Wir sehen, was wir hören
Sprache kann unsere Wahrnehmung beeinflussen. So lautet das Ergebnis einer aktuellen US-Studie. Wird ein passendes Stichwort genannt, dann können zuvor unsichtbare Bilder plötzlich bewusst werden.Von Shari Langemak
Was wir sehen wird nicht nur von unseren Augen bestimmt – sondern offenbar auch von unseren Ohren. Denn Sprache hat nicht nur einen entscheidenden Einfluss darauf, wie schnell wir etwas wahrnehmen. Sie entscheidet ebenso darüber, ob wir ein Objekt überhaupt sehen.
Eine aktuelle
Untersuchung von zwei Wissenschaftlern der University of
Wisconsin-Madison und der Yale University in New Haven konnte zeigen,
dass Sprache zuvor unsichtbare Objekte sichtbar macht.
Die beiden
Forscher Gary Lupyan und Emily Ward haben haben dieses Phänomen mit
Hilfe der sogenannten kontinuierlichen Flash Suppression untersucht.
Dieses Verfahren funktioniert wie folgt: Den Studienteilnehmern werden
zunächst Bilder von bekannten Alltagsgegenständen präsentiert –
beispielsweise Hunden, Brillen oder Traktoren.
Das Bild wird
jedoch nur einem Auge gezeigt. Das andere Auge bekommt stattdessen ein
Störbild zu sehen. Dieses Störsignal unterdrückt normalerweise die
Wahrnehmung des Alltagsgegenstandes. Das heißt: Wenn das linke Auge ein
Störbild sieht, dann sieht das rechte auch keine Brille, keinen Hund und
auch keinen Traktor mehr. Zumindest für einen bestimmten Zeitraum
blieben diese Alltagsobjekte unsichtbar.
Worte machen Bilder sichtbar*
Das änderte sich
jedoch, wenn die Wissenschaftler ihren Studienteilnehmern vorab ein
passendes Wort nannten: Hörten die Probanden vor der Präsentation von
Alltags- und Störbild das Wort, dass das Objekt zielgenau beschreibt,
wurde das Alltagsbild plötzlich wieder sichtbar. Ruft man einem
Studienteilnehmer also "Traktor" zu, bevor er diesen auf dem rechten
Auge gezeigt bekommt, dann konnte er ihn auch sehen – trotz des
Störbilds auf dem linken Auge.
Nannten die
Forscher ihren Probanden allerdings ein falsches Wort, also
beispielsweise "Hund", obwohl eigentlich ein Traktor zeigt wurde, dann
verschlechterte sich die Wahrnehmungsleistung. Das Alltagsobjekt wurde
dann sogar noch schlechter erkannt, als es ohne das Zurufen der Fall
war.
Sinneseindrücke beeinflussen sich wechselseitig
Die gehörten
Worte beeinflussten die Leistung der Teilnehmer gleich auf zweierlei
Weise: "Das Wort-Label beeinflusste sowohl die Empfindlichkeit, als auch
die Antwortzeit", schreiben die Wissenschaftler im Journal "PNAS".
Dabei sei die Wirksamkeit der Kennzeichnungen davon abhängig gewesen,
wie gut gehörtes Wort und Bild zusammenpassten.
Das richtige
Wort kann also ein scheinbar unsichtbares Objekt in unser Bewusstsein
befördern, ein falsches Wort kann es dagegen noch unsichtbarer machen.
Für diesen Prozess haben die Wissenschaftler auch schon eine vermutliche
Hirnregion ausmachen können. Die Ergebnisse würden darauf hindeuten,
dass dafür vor allem Hirnanteile der Wahrnehmung verantwortlich seien,
nicht aber Hirnanteile der Sprache.
Übrigen sehen
wir nicht nur, was wir hören - sondern wir hören auch, was wir sehen.
Das konnten der Psychologe Lawrence Rosenblum von der University of
California in Riverside nachweisen: Hören wir jemandem zu, so lesen wir
ständig mit unseren Augen von seinen Lippen. Stimmen Gehörtes und
Gelesenes nicht miteinander überein, so kann das unsere Wahrnehmung so
stören, dass wir nichts mehr verstehen.
*Nota.
"Das Ohr hört, was das Auge sieht", sagte Robert Schumann.
J.E.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen