Sonntag, 21. Juni 2015

Der Werkzeugbau ist älter als vermutet.

 aus beta.nzz.ch, 20.5.2015

Verhaltensevolution
Älteste Steinwerkzeuge entdeckt
In Kenya haben Wissenschafter etwa 3,3 Millionen Jahre alte Werkzeuge aus Stein gefunden. Die Entdeckung wirft neue Fragen zu unseren Vorfahren auf.

(sda/dpa/AJa) Die Vorfahren des Menschen haben vermutlich schon viel früher als bisher angenommen einfachste Steinwerkzeuge angefertigt. So fanden Archäologen der amerikanischen Stony-Brook-Universität Hammersteine und andere bearbeitete Steine in der Nähe des Turkana-Sees im Norden Kenyas, die 3,3 Millionen Jahre alt sein sollen. Die Forscher stellen ihre Entdeckung in der Fachzeitschrift «Nature» vor.

800 000 Jahre älter als bisherige Funde

Die bisher ältesten bekannten Steinwerkzeuge schreiben Experten der Oldowan-Kultur vor 2,5 Millionen Jahren zu. Der Name «Oldowan» leitet sich von einer Schlucht in Afrika ab, in der viele Fossilien und Werkzeuge entdeckt worden waren. Diese Steinwerkzeuge erschienen aber bereits zu ausgefeilt, um Zeugnisse der ersten Versuche unserer Vorfahren zu sein, solche Werkzeuge herzustellen, wie die Archäologin Erella Hovers von der Hebrew-Universität in Jerusalem in einem Begleitkommentar zur Studie schreibt.


Gemäss Untersuchungen datieren die neuen Funde nun auf 800 000 Jahre früher. Sie stellen damit die Ansicht infrage, dass erst die direkten Vorfahren des modernen Menschen, die nach heutigen Kenntnissen vor etwa 2,8 Millionen Jahren auftraten, in der Lage waren, scharfkantige Werkzeuge herzustellen.

Hinweise auf kognitive Entwicklung

Insgesamt fanden die Forscher 149 steinerne Artefakte in dem Gebiet, das sie «Lomekwi 3» nannten; von Hammersteinen bis hin zu Amboss-artigen Steinen, die jedoch alle technisch weniger ausgefeilt sind als die Oldowan-Funde.

Dennoch können die Werkzeuge Aufschluss über die Evolution des menschlichen Hirns geben. Denn für die Herstellung von Werkzeugen ist eine bestimmte Kontrolle der Handmotorik nötig, die entsprechend vor 3,3 Millionen Jahren entstanden sein könnte.

Die Funde geben «Aufschluss über einen unerwarteten und bisher unbekannten Zeitraum homininen Verhaltens», wie Sonia Harmand von der Stony-Brook-Universität in einer Mitteilung erklärt. Als Hominini wird eine Gruppe von Menschenaffen bezeichnet, die sowohl moderne Menschen (Homo sapiens) als auch unsere ausgestorbenen Vorfahren umfasst.


Am Turkana-See, Rekonstruktion

Möglicher Werkzeugbauer

Anthropologen gingen lange davon aus, dass unsere Verwandten aus der Gattung Homo die Ersten waren, die Werkzeuge herstellen konnten. Nun mehren sich allerdings die Hinweise, dass schon frühere Zweige der Hominini, quasi unsere entfernten Cousins, dazu in der Lage waren.

So wurden nahe den Werkzeugfunden der Schädel und weitere Überreste eines 3,3 Millionen Jahre alten, homininen Fossils (Kenyanthropus platytops) entdeckt.

Da der genaue Stammbaum des Menschen noch unklar ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wie Kenyanthropus platytops genau mit anderen homininen Spezies verwandt ist. Für die Archäologen könnte er jedoch einer der möglichen Werkzeugbauer sein.

Diverse Anwendungen

Doch nicht nur das Alter der Werkzeuge, sondern auch ihre Fundstelle überraschte die Forscher: So ergaben Analysen, dass das Gebiet früher eine Strauch-Baum-Landschaft war. Laut bisherigen Hypothesen führten klimatische Veränderungen zur Verbreitung von Savannen und damit zu einer ganz anderen Tierwelt.

Die Entwicklung von Werkzeugen sei eine Reaktion unserer Vorfahren auf das veränderte Nahrungsangebot gewesen, so die Theorie: Sie hätten scharfkantige Steine angefertigt, um damit Fleisch aus Tierkadavern zu schneiden.

Grösse und Kerben der nun gefundenen Werkzeuge deuteten aber darauf hin, dass unsere Ahnen sie auch anders verwendeten – gerade in einer waldigen Umgebung mit vielen Pflanzen, meint der an der Ausgrabung beteiligte Anthropologe Jason Lewis von der Rutgers-Universität aus dem US-Gliedstaat New Jersey. So könnten sie mit den bearbeiteten Steinen Nüsse oder Wurzelknollen geknackt haben.

Isolierte Ereignisse

In ihrem Kommentar zur Studie warnt Hovers aber vor voreiligen Schlüssen. Alter und Aussehen der Funde forderten zwar dazu auf, die bisherigen Modelle über das Zusammenspiel aus Umweltveränderungen, menschlicher Evolution und technologischem Verhalten neu zu bewerten. Ähnlich wie Ausgrabungen von Tierknochen, die auf 3,4 Millionen Jahre datiert wurden und möglicherweise Schnittspuren von Steinwerkzeugen tragen, handle es sich bei den neuen Funden um ein isoliertes Ereignis. Um daraus Neuerungen in der homininen Verhaltensevolution abzuleiten, müssten weitere Untersuchungen folgen und Lücken im zeitlichen Ablauf mit Daten gefüllt werden.

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