Montag, 14. August 2017

Was geht bei Halluzinationen im Gehirn vor?

Grünewald, aus Isenheimer Altar
aus scinexx

Blick ins Gehirn bei Halluzinationen
Hirnaktivität verrät, warum einige Menschen leichter Stimmen hören als andere 

Was macht einige Menschen anfälliger für Halluzinationen als andere? Eine erste Antwort hat nun ein Experiment im Hirnscanner geliefert. Es enthüllt: Bei Menschen, die häufig nichtexistente Stimmen hören, ist das Kleinhirn weniger aktiv. Dieses jedoch wirkt als "Wächter" gegen falsche Wahrnehmungen. Ist diese Prüfung geschwächt, können überstarke Erwartungen zu Halluzinationen führen, wie die Forscher im Fachmagazin "Science" berichten. 

Sie gaukeln uns geisterhafte Erscheinungen vor, lassen uns Stimmen hören oder sogar Düfte riechen, die in Wirklichkeit nicht da sind: Bei einer Halluzination nehmen wir Dinge wahr, die nur in unserem Kopf existieren. Möglich wird dies, weil unser Gehirn Reize nicht einfach naturgetreu wiedergibt. Stattdessen interpretiert es sie und gleicht sie mit unseren Erwartungen, Vorerfahrungen und unserem Wissen ab. Erst dann gelangt die Wahrnehmung in unser Bewusstsein.

Bei einer Halluzination verselbstständigt sich diese Kette der Verarbeitungsschritte – sie läuft ab, ohne dass ein Reizsignal sie angestoßen hat. Dieser "Leerlauf" kommt häufig bei Menschen mit Psychosen oder hohem Fieber vor, lässt sich aber auch bei Gesunden provozieren, beispielsweise durch länger anhaltenden Reizentzug.

Test mit Schachbrett und Ton

Aber warum neigen einige Menschen eher zu Halluzinationen als andere? Was läuft in ihrem Gehirn anders? Um das herauszufinden, haben Albert Powers von der Yale University und seine Kollegen vier verschiedenen Probandengruppen zu einem Experiment eingeladen: Gesunde Menschen, die regelmäßig Stimmen hören und stimmenhörende Psychotiker, sowie Gesunde und Psychotiker, die noch nie akustische Halluzinationen hatten.


Alle Teilnehmer blickten auf einen Bildschirm, auf dem jeweils kurz ein Schachbrett aufblitzte. Parallel dazu erklang ein eine Sekunde langer Ton – aber nicht immer: Anfangs war das Schachbrett immer vom Ton begleitet, später war der Ton mal leiser und mal gar nicht vorhanden. Immer wenn die Probanden glaubten, den Ton zu hören, sollten sie einen Knopf drücken – umso länger, je sicherer sie sich waren. Während des Versuchs zeichneten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) auf.


(Science, 14.08.2017 - NPO)


Nota. - Halluzinationen gehren gottlob zu den ungewöhnlichen Erscheinungen. Aber unnatürlich oder gar übernatürlich sind sie nicht. Sie können mit den bildgebenden Verfahren der Hirnforschung beobachtet und physiologisch begründet werden, s. o.. 

Bei der klassischen Konditionierung - "verstärkte Taube" - tritt qua Reizgeneralisierung ein physischer Sti- mulus an die Stelle des andern. Das ist ein alter Hut und hat nie Skandal gemacht, weil für den Augenschein das Ursache-Wirkung-Verhältnis gewahrt blieb. Hier aber ist es nicht ein anderer physischer Reiz, der ur- sächlich wird, sondern lediglich seine Bedeutung: eine Vorstellung, ein Bild. 

Naturwissenschaftliche Befunde können Fragen der Philosophie so wenig beantworten, wie philosophische Sätze die Naturwissenschaften regulieren können. Mit andern Worten - so fest das realistische Vorurteil auch in die Köpfe der Denker eingeprägt sein mag: Die Tatsachenbefunde der Naturwissenschaft besagen etwas anderes.

Der springende Punkt: Unser Sehvermögen ist nicht ein Sinn wie die andern.
JE





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