Film im Gehirn
Erinnerungen als raumzeitliche Muster
Grazer Forscher konnten zeigen, wie Konkurrenz von Neuronen zum Gedächtnis beiträgt: ein wichtiger Baustein im Human Brain Project.
von M. Kugler
Die biologische Basis für das Langzeitgedächtnis ist die sogenannte Plastizität des Gehirns: Wie Eric Kandel, US-Nobelpreisträger mit österreichischen Wurzeln, herausgefunden hat, sind die Neuronen im Gehirn nicht fix „verdrahtet“; vielmehr ändert sich ständig, welche Nervenzellen wie stark mit anderen über sogenannte Synapsen verbunden sind. Die Wiederholung eines Reizes verstärkt demnach bestimmte Verbindungen – so lernen wir. Die biochemischen Mechanismen, wie bestimmte Synapsen verstärkt werden, sind bereits gut bekannt – damit kann aber die Frage nicht beantwortet werden, warum eine bestimmte Synapse verstärkt wird, eine andere aber nicht.
Eine mögliche Antwort darauf haben Grazer Forscher: Wolfgang Maass, Leiter des Instituts für Grundlagen der Informationsverarbeitung der TU Graz, und Stefan Klampfl, Datenanalytiker am Grazer Comet-Kompetenzzentrum Know Center, haben in Computersimulationen von neuronalen Netzwerken herausgefunden, wie Erinnerungsspuren entstehen, die dann in den Synapsen „verfestigt“ werden. Diese Spuren sind demnach Aktivitätsmuster vieler Neuronen, die sich in Raum und Zeit verändern – wie bei einem Film (The Jornal of Neuroscience, 10.Juli). Der Output der Neuronen ist nicht eine einzelne Information, sondern eine ganze Kette von Impulsen. Bisher dachte man eher, dass die Erinnerungsspuren durch ein räumliches Erregungsmuster repräsentiert werden – analog zu einem Foto.
Das Spannende dabei: Die Erinnerungsspuren entstehen offenbar durch eine Art Verdrängungswettbewerb zwischen den Nervenzellen: Wenn ein Neuron aktiv ist, dann unterdrückt dieses die Aktivität der anderen Neuronen in unmittelbarer Umgebung – würde das nicht passieren, dann käme es regelmäßig zu einem ungesteuerten neuronalen „Feuerwerk“. „Dieser neuronale Wettbewerb führt dazu, dass nur die am besten passende Spur, also das am besten zum Erlebnis passende Aktivierungsmuster der Neuronen, in den Synapsen ,eingraviert‘ wird“, erläutert Maass.
Die Prinzipien der Informationsspeicherung im Gehirn sind jedenfalls völlig anders als jene in (heutigen) Computern – wo das Gedächtnis durch eine Abfolge von Nullen und Einsen gebildet wird. Die Natur hat einen effektiven und flexiblen Mechanismus entwickelt, der einem Computer aus Silizium-Chips offensichtlich in vielerlei Hinsicht überlegen ist. Maass: „Die große Frage, die nun im Raum steht: Können wir in künstlichen Wissensspeichern der Zukunft vielleicht auch anstelle von Bits und Bytes geeignete Aktivitätsmuster speichern?“
Die jüngste Erkenntnis ist ein wichtiger Baustein für das riesige EU-Flagship-Projekt Human Brain Project, in dem unter Leitung von Henry Markram (ETH Lausanne) ein gesamtes menschliches Gehirn im Computer „nachgebaut“ werden soll – und zwar auf Basis der biologischen Prinzipien, wie sich Nervenzellen entwickeln und mit anderen „verdrahten“. Maass leitet in diesem mit bis zu einer Mrd. Euro dotierten Langzeitprojekt das Arbeitspaket Brain Computing Principles.
Nota.
Die Annahme, dass die eine 'Vorstellungsmasse' von der andern 'Vorstellungsmasse' regelrecht verdrängt werde und sich die eine an die andere 'anhängen' könne, findet sich schon bei Joh. Fr. Herbart, der die empirische (Denk-) Psychologie in Deutschland eingeführt hat - auf den Spuren der englischen Assoziations-Lehre. Sein Modell war schon seinerzeit ein bisschen altmodisch, hat aber das bis heute bleibende Verdienst, die Psychologie von Anbeginn dynamisch aufgefasst zu haben - insbesondere eben das Gedächtnis.
J.E.
Bei google.de habe ich gesucht "Neuron+Existenzkampf" und wurde zu ihrer Seite verlinkt. Danke für den Artikel und erlaube mir eine Ergänzung:
AntwortenLöschenwww.straktur.de
Es passiert im Gehirn weit mehr als heute technisch verstanden erlaubt. Da war das Mittelalter in der Ahnung weiter.
Gruß
Pschera