Mittwoch, 10. September 2014

Digitales Ende der Schriftkultur?


Charlotte Brückner-Ihl 
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Justus-Liebig-Universität Gießen
 


09.09.2014 10:42

Gießener Sprachwissenschaftler Prof. Henning Lobin untersucht in seinem neuen Buch den Wandel des Lesens und Schreibens auf dem Weg zu einer Digitalkultur

Die Digitalisierung markiert das Ende der Schriftkultur. Der Gießener Sprachwissenschaftler und Computerlinguist Prof. Dr. Henning Lobin untersucht in seinem soeben im Campus-Verlag erschienenen Buch „Engelbarts Traum – Wie der Computer uns Lesen und Schreiben abnimmt“ den Wandel des Lesens und Schreibens auf dem Weg zu einer Digitalkultur.

Die Digitalisierung bedeutet eine kulturelle Zeitenwende wie die Erfindung des Buchdrucks. Mit der Entwicklung des Computers haben die Menschen das Monopol über die Schrift verloren. Der Computer nimmt uns Lesen und Schreiben immer mehr ab und wird dabei selbst zum Leser und Schreiber. Douglas Engelbart, der Erfinder der Computer-Maus, zeichnete diese Entwicklung schon 1968 in einer legendären Demonstration vor. Sein Traum ist unsere Wirklichkeit geworden und bestimmt unsere Zukunft.

In seinem neuen Buch „Engelbarts Traum“ zeigt Henning Lobin, Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), wie sich diese Entwicklung des Lesens und Schreibens auf die Infrastrukturen der Schriftkultur (Bibliotheken, Verlage) und ihre Institutionen (Schule, Universität, Presse, Zensur) auswirkt. Auf dem Weg hin zu einer „Digitalkultur“ wird der Mensch zunehmend in die Peripherie gedrängt. Der digitale Code, gleichsam eine neue kulturelle DNA, tritt dabei mehr und mehr an seine Stelle. Welche weiteren Veränderungen lassen sich derzeit voraussagen? Wie können wir verhindern, dabei zum Spielball der technischen Evolution zu werden? Engelbarts Traum muss heute neu gedeutet werden, soll er sich nicht in einen Albtraum verwandeln – mahnt der Autor.

Seine Thesen entfaltet Prof. Lobin in zehn Kapiteln und geht dabei den offenen Fragen auf den Grund. Nach einer Einleitung, in der er einige historische Schlüsselszenen skizziert, werden die Kulturtechniken des Lesens und Schreibens historisch und systematisch erläutert. Lobin zeigt, wie daraus die Infrastrukturen, Institutionen und Werte der Schriftkultur entstanden sind.

Im vierten Kapitel erklärt der Autor auf leicht verständliche Weise, was eigentlich „Digitalisierung“ bedeutet und welche Triebkräfte ihr – bezogen auf die kulturelle Entwicklung – innewohnen. In den folgenden beiden Kapiteln stellt er in einer Vielzahl von Beispielen neuartige Verfahren des computergestützten Lesens und Schreibens dar – Techniken, die heute bereits existieren, oft aber kaum bekannt sind. Das siebte Kapitel beschreibt, wie sich diese neuen Techniken auf den Umgang mit Texten auswirken, auf Schreib- und Lesegewohnheiten, auf das Lernen, Forschen und Informieren. Dass die kulturelle Entwicklung evolutionären Kräften unterliegt, wird im achten Kapitel behandelt. Die Lehre von den „Memen“ als Grundeinheiten der Evolution wird auf ihre Reproduktion durch Schrift und die Digitalisierung bezogen. Im neunten und zehnten Kapitel versucht der Autor schließlich eine Voraussage dieser Entwicklungen bezogen auf die Infrastrukturen, Institutionen und Werte einer entstehenden Digitalkultur.

Prof. Lobins evolutionärer Blick auf das Ende der Schriftkultur bietet jenseits von Kulturpessimismus oder Fortschrittsfeindlichkeit unverzichtbares Hintergrundwissen und fundierte Orientierung in der aktuellen Debatte um die Digitalisierung.


Über den Autor:
Prof. Dr. Henning Lobin ist seit 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Seit 2007 leitet er dort das interdisziplinäre Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI), in dem die Auswirkungen von neuen Kommunikationsformen auf Wissenschaft, Bildung und Kultur untersucht werden. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Texttechnologie, die multimediale Wissenschaftskommunikation und der medienkulturelle Wandel durch Digitalisierung.

Neuerscheinung
Henning Lobin
Engelbarts Traum
Wie der Computer uns Lesen und Schreiben abnimmt
Campus-Verlag, Frankfurt am Main/New York
September 2014, kart., 281 Seiten
D 22,90 € / A 23,60 € / CH 32,90 Fr.
ISBN 978-3-593-50183-3
Auch als E-Book verfügbar

Weitere Informationen
www.lobin.de
www.scilogs.de/engelbart-galaxis/ blog.lobin.de
Prof. Henning Lobins Blog „Die Engelbart-Galaxis“, in dem die Themen des Buchs weitergeführt und mit tagesaktuellen Entwicklungen verbunden werden.
www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/kulturwissenschaften/engelbarts_traum-8569.html
www.uni-giessen.de/fbz/zmi

Kontakt
Prof. Dr. Henning Lobin
Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI) der Justus-Liebig-Universität Gießen
Ludwigstraße 34, 35390 Gießen
Telefon: 0641 99-29050
E-Mail: Henning.Lobin@uni-giessen.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen