Donnerstag, 31. Juli 2014

Der Geschmack von Fett.

Aus evolutionsbiologischer Sicht essen wir gern fettige Kost, weil sie kalorienreich ist und uns für karge Zeiten rüstet.
aus nzz.ch, 31. Juli 2014, 05:30

Fett ist Geschmackssache
Sechster Sinn für Fettiges



Wie nehmen wir Geschmäcker wahr? Darüber ist längst noch nicht alles bekannt. Nach gängiger Lehrmeinung erzeugen der Geruchs- und der Tastsinn den Fettgeschmack. Dies scheint jedoch nur die halbe Wahrheit zu sein.

AA Ob es an dem köstlichen Geschmack, dem unwiderstehlichen Duft oder der angenehmen Konsistenz liegt, dass wir Lust auf Fettiges haben, dürfte den meisten von uns egal sein – wir essen es einfach. Für Wissenschafter aber tut sich hier ein ergiebiges Forschungsfeld auf. Denn wie Schmecken funktioniert, ist längst noch nicht verstanden. Bis anhin steht noch nicht einmal fest, wie viele Geschmacksqualitäten wir wahrnehmen können. Als gesichert gelten fünf – süss, sauer, salzig, bitter sowie das herzhaft-fleischige Umami. Umstritten ist dagegen, ob es auch einen «sechsten Sinn» für fettig gibt. Nach gängiger Lehrmeinung sind für die Fettwahrnehmung vor allem der Geruchs- und der Tastsinn zuständig, die auf das Aroma und die Beschaffenheit fetthaltiger Nahrung ansprechen. Nun mehren sich aber die Hinweise, dass Menschen auch für Fette Geschmacksrezeptoren haben.

Nach Molekülen angeln

Am Geschmackssinn sind beim Menschen einige tausend Geschmacksknospen beteiligt. In Gruppen sitzen diese vor allem auf der Zunge. Sie bestehen jeweils aus mehreren länglichen Sinneszellen, die ähnlich angeordnet sind wie die Schnitze in einer Orange. Lange Zeit nahm man an, dass bestimmte Areale auf der Zunge für die einzelnen Geschmacksqualitäten zuständig sind – etwa die Zungenspitze für süss. Tatsächlich aber gibt es überall Knospen mit Sinneszellen für jeden Geschmack und lediglich geringe Unterschiede in der Empfindlichkeit.

Die Geschmacksrezeptoren sind in die Wand der Sinneszellen eingebettet und angeln im Speichel nach vorbeitreibenden Geschmacksmolekülen. Dockt ein Molekül an den passenden Rezeptor an, sendet die Zelle ein Signal aus, das über Nervenbahnen ans Gehirn weitergeleitet wird und dort das entsprechende Geschmackserlebnis erzeugt. Dazu trägt allerdings auch der Geruch bei.

Der Geschmackssinn sorgt für Genuss, ist aber vor allem für die Qualitätskontrolle der Nahrung wichtig. Er ermöglicht, Essbares von Ungeniessbarem oder gar Giftigem zu unterscheiden. Toxische Pflanzen oder Verdorbenes schmecken oft bitter oder sauer. Süss und Umami stehen dagegen für Kohlenhydrate beziehungsweise Proteine und versprechen Energie. Sie verführen zum Essen. Dies war einmal ein evolutionärer Vorteil – als Nahrung noch eine knappe Ressource war. Daher scheint es naheliegend, dass Menschen auch einen Sinn für das besonders gehaltvolle Fett haben sollten.

Bei Mäusen hatten Forscher um Philippe Besnard von der Université de Bourgogne in Dijon bereits im Jahr 2005 einen Geschmacksrezeptor für Fett beschrieben. Im Versuch verglichen sie das Fressverhalten normaler Mäuse mit dem von Artgenossen, denen der Rezeptor namens CD36 aufgrund einer Mutation fehlte. Dabei zeigte ausschliesslich die erste Gruppe eine Vorliebe für fettreiche Kost. Die mutierten Nager hingegen frassen gleich viel fetthaltiges und fettarmes Futter – sie schmeckten offenbar keinen Unterschied. Mittlerweile wurden bei Nagetieren verschiedene solcher Fett-Sensoren gefunden.

Forscher unter der Leitung von Maik Behrens vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (Dife) begaben sich daraufhin beim Menschen auf die Suche. Sie fahndeten gezielt nach dem GPR120-Rezeptor, der von Mäusen bekannt war und zudem im menschlichen Magen-Darm-Trakt vorkommt. Dort ist er am Fettstoffwechsel beteiligt. Mithilfe molekularer Methoden identifizierten die Forscher GPR120 erstmals auch im Mund. Ausserdem fanden sie heraus, dass der Rezeptor auf langkettige Fettsäuren reagiert. In Geschmackstests waren das genau diejenigen Stoffe, die den typischen Fettgeschmack hervorriefen. Diese Ergebnisse wurden 2011 publiziert.

Unklar war allerdings noch, wie die Fettsäuren aus der Nahrung freigesetzt werden. Denn bei Nahrungsfetten handelt es sich meist um Triglyceride. Sie bestehen aus einem Glycerinmolekül, an dem drei Fettsäuren hängen. Diese sperrigen Verbindungen können an die Rezeptoren nicht andocken. Daher sind Enzyme notwendig, um die Bindung zwischen dem Glycerin und seinen Fettsäureanhängseln aufzubrechen. Im Mäusespeichel kommen solche Lipasen reichlich vor; beim Menschen war man dagegen nicht fündig geworden. Dies ist Behrens' Team nun aber gelungen. «Die Lipasen sind im Gesamtspeichel nicht nachweisbar, sondern werden offensichtlich lokal in der Nähe der Geschmacksknospen ausgeschüttet», sagt Koautor Thomas Hofmann von der Technischen Universität München. Daher seien sie erst jetzt entdeckt worden.

Die Forscher wiesen die fettspaltenden Enzyme nun direkt auf der Zungenoberfläche nach. Dazu legten sie Probanden Filterplättchen auf die Zunge, die mit Triolein – dem Triglycerid der Ölsäure – getränkt waren. Nach spätestens zweieinhalb Minuten wurden die Plättchen wieder entfernt und analysiert. Auf den Filtern fand sich umso mehr freie Ölsäure, je länger sie auf der Zunge verblieben waren – die Lipasen hatten mehr Zeit, um das Fett zu zerlegen. Waren die Filter zusätzlich mit einem Lipase-Hemmstoff getränkt, verlief der Abbau deutlich langsamer. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Enzyme in direkter Nähe zu den Geschmacksknospen gebildet werden.

Lipasen sorgen für Geschmack

Eine Fettverkostung ergab, dass die Lipasen tatsächlich für das Geschmackserlebnis «fettig» erforderlich sind: Probierten die Versuchsteilnehmer Triolein zusammen mit dem Lipase-Hemmer, so nahmen sie den Geschmack schwächer wahr. Ausserdem gab es Personen, die für den Fettgeschmack empfindlicher waren als andere. Bei ihnen waren die fettspaltenden Enzyme besonders aktiv.

Ob manche Menschen deswegen besonders viel Fett essen, weil sie den Geschmack erst bei höheren Konzentrationen registrieren, ist derzeit noch offen. «Denkbar wäre auch der umgekehrte Fall, nämlich dass der Geschmackssinn durch hohe Fettzufuhr mit der Zeit nachlässt», sagt Hofmann.

Der endgültige Beweis für den sechsten Sinn steht ebenfalls noch aus. Um diesen zu erbringen, müssen die Forscher die Sinneszellen mit den Fettrezeptoren nachweisen und zeigen, dass deren Signale ans Gehirn weitergeleitet werden, wo sie das Geschmackserlebnis «fettig» hervorrufen. Diesen Nachweis hat man für die fünf anderen Geschmacksqualitäten bereits erbracht. Als Letztes im Jahr 2002 für Umami.

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