Mittwoch, 10. Oktober 2018

Swinging universe?

aus welt.de, 10. 10. 2018                                                            

Physiker streiten
Das All dehnt sich ewig aus. Oder doch nicht
Bislang wird die Expansion des Weltalls durch eine dunkle Energie erklärt. Doch jetzt fragen sich Physiker: Ist sie überhaupt stabil? Die Ausdehnung des Universums könnte wieder zum Stillstand kommen. 



In die Stringtheorie setzen die Physiker große Hoffnungen. Sie soll zwei zentrale Theoriegebäude miteinander vereinen, die bislang noch unverbunden nebeneinanderstehen: die Quantenphysik und die Gravitation. Das ist abstrakte Mathematik, mit der sich die ganze Welt, von den kleinsten Teilchen bis hin zu den größten Strukturen im Universum, beschreiben lassen soll. Das Universum dehnt sich bekanntlich aus, und zwar sogar beschleunigt. Für diese Erkenntnis wurde der Physik-Nobelpreis des Jahres 2011 vergeben.

Erklärt wird die Expansion des Weltalls bislang durch eine überall vorhandene „dunkle Energie“. Den mathematischen Ausdruck für diese geheimnisvolle Energie des Raums hatte bereits Albert Einstein in die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie eingeführt – wenngleich er damit ursprünglich ein nicht expandierendes Weltall konstruieren wollte. Jetzt ist plötzlich eine intensive Diskussion unter den Stringtheorie-Forschern entbrannt.

Begonnen hatte es mit einer Veröffentlichung des Physikers Cumrun Vafa von der Harvard University. Er hat darin die revolutionäre These aufgestellt, dass die Stringtheorie mit der Existenz von dunkler Energie grundsätzlich nicht vereinbar sei. Die Felder, mit denen man bislang die dunkle Energie zu erklären versuchte, seien innerhalb der Stringtheorie nicht möglich.

Der Physiker Timm Wrase von der TU Wien hat sich mit den Konsequenzen dieser Vermutung auseinandergesetzt und seine Folgerungen im renommierten Journal „Physical Review“ veröffentlicht. Wenn die bisherige Erklärung der dunklen Energie nicht mehr funktioniert, dann müsse es ein Energiefeld mit ganz anderen Eigenschaften geben.

Plötzlich hat das Modell vom „Big Crunch“ wieder Chancen

Wrase folgert, dass sich der Betrag der dunklen Energie mit der Zeit verändern muss und deshalb die Expansion des Universums möglicherweise doch irgendwann zum Stillstand kommt. Dann könnte die Gravitation die gesamte Materie im Universum zusammenziehen und wieder in einem Punkt vereinen. Das wäre die Umkehrung des Urknalls – eine Möglichkeit, die schon in den 1960er-Jahren von dem britischen Physiker Sir Martin Rees angedacht wurde.

Seit dem Nachweis der beschleunigten Expansion des Weltalls hatte das Modell vom „Big crunch“ keine Chancen mehr. Das könnte sich jetzt ändern. Einmal mehr lernen wir: In der Physik gibt es keine endgültigen Wahrheiten.


Nota. - Die Konsequenz wäre ein Universum, das von einem Urknall zu einem Big Crunch schwingt und dann wieder zu einem Urknall zurück, usw. Die Vorstellung von einem swinging universe ist uralt; während die Heraklit zugeschriebene Lehre der Ewigen Wiederkehr desselben nicht verbürgt ist, war in der griechisch-römischen Stoa die Idee eines "atmenden Kosmos" lange Zeit verbreitet. Auch Friedrich Engels hat in seiner umstrittenen Dialektik der Natur mit diesem Gedanken gespielt. In der Wissenschaft wurde sie wohl nie ernsthaft diskutiert.
JE




aus derStandard.at, 8. Oktober 2018, 13:50

Wiener Physiker dämpft neuen Vorstoß der Stringtheorie Seit Monaten diskutieren Physiker über eine neuen Ansatz führender Stringtheoretiker. Timm Wrase von der TU Wien sagt, die Idee schließe das Higgs-Teilchen aus

Wien – Über Theorien, die sich Experimenten entziehen, lässt sich trefflich streiten – etwa über die Stringtheorie. Mit ihr wird seit Jahrzehnten versucht, die Gravitation mit der Quantentheorie zu einer gemeinsamen Theorie aller Kräfte zu vereinen. Seit einigen Monaten wird über einen revolutionär klingenden Vorstoß von US-Forschern diskutiert, dem nun ein Wiener Physiker entgegentritt.

Im Standardmodell der Physik geht man von Elementarteilchen aus, die unsere Welt aufbauen. Die Stringtheorie kennt dagegen keine Teilchen, sondern nur eindimensionale Objekte: Strings. Die verschiedenen bekannten Teilchen würden sich demnach nur durch unterschiedliche Schwingungen dieser "Strings" manifestieren. Dazu bräuchte es aber nicht nur die drei, sondern deutlich mehr Raumdimensionen. Mathematisch liefert die Stringtheorie durchaus nachvollziehbare Ergebnisse, doch experimentell lassen sich ihre Vorhersagen kaum überprüfen.

Vafas Vermutung

Vor dem Sommer hat ein Team um den Harvard-Physiker Cumrun Vafa, einer der führenden Stringtheoretiker, eine revolutionär klingende Vermutung veröffentlicht: Demnach soll die Stringtheorie mit der Existenz von Dunkler Energie wie sie bisher verstanden wurde grundsätzlich unvereinbar sein. Das Problem dabei: Nur mit Dunkler Energie lässt sich die beschleunigte Expansion des Universums erklären.

Diese immer schnellere Ausbreitung ist aber anerkannt, für ihre Entdeckung wurde 2011 der Physiknobelpreis vergeben. Daher diskutieren Stringtheoretiker weltweit seit Monaten diese Frage, wie die Technische Universität Wien mitteilte.

Neuer Antrieb

Timm Wrase vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien erkannte aber, dass an Vafas Vermutung etwas nicht stimmen kann. Wäre es tatsächlich so, dürfte es auch kein Higgs-Teilchen geben, zeigen seine Berechnungen, die er gemeinsam mit deutschen und US-Kollegen nun im Fachjournal "Physical Review D" veröffentlicht hat. Doch das Higgs-Teilchen wurde zweifelsfrei nachgewiesen – dafür wurde 2013 der Physiknobelpreis vergeben.

Bereits vor der Publikation hat Wrase seine Ergebnisse auf der Online-Plattform "Arxiv" veröffentlicht und damit heftige Diskussionen ausgelöst. "Diese Kontroverse ist eine gute Sache für die Stringtheorie", sagte der Forscher. Denn plötzlich hätten viele Leute ganz neue Ideen, über die bisher noch niemand nachgedacht habe. "Vielleicht führt uns das zu spannenden neuen Erkenntnissen über die Natur der Dunklen Energie – das wäre ein großer Erfolg", so Wrase. (APA, red, 8.10.2018)


Abstract
Physical Review D: "de Sitter swampland conjecture and the Higgs potential"




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