Über Jahrhunderte lieferten Bibel und Heiligenlegenden die Themen für die Kunst. In unserer säkularisierten Welt verstehen aber die meisten Menschen kaum mehr Bilder religiösen Inhalts. Zwei Ausstellungen in München zeigen, wie lohnend eine Beschäftigung mit diesen «Geschichten und Gestalten» sein kann.
von Hanne Weskott
Kunst und Religion waren einst aufs Engste mit einander verknüpft. So gab es im christlichen Abendland während des Mittelalters nur Bildwerke, die sich religiösen Themen widmeten. Selbst Naturdarstellungen waren in das Heilsgeschehen eingebunden. Das bekannteste Beispiel dafür ist sicher die Lilie, die als Symbol für die Reinheit und Keuschheit Mariens galt. Weniger bekannt und den heutigen Museumsbesuchern meist sehr fremd ist, dass auch das Alte Testament immer im Blick auf das Neue gesehen wurde: Maria als die neue Eva oder die Opferung Isaaks als Vorbild für den Kreuzestod Jesu. Für diese Deutung des Alten Testaments zeigten jüdische Schriftgelehrte wenig Verständnis. Die christliche Kunst erfand daraufhin das Bild der Synagoge mit verbundenen Augen, die in den Portalfiguren der grossen Kathedralen der gekrönten, sehenden und stets prächtig gekleideten Ecclesia gegenübersteht.
Psalmen; Sefer Tehelim, Prag 1707
Sintflut als Sinnbild der Taufe
Ein derartiges Figurenpaar ist für eine Ausstellung kaum zu bekommen, auch wenn in den Portallaibungen der Kathedralen wegen der Umweltverschmutzung meist schon Repliken stehen, während die Originale in den Dom-Museen oder wie in Bamberg im Inneren aufbewahrt werden. Aber ein kleines Köpfchen einer Synagoge aus der Mitte des 13. Jahrhunderts aus dem früheren Kloster Wessobrunn in Oberbayern eröffnet die Ausstellung «Das Alte Testament - Geschichten und Gestalten» in der Alten Pinakothek München, die in der Bayerischen Staatsbibliothek mit Handschriften und Drucken unter dem Titel «Das Alte Testament und sein Umfeld» fortgesetzt wird.
Bamberger Dom, Fürstenportal
Das Köpfchen der Synagoge wird von einer Grossfoto des Fürstenportals des Bamberger Doms (um 1220) gerahmt, das zeigt, wie die Apostel auf den Schultern der Propheten stehen. Das führt programmatisch in die Abteilung des Spätmittelalters ein: Das Neue Testament fusst auf dem Alten. Dagegen hätte wahrscheinlich auch die personifizierte Synagoge nichts einzuwenden gehabt, gegen die typologische Ausdeutung aber schon. Diese folgt einem Satz des Ludolph von Sachsen, der in seiner Vita Christi schrieb: «Der Sinn des Alten Testaments ist es, das Neue in Bildern und Rätseln vor Augen zu führen.» Selbst die Sintflut galt als Sinnbild der Taufe, aber auch der Kirche selbst am Vorabend der Reformation. Sie wird in einem Meisterwerk von 1516 von Hans Baldung, gen. Grien, als verzweifelter Überlebenskampf von Mensch und Tier rund um den fest verschlossenen Kasten der Arche gezeigt. Wie anders sieht das doch ein halbes Jahrhundert später in dem von Hans Mielich illustrierten Prachtband der «Sieben Busspsalmen» von Orlando di Lasso in der Schatzkammer der Staatsbibliothek aus, wo die Rettung bereits begonnen hat und Mensch und Tier den runden Schiffsbauch verlassen können.
Hans Baldung-Grien, Sintflut
Mit dem Hofkapellmeister Orlando di Lasso und dem Hofmaler Hans Mielich befinden wir uns in der Zeit der Renaissance, die sich auch in Albrecht Altdorfers Gemälde «Susanna im Bade» von 1526 [s. Kopf] ankündigt, wenn auch nur in der Darstellung des prachtvollen Palastes, der ein Drittel des Bildes einnimmt und deutlich macht, dass der Künstler sich intensiv mit italienischer Renaissancearchitektur auseinandergesetzt hat. Die Geschichte der Susanna, die nach der Geschichte von zwei lüsternen Alten bedrängt wird, sobald ihre Mägde sie alleine lassen, um Öl und Salben zu holen, wird sehr züchtig in einzelnen Szenen erzählt, ohne jedoch den eigentlichen Skandal des Überfalls der beiden Alten, die fast unsichtbar unter den Bäumen lauern, auch nur anzudeuten. Ganz anders schildert das Peter Paul Rubens gut hundert Jahre später. Susanna, die als Beispiel für weibliche Sittsamkeit und Treue galt, zeigt hier dem Betrachter ihre nackte, prachtvolle Rückenpartie. Wo sich Altdorfer auf das verführerische Potenzial von nackten Beinen und aufgelöstem Haar verlässt, malt Rubens das, was die alten Herren so lüstern werden liess, dass sie über die Gartenmauer springen. Er erzählt keine Geschichte in Szenen, sondern packt alles in den einen, entscheidenden Augenblick.
Ebenso Rembrandt in der «Opferung
Isaaks» (um 1636), wo der Engel Abrahams Hand ergreift, die gerade zur
Tötung des Sohnes ansetzen wollte. In dieser höchst dramatischen
Inszenierung schwebt das Messer in der Luft. Auch Rembrandt braucht
keine weiteren Details der Geschichte, wie wir sie noch 1530 bei Lucas
Cranach finden, wo der Hügel mit dem Opferaltar in eine Landschaft
eingebettet ist, in der die Knechte auf den Herrn warten und der Widder,
den Abraham an der Stelle von Isaak töten soll, im Gestrüpp
bereitsteht.
Cranach d. Ä., Die Operferung Isaacs
Cranach d. Ä., Die Operferung Isaacs
Dieses Bild von Cranach diente höchstwahrscheinlich als Predella eines Altars mit der Kreuzigung Christi, für die die Opferung Isaaks als Präfiguration gedeutet wurde. Das Alte Testament war im Mittelalter nur in der typologischen Auslegung darstellungswürdig. Folgerichtig wurden nur wenige selbständige Bilder mit Geschichten und Szenen aus dem Alten Testament geschaffen. Das änderte sich in Renaissance und Barock, als sich neben Kirche und Hof eine neue Sammlerschicht bildete. Das geschah je nach Landstrich und abhängig von der Herrschaftsstruktur zeitlich versetzt, aber im Barock war es dann allgemein üblich, dass auch Privatleute Aufträge an Künstler vergaben und die Ikonografie der Bildgestaltung nicht mehr zwingend war. So kamen neue Szenen aus den Apokryphen und dem Alten Testament hinzu wie die Geschichte des Tobias oder die der Hagar und ihres Sohnes Ismael. Hagar war Magd im Haus von Abraham und Sara, die keine Kinder bekommen konnten. Deshalb führte Sara Hagar ihrem Mann zu. Als aber Ismael geboren war, wurde auch Sara schwanger, und sie bestand darauf, dass Abraham Hagar mit dem Sohn in die Wüste schickte, damit es keine Probleme wegen der Erstgeburt gäbe. Die Alte Pinakothek besitzt von Claude Lorrain zwei Bilder zu diesem Thema, die wie immer bei Lorrain mehr Landschaft als Handlung zeigen.
Claude, Hagar und Ismael
Immer mit wichtiger Botschaft
Aber auch Adtriaen van de Werff hat die Zuführung Hagars zu Abraham und ihre Verstossung gemalt. Auch er erzählt nicht die ganze Geschichte, sondern schildert in den zwei schlaglichtartig beleuchteten Szenen die psychische Problematik der handelnden Personen, in der die junge Magd demütig, aber auch rechtlos und missbraucht erscheint, steht ihr und ihrem Sohn nach der Vertreibung in die Wüste doch der sichere Tod bevor. Aber solche Geschichten werden ja nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern enthalten immer eine wichtige Botschaft. So soll sich erlittenes Unrecht wie im Fall von Hagar und Ismael durch die Gnade Gottes in einen Vorteil verwandeln, der die Geschichte der Menschheit voranbringt. Hagar und Ismael werden von einem Engel gerettet, und Ismael wird der Stammvater des arabischen Volkes.
Adriaen van de Werff, Die Verstoßung Hagars
Angeregt durch den im August in München stattfindenden Kongress der International Organization for the Study of the Old Testament, entstanden in der Alten Pinakothek und der Bayerischen Staatsbibliothek zwei Ausstellungen, in denen man lernen kann, was alles hinter so oft gelesenen Titeln wie «Susanna im Bade» oder «Joseph und Potiphars Weib» steckt. Auch kann man herausfinden, wie unterschiedlich in den einzelnen Zeiten diese Themen von den Künstlern gestaltet wurden. Und wenn man einmal gemerkt hat, wie spannend dieses Thematik ist, kann man sich in der Alten Pinakothek, einem ausgewiesenen Parcours folgend, auf Spurensuche nach Szenen des Alten Testaments im ganzen Haus begeben. Denn gemäss der eingangs erwähnten Überzeugung der Abhängigkeit des Neuen vom Alten Testament tauchen dessen Gestalten in vielen Szenen des Neuen auf.
Angeregt durch den im August in München stattfindenden Kongress der International Organization for the Study of the Old Testament, entstanden in der Alten Pinakothek und der Bayerischen Staatsbibliothek zwei Ausstellungen, in denen man lernen kann, was alles hinter so oft gelesenen Titeln wie «Susanna im Bade» oder «Joseph und Potiphars Weib» steckt. Auch kann man herausfinden, wie unterschiedlich in den einzelnen Zeiten diese Themen von den Künstlern gestaltet wurden. Und wenn man einmal gemerkt hat, wie spannend dieses Thematik ist, kann man sich in der Alten Pinakothek, einem ausgewiesenen Parcours folgend, auf Spurensuche nach Szenen des Alten Testaments im ganzen Haus begeben. Denn gemäss der eingangs erwähnten Überzeugung der Abhängigkeit des Neuen vom Alten Testament tauchen dessen Gestalten in vielen Szenen des Neuen auf.
Das Alte Testament - Geschichten und Gestalten. Alte Pinakothek München. Bis 20. Oktober 2013. Begleitheft.
Das Alte Testament und sein Umfeld - Vom Babylonischen Talmud zu Lassos Busspsalmen. Bayerische Staatsbibliothek München. Bis 30. August 2013. Katalog (Quaternio-Verlag Luzern).
Rubens, Susanna und die Alten
Ich habe diese Bild von Rubens zum verkaufen.In guten zustand.
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