Montag, 27. Oktober 2014

Logische Krähe.

aus Der Standard, 22. 10. 2014

Kluge Krähen beim Computerspielen
Können Krähen logisch überlegen? Eine Wiener Verhaltensbiologin geht dieser Frage nach, indem sie die Vögel vor ein Touchscreen setzt und ihnen Aufgaben stellt


Grünau - Walter will nicht. Das Tier steht an der Tür, schaut immer wieder misstrauisch zu dem fremden Besucher herüber und schimpft laut krächzend. Ja, er beschwert sich, meint Theresa Rößler. Alles Neue sei ihm grundsätzlich suspekt. Das wird heute anscheinend nichts mehr mit dem Test. Zumindest nicht, solange dieser Mann da ist. Ein Jammer.

Walter ist eine Aaskrähe, zoologisch Corvus corone, und Rößler Studentin der Universität Wien, die zurzeit an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) in Grünau für ihre Masterarbeit im Bereich Verhaltensbiologie gastiert. Ihr Interesse gilt den kognitiven Fähigkeiten der schwarzen Vögel. Dabei geht es um grundsätzliche Logik.

Können die Tiere nach dem Ausschlussprinzip vorgehen und so zielstrebig Entscheidungen treffen? Welche Informationen benötigen sie dazu? Um diese Fragen zu klären, führt Rößler mit fünf in einer Voliere lebenden Krähen Experimente durch. Deren Behausung steht im benachbarten Cumberland-Wildpark.

Zweimal täglich treten die geflügelten Studienteilnehmer vor einem Computer mit Touchscreen an und bekommen dort verschiedene Symbole zur Auswahl vorgesetzt. Wenn sie das richtige anpicken, gibt's jedes Mal eine kleine Leckerei. Aber Walter will jetzt nicht, und seine Artgenossin Bärbel traut sich erst gar nicht an die Tür, so viel Angst hat sie.

Doch dann hat Theresa Rößler eine Idee. Im Inneren des Voliere-Gebäudes steht ein Käfig leer. Wenn der Zuschauer hinter dessen Gitter gehen würde und sie den Eingang abschließt, könnte es 
vielleicht klappen. Krähen verstehen nämlich das Konzept des Einsperrens, erklärt die Nachwuchsforscherin.

Gesagt, getan. Rößler macht demonstrativ das Vorhängeschloss zu, der Fremde sitzt gefangen. Und das ändert offenbar alles. Walter hat den Vorgang aufmerksam beobachtet. Er legt den Kopf schräg, schaut sich den Eingesperrten noch einmal genau an, und stapft anschließend mit erhobenem Haupt an ihm vorbei. Auf zum Rechner.

Symbole picken

Ab diesem Moment verläuft alles nach Plan. Der Vogel hüpft auf den Sitzstock vor dem Touchscreen und legt los. Das Programm zeigt ihm jedes Mal zwei kleine Bilder nebeneinander - ein Zelt und eine Blume zum Beispiel. Was sie darstellen, ist unwichtig. Aber eines davon bedeutet Nahrung, das andere nicht.

Manche Symbole kennt Walter bereits. Er pickt das Zelt an. Sofort rollt in das Näpfchen unter dem Bildschirm ein Stück Hundekuchen. Später erscheint die Blume erneut, diesmal in Kombination mit einem Baum. Die Krähe wählt Letzteren, und wieder gibt es ein Leckerli. Anscheinend hat sich das Tier gemerkt, dass die Blume zuvor für ein negatives Ergebnis stand. Folglich müsste das neue, unbekannte Bild Futter erbringen. Logik nach dem Ausschlussprinzip eben.

Der Test verläuft erstaunlich schnell. "Ich muss mich auch konzentrieren", sagt Rößler. Walter ist nach gut vier Minuten fertig. Von 20 Kombinationen hat er bei 18 sofort das richtige Motiv angepeilt und nur in zwei Fällen knapp daneben gepickt. Da musste er nur kurz nachsetzen. Fehlentscheidungen: keine. "Er ist zurzeit sehr motiviert", sagt Rößler lächelnd.

Die Studentin basiert ihre Arbeit auf den Ergebnissen einer Reihe vorangegangener Studien. Nicht nur am KLF befassen sich Verhaltensforscher zunehmend mit der tierischen Kognition. Sie suchen dabei unter anderem nach dem evolutionären Ursprung solcher Fähigkeiten. So lassen sich vielleicht auch neue Einblicke in die Entstehung der menschlichen Intelligenz gewinnen. Abgesehen davon wird zunehmend klar, dass die Trennlinie zwischen Homo sapiens und diversen anderen Spezies gar nicht so scharf ist, wie man lange gerne glaubte.

Bisher konnte das Ausschlussprinzip als Entscheidungsgrundlage bereits bei mehreren Tierarten nachgewiesen werden, darunter bei Menschenaffen wie Schimpansen, aber auch bei Hunden. Unter den Vögeln zeichnen sich vor allem Kolkraben durch logisches Vorgehen bei schnellen Entscheidungen aus. Die ebenfalls als überaus klug geltenden Keas - neuseeländische Papageien - scheinen derartige Fähigkeiten nicht so einzusetzen. Sie suchen einfach nur intensiver, wie ein direkter Vergleich zwischen beiden Vogelspezies gezeigt hat.

Der Unterschied könnte im Fressverhalten begründet liegen, glauben Experten wie Thomas Bugnyar von der Universität Wien und dessen ehemaliger Student Christian Schlögl. Keas ernähren sich überwiegend von Früchten, Samen und Wurzeln, die sie am Boden finden und sofort verzehren. Raben dagegen leben als junge, sich noch nicht fortpflanzende Vögel einige Jahre lang in Gruppen zusammen. Dort herrscht ein starker Konkurrenzdruck.

Tricksen und tarnen

Die Tiere treten häufig auch gemeinsam bei einer ergiebigen Nahrungsquelle wie zum Beispiel einem Kadaver an. Wer sich eines schönen Futterbrockens bemächtigt hat, versteckt ihn zunächst gerne. Die Artgenossen schauen allerdings oft zu, weil sie den Leckerbissen später stehlen wollen. Der Eigentümer wiederum versucht, seine Beute durch Täuschungsmanöver zu schützen. Tricksen und Tarnen gehört bei Jungraben somit zum Alltag.

Interessanterweise zeigen die nah verwandten Dohlen kein solches Verhalten. Diese kleineren schwarzen Gesellen fressen hauptsächlich Insekten, Würmer und dergleichen, welche sofort verschluckt werden. Verstecken ist nicht nötig. Schlögl hat die oben erwähnten Tests zum Vergleich von Raben und Keas auch bei Dohlen durchgeführt und stellte fest, dass Letztere anscheinend nicht nach dem Ausschlussprinzip vorgehen. Ein weiterer Hinweis auf den Ursprung dieser Logik, zumindest bei Vögeln.

Diese Form der Kognition könnte infolge des Versteckens von Futter entstanden sein - als Anpassung an das Gruppenleben und die dabei auftretende Nahrungskonkurrenz. Den Dohlen hingegen ist diese Fähigkeit womöglich sogar nachträglich abhandengekommen, als sie im Laufe der Evolution eine Ernährungsumstellung durchmachten und ihr Futter nicht mehr zu verbergen brauchten. Wenn man ein Talent nicht nutzt, verkümmert es.

Krähen jedoch sind den Raben viel ähnlicher. Sie treten ebenfalls oft in Trupps auf, und ähnlich wie ihre größeren Verwandten verstecken sie gerne ihren Proviant. Ihr sozialer Zusammenhalt ist gleichwohl ausgeprägter, meint Theresa Rößler. Das zeige sich besonders bei äußeren Bedrohungen wie zum Beispiel Raubvögeln. Neulich tauchte ein Uhu in der Nähe des Wildparks auf, berichtet Rößler. "Der wurde von fünf Krähen durchs Tal getrieben."

Rößlers Untersuchungen sollen nun klären, ob Corvus corone ebenfalls nach dem Ausschlussverfahren seine Auswahl trifft. Die ersten Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten. Eine wissenschaftliche Auswertung der Daten steht allerdings noch aus, betont die Studentin. Walter ahnt von all dem nichts. Er hat seine zweite Testreihe für heute beendet und bekommt zur Belohnung noch Grammeln. Krähen lieben Speck, sagt Rößler. "Je fetter, desto besser." Aber könnten Sie bitte noch das Schloss an der Tür aufsperren? "Ach ja, natürlich." Fast hätte sie es vergessen.

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