Die National Gallery lockt mit Werken von Jan Vermeer, Bildern über die Musik und Musik selbst. Dabei inszeniert sie einen Sommer-Event mit Musik, in dem Vermeer nur einen Gastauftritt hat.
von Marion Löhndorf
Vermeers Bilder sind sinnlich,
enigmatisch und eine Spur unheimlich. Vielleicht ist die Stille eines
ihrer Themen. Andererseits gibt es darin eine Vorliebe für Musizierende.
So klingt es nach einer wirkungsvollen Idee, sie mit dem Thema der
Musik zu verknüpfen: der gemalten und der in der Wirklichkeit zu
hörenden. Die Ausstellung «Vermeer and Music» in der National Gallery
eint Gemälde aus der Epoche Vermeers, in denen Musik eine Rolle spielt,
mit Instrumenten der Zeit. Zusätzlich tönt an drei Tagen der Woche,
donnerstags, freitags und samstags, stündlich Live-Musik durch die
Ausstellungsräume. Sie bildet gewissermassen den Soundtrack zur Schau.
Das Fehlen der Klänge, das auf den Gemälden oft absichtsvoll eingesetzt
wurde - wenn die nicht zu hörende Musik die letzte Abwesenheit, den Tod,
versinnbildlichte -, reicht die Kuratorin Marjorie E. Wiesemann hier
kurzerhand nach. So wird die Bilderschau zum Event. Zur Party fehlen nur
noch das gefüllte Glas und der Stehtisch.
Im Mittelpunkt - wenigstens
nominell - steht eine Handvoll Gemälde Vermeers. Zwei davon entstammen
dem eigenen Haus, «Stehende Virginalspielerin» (1670-72) und «Sitzende
Virginalspielerin» (1670-72). «Die Musikstunde» (1662/63) ist eine
Leihgabe der Königlichen Sammlung, und ein viertes Bild legte den
ebenfalls kurzen Weg aus dem Kenwood House in London zurück, «Die
Gitarrenspielerin» (1672). Nur «Junge Frau am Virginal» (1670-72) ist
weiter gereist, das 25,2 mal 20 Zentimeter kleine Gemälde kommt aus
einer New Yorker Privatsammlung.
Obwohl nur 37 Arbeiten des Malers
überliefert sind, ist die Zahl der in der Ausstellung zusammengetragenen
Werke doch gering - jedenfalls etwas zu spärlich, um ihn so prominent
im Titel der Schau zu vermarkten. Zumal vier der fünf Bilder ohnehin in
London vor Ort zu besichtigen gewesen wären. Auch die übrigen Werke -
von Pieter de Hooch, Jan Olis, Jacob van Velsen, Hendrick ter Brugghen,
Jan Stehen, Jacob Ochtervelt und anderen - stammen fast ausnahmslos aus
Beständen der National Gallery in London. Den etwas knapp bemessenen
Gastauftritt des Stars Vermeer können sie nicht auffangen. Genealogien
werden sichtbar, aber dennoch verblassen sie neben ihm mehr, als der
Ausstellung gut tut.
Emanuel de Witte, Frau am Cembalo,1665/1670
Emanuel de Witte, Frau am Cembalo,1665/1670
Immerhin gewähren die Werke Einblick in das niederländische Alltagsleben des 17. Jahrhunderts. Da es zu jener Zeit weder ein Königshaus noch eine Kirche gab, die sich in das musikalische Leben einmischten - die Niederlande waren im weitesten Sinn eine demokratische Gesellschaft -, entwickelte sich die Musik gewissermassen zur Privatsache.
Erotisches Potenzial
Sie wurde Teil des Alltags, war
eines der beliebtesten Themen in der niederländischen Malerei - und ein
besonders anspielungsreiches. In Porträts liessen ein Instrument oder
ein Notenbuch auf Bildung oder Stand des Abgebildeten schliessen.
Darstellungen von Musizierenden erzählten von Harmonie, Festlichkeit,
Geselligkeit und Flirts. Gespielte oder ungespielte Instrumente dienten
auch als Vergänglichkeitssymbole.
Natürlich weist die National
Gallery auch eigens auf das erotische Potenzial der Musik und des
gemeinsamen Musizierens sowie auf den entsprechenden möglichen
Symbolgehalt verschiedener Instrumente hin, etwa der Geige, die als
Sinnbild des weiblichen Körpers gelesen wurde. Der Untertitel der
Sommerschau lautet schliesslich «The Art of Love and Leisure».
Historische Instrumente sollen die Behauptung veranschaulichen. Lauten,
Violinen, Gitarren und Virginale - dem Cembalo vergleichbar - liegen wie
kostbare Schmuckstücke in den Vitrinen. Manche von ihnen sehen aus, als
wären sie direkt aus den Gemälden in die Museumswirklichkeit gewandert.
Das ist ein schöner Effekt. So wie ja auch der Titel der
Sommerausstellung «Vermeer and Music» in der National Gallery in London
geschickt gewählt ist. Musik und Vermeer sind zugkräftige Reizworte.
Niemand gäbe zu, Musik nicht zu lieben. Und trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Balance aus scheinbarer Realitätsnähe und Entrücktheit gehört Vermeer unter den alten Meistern zu den populärsten. Allein, es hilft alles nichts. Die Vermarktungsidee, Erotik, Musik und einen Blockbuster-Namen der Kunstgeschichte unter einem Label zu vermählen, führt zu einer schmalen Schau, deren Elemente sich gelegentlich berühren, aber nicht wirklich aneinander entzünden.
Niemand gäbe zu, Musik nicht zu lieben. Und trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Balance aus scheinbarer Realitätsnähe und Entrücktheit gehört Vermeer unter den alten Meistern zu den populärsten. Allein, es hilft alles nichts. Die Vermarktungsidee, Erotik, Musik und einen Blockbuster-Namen der Kunstgeschichte unter einem Label zu vermählen, führt zu einer schmalen Schau, deren Elemente sich gelegentlich berühren, aber nicht wirklich aneinander entzünden.
Musik gibt es bei der
Ausstellungsbegehung gratis dazu: Ist es das Ausfüllen einer Leerstelle?
Ein Flirt mit dem Besucher? Oder schon ein kleiner Betrug?
Fotografische Genauigkeit
Möglicherweise erschliessen sich
Vermeers Werke dem modernen Betrachter leichter als andere, fernere
Künstler seiner und späterer Epochen. Denn sie besitzen Elemente
fotografischer Abbildhaftigkeit. Oft wurde spekuliert, dass Vermeer eine
Camera obscura zu Hilfe nahm. So etwa in der von Marcel Proust so
geliebten «Ansicht von Delft» (um 1660). Vielleicht sprechen sie ja
wirklich das Auge einer an Fotografie gewöhnten Zeit in besonderer Weise
an. Dass nur wenig über den Maler bekannt ist und nur ein schmales
OEuvre erhalten blieb, mag die Strahlkraft dieses sich einem festem
Zugriff entziehenden Genies noch erhöhen.
Vermeer and Music. National Gallery, London. Bis 8. September 2013. Katalog (Yale University Press) £ 9.99.
Nota.
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