die beteiligten Areale gleichzeitig aktiv werden. Wenn die Leistungsfähigkeit eines Netzwerks im Alter abnimmt, schaltet das Gehirn jedoch immer mehr Areale hinzu, die mit der Funktion vorher nichts zu tun hatten. So versucht es, den Verlust von Hirngewebe zu kompensieren. 

Leider beginnt dadurch die Aktivität der spezialisierten Netzwerke immer mehr zu überlappen. Die Netz- werke sind also weniger spezialisiert als vorher. So wird bei machen Aufgaben gleich das ganze Gehirn aktiviert. Das frisst Ressourcen und äußert sich darin, das ältere Menschen Aufgaben nicht mehr so zügig erledigen wie jüngere: die Einkaufsliste erstellen, entscheiden, wie man am schnellsten zum Supermarkt kommt, die Produkte dort finden, das alles kostet dann mehr Anstrengung.
 
Von den „1000Brains“-Daten haben Sie als Erstes die Hirnaktivität analysiert, die ihre Probanden hatten, während sie still im Scanner lagen. Warum?

Alle Netzwerke des Gehirns werden auch im Ruhezustand aktiv. Das Gehirn bereitet sich so stets auf eine mögliche nächste Handlung vor – wie ein Tennis-Spieler, der hüpfend auf den Aufschlag seines Gegners wartet. Liegt man mit geschlossenen Augen in einem Hirnscanner, dann leuchtet mal das Arbeitsgedächt- nis-, mal das Aufmerksamkeits-Netzwerk auf. In einer der ersten Analysen haben wir uns die Aktivierung eines besonderen Ruhenetzwerks angeschaut, des Default Mode Netzwerks. Es ist nur dann aktiv, wenn alle aufgabenbezogenen Netzwerke – also etwa die für Aufmerksamkeit oder für das Arbeitsgedächtnis – schweigen. 

Wir vermuten daher, dass es für innere Prozesse zuständig ist, etwa bei der Selbstreflexion, der Verarbei- tung von Erlebtem oder der Meditation. Im Ruhezustand ist das Default-Mode-Netzwerk also viel aktiver als die anderen. Wir haben beobachtet, dass das Netzwerk beim Altern seine Struktur verändert. Die hinte- ren Areale des Kortex verlieren mehr Hirnmasse als die weiter vorne. Das bestätigt eine Theorie, derzufol- ge die hinteren Hirnbereiche mit als Erstes altern. Eine Konsequenz davon scheint zu sein, dass das Netz- werk seine Aktivität nicht mehr so leicht einstellen kann. Für das Gehirn wird es dann schwieriger, auf Netzwerke für die aktive Lösung von Aufgaben umzuschalten.
 
Und was passiert in den aufgabenbezogenen Netzwerken?

Sie arbeiten umso stärker vernetzt, je älter die Probanden sind. Das bestätigt eine andere Theorie, derzufol- ge das Gehirn mit dem Alter nicht nur strukturell abbaut, sondern sich funktionell umorganisiert. Außer- dem sehen wir, dass die aufgabenbezogenen Netzwerke bei Probanden, die in neuropsychologischen Tests schlechter abschneiden, auch im Ruhezustand stärker aktiv sind. Das ergibt Sinn: Sind die Netzwerke immer überaktiv, hat man kaum noch Kapazitäten für aktive Aufgaben. Dieser Effekt war übrigens unabhängig vom Alter.


Nota. - Den 'Sitz des Ich' sollte man wohl vor alem im DEfault-Mode Netzwerk suchen. Ohne zu vergessen: Es ist nicht, sondern es ist aktiv; auch wenn du schläfst. 
JE




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen