Samstag, 4. Januar 2014

Alte Haut.

 
aus Die Presse, Wien, 5. 1. 2014

Seneszenz
Wie Hautzellen altern
Ein neues Christian-Doppler-Labor erforscht die Seneszenz des Gewebes – und wie man diesen Prozess positiv beeinflussen könnte.
 
 

Die Haut ist mit einer Fläche von durchschnittlich 1,7 Quadratmetern nicht nur das größte Organ des Menschen, sondern auch das vielseitigste: Sie ist die Grenze zwischen innen und außen, schützt die Organe vor Bakterien und UV-Strahlung, sorgt für den Stoffaustausch mit der Umgebung, ist verantwortlich für die Regulation der Körpertemperatur und dient der Kommunikation – etwa durch die Sinneszellen, aber auch als Ausdrucksorgan (Mimik, Schminke oder Tätowierung).

Die Haut ist jenes Organ, an dem viele Menschen ihr Altern zuerst bemerken: Die Zellschichten verlieren an Geschmeidigkeit, die Hautspannung sinkt, ebenso die Elastizität, als Ergebnis bilden sich Falten. Zudem verliert die Haut einen Teil ihrer Barrierefunktion, die Wundheilung wird schlechter.

Diese Alterserscheinungen sind einerseits eine direkte Folge der Funktion: Durch Strahlung sowie durch ständige Angriffe von Oxidationsprozessen und Immunreaktionen werden die Zellen geschädigt. Andererseits gibt es auch ein biochemisches Altern: Die meisten Zellen stellen irgendwann ihre Vermehrung ein; sie sterben zwar nicht ab, aber verändern ihre Funktion. Man nennt dieses Phänomen „Seneszenz“.

Laut Studien ist bei älteren Säugetieren bis zu einem Fünftel aller Hautzellen in einem seneszenten Zustand. „Diese Zellen schütten zusätzlich Signalmoleküle aus, die ihre Umgebung, ihr ,Microenvironment‘, negativ beeinflussen“, erläutert Johannes Grillari, Biotechnologe an der Universität für Bodenkultur, der sich seit zehn Jahren mit Seneszenz-Forschung beschäftigt.

Verkürzung der Telomere. 


Als Hauptgrund für die Zellalterung gilt laut gängiger Theorie die Verkürzung der sogenannten Telomere: Das sind DNA-Abschnitte an den Enden der Chromosomen, in denen sich bestimmte Basenabfolgen – bei Wirbeltieren ist es die Sequenz TTAGGG – tausende Male wiederholen. Bei jeder Zellteilung geht ein kleines Stück verloren, nach typischerweise 60 bis 80 Zellteilungen ist nur mehr so wenig übrig, dass die Zelle ihre Vermehrung einstellt.

Dieser Mechanismus hat einen biologischen Sinn: Durch ihn wird verhindert, dass sich eine alte Zelle, in der sich viele Schäden in der DNA angehäuft haben, weiter vermehrt und unter Umständen zu einer Krebszelle entartet. „Die Telomer-Verkürzung ist ein starker Tumor-Suppressor-Faktor“, formuliert es Grillari. Seneszente Zellen wurden nicht nur in der Haut nachgewiesen, sondern auch in der Leber, den Nieren sowie im Gefäßsystem.

Prozesse hinter der Seneszenz. 


Bekanntlich beschäftigt sich eine ganze Industrie damit, die Folgen der Hautalterung abzumildern. Doch wie Kritiker meinen, gibt es kaum harte Beweise dafür, dass Cremen, Feuchtigkeitslotionen etc. wirklich wirken – und man kennt keinen Mechanismus, aufgrund dessen diese wirken könnten.

Unter Grillaris Leitung soll sich das nun ändern: Vor Weihnachten wurde das neue Christian-Doppler- Labor für Biotechnologie der Hautalterung eröffnet, das zum einen die biochemischen Prozesse hinter der Seneszenz von Hautzellen genauer erforscht und zum anderen auch testet, ob bestimmte Wirkstoffe in diese Prozesse eingreifen können. Dabei kooperiert Grillari mit Forschern der Med-Uni Wien um den Dermatologen Florian Gruber, als Firmenpartner ist zudem Chanel Research and Technology mit an Bord. Das Labor mit einem Jahresbudget von 400.000 Euro ist auf sieben Jahre angelegt, die Kosten teilen sich der Firmenpartner und das Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium.

Vordergründig geht es in dem Labor darum, die Wirkung von Pflanzenextrakten auf die Zellalterung zu untersuchen. „Wir schauen, ob die Substanzen die Seneszenz beeinflussen, ob sie etwa die Zellen stressresistenter machen.“ Die Substanzen werden nicht an Tieren, sondern an einem menschlichen „Hautäquivalent“ getestet: Dabei werden auf eine Matrix aus Kollagen typische Hautzellen – Fibroblasten und Keratinozyten – aufgebracht. „Wenn man diese Kultur aus der Lösung an die Luft hebt, dann differenzieren die Keratinozyten aus, die Haut verhornt und wird voll ausgeprägt“, so Grillari. Nachsatz: „Das ist ein viel besseres Modell als eine Maus.“ Tierversuche werden dadurch unnötig.

Hinter den Tests steht freilich auch zielgerichtete Grundlagenforschung – denn die meisten Prozesse, die in der Haut ablaufen, versteht man noch nicht. Ein wichtiger Ansatzpunkt sind jene entzündungsförderlichen Stoffe – z. B. Interleukine –, die von seneszenten Zellen in ihre Umgebung abgesondert werden. Von besonderem Interesse sind dabei ein Protein namens SNEV, das an der Reparatur von DNA-Schäden und an der Entstehung von Seneszenz beteiligt ist, sowie sogenannte Micro-RNA. Letzteres sind kleine RNA-Moleküle mit rund 20 Basen. Vor zehn Jahren noch wurden diese Moleküle als „Zellmüll“ („Junk“), als teilweise abgebaute größere Moleküle angesehen. Mittlerweile weiß man aber, dass Micro-RNA an der Regulation von Abläufen in der Zelle beteiligt ist; die Gruppe um Grillari und seine Frau, Regina Grillari-Voglauer, an der Boku hat kürzlich herausgefunden, dass bestimmte Micro-RNA bei seneszenten Hautzellen herunterreguliert sind.

Wann und ob aus diesen Forschungen ein Jungbrunnen für die Haut entstehen wird, ist offen – das liegt im Wesen der Wissenschaft, denn wenn man schon alles wüsste, müsste man ja nicht forschen. Das neu gewonnene Wissen in der Alternsforschung ist jedenfalls auch für andere Bereiche interessant – wir alle werden schließlich immer älter.


Lexikon Altern
 
Unter „biologischem Altern“ versteht die Wissenschaft den allgemeinen und progressiven Verlust von Körperfunktionen, der zu einem exponentiell steigenden Sterberisiko führt. Altern ist allerdings nur selten die primäre Todesursache – der Mensch stirbt zumeist an Krankheiten, die man in jüngeren Jahren überlebt. 
 
Seneszenz (vom lat. senescere, altern) ist kein Synonym für Altern; Altern kann aber zur Seneszenz von Zellen führen. Als Gründe für diesen irreversiblen Teilungsstopp gelten kritisch kurze Telomere, DNA-Schäden oder biochemischer Stress. 
 
 

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