Freitag, 3. Februar 2017

Allnächtliches Großreinemachen.

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aus scinexx

Gehirn: Schrumpfkur im Schlaf
Während der Nacht rekalibriert unser Gehirn seine Synapsen

Platz für Neues: Wenn wir schlafen, findet in unserem Gehirn eine umfangreiche Rekalibrierung statt. Nahezu alle Synapsen schrumpfen um fast 20 Prozent und verlieren einen Teil ihrer Proteine, wie Forscher im Fachmagazin "Science" berichten. Der Grund für die neuronale Schrumpfkur: Erst das nächtliche Herunterskalieren schafft Platz für neues selektives Wachstum am nächsten Tag – und nur so können wir Neues lernen.

Schlaf ist für unser Gehirn unverzichtbar. Denn in dieser Ruhepause festigen sich unsere Erinnerungen und Gelerntes geht ins Langzeitgedächtnis über. Zudem nutzt unser Denkorgan die Nacht, um Abfallstoffe auszuschwemmen. Fehlt der Schlaf, machen wir mehr Fehler, neigen zu falschen Erinnerungen und werden reizbarer.

 

Blick auf die Nervenverknüpfungen


Welche Prozesse dafür sorgen, dass sich unsere Lernfähigkeit im Schlaf regeneriert, blieb allerdings unklar. 2016 lieferten Messungen der Hirnströme mittels Elektroenzephalografie erste Hinweise: Sie zeigten, dass bei Menschen mit Schlafmangel die Synapsen überaktiv sind und nicht mehr weiter wachsen können – was beim Lernen nötig wäre.
 

Spielt der Nachtschlaf demnach auch für die Synapsenfunktion eine entscheidende Rolle? Um das herauszufinden, haben Luisa de Vivo von der University of Wisconsin-Madison und ihr Team untersucht, ob sich die Synapsen bei ausgeschlafenen und wachgebliebenen Mäusen in Größe und Struktur unterscheiden. Dafür analysierten sie knapp 7.000 Synapsen aus der Hirnrinde der Tiere mit Hilfe der hochauflösenden seriellen 3D-Raster-Elektronenmikroskopie (SBEM).

 

Fast 20 Prozent geschrumpft


Und tatsächlich: Die Forscher entdeckten klare Unterschiede. Bei den Mäusen, die ein paar Stunden Schlaf hinter sich hatten, waren die Berührungsflächen der Synapsen im Schnitt um 18 Prozent geschrumpft. Auch das Volumen der napfartig ausgebeulten Synapsenköpfe hatte gegenüber dem Wachzustand abgenommen.

Diese Aufnahme zeigt die Dendriten, zweigartige Fortsätze von Nervenzellen. Am Ende der Verästelungen sitzen die Synapsen.
Diese Aufnahme zeigt die Dendriten, zweigartige Fortsätze von Nervenzellen. Am Ende der Verästelungen sitzen die Synapsen.
"Diese Ergebnisse stützen die Hypothese, dass die Wachphase zu einer Zunahme der Synapsenstärke führt, während der Schlaf diese Synapsenstärke wieder renormalisiert", sagen de Vivo und ihre Kollegen. Weil nachts alle Synapsen ein Stück herunterskaliert werden, können Lernerfahrungen am Tag einige dieser Verknüpfungen wieder selektiv stärken – und so die Erinnerungen fixieren.

 

Nächtlicher Abbau der Andockstellen


Eine Vertiefung dieser Ergebnisse liefert eine zweite Studie unter Leitung von Graham Diering von der Johns Hopkins University in Baltimore. Die Forscher untersuchten ebenfalls Mäusesynapsen vor und nach dem Schlaf, legten den Schwerpunkt jedoch auf molekulare und strukturelle Veränderungen der Nervenverknüpfungen. 

Dabei zeigte sich: Die Synapsen verlieren im Schlaf nicht nur an Größe, auch die Menge der Rezeptorproteine verringert sich um rund 20 Prozent. Immer, wenn der Pegel der Botenstoffe Noradrenalin und Adenosin ein erhöhtes Schlafbedürfnis signalisiert, findet dieser Abbau der Andockstellen für die Neutrotransmitter statt. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass im Schlaf eine Rekalibrierung des Gehirns stattfindet: Durch das allgemeine Herunterskalieren wird wieder "Luft nach oben" geschaffen.

 

Schlafmittel stören die Rekalibrierung


Diese neuen Einblicke in das nächtliche Gehirn bestätigen, wie wichtig der Schlaf für unser geistiges Wohlergehen ist. "Schlaf ist für unser Gehirn keine wirkliche Pause, denn es muss in dieser Zeit wichtige Arbeit leisten", erklärt Huganir. "Wenn wir ihm diese Zeit nehmen, wie in unserer modernen Gesellschaft oft der Fall, schaden wir uns selbst."

Und noch etwas deutet sich an: Schlaf- und Beruhigungsmittel könnten in dieser Hinsicht auch mehr schaden als nützen. Denn zumindest bei einigen dieser Medikamente geht man davon aus, dass sie die homöostatische Rekalibrierung des Gehirns stören oder verhindern können, wie der Forscher erklärt. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aah5982; doi: 10.1126/science.aai8355)

(Johns Hopkins University/ University of Wisconsin-Madison, 03.02.2017 - NPO)

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