Samstag, 25. Juli 2015

Abraham und Isaak für politisch Korrekte.

aus beta.nzz.ch, 25.7.2015, 05:30 Uhr

Abraham und Isaak im Jüdischen Museum Berlin
Glaube und Gehorsam
Saskia Boddeke und Peter Greenaway haben im Jüdischen Museum Berlin eine Ausstellung zur Geschichte von Abraham und Isaak inszeniert. Die Schau ist multimedial, ihre Perspektive eher eindimensional.

ujw. Als Abraham Gottes Stimme hörte, die ihm Ungeheuerliches gebot, die ihm nämlich befahl, seinen Sohn Isaak als Brandopfer auf einem Berge darzubringen – hätte er da entgegnen müssen: «Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott seist, dessen bin ich nicht gewiss, und kann es auch nicht werden . . .»? – Davon, dass dies die einzig vernünftige Reaktion auf das Ansinnen einer «vermeintlich göttlichen Stimme» gewesen wäre, war Immanuel Kant, von dem die phantasievolle Variation der biblischen Geschichte stammt, überzeugt. Bereits zu des Königsberger Aufklärungsphilosophen Zeiten werden manche seinen Einwand wohl für zu höflich vorgebracht befunden haben. Kant aber hielt nicht jeglichen Gottesglauben für Humbug; er war allerdings der Auffassung, es sei schlechterdings unmöglich, «dass der Mensch durch seine Sinne den Unendlichen fassen» könne.

Gottesfurcht?

Wer gebietende Stimmen aus dem Off hört, sollte – salopp übersetzt – Vorsicht walten lassen, denn er könnte sich verhört haben. Zwar hat Abraham sich nicht verhört – erzählt wird in Genesis 22 nicht die Geschichte eines Irrtums, sondern die Geschichte einer (dem Leser angekündigten) Prüfung. Aber der auf die Probe Gestellte hört ein zweites Mal eine Stimme. (Ist es dieselbe?) Sie verhindert, dass er tut, was zu tun er aufgefordert und anscheinend widerstandslos willens war. Auf dem dramatischen Höhepunkt des äusserst knapp geschilderten Geschehens ruft der «Bote des Herrn» – aus dessen Munde Gott selbst spricht – Abraham zu: «Strecke deine Hand nicht aus gegen den Knaben und tu ihm nichts, denn nun weiss ich, dass du gottesfürchtig bist, da du mir deinen Sohn, deinen Einzigen, nicht vorenthalten hast.»
Was soll man von einem Gott halten, der ein übles Spiel mit dem zu treiben scheint, der sich ganz und gar auf ihn verlässt und den dieser Gott selbst einst mit Segnungen und Verheissungen überschüttet hat? Und in was für eine Gottesfurcht ergibt sich Abraham, der offenbar bereit ist, sein Kind hinzuschlachten – ist das Ehrfurcht vor einem Erhabenen? Oder ist es Furcht vor einem Grausamen? Warum hat Abraham Gott nicht gebeten, von der Forderung des Sohnesopfers abzulassen – so wie er sich bei ihm unnachgiebig für die wenigen Gerechten einsetzte, die in Sodom allenfalls vor dem Zorn des Herrn zu retten gewesen wären? Prüft der schweigsame Abraham, als wäre er listiger Kantianer, seinerseits Gott, indem er nur so tut, als werde er der Anordnung willfahren? Oder wird er getragen von einer Glaubenskraft, die kraft des Absurden glaubt? Von einem Vertrauen auf einen gütigen Gott, das jede Verstandeslogik sprengt, das allem Verhängnis zum Trotz hoffnungsfroh ist und am Ende ja auch belohnt wird? Oder ist es – doch – blinder Gehorsam? Ist es gar Wahn?
Im Laufe der Überlieferungsgeschichte ist reichlich Phantasie in die Deutung, in die Um- und Fortschreibung der abgründigen Erzählung investiert worden – in der Absicht, sie verständlich, sie «passend» zu machen. Das gilt für alle drei Religionen, in denen Abraham als Gründerfigur seine – je verschiedene – Rolle spielt. Nicht zuletzt das weitgehende Schweigen des väterlichen Protagonisten lädt dazu ein, es beredt werden zu lassen. Auch die einschlägigen Verse im Koran tun dies, die sich motivgeschichtlich als Interpretation des biblischen Textes lesen lassen. «Siehe», sagt Ibrahim in Sure 37 zu seinem Sohn, «ich sah im Traum, dass ich dich opfern müsste. Schau, was meinst du dazu?» Und der Sohn antwortet: «O mein Vater! Tu, was dir befohlen wird. Du wirst mich, so Allah will, standhaft finden.» Der Koran nimmt hiermit rabbinische Ausdeutungen auf, die einen opferbereiten Isaak in den Gottesgehorsam einbeziehen und so vielleicht das Ungeheuerliche zu mildern suchen. An der zitierten Stelle bleibt Abrahams Sohn namenlos; heute wird er im Islam überwiegend mit Ismael gleichgesetzt, dem Sohn, den Abraham mit seiner Dienerin Hagar hatte und den die Bibel als Stammvater der Araber verzeichnet.
Zwar hat die Geschichte um Abraham und Isaak oder Ismael in den drei «abrahamitischen» Religionen jeweils ihren rituellen, liturgischen Ort gefunden, an dem sie regelmässig vergegenwärtigt wird (im jüdischen Neujahrsfest, in der christlichen Eucharistie, im islamischen Opferfest), doch von ihrem beunruhigenden Charakter, ihrer Vieldeutigkeit verliert sie dadurch nichts. Das Jüdische Museum Berlin widmet sich derzeit in einer grossangelegten Sonderausstellung dieser religiösen Erzählung. Wie es aussieht, haben sich die beiden Gastkuratoren resolut einer Reduktion der Interpretationsmöglichkeiten verschrieben.
Was der Titel der multimedialen Schau lapidar als Richtschnur zur Deutung der Geschichte vorgibt: «Gehorsam», formuliert Peter Greenaway unter anderem so: «Es ist die Geschichte alter Männer, die Gehorsam fordern und junge Männer in den Krieg schicken.» Der britische Filme- und Ausstellungsmacher verrät als Prämisse dieser schlichten, aber dann doch überraschenden Zuspitzung seine wenig überraschende Überzeugung, «dass es keinen Gott gibt». Ähnliches – «wir opfern unsere Jugend» – sagt auch seine Partnerin, die niederländische Multimediakünstlerin Saskia Boddeke, die wohl federführend bei der Konzeption war; und sie sieht voraus, wie es dem Ausstellungsbesucher ergehen wird: Er werde die Installationen zunächst «interessant und schön» finden, sich dann aber «zunehmend unwohl fühlen» – bis er am Ende gefragt werde: «Bist du ein Abraham? Würdest du dein Kind opfern? Und wie würdest du dich verhalten, wenn ein anderes Kind geopfert wird?»

Fünfzehn Räume
Man darf also sicher sein: Alles ist gut gemeint. Und manches in den fünfzehn Themenräumen ist sogar gut gemacht oder eben «interessant und schön» – wobei das Schöne bisweilen in kunsthandwerklichen oder auch bombastischen Kitsch kippt. Im Treppenaufgang wird der Besucher von einer Reproduktion von Veroneses einschlägigem Gemälde empfangen, um sich dann sogleich im Foyer dem Beginn eines Filmes mit der niederländisch-israelischen Tanzgruppe Club Guy & Roni ausgesetzt zu sehen, dessen Sequenzen, über die Ausstellung verteilt, die Geschichte von der Bindung Isaaks (wie sie in jüdischer Tradition meist genannt wird) in Szene setzen. Die sterile Ästhetik des hochauflösenden Films intensiviert die Leere mancher Geste der Tanzperformance. Immerhin wird durch sinnfreie Gestik wie auch durch die Erweiterung des biblischen Personals um Satan (der in jüdischen und islamischen Ausschmückungen des «Urtextes» vorkommt) das Ganze vieldeutiger und vielfältiger, als es die zitierten einfältigen kuratorischen Äusserungen erwarten liessen.
Im dritten Raum werden per Video Kinder und Jugendliche gezeigt, die (Kunst 2.0) entweder «I am Isaac» oder «I am Ishmael» sagen. Auch sie begegnen auf dem Parcours wieder. Der «goldene Raum» sodann lohnt für sich genommen den Ausstellungsbesuch: Illustrierte heilige Schriften aus neun Jahrhunderten geben Einblicke in die Bildtradition, die sich aus der biblischen Erzählung entwickelt hat. Ein weisser Raum für die Engelserscheinung und – wer hätte es gedacht – ein dunkler für Satan sind rasch durchquert. Die Stationen zum Islam (grüne Wände, ein beinahe fliegender Teppich), zum Christentum und zum Judentum beanspruchen mehr Aufmerksamkeit. Es lässt sich erfahren, was es mit dem Hajj auf sich hat – der Pilgerfahrt nach Mekka, bei der Abrahams, Ismaels und Hagars gedacht wird. Die Bedeutung der Bindung Isaaks für die jüdischen hohen Feiertage wird durch liturgische Gegenstände veranschaulicht; Grabsteine aus dem 13. Jahrhundert erinnern an jüdische Blutzeugen, die sich während des Ersten Kreuzzuges das Leben nahmen, um dem Schwert der Häscher oder der Zwangstaufe zu entgehen: Die Opferbereitschaft Isaaks habe vorbildhaft gewirkt.
Das Christentum, das in der «Opferung» Isaaks eine – theologisch freilich komplizierte – Vorausdeutung auf die Kreuzigung Christi sieht, ist ausser durch eine Vielzahl von Kruzifixen hauptsächlich durch Kunstwerke vertreten: unter anderem Drucke von Rembrandt, Georg Pencz und Otto Dix sowie – im Zentrum – eine per Video-Mapping herbeigezauberte Reproduktion von Caravaggios berühmtem Gemälde, das Abraham in seinem unerbittlichen Gehorsam und Isaak in seiner Wehrlosigkeit drastisch vor Augen stellt. Raum Nummer zehn ist den in der Geschichte abwesenden Müttern Isaaks und Ismaels, Sarah und Hagar, gewidmet. Das ist löblich, aber ohne eigentlichen Erkenntnisgewinn. Ähnliches darf auch von dem Widder gesagt werden, der in einer überlebensgrossen Videoprojektion zu Ehren kommt – ein heutiger Vertreter jenes biblischen Tieres, das Gott zur rechten Zeit als «Ersatzopfer» schickt; begleitet wird er von Damien Hirsts «Black Sheep with Golden Horns» (dessen beide Hälften allerdings hier zusammengefügt sind).

Suggestives Finale
In einem Raum, dessen Boden mit Schafwolle bestreut ist, liegt das von Zurbarán gemalte Lamm Gottes – elektronisch reinkarniert und nicht ohne mystagogischen Reiz – zur Anbetung bereit. Unzählige Stricke, Ketten, Hand- und Fussfesseln sowie sonstige Marterinstrumente hängen auf der Zielgeraden (im Raum «The Binding») drohend von der Decke. Im anschliessenden vierzehnten Raum ist es endlich so weit: Auf einer Videowand in Triptychon-Format tanzen und ringen einerseits die Performer von Club Guy & Roni – und empfinden die nicht geschehene Opferung nach. Andererseits sind aufwühlende dokumentarische Filmszenen zu sehen, die Kinder als Opfer von Krieg und Terror in unserer Gegenwart zeigen. Das ist suggestiv, aber als Interpretation der Geschichte von Abraham und Isaak substanzarm. (Eine gewisse Entschädigung bieten einige Aufsätze im Textteil des zweibändigen Katalogs.) Der Eindruck intellektueller Hilflosigkeit wird verstärkt von den Messern, Dolchen, Macheten, Speeren und Sicheln, die eine andere der Wände des Raumes dekorieren, sowie von den neunzehn Schafen des koreanischen Künstlers Kyu Seok Oh, die – gefertigt aus Papier, Leim und Alu – an einer weiteren, blutigen Wand hängen. Wenn dem Besucher vor dem Ausgang Kinderstimmen die Frage nachrufen: «Or are you an Abraham?», dann seufzt auch er ermattet: Nein, nein, ich bin natürlich ein Isaak.


Zurbarán
Es werde die «spektakulärste Ausstellung», die das grösste jüdische Museum Europas je veranstaltet habe, kündigte dessen Programmdirektorin an. So kann man es auch sehen.
Gehorsam. Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway. Jüdisches Museum Berlin. Bis 13. September.


Nota. - Die Christen können immerhin mildernde Umstände geltend machen. Ihr Gott hat sich ja schließ- lich reformiert und anstelle des alten Bundes mit Abraham einen neuen Bund mit allen Menschen geschlo- ssen. Ab da machen sie nicht genug draus; ihr Altes Testament berichtet von einem Gott, der seither ein anderer geworden ist.
JE

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