Schluss mit dem «Heidegger-Lehrstuhl» in Freiburg i. Br.?
Die Austreibung des Geistes
von Uwe Justus Wenzel
Der Lehrstuhl ist eine altehrwürdige Einrichtung der Universität. Es haftet diesem Stuhl, der manchenorts bisweilen «Lehrkanzel» genannt wurde, noch einiges von seiner Herkunft an: von der erhobenen «Cathedra», auf der der Bischof in der Kathedrale sitzt. Von der durchaus realen Verfügungsmacht (über Mittel und Mitarbeiter) einmal abgesehen, die auch der universitäre Lehrstuhl seinem Inhaber verleiht, umgibt ihn, zumindest in manchen Fällen, eine schwer greifbare Aura der Filiation. Sie erinnert an die apostolische Sukzession und den Stuhl Petri: Auf einen Lehrstuhl mit Tradition kommt zu sitzen, wer in erkennbarer Linie von dem abstammt, der die Tradition begründet hat. Mitunter scheint gar so etwas wie die Weitergabe einer geheimnisvollen geistigen Substanz im Spiele zu sein.
Man muss kein Anhänger einer solchen Metaphysik der Nachfolge sein, um den Kopf darüber zu schütteln, dass die Universität Freiburg im Breisgau im Begriffe ist, den Lehrstuhl für Philosophie, den einst Martin Heidegger innehatte, in nichts aufzulösen. Nicht ganz und gar in nichts, aber doch in eine Juniorprofessur für Logik und sprachanalytische Philosophie. Die Gelegenheit, die zu dieser Schrumpfung genutzt werden soll, ist die bevorstehende Emeritierung Günter Figals, des derzeitigen Inhabers des «Heidegger-Lehrstuhls». Das Philosophieren Figals verknüpft sich freilich nicht nur mit dem Namen Heideggers, sondern auch mit demjenigen von Heideggers direktem Vorgänger Edmund Husserl. Erst beide zusammen, Husserl und Heidegger, bilden so etwas wie eine – in sich spannungsvolle – Freiburger Tradition hermeneutischer Phänomenologie. Der Gadamer-Schüler Figal, Jahrgang 1949, hat sie auf seine – eigenständige – Weise interpretiert und fortgeführt. Sein Ersuchen, über das Emeritierungsalter hinaus, bis 2017, im Professorenamt bleiben zu können, wurde unlängst von der Universitätsleitung abschlägig beschieden. In der Angelegenheit hat er nun den Rechtsweg beschritten.
Zu was aber will «man» eigentlich den Augenblick der früher oder später nötig werdenden Nachfolgeregelung nutzen? Menschlich-allzumenschliche Animositäten, von denen auch die Academia nicht frei ist, einmal beiseite gelassen, drängt sich Kostenersparnis als eines der mutmasslichen Motive auf. Das sei geschenkt – auch wenn es, wie nicht selten, ein kurzsichtiges sein dürfte. Den Dekan der Philosophischen Fakultät, Hans-Helmuth Gander, einen Fachkollegen Figals, der seinerseits in Sachen Phänomenologie und Hermeneutik philosophisch unterwegs ist, zitiert die «Badische Zeitung» mit einem weiteren Argument – mit der bemerkenswerten Formulierung nämlich, es gelte, eine «moderne akademische Personalentwicklung» voranzutreiben und mehr jungen Wissenschaftern Karrieremöglichkeiten zu eröffnen. Der in Bonn lehrende Philosoph Markus Gabriel hat das (in der «Süddeutschen Zeitung») zu Recht als Milchmädchenrechnung charakterisiert: Die Juniorprofessur ist, anders als ein Lehrstuhl, nicht mit einer Mitarbeiterstelle ausgestattet, auf der Karrieren in aller Regel beginnen; zudem muss auch ein Lehrstuhl keineswegs mit einem «Senior» besetzt werden.
In den Vordergrund – um den Kranz von möglichen Motiven und Intentionen zu vervollständigen – ist indes der Kasus Heidegger gerückt. Seit vor einem Jahr die ersten der nachgelassenen «Schwarzen Hefte» veröffentlicht worden sind, wird über einen infamen, «seinsgeschichtlich» sich drapierenden Antisemitismus in Heideggers Philosophie diskutiert; es ist die erweiterte Neuauflage einer alten Debatte. Manche Beobachter der Freiburger Szenerie sehen nun so etwas wie ein Reinigungsunternehmen am Werke. Man wolle die Gelegenheit nutzen, um einen immer wieder irritierenden braunen Makel loszuwerden. Auch solcher Exorzismus wäre natürlich kurzsichtig, zumal «Traditionspflege» im Falle der Rezeption von Heideggers Philosophie ohnehin seit langem schon nicht mehr unkritische Traditionsbejahung bedeutet. Letzteres wird auch Günter Figal niemand vorwerfen können – und dies keineswegs nur deswegen nicht, weil Figal zum Jahresbeginn sein Ehrenamt als Vorsitzender der Martin-Heidegger-Gesellschaft mit der Erläuterung niedergelegt hat, in einem solchen Amt sei man «in gewisser Weise auch Repräsentant» der Person, die als Namenspatron firmiere, und nach der Lektüre der antisemitischen Passagen der «Schwarzen Hefte», die ihn «schockiert» und «umgewendet» habe, sei es ihm nicht mehr möglich, ebendieser Repräsentant zu sein.
Ob ein braunes Gespenst vertrieben, ob Geld gespart oder ob eine «moderne akademische Personalentwicklung» in Gang gesetzt werden soll – was tatsächlich geschähe, wenn der Heidegger-Husserl-Lehrstuhl verschwände, wäre dies: Es würde der fatale Trend befördert, jene – «kontinentale» – Philosophie aus den philosophischen Seminaren zu verbannen, die sich in Argumentationstechnik und Sprachanalyse nicht erschöpft. Das ist der Stein des Anstosses – und wäre ein eigenes Thema.
Nota. - Ja, Herr Wenzel, das ist ein eigenes Thema, und Sie könnten sich um das Land Ihrer Nachbarn verdient machen, wenn Sie es in der Ihnen zu Gebote stehenden Schärfe zu dem Ihren machen wollten!
Off-kontinental kann man seit geraumer Zeit Philosophie mit bloßer "Argumentationstechnik und Sprach- analyse" betreiben, ohne sich der Mühsal unterziehen und der Geschichte des "kontinentalen" Denkens - von Heraklit bis, nun ja, Heidegger - sein studium widmen zu müssen. Da kann jeder so tun, als könne er ganz von vorn anfangen. Doch wenn sie bei uns nun die Lehrstühle abräumen und stattdessen Juniorprofes- soren vor die Klasse stellen, dann wird man auch hier die "kontinentale" Überlieferung bald gar nicht mehr studieren können. Dann haben sie's geschafft und unsere Hochschulen sind endlich den amerikanischen Colleges ebenbürtig. Den Markt mag's freuen.
JE
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