Dienstag, 22. September 2015

Gesellige Jäger.

aus Die Presse, Wien, 19. 9. 2015

Killer und Kooperator
Wie hat es der Homo sapiens geschafft, die ganze Erde zu erobern? Eine neue Theorie sieht zwei Faktoren: Gruppenbildung und Waffentechnologie.

von Thomas Kramar

Der Mensch ist kein Tier, weil er weiß, dass er eins ist“, definierte Hegel hübsch dialektisch. Das Zitat fiel schon am Anfang des derzeit laufenden Philosophicums Lech mit dem Thema „Neue Menschen!“. Es geht, wie der Untertitel sagt, um „bilden, optimieren, perfektionieren“, um das also, was der Mensch werden kann, will, soll. Oder nicht werden soll. Ein „Mängelwesen“ nannte ihn Arnold Gehlen: Er sei so schlecht an die Natur angepasst, dass er sich eine zweite Natur schaffen müsse, die Kultur. Das ist nicht ganz gerecht, der Mensch kann auch ohne Kultur schon einiges, er bewegt sich an Land und im Wasser passabel fort, er hält Hitze und Kälte ganz gut aus, er hört und sieht nicht schlecht, er kann jagen und sammeln. All das kann freilich nicht erklären, wieso er das Wesen geworden ist, das die Erde beherrscht wie kein anderes. Und das einzige, das über sich nachdenken kann.
Wenn man – wie derzeit die Philosophen in Lech – darüber nachdenkt, was der Mensch noch werden könnte, passt es ganz gut dazu, zu reflektieren, wie er geworden ist, was er ist. Nicht fertig jedenfalls, das hat uns Darwin gelehrt, jede Art ist, so betrachtet, nur eine Zwischenform, ein Übergangszustand. Und doch suchen die Anthropologen nach Faktoren, die die (bisherige) Entwicklung zum Homo sapiens geprägt haben. Das Werfen etwa: Kein Affe kann so effektiv Steine schleudern wie wir. Diese Jagdtechnik könnte die Entstehung des aufrechten Gangs begünstigt haben, auf den wir uns so viel einbilden. Er ist freilich schon bis zu vier Millionen Jahre alt. Viel später kam das Feuer, vor einigen hunderttausenden Jahren. Dass wir es machen und hüten, war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass unser Gehirn weiter wachsen konnte. Es ist nämlich ein gefräßiges Organ, das viel Energie braucht. Gekochtes Fleisch bringt viel Energie, mehr als rohes, das man erst mühsam kauen muss. Auch stärkehaltige Pflanzen – die, wie jeder Diätwillige weiß, viel Energie enthalten – sind gekocht besser verwertbar.
Das Feuer spielt auch eine Rolle in einer neuen Theorie, die erklären soll, wieso eine Spezies der Gattung Homo die ganze Erde erobern konnte – und dann als einzige übrig blieb: der Homo sapiens. „How we conquered the world“ lautete jüngst die Titelzeile des „Scientific American“. Der Evolutionsbiologe Curtis W. Marean (Arizona State University) sieht zwei Faktoren: die intensive Kooperation auch mit nicht verwandten Individuen und eine neue Waffentechnologie.
Mareans Erzählung beginnt vor ca. 160.000 Jahren an der Südküste von Südafrika, am Pinnacle Point, dort hat er jahrelang gegraben. Dort fand man die ältesten Zeugnisse für die Verwendung von Farbstoffen durch Menschen. Und man fand Muschelschalen. Als in einer Abkühlungsperiode andere Nahrung rar wurde, verlegte man sich dort auf Meeresfrüchte, sagt Marean: „Das war das erste Mal, dass Menschen eine reiche, voraussagbare und hochwertige Ressource zum Ziel nahmen.“ Zumindest die ersten beiden Adjektiva hätten auf jagbare Säugetiere oder Vögel nicht zugetroffen. Die revolutionäre marine Nahrung habe eine neue Intensität von Kooperation begünstigt: von Gruppen gegen andere Gruppen, die auch nach den Meeresfrüchten gierten.
Speerspitzen. 

So wurden wir zu einem ultrasozialen Wesen, wie's der Anthropologe Michael Tomasello nennt, allerdings mit Tendenz zur Xenophobie. In der Verteidigung von Ressourcen gegen konkurrierende Gruppen hat sich laut Marean die Entwicklung neuer Speere bewährt, mit kleinen Steinklingen, befestigt an gekerbten Schäften. Auch solche Speerspitzen wurden am Pinnacle Point gefunden, sie werden aber deutlich jünger datiert – das ist eine Schwäche von Mareans Theorie.
Unstrittig ist, dass sich solche Speertechnologie – weiter verbessert durch den Einsatz von Feuer zur Bearbeitung der Klingen – auch bei der Jagd bewährt haben muss. Die alten Südafrikaner hätten wohl auch gelernt, die Spitzen in Gift zu tauchen und die angeschossenen Tiere so schneller zu schwächen, spekuliert Marean.
So gerüstet, dazu nach innen kooperativ und nach außen feindselig, hätte Homo sapiens dann seine Welteroberung angetreten, sei vor 45.000 Jahren nach Westeuropa gekommen (und hätte dort die Neandertaler ausgerottet) und vor 55.000 Jahren nach Südostasien (wo ihm eine andere Homo-Art, der Denisova-Mensch, zum Opfer gefallen sei). „Keine Beute – und kein menschlicher Feind – war vor ihm sicher“, schwärmt Marean von der „seltsamen Mischung aus Killer und Kooperator“.
Er glaubt auch, dass die Entwicklung der Kooperation eine genetische Basis hatte. Doch man kennt bisher kein Gen, das die Kooperation begünstigt, geschweige denn eines, das sich just in der fraglichen Zeit geändert hat. Denkbar wäre, dass ein „Sprachgen“ die Kooperativität vorangetrieben haben könnte. Hier kennt man immerhin das FoxP2-Gen, das es bei fast allen Tieren gibt, das aber just bei Tieren, die sich akustisch verständigen – Zebrafinken, Fledermäusen – eine besondere Rolle spielt. Vor ca. zwölf Jahren errechneten Genetiker, dass sich die FoxP2-Variante der heutigen Menschen (die sich nur in zwei Basen von jener des Schimpansen unterscheidet) vor 200.000 bis vor 100.000 Jahren durchgesetzt habe: Das würde schön zur Theorie passen, dass menschliche Sprache und Kooperativität damals entstanden seien.
Aber leider: 2007 erklärten Paläogenetiker, dass auch die Neandertaler die moderne FoxP2-Variante hatten. Bleibt die Möglichkeit, dass solche Einschnitte in der frühesten Kulturgeschichte ohne Veränderung der genetischen Basis passiert sind. Das ist Genetikern heute vielleicht nicht so sympathisch, aber sie sollten sich einmal in die Zukunft versetzen: Wenn ihre Kollegen in 100.000 Jahren den Siegeszug elektromagnetischer Technologien im 19. und 20.Jahrhundert analysieren, werden sie dann schließen, dass nur eine genetische Veränderung für diesen Sprung verantwortlich gewesen sein könne?

Nota. - Manch andre sind Rudeltiere: Sie gehören sowieso zusammen, nämlich mittels einer Hierarchie, die alle Unteren einem Oberen unterordnet - bis der zu alt und schwach ist... Die Menschen aber stammen aus einer Entwicklungslinie, in der die Hierarchie nur mehr schwach ausgeprägt ist, wo alle, wenn sie wollen, schonmal ihre eigenen Wege gehen; so wie bei Schimpansen und erst recht bei Bonobos. Die jagen auch nicht regelmäßig, sondern nur gelegentlich, wenn die Bedingungen günstig sind - und dann arbeiten sie mitunter gar zusammen.

Als unsere Vorfahren ihre angestammten Urwälder verließen und in die Savanne überliefen, wurde aber das Jagen regulär und der gelegentliche zweckmäßige Zusammenschluss zur Regel. Das ist nicht mehr eine urwüchsige Gemeinschaft, sondern schon eine Frühform von Gesellschaft. Jagen, kämpfen und kooperieren gehören darum beim Homo sapiens ab ovo zusammen.
JE 

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