Dienstag, 9. April 2019

Keine fröhliche Wissenschaft.

  ter Brugghen, Demokrit
aus spektrum.de, 8. 4. 2019

Schlechte Stimmung fördert kritisches Denken
Nach einem lustigen Film neigen wir zu Gutgläubigkeit und gehen falschen Informationen eher auf den Leim.

von Christiane Gelitz

Wer etwas kritisch prüfen möchte, schaut vorher möglichst keine lustigen Videoclips. Denn je besser die Gefühlslage, desto leichtgläubiger sind wir, berichtet Joseph Forgas von der University of New South Wales in Sydney. In der Fachzeitschrift »Current Directions in Psychological Science« stellt der Sozialpsy- chologe dar, wie sich die Stimmung in verschiedenen Situationen auf die Informationsverarbeitung aus- wirkt. Gut gelaunt sind wir demnach häufiger blind für falsche Behauptungen, Mehrdeutiges und Manipu- lationen.

Der Australier führte mit mehreren Teams über Jahre hinweg Experimente durch. Gemeinsam mit Alex Koch von der Universität zu Köln ließ er Versuchspersonen witzige oder deprimierende Kurzfilme schauen und legte ihnen dann falsche Behauptungen vor, zum Beispiel »Der höchste Baum der Welt ist eine Fichte«. Nach traurigen Filmen ließen sich die Teilnehmer von werbeähnlich präsentierten Aussagen weniger beeinflussen als nach emotional neutralen oder positiven Filmen.

In ähnlichen Experimenten entdeckten Probanden häufiger zweideutige Formulierungen, und sie waren weniger geneigt, in unsinnige Sätzen einen Sinn hineinzuinterpretieren, wenn man sie zuvor mit Videoclips in negative Stimmung versetzt hatte. Die Effekte traten nicht nur im Labor auf: Forgas und Kollegen inszenierten einmal während einer Vorlesung einen Vorfall, bei dem der Dozent scheinbar von einer Frau attackiert wurde. Als die Studierenden eine Woche später als Zeugen befragt wurden, ließen sich ihre Erinnerungen nicht so einfach mit falschen Informationen manipulieren, wenn sie zuvor einen traurigen Kurzfilm gesehen hatten.

»Positive und negative Stimmung triggern qualitativ verschiedene Strategien der Informationsverarbei- tung«, erklärt Forgas. Bei negativer Stimmung würden wir vermehrt auf Details und Fakten achten, bei guter Stimmung hingegen eher kreativ und erfahrungsbasiert denken. Somit fördere gute Laune vor allem kreative und soziale Tätigkeiten. Schlechte Stimmung erweise sich aber als Vorteil, wenn man ganz genau hinsehen oder -hören möchte.

Mit dieser Forschung hofft Forgas dem verbreiteten Streben nach guten Gefühlen etwas entgegenzusetzen. Er will darüber aufklären, wie die Gefühlslage sich auf das Denken auswirkt und naiven Urteilen den Weg bahnt. Das habe praktische Bedeutung für den Alltag, erläutert Forgas: »In heutiger Zeit versuchen Marketing, Werbung und Politik ständig, den guten Glauben der Menschen auszunutzen, und oft greifen sie dafür zur affektiven Manipulation«.


Nota. -  Es heißt, die meisten Philosophen neigten privat zur Griesgrämigkeit. Dies bekommt nun eine unerwartete Pointe: Nicht die tiefere Einsicht verdirbt ihnen die Laune, sondern die schlechte Laune verleitet sie zum Philosophieren. La gaya scienza wäre daher ein Paradox.
JE

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