Dienstag, 20. März 2018

Spontane Domestikation, ganz von allein.

aus derStandard.at, 19. März 2018, 14:26

Flecken zeigen: Hausmäuse haben sich selbst "domestiziert"
Der Kontakt zum Menschen hat sich auf das Aussehen der Tiere ausgewirkt, berichtet eine Schweizer Studie

Weniger Angst, weniger Pigment: eine selbstdomestizierte Hausmaus mit weißen Flecken im Fell.
Zürich – Ihrem Namen zum Trotz ist die Hausmaus (Mus musculus) eigentlich ein Wildtier, wenn auch ein besonders eifriger und erfolgreicher Kulturfolger. Der Kontakt zum Menschen verändert sie jedoch – und zwar auf eine Weise, die der von tatsächlich domestizierten Tieren verblüffend ähnelt, berichten Schweizer Forscher im Fachmagazin "Royal Society Open Science".

Zahmheit war das zentrale Selektionsmerkmal, nach dem Menschen einst aus Wildtieren Haustiere gemacht haben. Mit der Zeit änderte sich aber nicht nur das Verhalten der Tiere, sondern auch ihr Aussehen. So haben gezähmte Hasen, Hunde und Schweine weiße Flecken in ihrem Fell, komplett weißes Fell oder Gefieder ist ebenfalls weit verbreitet. Zudem haben Haustiere tendenziell schlappe Ohren, kleinere Gehirne und kürzere Schnauzen. Dieses Domestikationssyndrom entstand also übereinstimmend bei unterschiedlichen Tierarten.

Mäusepopulation mit Domestikationsmerkmalen

Ein Forschungsteam um Anna Lindholm vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich hat das Phänomen nun auch bei verwilderten Hausmäusen festgestellt, die in einer Scheune in der Nähe von Zürich leben. Auch bei ihnen veränderte sich innerhalb eines Jahrzehnts der Phänotyp: Es traten weiße Flecken und kürzere Schnauzen auf.

Dahinter steckt aber keine gezielte Selektion durch die Forscher. Sie versorgten die Tiere nur regelmäßig mit Wasser und Nahrung. Die Nager verloren allmählich ihre Angst und entwickelten Domestizierungsmerkmale – "allein durch den regelmäßigen Kontakt zu uns", so Lindholm. Die Forscherin studiert die Hausmäuse seit rund 15 Jahren.

Organische Ursachen

Für den Wandel von Verhalten und Aussehen machen die Forscher eine kleine Gruppe von Stammzellen im frühen Embryo verantwortlich, die Neuralleiste. Von diesen Stammzellen stammen etwa der Knorpel in den Ohren, das Dentin der Zähne und die Melanozyten, die das Hautpigment produzieren, ab.

Außerdem entsteht die Nebenniere, in der die Stresshormone gebildet werden, aus diesen Stammzellen. Die Selektion von weniger ängstlichen Individuen führt zu kleineren, weniger aktiven Nebennieren. Damit sind die Tiere zahmer. Die Veränderungen im Fell und in der Kopfgröße sind also unbeabsichtigte Nebenwirkungen des Effekts.

Selbstdomestizierung

Die Beobachtungen von Madeleine Geiger, Erstautorin der Studie, helfen zu verstehen, wie Hausmäuse vor rund 15.000 Jahren begannen, in der Nachbarschaft von Menschen zu leben. Sie wurden von Lebensmittelabfällen angezogen und gewöhnten sich alleine durch die Nähe an die Menschen und wurden zahmer. Diese Selbstdomestizierung führte nebenbei auch zur allmählichen Veränderung ihres Aussehens.

Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass die Entwicklung vom wilden Wolf zum zahmen Hund anfangs ebenfalls ohne menschliche Selektion verlief. Wölfe, die sich in der Nähe von Menschen aufhielten, wurden mit der Zeit weniger ängstlich und aggressiv – der erste Schritt zum Wandel vom Wild- zum Haustier. (APA, red, 17. 3. 2018)

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