Mittwoch, 7. August 2013

Milch und die neolithische Revolution in Europa.

aus Die Presse, Wien, 7. 8. 2013

Wie die Milch das frühe Europa fruchtbar machte


Zwei Revolutionen ließen Milch genießbar werden, eine kam vom Menschen – er erfand Käse –, eine von der Natur.

In den 1970ern fand Archäologe Peter Bogucki (Princeton) in einer 7000 Jahre alten Siedlung in Polen Tonscherben mit regelmäßigen Perforierungen. Er wusste nicht, was es war, erinnerte sich aber, dass ein Freund, der Käse herstellte, etwas Ähnliches benutzte, um Rahm von Milch abzuschöpfen: ein Sieb. Aber der Nachweis, dass das schon die Menschen in der Steinzeit in Polen getan haben, brauchte Zeit: 2011 konnte Mélanie Roffet-Salquet (Bristol) mit Fettanalysen auf den Scherben zeigen, dass damit tatsächlich einmal Milch gesiebt wurde.

Dadurch wurde sie genießbar, das hatten schon die ersten Bauern bemerkt, die vor 11.000 Jahren Nutztiere domestizierten, in Anatolien. Um die Milch wird es dabei nicht gegangen sein: Milch war für die damaligen Menschen kaum genießbar, sie ist es auch heute für die meisten Menschen nicht. Nur Kinder können sie ungestraft schlucken, sie haben ein Enzym (Laktase), das einen Milchzucker (Laktose) kleinarbeitet. Im Alter von etwa sechs Jahren stellt das Enzym seine Aktivität ein, dann bringt Milch keinen Genuss, sondern Übelkeit. 

Die Bauern wanderten, nicht ihre Technik

Dagegen half zunächst das Verarbeiten der Milch zu Joghurt und Käse, Feta hat wenig Laktose, Hartkäse wie Parmesan fast überhaupt keine. Diese Kunst nahmen Bauern mit, als sie sich vor 9000 Jahren auf den Weg nach Westen machten, sie brachten die Landwirtschaft nach Europa. Dass wirklich Menschen wanderten („demische Diffusion“) und nicht Techniken weitergereicht wurden („kulturelle Diffusion“), zeigt sich an den domestizierten Rindern bzw. ihren Fossilien in Europa, es waren Rinder aus Kleinasien. Und dass es nun um Milch ging, zeigen auch alte Knochen, die der Kälber, sie werden früh geschlachtet, wenn die Kühe gemolken werden sollen, das ist einer der viele Stückchen eines Puzzles, das eine internationale Kooperation mit dem schönen Namen LeCHE (Lactase Persistence in the Early Cultural History of Europe) zusammenträgt (Nature, 500, S. 20).

Dazu gehört natürlich auch ein Geschenk des Himmels bzw. der Evolution, das vor 7000 Jahren vermutlich in Ungarn kam: Das Laktase-Gen mutierte, Milch wurde auch roh genießbar. Die Genmutante setzte sich rasch in Europa durch, und sie hatte einen rätselhaften Effekt: Wer die Genvariante hat, bekommt mehr Nachwuchs, 19 Prozent, eine derartige Wirkung hat keine Variante eines anderen Gens. jl

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