Montag, 1. August 2016

Können Menschenaffen doch sprechen?

aus scinexx

Orang-Utan "spricht"
Menschenaffe hat neue Laute gelernt – und widerspricht damit gängiger Theorie

Können Menschenaffen doch sprechen – oder zumindest ihre Stimme bewusst kontrollieren? Der Orang-Utan Rocky scheint dies nun nahezulegen. Denn er hat gelernt, im Zwiegespräch mit dem Menschen Laute zu äußern, die nicht zum Orang-Repertoire gehören. Das spricht dafür, dass Orang-Utans - und vielleicht auch unsere gemeinsamen Vorfahren - bewusst Laute erzeugen und lernen können, so die Forscher im Fachmagazin "Scientific Reports".

Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten, dennoch scheint ihnen eine entscheidende Fähigkeit komplett zu fehlen: Sie können nicht sprechen. Zwar können Schimpansen Zeichensprache lernen und über Symbole kommunizieren, doch ihre Lautäußerungen – Grunzen, Rufen oder Schreien - scheinen sie nur in sehr engen Grenzen, wenn überhaupt, bewusst kontrollieren oder zu können. Lange galten ihre Laute daher als rein instinktgesteuert.

Dialekt und Husten auf Kommando

In jüngster Zeit allerdings sorgen einige abweichende Beobachtungen für Diskussionen. So schienen Schimpansen den "Dialekt" ihrer Rufe bei einem Umzug an die Laute ihrer neuen Gruppe anzupassen. Dem jedoch widersprachen kurz darauf andere Schimpansenforscher und kritisierten die Schlussfolgerungen als wenig überzeugend.

Möglicherweise überzeugender sind die Errungenschaften der Gorilladame Koko: Sie hat es gelernt, auf Kommando zu husten, grunzen und zu pusten. Das spricht nach Ansicht von Kokos-Betreuern dafür, dass Gorillas durchaus eine Form der bewussten Kontrolle über ihren Kehlkopf und Atemapparat besitzen – und damit eine Voraussetzung für echtes Sprechen.

Vokal-Spiel mit Orang Rocky

Unterfüttert wird dies nun durch einen weiteren Menschenaffen, den Orang-Utan Rocky. Dieser mit inzwischen elf Jahren noch jugendliche Primat lebt im Zoo von Indianapolis in den USA. Dort übten Forscher schon vor einigen Jahren mit ihm das Nachahmen von Lauten: Sie stießen einen willkürlichen, in Tonhöhe und Tonverlauf variierenden Vokal aus, den Rocky nachmachen sollte. Die Laute, die der Orang-Utan daraufhin ausstieß, zeichneten sie auf.


Normale Orang-Grunzlaute (blau) und die nachgeahmten Menschenvokale (rot) unterscheiden sich im Frequenzmuster.

Viele dieser Laute schienen tatsächlich denen der Experimentatoren ähnlich zu sein. "Rocky passte seine Tonfrequenz nach oben oder unten an, wenn sein menschlicher Vorsprecher es ihm vormachte", berichten Adriano Lameira von der University of Durham und seine Kollegen. Dies erreichte er sowohl durch Veränderungen im Luftstrom als auch durch Modulation der Stimmlippen, wie Phonogramme zeigten.

Laute nicht im normalen Orang-Repertoire

Aber hatte Rocky damit wirklich neue Laute gebildet und imitiert oder gehörten sie ohnehin zu seinem Repertoire? Um das herauszufinden, verglichen die Forscher die Tonaufnahmen mit der weltweit größten Datenbank der Orang-Lautäußerungen. In ihr sind Rufe von mehr als 120 Orang-Utans aus 15 freilebenden und in Gehegen lebenden Gruppen katalogisiert.

Das Ergebnis: Viele der von Rocky ausgestoßenen Laute entsprachen keinem der Rufe, die aus dem normalen Orang-Repertoire bekannt sind. Offenbar hatte der junge Menschenaffe sie so modifiziert oder neu "erfunden", um die Laute des ihm gegenübersitzenden Menschen so gut wie möglich nachzuahmen.

Die Voraussetzungen waren schon da

Nach Ansicht der Forscher demonstriert dies, dass Rocky neue Laute lernen kann - und dass er durchaus in der Lage ist, seine Lautäußerungen bewusst zu steuern und zu verändern. "Unsere Studie belegt, dass Orang-Utans potenziell die Fähigkeit besitzen, ihre Stimmen im Rahmen einer 'Konversation' zu kontrollieren", sagt Lameira.

Rockys "Sprachtalent" könnte darauf hindeuten, dass auch der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschenaffen und Menschen eine ähnliche rudimentäre Stimmkontrolle besessen hat. Möglicherweise verfügten schon frühe Vormenschen über die körperlichen Voraussetzungen für das Sprechen - und in dem Maße, wie sich ihre Intelligenz entwickelte, entwickelte sich dann auch ihre Sprache. (Scientific Reports, 2016; doi: 10.1038/srep30315
Abstract: Scientific Reports: "Vocal fold control beyond the species-specific repertoire in an orang-utan."


(Durham University, 28.07.2016 - NPO)

Nota. - Nach herkömmlicher Auffassung ist, grob gesagt, das Wernicke-Areal im Gehirn für das intellektive Sprachverständnis und das Broca-Areal für die Lautbildung zuständig. Man wäre versucht, die Stimmphysiologie als eine untergeordnete, rein ausführende Funktion aufzufassen, während es doch "eigentlich" auf das Verstehen und Schaffen von Bedeutungen ankäme. Allerdings war nicht erst die intellektuelle Leistung da und hat sich dann die dazugehörige Physiologie ausgebildet. Evolution ist ein systemischer Vorgang, da geht es nicht nach wenn-dann, sondern um das Aufkommen und die Ausprägung wechselseitiger Bedingungen. Ist die Fähigkeit zur willkürlichen Modifikation der Stimmlaute nicht ele-mentar vorhanden, kommt nicht die Versuchung auf, sie mit unterschiedlichen Bedeutungen auszuzeich-nen - für die seinerseits ein ursprüngliches Verstehen schon vorausgesetzt sein musste. Aber welches Vermögen schiebt, welche Versuchung zieht? Zu dem, was wir als unsere Sprache verstehen, die unser Denken ermöglicht, waren beide vonnöten, ohne dass das eine auf die andere gewartet hätte.

JE



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