Mittwoch, 16. Mai 2018

Bewusstseinstransplantation.

Geringelter Seehase Aplysia dactylomela Gezeitentümpel La Gomera Kanarische Inseln Kanaren Sp  
aus Süddeutsche.de, 15. Mai 2018, 15:14 Uhr                                  Meeresschnecke Aplysia

Gedankenübertragung

Wie Biologen Erinnerungen verpflanzt haben wollen
 
Von Kathrin Zinkant
 
Die Idee könnte gruseliger kaum sein: Man erlebt etwas, speichert das Erlebte in seinem Gedächtnis - und dann kommt jemand mit einer Spritze und saugt diese Erinnerung ab. Und das auch noch, um sie auf jemand anderen zu übertragen.

Unvorstellbar? Nicht ganz. Für die Meeresschnecke Aplysia ist die Science-Fiction-Idee vom transplantier- ten Gedächtnis nämlich Realität geworden. Wie eine Studie im Fachjournal eNeuro nahelegt, haben Neurowissenschaftler der University of California in Los Angeles ein erlerntes Verhalten erfolgreich von einer Schnecke in eine andere, untrainierte Schnecke verpflanzt.

Die Forscher übten am Körperende der Spendertiere dabei zunächst eine Reihe von starken Reizen aus, bis die Tiere eine gleichbleibende Schutzreaktion zeigten. Dann entnahmen sie Zellflüssigkeit aus dem Nervengewebe der auch als Seehasen bekannten Weichtiere und spritzten sie in die entsprechenden Neuronen von Seehasen ohne Reizerfahrung.

Die Schnecken können sich nicht bewusst erinnern

Tatsächlich zeigten diese Schnecken nun ebenfalls eine starke Schutzreaktion, obwohl sie dem Reiz zuvor gar nicht ausgesetzt waren. Die Wissenschaftler erklären den Effekt mit einem sogenannten epigenetischen Prozess. Demnach bilden die Nervenzellen der trainierten Tiere auf den Reiz hin winzige Botenmoleküle, RNAs. Diese Signalstoffe wiederum vermitteln winzige Veränderungen an der Oberfläche des Erbguts, beeinflussen die Aktivität der Gene und initiieren eine Verhaltensänderung.

Der Effekt ist aber nicht von den Zellen abhängig, in denen der Erfahrungsprozess stattgefunden hat. Er lässt sich durch die RNA direkt auf fremde, ungeprägte Nervenzellen des gleichen Typs übertragen.

Von transplantierten Erinnerungen zu sprechen, wäre aber trotzdem übertrieben: Die Schutzreaktion der Schnecken ist ein Reflex und somit eine einfache neurologische und biochemische Reaktion auf einen mehrfach wiederholten Reiz. Die Forscher konnten zwar zeigen, dass die Anleitung für dieses Verhalten in Form von RNA gespeichert und somit übertragbar wird. Bewusst erinnern sich die Schnecken dabei aber nicht. Zudem werden Erinnerungen an Erlebnisse und Personen beim Menschen in weit komplexeren Nervennetzen gespeichert, als die Meeresschnecke Aplysia selbst vorweisen kann. Dass sich der Schneckeneffekt beispielsweise für Alzheimerpatienten nutzen lässt, bleibt daher zweifelhaft.


Nota. - Wenn einer was kann, dann ist es ihm entweder genetisch angestammt, oder er hat es erlernt. So weit so alt. Das Entweder-Oder ist freilich seit der Entdeckung der Epigenetik nicht mehr so kategorisch: Was die Eltern erlernt haben, kann den Kindern vererbt werden. Was in der Gattung die Mutationen ver- richten, besorgt beim Individuum die Methylierung der Gen-Enden. 

Problematisch war immer und bleibt, was unter lernen verstanden werden soll. Setzt es Verstehen voraus, oder reicht häufiges Üben in Verbindung mit bestimmten physiologischen Reizen? Und da sagt der gesunde Menschenverstanf: Für Routineleistungen reicht das eine, fürs Lösen von Problemen wird das andere nötig. Im einen Fall wird das Gelernte in der Physis gespeicheert, im andern im Intellekt. Intellekt ist specie ist Reflexion: Reflexion auf das Gespeicherte. 

Auch das Speichern im Gehirn ist ein physiologischer Vorgang. Doch das Suchen und Vergegenwärtigen des Erinnerungsgehalts ist eine intellektuelle Leistung. Wo aber das Speichern nicht im Gehirn geschah, sondern in einem besonderen Körperteil, ist ein Gehirn beim Wiederabrufen auch nicht beteiligt. Wird be- sagter Körperteil transplantiert, wird die Reiz-Reaktion-Verkettung mitverpflanzt. Ich wüsste nicht, was daran eine neue Erkenntnis wäre.

Es ist bloße Sensationsmache. Man redet von Erinnerung und schreibt obendrüber: Gedanken übertragung. Und unten drunter setzt man: Von Gedanken kann aber nicht die Rede sein. So wird immerhin ein Zei- tungsartikel draus. Doch die Sprache hat ihre Untiefen. Auch ich habe geschrieben, dass der physiologi- sche Vorgang der Methylierung etwas besorgt. Ja ja, so fängt's an.
 
PS. Eben höre ich: Das Neue an der Untersuchung sei, dass besondere Körperteile selbstständig und ohne Gehirn 'lernen' können. Das sei zuvor gar nicht erwiesen gewesen...
JE

 

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